Mehr als die Hälfte der Deutschen erwarten eine Pleitewelle
Die Berufstätigen in Deutschland ändern durch die Erfahrungen der Corona-Pandemie deutlich ihre Einstellungen. “Sicherheit in Krisenfällen, wie etwa durch Corona”, wird zum Top-Kriterium im Beruf, von drei Vierteln wird dies jetzt als wichtig eingeschätzt. Nur die Aspekte “Geld verdienen” und “erlernte Fähigkeiten anwenden” zählen jetzt noch mehr. Zugleich hat ein Drittel der Beschäftigten durch die Corona-Zeit zwar eine positivere Einstellung zum Beruf gewonnen. Es steigt aber auf breiter Front die persönliche Bereitschaft zum Jobwechsel und doppelt so viele sagen voraus, dass die Häufigkeit von Berufswechseln insgesamt künftig zunimmt und nicht zurückgehen wird.
Dr. Patrick Dahmen, Vorstandsvorsitzender der HDI Lebensversicherung: “Unsere diesjährige HDI Berufe-Studie wird geprägt durch die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Berufstätigen. Der Vergleich mit unserer 2019 erstmals durchgeführten Studie zeichnet dabei ein deutliches Bild: Die von den Berufstätigen gemachten Erfahrungen haben die Akzeptanz und Nutzung von digitalen Arbeitsmitteln wie etwa Video-Konferenzen und Internet stark gesteigert. Zugleich nimmt die persönliche Sorge ab, dass die fortschreitende Digitalisierung den eigenen Arbeitsplatz gefährden wird.”
Digitalisierungs-Schub durch Corona-Krise, Home Office kommt gut an
Laut HDI Berufe-Studie 2020 setzt fast jeder zweite Erwerbstätige (45 Prozent) heute mehr digitale Technik bei seiner Arbeit ein als vor der Corona-Krise. Und mehr als jeder vierte Berufstätige (28 Prozent) hat durch die Corona-Zeit Erfahrung mit dem Home Office gemacht – offensichtlich sehr positive. So fordern jetzt mehr als ein Drittel aller Erwerbstätigen in Deutschland, dass künftig vermehrt Angebote für das Arbeiten von zuhause aus eingerichtet werden. Fast jeder Zweite plädiert in diesem Zusammenhang zudem für neue flexiblerer Arbeitszeiten. Schließlich ist knapp ein Drittel der Beschäftigten jetzt auch dafür, vermehrt Videokonferenzen statt persönliche Besprechungen abzuhalten. “In unserer Studie gibt rund die Hälfte aller Berufstätigen an, digitale Technik im Berufsleben als hilfreich zu empfinden”, so Patrick Dahmen. “Das sind mehr als doppelt so viele wie diejenigen, die über Belastungen hierdurch klagen. Für die deutsche Wirtschaft kann das eine große Chance darstellen.”
Es bleibt aber ein Widerspruch, der sogar weiter zunimmt: Während 2019 noch 27 Prozent der Berufstätigen Sorge um ihren persönlichen Job durch fortschreitende Digitalisierung angaben, sind es jetzt nur noch 19 Prozent. Zugleich aber hat die Sorge, dass in Deutschland insgesamt mehr Jobs durch Digitalisierung entfallen als neue entstehen, jetzt schon fast zwei Drittel aller Erwerbstätigen erfasst (von 60 Prozent im Vorjahr auf 63 Prozent).
Jeder Fünfte in Kurzarbeit, aber positive Erfahrungen überwiegen – besonders bei Frauen
Jeder fünfte Beschäftigte berichtet in der HDI Berufe-Studie 2020 von Kurzarbeit in den letzten 12 Monaten. Das entspricht in etwa auch der amtlichen Statistik. Überraschender ist dieser Befund: Während nur jeder Vierte die Zeit der Kurzarbeit als “belastend” empfand, schildern sie fast doppelt so viele, nämlich 43 Prozent, “als eine insgesamt für mich wertvolle Zeit”. Unter berufstätigen Frauen (49 Prozent) sind es dabei deutlich mehr als unter Männern (37 Prozent). Eine mögliche Erklärung: Berufstätige Männer berichten häufiger als Frauen von Existenzängsten, die bei ihnen durch die Kurzarbeit ausgelöst wurden (29 zu 21 Prozent). Und für fast doppelt so viele Männer wie berufstätige Frauen hat sich das Verhältnis zur Familie während der Kurzarbeit verschlechtert (neun zu fünf Prozent). “Nicht nur die Arbeitssituation beschäftigt die Menschen in der Corona-Zeit, sie sind auch sensibler für ihre eigene Gesundheit und Arbeitskraft geworden. Die Absicherung ihrer Arbeitskraft und damit die Existenzsicherung und der Erhalt ihres Lebensstandards haben klar an Bedeutung gewonnen, das zeigt der gestiegene Bedarf an Vorsorgelösungen, den wir bei HDI feststellen können”, erklärt Dahmen.
Viele Beschäftigte in Tourismus und Hotellerie sehen ihre Berufe kritisch
Die Erfahrungen durch die Corona-Zeit zeigen innerhalb der Berufsgruppen sehr unterschiedliche Folgen. Fast jeder Zweite im Bereich Tourismus, Hotellerie und Gastronomie würde jungen Menschen heute nicht mehr empfehlen, seinen Beruf zu wählen. Das ist der schlechteste Wert unter allen Berufen. Ganz anders die Fachkräfte in der Informations- und Kommunikationstechnik: Fast doppelt so häufig, nämlich zu 83 Prozent, wollen sie auch jungen Menschen ihre Berufswahl empfehlen. Zudem haben sie in der Corona-Zeit stärker als jede andere Berufsgruppe eine noch positivere Einstellung zu ihrer Arbeit gewonnen.
Trotz hoher medialer Aufmerksamkeit hat dagegen in medizinischen Gesundheitsberufen die Corona-Zeit wenig verändert. Wie im Vorjahr bewerten die Beschäftigten das von ihnen erlebte Image ihres Berufes in der Öffentlichkeit nur mit der Schulnote 3. Das ist der drittschlechteste Wert unter allen Berufsgruppen. Inzwischen sogar 39 Prozent (Vorjahr 37 Prozent) von ihnen wollen den Beruf jungen Menschen nicht empfehlen. Paradox jedoch: Gleichzeitig kann sich nur die Hälfte unter ihnen vorstellen, einen anderen Beruf auszuüben. Das wird nur noch von Lehrern und Ausbildern unterboten (44 Prozent), insgesamt liegt diese Bereitschaft unter allen Berufstätigen mit 60 Prozent viel höher.
Ostdeutsche seltener im Home Office, Bereitschaft zum Berufswechsel nimmt in 12 von 16 Bundesländern teilweise deutlich zu
Regional hat sich für Berufstätige die Arbeit in der Corona-Zeit unterschiedlich verändert. Während in einigen westlichen Bundesländern mehr als 30 Prozent durch die Pandemie von zu Hause arbeiten mussten (am meisten in Rheinland-Pfalz), lag der Anteil in Thüringen nicht einmal halb so hoch (14 Prozent) und auch in Sachsen-Anhalt bei nur 18 Prozent. Ungleich veränderten sich auch die Einstellungen der Berufstätigen. Die größte Bedeutung hat heute die berufliche Sicherheit im Krisenfall wie etwa bei Pandemien für Beschäftigte in Schleswig-Holstein (79 Prozent), Nordrhein-Westfalen (77 Prozent), Baden-Württemberg (76 Prozent) und Bayern (75 Prozent). Den geringsten Wert ermittelt die HDI Berufe-Studie dagegen in Berlin (65 Prozent). Auch gibt es etwa in Bayern und Nordrhein-Westfalen einen besonders großen Anteil von Befragten, die seit dem Beginn der Pandemie dankbarer für ihren Arbeitsplatz geworden sind (jeweils 31 Prozent). Die geringste Zustimmung zu dieser Frage gibt es hingegen in Thüringen (14 Prozent), Sachsen (19 Prozent) und Sachsen-Anhalt (21 Prozent).
Die Bereitschaft zum Berufswechsel ist gegenüber 2019 schließlich in 12 von 16 Bundesländern gestiegen, zum Teil sehr stark wie etwa in Bremen, wo sich dies inzwischen 71 Prozent grundsätzlich vorstellen können. Dass sich die Zahl der Jobwechsler künftig insgesamt erhöht, glauben bundesweit zudem doppelt so viel Erwerbstätige, wie solche, die eine sinkende Zahl annehmen.
Pleitewelle wird befürchtet
Mehr als die Hälfte aller Berufstätigen, exakt 55 Prozent, erwartet durch die Corona-Krise eine Pleitewelle in Deutschland. Besonders stark wird das von Beschäftigten in Werbung, Marketing und Medien befürchtet (75 Prozent) sowie in Bau und Architektur (66 Prozent), unter Finanzdienstleistern und Steuerberatern (65 Prozent) sowie im Tourismus (63 Prozent). Die größte Sorge um die eigene berufliche Zukunft machen sich dabei Erwerbstätige im Tourismus (33 Prozent) sowie in der Werbe- und Medienindustrie (31 Prozent).
Die HDI Berufe-Studie wird jährlich bundesweit durchgeführt in Zusammenarbeit mit dem Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov Deutschland. Sie ermöglicht durch ihren Umfang auch repräsentative Aussagen für den Arbeitsmarkt der einzelnen Bundesländer. In diesem Jahr wurden insgesamt 3.633 Erwerbstätige ab 15 Jahren in den Monaten Juni und Juli 2020 befragt.
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