Rückversicherung
Naturkatastrophen verursachen 2021 Gesamtschäden von 280 Mrd. US$, etwa 120 Mrd. US$ waren versichert
Für Versicherer war 2021 in etwa gemeinsam mit 2011 und 2005 das zweitteuerste Naturkatastrophenjahr bisher (Rekordjahr 2017: 146 Mrd. US$, inflationsbereinigt); die gesamtwirtschaftlichen Schäden waren die vierthöchsten (Rekordjahr 2011: 355 Mrd. US$)
Hurrikan Ida war mit 65 Mrd. US$ Gesamtschäden (36 Mrd. US$ versicherten Schäden) die teuerste Naturkatastrophe des Jahres
In Europa verursachten Sturzfluten nach Starkregen Schäden von 54 Mrd. US$ (46 Mrd. €) – die teuerste Naturkatastrophe in Deutschland bislang
Viele der Wetterkatastrophen passen zu den erwarteten Folgen des Klimawandels – mehr Vorsorge und Klimaschutz sind dringend nötig
Torsten Jeworrek, Mitglied des Vorstands: Die Bilder der Naturkatastrophen von 2021 sind verstörend. Die Klimaforschung belegt immer deutlicher, dass extreme Unwetter wahrscheinlicher geworden sind. Gesellschaften müssen sich dringend an steigende Wetterrisiken anpassen und Klimaschutz zur Priorität machen. Versicherer nehmen ihre Verantwortung wahr und übernehmen einen Teil der Risiken und Schäden. Mit risikogerechten Prämien geben sie den Naturgefahren ein Preisschild, so dass abgewogenes Handeln zur Begrenzung der Schäden möglich ist. Zugleich haben schwere Vulkanausbrüche und Erdbeben im Jahr 2021 gezeigt, dass auch diese Naturgefahren nicht vernachlässigt werden dürfen.
In Zahlen: Naturkatastrophenschäden stiegen deutlich
Weltweit haben Naturkatastrophen 2021 erheblich höhere Schäden als in den beiden Vorjahren verursacht. Stürme, Hochwasser, Waldbrände oder Erdbeben zerstörten nach vorläufigen Daten Werte in Höhe von 280 Mrd. US$. Im Jahr zuvor hatten die Schäden 210 Mrd. US$ betragen, 2019 waren es 166 Mrd. US$.
Von den Gesamtschäden entfielen auf Versicherer etwa 120 Mrd. US$, ebenfalls mehr als in den Vorjahren (2020: 82 Mrd. US$, 2019: 57 Mrd. US$). Die Versicherungslücke, also der nicht versicherte Anteil, ging durch einen hohen Schadenanteil in den USA etwas zurück, betrug aber noch rund 57%. Knapp 10.000 Menschen kamen 2021 bei Naturkatastrophen ums Leben, ähnlich viele wie in den Vorjahren.
Ungewöhnlich hoher Anteil von Schäden in USA
Ein sehr hoher Anteil der Naturkatastrophenschäden entfiel 2021 auf die USA: rund 145 Mrd. US$, davon waren etwa 85 Mrd. US$ versichert. Die Gesamtschäden und die versicherten Schäden lagen deutlich über denen der Vorjahre (Gesamtschäden 2020: 100 Mrd. US$, 2019: 52 Mrd. US$; versicherte Schäden 2020: 67 Mrd. US$, 2019: 26 Mrd. US$). Im Einzelnen:
Tornados
Im Dezember verursachte eine Schwergewitterserie in der Mitte und im Südosten der USA für die Jahreszeit ungewöhnlich extreme Schäden. Dutzende gewaltige Tornados mit Windgeschwindigkeiten bis zu 310 km/h (190 mph) hinterließen eine Spur der Zerstörung in sechs Bundesstaaten. Besonders betroffen war die Kleinstadt Mayfield in Kentucky, wo ein massiver langlebiger Tornado der zweithöchsten Stufe EF4 quer durch den Ort raste. Große Teile der Stadt, darunter eine Kerzenfabrik, wurden komplett zerstört.
Die Gesamtschäden betrugen nach ersten Schätzungen etwa 5,2 Mrd. US$, davon dürften etwa 4 Mrd. US$ versichert sein. Etwa 90 Menschen kamen ums Leben.
Die Hurrikansaison
Die teuerste Naturkatastrophe 2021 war Hurrikan Ida, der am 29. August 90 km südlich von New Orleans als Sturm der zweithöchsten Kategorie 4 mit Windstärken von etwa 240 km/h auf Land traf. Zehntausende Gebäude wurden beschädigt oder zerstört. Das nach Hurrikan Katrina 2005 verstärkte Deichsystem von New Orleans hielt den Sturmfluten stand und verhinderte so deutlich höhere Schäden.
Ida zog anschließend in Richtung Nordosten und führte insbesondere in New Jersey und im Großraum New York zu schweren Überschwemmungen. Insgesamt verursachte Hurrikan Ida Schäden von 65 Mrd. US$, davon waren etwa 36 Mrd. US$ versichert (55%). 114 Menschen kamen ums Leben.
Die Sturmaktivität in der Hurrikansaison 2021 lag im Nordatlantik mit 21 benannten tropischen Stürmen nach dem bisherigen Rekordjahr 2020 mit 30 Stürmen erneut deutlich über dem langjährigen Durchschnitt (14,3 für 1991 bis 2020).
„Deep Freeze“
Im Februar erstreckte sich eine ungewöhnliche Kältewelle bis in den Süden der USA. In Houston im Süden von Texas wurden -8°C (17°F) gemessen. Obwohl es dort etwa einmal pro Jahrzehnt eine solche Kältewelle gibt, sind Infrastruktur und Bauten darauf oft unzureichend vorbereitet. Millionen Menschen waren ohne Strom. Mit Schäden von 30 Mrd. US$ (davon die Hälfte versichert) war dies die drittteuerste Naturkatastrophe des Jahres.
Europa: Extreme Sturzfluten mit Rekordschäden
In Europa verursachten Starkniederschläge im Juli ungewöhnlich starke Sturzfluten mit lokal verheerenden Schäden, insbesondere im Westen Deutschlands. In den betroffenen Regionen regnete es durch das Tiefdruckgebiet “Bernd” so stark wie sonst nur etwa einmal in 100 Jahren. Die Folge waren Sturzfluten an Nebenflüssen wie der Ahr in Rheinland-Pfalz, die zahllose Gebäude wegrissen. Hohe Schäden entstanden an der Infrastruktur wie Bahnlinien, Straßen und Brücken. Mehr als 220 Menschen kamen ums Leben.
Die Gesamtschäden betrugen 46 Mrd. € (54 Mrd. US$), davon 33 Mrd. € (40 Mrd. US$) in Deutschland. Der versicherte Anteil war wegen der unversicherten Infrastrukturschäden und der begrenzten Versicherungsdichte für Hochwasser in Deutschland relativ gering: 11 Mrd. € (13 Mrd. US$) trugen die Versicherer, davon nach Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) 8,2 Mrd. € (9,7 Mrd. US$) in Deutschland. Es war die bislang teuerste Naturkatastrophe in Deutschland und Europa.
Wie wirkt sich der Klimawandel aus?
Ernst Rauch, Chef-Klimatologe und Leiter der Abteilung Climate Solutions, kommentiert: „Die Katastrophen-Statistik 2021 ist auffällig. Denn etliche der extremen Unwetterereignisse gehören zu jenen, die durch den Klimawandel häufiger oder schwerer werden. Dazu gehören Schwergewitter in den USA auch im Winterhalbjahr. Oder auch Starkregen mit Hochwasser in Europa. Bei den Hurrikanen erwartet die Wissenschaft, dass der Anteil der starken Stürme gepaart mit extremen Niederschlägen durch den Klimawandel zunimmt. Auch wenn Ereignisse nicht einfach dem Klimawandel zugeordnet werden können, so liefert die Analyse der Veränderungen über Jahrzehnte hinweg plausible Indizien für einen Zusammenhang mit der Erwärmung der Atmosphäre und Ozeane. Die Anpassung an steigende Risiken durch den Klimawandel wird eine Herausforderung.“
Relativ geringe Schäden in Asien/Pazifik
In Asien/Pazifik blieben die Schäden moderat: Die gesamtwirtschaftlichen Schäden betrugen 50 Mrd. US$, davon waren 9 Mrd. US$ versichert (Versicherungslücke: 82%). Damit entfielen 18% der gesamten und 7% der versicherten Schäden auf die Region. Die teuerste Naturkatastrophe war ein schweres Hochwasser in der zentralchinesischen Provinz Henan, wo zahlreiche Flüsse, darunter der Gelbe Fluss, über die Ufer traten. Hunderttausende Häuser wurden überschwemmt. Der Gesamtschaden betrug etwa 16,5 Mrd. US$, davon war nur etwa ein Zehntel versichert.
Vor der Ostküste Japans kam es am 13. Februar zu einem Erdbeben der Magnitude 7,1. Das Beben ereigneten sich unweit des Epizentrums des Tohoku-Erbebens vor der Nordostküste Japans, das zehn Jahre zuvor einen verheerenden Tsunami und damit die Atomkatastrophe von Fukushima ausgelöst hatte. Das jetzige Beben verursachte erhebliche Schäden von 7,7 Mrd. US$, rund 2,3 Mrd. US$ waren versichert (Versicherungslücke: 70%).
Vulkanausbrüche und Erdbeben – Eine verkannte Gefahr?
Ebenso wie die Erdbeben in Japan machten starke Vulkanausbrüche nach mehreren ruhigeren Jahren die Gefahren durch geophysikalische Ereignisse deutlich. Auf La Palma brach im September der Vulkan Cumbre Vieja im Süden der kanarischen Insel aus. Riesige Lavaströme ergossen sich bis ins Meer. Etwa 3.000 Häuser wurden unter Lavaströmen und Asche begraben. Erst am 25. Dezember erklärten die Behörden den Ausbruch offiziell für beendet. Die Schäden beliefen sich auf etwa 850 Mio. € (1 Mrd. US$). Nur ein geringer Anteil dürfte versichert sein.
Auf der indonesischen Insel Java brach Anfang Dezember der Vulkan Mount Semeru aus. Dabei entstanden so genannte pyroklastische Ströme – 1000°C heiße Asche und Gestein –, die wesentlich gefährlicher sind als Ausbrüche mit Lavaströmen. Mehr als 50 Menschen starben.
Selbst in Industrieländern ist die Versicherungslücke noch groß
Im weltweiten Maßstab waren 2021 etwa 57% der Schäden durch Naturkatastrophen nicht versichert. Betroffene müssen die finanziellen Schäden selbst tragen oder sind auf Hilfen angewiesen. In Industrieländern ist diese Versicherungslücke in den vergangenen Jahrzehnten geschrumpft, während sie in ärmeren Ländern unverändert bei mehr als 90% liegt. In Industrieländern hängt der Anteil der versicherten Schäden von den jeweiligen Naturgefahren ab. So ist in den USA wie in Europa bei Überschwemmungen die Versicherungsdichte deutlich niedriger als bei Stürmen. In USA ist Infrastruktur teilweise versichert, in Europa dagegen kaum. „Eine höhere Versicherungsdichte kann dazu beitragen, dass betroffene Menschen und Länder die finanziellen Folgen einer Katastrophe besser verkraften und zu einem normalen Leben zurückkehren können. Auch der Ausbau von Konzepten in Partnerschaft mit Staaten – Public-Private Partnerships – kann sinnvoll sein“, so Ernst Rauch.
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