Die Studie untersucht Covid-19-Schadentrends in den Versicherungsbereichen Sach- und Betriebsunterbrechung, Haftpflicht, D&O und Luftfahrt.
Die Covid-19-Pandemie ist sowohl für Unternehmen als auch für Versicherer eines der größten wirtschaftlichen Schadenereignisse der Geschichte. Nicht nur die Höhe der finanziellen Folgen ist beispiellos. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden sich auch mittel- bis langfristig neue Risiken und Schadentrends als Folge der Pandemie herausstellen – etwa durch veränderte Lieferketten sowie Arbeits- und Reisegewohnheiten. Mit dem Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität während des Lockdowns sind die traditionellen Sach- und Haftpflichtschäden für die AGCS zurückgegangen, vor allem im Luftfahrt- und Transportversicherungssektor, aber auch in vielen anderen Branchen. Grund sind vor allem weniger Unfälle am Arbeitsplatz, auf den Straßen und im öffentlichen Raum. Dies geht aus der neuen Studie „Covid-19 – Changing Claims Patterns” von Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) hervor.
„Der Ausbruch des Coronavirus hat Risiken in einigen Bereichen verringert und gleichzeitig in anderen Bereichen verändert oder sogar erhöht. Die weitreichenden Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft, die durch die Pandemie herbeigeführt und beschleunigt wurden, werden bisherige Schadentrends in der Industrieversicherung langfristig verändern“, erwartet Dr. Thomas Sepp, der als Chief Claims Officer im AGCS-Vorstand den Schadenbereich verantwortet. „Die zunehmende Abhängigkeit von Technologien, die Verlagerung auf Telearbeit und Fernwartung, die Reduzierung von Flugreisen, der Ausbau von grüner Energie und Infrastruktur sowie eine Neuausrichtung der globalen Lieferketten werden die künftige Schadenentwicklung für Unternehmen und ihre Versicherer prägen.“
Die Schätzungen schwanken, aber die Versicherungsbranche wird nach Angaben von Lloyd‘s im Jahr 2020 bis zu 110 Milliarden US-Dollar für Schäden im Zusammenhang mit der Pandemie zahlen müssen. Allein AGCS hat mehr als 450 Millionen Euro für erwartete Covid-19-Ansprüche reserviert, insbesondere für die Absage von Live-Veranstaltungen und die Unterbrechung von Film- oder Kinoproduktionen in der Unterhaltungsindustrie.
Rückgang in Sach- und Haft / Gerichtsprozesse ausgesetzt
„Wir haben in einigen Bereichen, wie etwa in der Veranstaltungs- und Filmbranche, einen deutlichen Anstieg an Schadenfällen registriert, während die normalerweise auftretenden Sach- und Haftpflichtschäden während des Lockdowns zurückgegangen sind”, erklärt Philipp Cremer, globaler Schadenmanager der AGCS. „Es besteht immer noch die Möglichkeit, dass Schadenfälle auftreten, wenn Fabriken und Unternehmen nach einem temporären Stillstand wieder in Betrieb genommen oder Haftungsansprüche mit zeitlicher Verzögerung geltend gemacht werden.” Grundsätzlich erwartet die AGCS wieder eine steigende Schadenhäufigkeit mit der Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Aktivitäten.
Schadenmeldungen nach Verkehrsunfällen, Ausrutschern und Stürzen oder Arbeitsunfällen nahmen während der weltweiten Ausgangssperren ab, da viele Menschen zu Hause blieben und zahlreiche Geschäfte, Flughäfen und Betriebe vorübergehend geschlossen wurden. Die AGCS stellte auch eine positive Auswirkung auf die Schadenregulierung in den USA durch die Aussetzung von Gerichtsprozessen fest. Einige Kläger und Beklagte waren zu außergerichtlichen Vergleichen bereit, statt weiter abzuwarten, bis ihr Fall verhandelt werden kann – ein Trend, der auch in der kürzlich erschienenen AGCS-Veröffentlichung über Trends bei Haftpflichtschäden betont wurde.
Die AGCS-Studie zeigt auf, wie sich die Pandemie auf die Schadentrends in verschiedenen Versicherungsbereichen auswirkt.
Sachversicherung/Betriebsunterbrechung
Die Sachversicherung war durch Covid-19 nicht signifikant von Schäden betroffen, da Ursachen wie Feuer oder Wetter nicht mit der Pandemie korrelieren. Wenn die Produktionslinien nach einem vorübergehenden Stillstand jedoch wieder hochgefahren werden, kann dies das Risiko von Maschinenausfällen und -schäden und sogar von Bränden und Explosionen erhöhen. „Der Neustart einer Fabrik ist ein Stresstest. Wir haben in den vergangenen Monaten bereits einige Schadenfälle im Zusammenhang mit dem Hochfahren von Produktionslinien erlebt – und es werden vielleicht noch mehr kommen“, sagt Raymond Hogendoorn, AGCS-Schadenexperte für Sachversicherung weltweit. Da oft weniger Personen vor Ort sind, können sich Inspektionen und Wartungsarbeiten verzögern oder ein Brand oder Wasseraustritt zu spät bemerkt werden, was die Schwere von Schäden erhöhen kann.
Covid-19 hat weltweit zu Betriebsschließungen und -unterbrechungen geführt. Diese sind oft nicht versichert, da kein physischer Schaden als Auslöser der Deckung vorliegt. Die Pandemie hat sich jedoch auf unterschiedliche Weise auf Betriebsunterbrechungsschäden (BU) ausgewirkt. Einerseits werden Fabriken während eines Lockdowns keine großen BU-Schäden produzieren, da viele Hersteller, ihre Abnehmer und Lieferanten die Produktion gleichermaßen zurückfahren. Als beispielsweise ein US-Automobilzulieferer im Frühjahr von einem Tornado getroffen wurde, fiel der Betriebsunterbrechungsschaden geringer aus als zu normalen Produktionszeiten. Umgekehrt können Maßnahmen zur Pandemieeindämmung Betriebsunterbrechungen verlängern, da Zugangsbeschränkungen eine zügige Wiederinbetriebnahme verhindern. Dies zeigte sich bei einer Explosion in einer Chemiefabrik in Südkorea.
Haftpflicht und Directors & Officers (D&O)-Versicherung
AGCS hat bisher erst wenige Haftpflichtforderungen im Zusammenhang mit der Pandemie registriert. Haftungsansprüche werden jedoch häufig erst zeitverzögert geltend gemacht, so dass allgemeine Haftungs- und Berufsunfallklagen im Zusammenhang mit Covid-19 noch eintreten können. Eine Reihe von Ausbrüchen des Coronavirus wurde mit risikoreichen Umgebungen wie Fitnessstudios, Kasinos, Pflegeheimen, Kreuzfahrtschiffen oder Lebensmittel-/Fleischverarbeitungsbetrieben in Verbindung gebracht.
Eine Welle von Insolvenzen könnte eine potenzielle Quelle für noch kommende D&O-Klagen sein. Die Pandemie könnte auch Rechtsstreitigkeiten gegen Unternehmen auslösen. So könnte dem Management vorgeworfen werden, das Unternehmen nicht angemessen auf das Risiko einer Pandemie oder generell auf einen längeren Zeitraum mit Einnahmeausfällen vorbereitet zu haben.
Luftfahrt-Versicherung
Aus Luftfahrtindustrie wurden bisher nur wenige Versicherungsschäden gemeldet, die in direktem Zusammenhang mit der Pandemie stehen. In einer kleinen Zahl von Fällen möchten Passagiere Fluggesellschaften wegen Annullierungen von Flügen in Anspruch nehmen. Ausrutsch- und Sturzunfälle auf Flughäfen sind mit dem massiven Rückgang des weltweiten Luftverkehrs ebenfalls rückläufig – im April erreichte der weltweite Reiseverkehr einen Tiefstand mit einem Rückgang von 94% im Vergleich zum Vorjahr.
„Obwohl ein großer Teil der weltweiten Flugzeugflotte weiterhin am Boden ist, verschwinden die Schadensrisiken nicht einfach. Stattdessen verändern sie sich und können sogar neue Risikokumule schaffen“, sagt Jörg Ahrens, AGCS-Experte für Haftpflichtschäden weltweit. Beispielsweise können Flugzeuge, die in großer Zahl am Boden geparkt sind, Hurrikanen, Tornados oder Hagelstürmen ausgesetzt sein. Auch das Risiko von Rangier- oder Bodenvorfällen steigt.
Langfristige Schadentrends
Die Covid-19-Pandemie beschleunigt viele Trends, wie z.B. die zunehmende Abhängigkeit von Technologie und das wachsende Bewusstsein für Stör- und Verlustfaktoren in komplexen globalen Lieferketten. Von vielen Unternehmen wird erwartet, dass sie aus den Erfahrungen der Pandemie Lehren ziehen und ihre Lieferketten neu organisieren, um Ausfallrisiken zu reduzieren und mehr Widerstandsfähigkeit aufzubauen. Dies könnte in kritischen Produktionsbereichen zu einer Rückverlagerung von Wertschöpfung führen. Ein solcher Schritt würde sich wahrscheinlich auf die Häufigkeit von Schadenfällen und die Kosten künftiger Betriebsunterbrechungen auswirken.
In der Zwischenzeit bedeutet die Zunahme des mobilen Arbeitens, dass die Unternehmen in Zukunft möglicherweise über weniger Immobilienbestand verfügen werden und weniger Mitarbeiter vor Ort in Firmenbüros tätig sein werden. Dies verändert die Risiken für die Arbeitgeberhaftpflicht oder für Cybergefahren. Während der Pandemie haben sich Cyberrisiken erhöht, zahlreiche Berichte verweisen darauf, dass Ransomware- und Business Email Compromise-Attacken zugenommen haben. AGCS hat bisher einige wenige Cyber-Schadenfälle registriert, die im Zusammenhang mit der Pandemie stehen.
Digitale Schadenbearbeitung
Covid-19 hat auch die Notwendigkeit einer Digitalisierung der Schadenbearbeitung verstärkt. Ferninspektionen und -bewertungen von Schadenfällen sind jetzt durch Satelliten-, Drohnen- oder Bilderfassungstechnologie und Tools wie MirrorMe möglich. „Noch vor ein paar Jahren waren die Prozesse in der Schadenbearbeitung meist manuell und papiergestützt, und viele Menschen hätten sich eine virtuelle Schadenbearbeitung nicht vorstellen können“, erinnert sich Cremer. „Heute spielt die Technologie eine Schlüsselrolle. Die Cloud-basierte Schadenplattform von AGCS hat den Coronavirus-Test bestanden, und unsere digitalen Prozesse zur Schadenregulierung haben sich während des gesamten Lockdowns bewährt. Unterstützt durch unsere Kunden und Makler, konnten unsere Schadenteams aus dem Home Office einen Anstieg der Covid-19-Schadenfälle bewältigen und die gewohnten Services ohne Unterbrechung liefern“, so Cremer.
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