Knackpunkt ist der Beantragungsprozess
Die Ratingagentur Franke und Bornberg nimmt die Regulierungspraxis wichtiger BU Versicherer schon seit Jahren unter die Lupe. Ihre aktuelle Neuauflage der BU Leistungsstudie liefert tiefe Einblicke in eine ansonsten häufig verschlossene Materie. Entscheidend ist die Erhebungsmethode: Daten abfragen und auswerten allein lässt viele Fragen offen. Erst die Analyse vor Ort liefert ein nachvollziehbares Bild der Leistungspraxis.
Die aktuelle LeistungspraxisStudie zu Berufsunfähigkeitsversicherungen (BU) der
Ratingagentur Franke und Bornberg zeigt erneut: der pauschale Vorwurf der
systematischen Leistungsverweigerung ist – zumindest für die untersuchten
Unternehmen – nicht haltbar. Drei von vier Leistungsentscheidungen zur BU gehen danach zu Gunsten des Kunden aus. Dennoch bedeutet dieses Ergebnis noch keine Entwarnung. Schwachstellen offenbaren sich vor allem bei der derzeit marktüblichen Vorgehensweise im Beantragungsprozess.
An der Untersuchung von Franke und Bornberg haben sich, wie in den Vorjahren, die Versicherer AachenMünchener, ERGO, HDI, Nürnberger, Stuttgarter, Swiss Life sowie Zurich Deutscher Herold beteiligt. Sie verwalten mit 4,57 Millionen Stück einen maßgeblichen Anteil aller BUVerträge in Deutschland und stehen für knapp 50% aller Leistungsfälle.
Neben der Datenanalyse setzt Franke und Bornberg als einziger Marktbeobachter auf akribische Stichproben vor Ort. Michael Franke, geschäftsführender Gesellschafter bei Franke und Bornberg, erläutert das aufwendige Procedere: „Anders als die üblichen Befragungen verlassen wir uns nicht allein auf Antworten der Gesellschaften. Wir haben den Anspruch, alle Daten bei den Versicherern vor Ort zu überprüfen. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass wir alle Unternehmen auf einheitliche Messgrößen hin untersuchen. Nur so sind nachvollziehbare und konsistente Ergebnisse möglich, denn es gibt hinsichtlich wichtiger Kennzahlen noch immer keine Standards. So werden beispielsweise Bearbeitungszeiten oder Ablehnungsquoten unternehmensindividuell sehr unterschiedlich definiert. Das erkennt nur, wer sich nicht allein auf einen Fragebogen verlässt. Zudem beeinflussen die Bestands und Neugeschäftsstrukturen einige Kenngrößen.“
Die Experten von Franke und Bornberg analysieren datenschutzkonform die Bestände, Arbeitsprozesse sowie mindestens 125 Schadenakten pro Unternehmen. Auf diese Weise werden die Kennzahlen vergleichbar gemacht und verifiziert.
Dreimal ja, einmal nein
Nach den Erkenntnissen von Franke und Bornberg gehen drei von vier Leistungsentscheidungen (75,7 %, Vorjahr 75,3 %) zu Gunsten der Versicherten aus. Dieser Wert korrespondiert mit den jüngsten Zahlen des Versichererverbandes GDV. Der hatte, allerdings für das Jahr 2015, eine Leistungsquote von 77 % ermittelt. In diesen Werten nicht enthalten sind BUAnträge, die Versicherte nicht weiter verfolgt oder zurückgezogen haben.
Von den Anerkenntnissen erfolgen 86,5 % (Vorjahr 86,6 %) bedingungsgemäß, 10,9 % (Vorjahr 10,6 %) auf Basis einer individuellen Vereinbarung und 2,6 % (Vorjahr 2,7 %) vor Gericht. Knapp die Hälfte aller Ablehnungen (48,5 %, Vorjahr 54 %) werden ausgesprochen, weil aus Sicht der Versicherer der vertraglich vereinbarte BUGrad, in der Regel 50 Prozent, nicht erreicht wurde.
Weitere rund 30 % (30,6 %, Vorjahr 26,7 %) sind auf Anfechtungen und Rücktritte zurückzuführen. Im Vergleich zum Vorjahr ist dies aus Kundensicht eine leichte Verschlechterung. Hier sieht Franke und Bornberg die Unternehmen und die Vermittler besonders in der Pflicht. Im Interesse der Kunden sollten Versicherer auf die Rechtsfolgen falscher Angaben im Antrag noch deutlicher als bisher hinweisen, zumal sich Rücktritte und Anfechtungen zumeist als gerichtsfest erweisen. Auch stichprobenhafte Prüfungen der Angaben des Kunden (u.U. mit Arztrückfrage) können dazu beitragen, die Qualität der Antworten auf mittlere Sicht zu verbessern. Ein besonderes Ärgernis stellen sogenannte Abrechnungsdiagnosen dar, die auf den Kunden zurückfallen können. Hier stehen die Ärzte in der Verantwortung, die ohne Wissen der Patienten Diagnosen allein zu Abrechnungszwecken in den Akten dokumentieren. Im Leistungsfall holen die Versicherer regelmäßig Arztberichte ein und vermuten dann eine Anzeigepflichtverletzung.
Allen Unkenrufen zum Trotz spielen Umorganisationen sowie konkrete und abstrakte Verweisungen mit gerade einmal 2,5 % (Vorjahr 2,7 %) aller Ablehnungen mittlerweile eine untergeordnete Rolle. Die Tendenz ist schon seit 2007 rückläufig. „Nur eine von 50 Ablehnungen geht auf Verweisung oder die Forderung nach Umorganisation zurück“, konstatiert Michael Franke. „Die Zahlen zeigen: Im Fokus der Kritik stehen oft nicht die tatsächlichen Schwachstellen der BU. Unsere Analyse zeigt vielmehr, dass Kunden oft mit den Fragebögen bei der Leistungsbeantragung überfordert sind. Zudem müssen Ärzte und Versicherer die gesundheits und tätigkeitsbezogene 50% Schwelle oft ohne genaue Kenntnis der individuellen beruflichen Situation ermitteln. Hier liegt ein systemimmanentes Problem der BU.“
Bei Gutachten überwiegt die Psyche
Einen inhaltlichen Schwerpunkt legt Franke und Bornberg in der aktuellen Studie auf Gutachten. Gutachter werden von den Versicherern bezahlt. Daher ist die Vermutung nachvollziehbar, die Gutachten würden möglichst zu Gunsten der Gesellschaften ausfallen. Dafür liefert die Untersuchung keine echten Anhaltspunkte. Zunächst einmal sind Gutachten kein Massenphänomen. Sie werden nur in 6 % (Vorjahr 5,2 %) aller Leistungsfälle in Auftrag gegeben – eben immer dann, wenn besondere Expertise gefragt ist. Der GDV kommt in seiner Erhebung auf eine vergleichbare Quote, nennt aber keine weiteren Details. Besonders häufig werden Gutachten bei psychischen Erkrankungen eingeholt, wie die Stichproben von Franke und Bornberg belegen. Sie sind mittlerweile für 57 % der Gutachten verantwortlich – Tendenz steigend.
Eine auffällige Konzentration auf einzelne Gutachter konnten die Experten von Franke und Bornberg nicht feststellen. Niedergelassene Fachärzte werden im gleichen Umfang wie Universitätskliniken beauftragt, gefolgt von Gutachterbüros. Bei der Auswahl spielt offenbar die Nähe zum Wohnort des Versicherten eine Rolle. Entscheidend sind meistens die zeitlichen Ressourcen der Gutachter. Denn die sind durch Aufträge der staatlichen Rentenversicherung oft mehr als ausgelastet. In jedem Fall führen Gutachten zu längeren Bearbeitungszeiten. Vom Tag der Beauftragung bis zum Eingang des Gutachtens vergehen durchschnittlich 90 Tage; bei psychiatrischen Gutachten sind es sogar 101 Tage.
Sinkende Regulierungsdauer, kaum Prozesse
Franke und Bornberg misst die Regulierungsdauer vom Zeitpunkt der Meldung der vermuteten Berufsunfähigkeit bis zum Tag der Leistungsentscheidung des Versicherers. Reicht ein Antragsteller den obligatorischen Fragebogen zu seiner beruflichen und gesundheitlichen Situation verspätet ein oder verzögern sich Arztberichte, verlängert dies also die Bearbeitungszeit. Im Jahr 2016 brauchten die befragten Unternehmen bis zu ihrer Entscheidung durchschnittlich 156 Tage (nach 161 Tagen im Jahr 2015). Auch der GDV hat sich jetzt dieser Systematik angenähert. Allerdings weist er mit durchschnittlich 111 Tagen bislang rund fünf Wochen weniger aus, was darauf hindeutet, dass zumindest einige Versicherer erst ab Eingang des Kundenfragebogens zu zählen beginnen. Weitere Verzögerungen entstehen durch erforderliche Entbindungen von der Schweigepflicht, vor allem aber durch externe Gutachten. Die persönliche Begleitung des Anspruchstellers durch einen „VorOrtService“ könnte die Regulierung beschleunigen. Davon wurde aber nur in vier Prozent aller Fälle Gebrauch gemacht, wie Franke und Bornberg ermittelt hat. Liegen alle Unterlagen beim Versicherer vor, folgt die Entscheidung in durchschnittlich drei Wochen.
Wenn der Versicherer seine Leistungspflicht ablehnt, kann der Versicherte gegen die Entscheidung klagen. Davon machten im Jahr 2016 bei den untersuchten Gesellschaften insgesamt 589 (Vorjahr 622) Kunden Gebrauch. Verloren haben die Versicherer 10 % der Prozesse (Vorjahr 14 %). Der Rest teilt sich auf in Vergleiche (62 %, Vorjahr 62 %) und gewonnene Prozesse (28 %, Vorjahr 24 %). Bezogen auf alle Leistungsfälle betrug die Quote der von Versicherern verlorenen Prozesse 0,28 % (Vorjahr 0,43%).
Fazit
Michael Franke zieht Bilanz: „Die BUVersicherung bleibt weiterhin das wichtigste Produkt zur Absicherung der Arbeitskraft. Eine Anerkennungsquote von über 75 % zeigt, dass die BU auch im Leistungsfall funktioniert. Auf der anderen Seite macht der große Vorteil einer BU, den persönlichen Gesundheitszustand mit der individuellen beruflichen Leistungsfähigkeit zu verknüpfen, die Informationsbeschaffung im Leistungsfall besonders aufwendig. Dies betrifft die oft schwer verständlichen Fragebögen im Rahmen der Leistungsbeantragung und die für Ärzte und Versicherer oft schwierige Ermittlung des 50% Grades, bei dem gesundheits und tätigkeitsbezogene Faktoren zu berücksichtigen sind. Insgesamt aber hat sich bei den untersuchten Gesellschaften der Trend zu kürzeren Bearbeitungsdauern fortgesetzt.“ Für die Vorwürfe einer systematischen Verzögerung oder sogar grundlosen Verweigerung der Leistung habe die Analyse zumindest bei den untersuchten Unternehmen keine Anhaltspunkte geliefert. Michael Franke: „Das Hauptproblem ist eher grundsätzlicher Natur. Nachweislich verbessern individuell auf die Kunden zugeschnittene Fragebögen und eine telefonische Erstklärung das Antwortverhalten und die Bearbeitungszeiten. So wie der Schutz selbst, muss auch die Leistungsfallbearbeitung individueller werden.“
Die Daten (Stand 2016) für die BULeistungsstudie 2018 von Franke und Bornberg wurden im November und Dezember 2017 erhoben. An der Untersuchung haben sich, wie in den Vorjahren, sieben Versicherer beteiligt: AachenMünchener, ERGO, HDI, Nürnberger, Stuttgarter, Swiss Life sowie Zurich Deutscher Herold. Sie stehen für 4,57 Millionen BU Versicherte (2015: 4,64 Mio.), davon 1,12 (2015: 1,19) Mio. BUZ zur Beitragsbefreiung einer Hauptversicherung, einen BULeistungsbestand von rund 79.800 BUVerträgen (2015: 78.000) und gut 24.600 BULeistungsfallNeuanmeldungen (2015: 23.000)
Zur Validierung der Unternehmensangaben erhebt Franke und Bornberg umfangreiche Stichproben vor Ort: Je Versicherer wurden mindestens 125 Leistungsfälle ausgewertet. Dabei lag der Fokus – wie schon in der Vergangenheit – vor allem auf den komplizierteren Fällen. Dazu zählen Anfechtungen wegen Verletzung der Anzeigepflicht, Fälle, in denen ein BUGrad von 50% oder der Prognosezeitraum nicht erreicht wird, Individualvereinbarungen sowie Vergleiche. Ablehnungen sind für Verbraucher und Vermittler besonders problematisch. Aus diesem Grund hat Franke und Bornberg Ablehnungen bei der Auswahl der Stichprobe mit 60 % systematisch übergewichtet, obwohl sie nur knapp ein Viertel aller Leistungsentscheidungen ausmachen. Personenbezogene Daten wurden nicht erfasst.
Die regelmäßige Teilnahme der befragten Gesellschaften erlaubt es, neben der aktuellen Bestandsaufnahme auch die Entwicklungen seit 2008 analysieren und darstellen zu können. Die Studie kann und will aber keine Einzelfallbetrachtung für jeden Leistungsfall bieten.
Verantwortlich für den Inhalt:
Franke & Bornberg GmbH, Prinzenstraße 16, D30159 Hannover Tel.: +49 (0) 511 357717 00 , Fax: +49 (0) 511 357717 13 www.frankebornberg.de