Nach neuen Berechnungen beläuft sich der weltweite Schaden durch Cum-Ex, Cum-Cum und vergleichbare Betrugssysteme auf mindestens 150 Milliarden Euro.

 

Diese Summe ist dreifach größer als bisher bekannt. Das Geld ließen sich Banken und andere Finanzakteure “zurückerstatten”, obwohl sie entsprechende Steuern nie gezahlt hatten. Neben Deutschland und den USA wurden zwischen dem Jahr 2000 und 2020 mindestens zehn europäische Staaten Opfer dieses Steuerraubzugs. Das haben gemeinsame Recherchen von 15 internationalen Medienpartnern ergeben, an denen in Deutschland CORRECTIV und das ARD-Magazin “Panorama” (NDR) beteiligt waren.

Weiteres Ergebnis der Recherchen von “Panorama”: Die Bundesregierung scheint sogenannte “Cum-Cum-Geschäfte” bis heute nicht effektiv zu bekämpfen – obwohl ihr die immensen Verluste, die der Steuerkasse dadurch entstehen, bekannt sind: “Die Information hat auch das Bundesfinanzministerium, und zwar zumindest von mir”, sagt der Mannheimer Steuerprofessor Christoph Spengel in “Panorama”. Spengel ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Bundesfinanzministeriums (BMF). Seine Korrespondenz mit der Leitungsebene des Finanzministeriums liegt “Panorama” vor.

Auf Anfrage von “Panorama” erwidert das BMF, die Finanzbehörden seien intensiv mit der Aufarbeitung von Cum-Cum-Gestaltungen befasst. Auch sei man “den Hinweisen von Professor Spengel bereits nachgegangen” und habe sie “an die zuständige Sondereinheit zur Bekämpfung kapitalmarktorientierter Steuergestaltungen beim Bundeszentralamt für Steuern weitergeleitet”.

Bei Cum-Cum verschieben ausländische Anleger ihre Aktien vor der Dividendenausschüttung ins Inland, um unrechtmäßig Steuern zu sparen. Ein wesentlicher Grund für die Fortführung dieses Steuerdiebstahls ist offenbar die irrige Annahme, dass Cum Cum – anders als Cum Ex – nicht illegal sei. Dem widerspricht in “Panorama” Helmut Lotzgeselle, Vorsitzender Richter am Hessischen Finanzgericht. Unter dem Vorsitz von Lotzgeselle wurde Anfang 2020 erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine Landesbank wegen ihrer Cum-Cum-Geschäfte verurteilt. Der Finanzrichter sieht die illegalen Aktiengeschäfte nicht bloß unter dem steuerrechtlichen Aspekt. “Für mich sind Cum-Cum-Geschäfte nicht nur ein Gestaltungs-Missbrauch und eine Steuerumgehung, für mich als Jurist sind Cum-Cum-Geschäfte auch eine Straftat”, sagt Lotzgeselle in “Panorama”. “Ich kann nur hoffen, dass man diese Fälle alsbald aufgreift, um die Gelder – und hier geht es um Milliarden – zurückzufordern und diejenigen bestraft, die aufgrund ihrer Gier dem Steuerzahler diese Milliarden entzogen haben.”

Eine Erhebung des Steuerprofessors Christoph Spengel für die weltweite Recherchekooperation hat ergeben, dass der organisierte Griff in die Steuerkasse in den vergangenen Jahren fast ungehindert weiterging. Insgesamt ist dem deutschen Fiskus in den Jahren 2000 bis 2020 allein durch Cum-Cum ein Mindestschaden von 28,5 Milliarden Euro entstanden. Spengel hat mit einem Team der Universität Mannheim auch den Schaden durch ähnlich gelagerte Aktienschäfte wie Cum-Ex und sogenannte ADRs (American Depository Receipts) errechnet. Allein für Deutschland kommt er für den Zeitraum 2000 bis 2020 auf einen Gesamtschaden durch diese drei Betrugsformen von mindestens 35,9 Milliarden Euro.

Zu der Recherchekooperation unter dem Namen “CumEx Files 2.0” haben sich unter Leitung des Recherchezentrums CORRECTIV 15 Medien aus 15 Ländern zusammengetan, um das Ausmaß des Steuerraubs zu recherchieren. Dazu gehören neben dem ARD-Magazin “Panorama” vom NDR auch die BBC aus Großbritannien, Le Monde aus Frankreich oder NBC aus den USA. Die Ergebnisse der Recherchen werden auf der Website http://www.cumex-files.com zusammengeführt. In den sozialen Medien laufen sie unter dem Hashtag #CumExFiles.

“Panorama” wird sich in der Sendung am Donnerstag, 21. Oktober, um 21.45 Uhr im Ersten ausführlich mit dem Thema befassen. In dem Beitrag kommt auch die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker ausführlich zu Wort. Unter ihrer Leitung ermittelt die Kölner Staatsanwaltschaft gegen mehr als 1000 Beschuldigte. Erstmals äußert sich im deutschen Fernsehen zudem einer der vermutlich größten Steuerräuber der Welt: Sanjay Shah. Er hält sich seit Jahren in Dubai auf. Gegen ihn ermitteln Behörden in Deutschland, Belgien und Dänemark. Er allein wird für einen Steuerschaden von mehr als einer Milliarde Euro verantwortlich gemacht. “Er ist sicherlich einer, der am meisten Risiko eingegangen ist. Er hat das schon sehr auffällig gemacht und deswegen ist er auch relativ schnell aufgeflogen”, sagt Oberstaatsanwältin Brorhilker, die ebenfalls gegen den britischen Staatsbürger ermittelt.

Gegen Sanjay Shah liegt ein internationaler Haftbefehl vor. Sollte er die Vereinigten Arabischen Emirate verlassen, drohen ihm die Festnahme und die Auslieferung. Aber das schreckt den Steuerräuber wenig. Shah in “Panorama”: “Mein Plan ist es, bald wieder in das Geschäft einzusteigen.”

Mehr zur Sendung unter www.panorama.de

 

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Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) sieht in der jüngsten Entscheidung des Bundesgerichshofs (BGH) zu Prämiensparverträgen einen wichtigen Schritt in Richtung eines stärkeren Verbraucherschutzes.

 

Der BGH hat am 6. Oktober 2021 entschieden, dass Zinsanpassungsklauseln in Prämiensparverträgen unwirksam sind, die Kreditinstituten bei der Verzinsung von Spareinlagen ein uneingeschränktes Ermessen einräumen. Er bestätigte damit seine bisherige Rechtsprechung zu langfristigen Sparverträgen.

Der BGH spricht sich deutlich für eine monatliche Zinsanpassung nach der Verhältnismethode aus. Bei dieser Methode wird der anfängliche relative Abstand des Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz beibehalten. Offengeblieben ist, welchen konkreten Referenzzins Kreditinstitute bei der Zinsanpassung zugrunde legen müssen. Hierzu hat der BGH entschieden, dass für die Höhe der variablen Verzinsung für langfristige Spareinlagen ein maßgebender Referenzzinssatz zu bestimmen ist. Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden, das nun wieder zuständig ist, muss festlegen, welcher Referenzzinssatz geeignet ist. In Betracht kommt hierfür laut BGH ein Zinssatz für langfristige Spareinlagen, den die Deutsche Bundesbank erhebt und monatlich veröffentlicht.

Die BaFin hatte die Kreditinstitute am 21. Juni 2021 per Allgemeinverfügung dazu verpflichtet, Prämiensparkunden über unwirksame Zinsanpassungsklauseln zu informieren und ihnen entweder unwiderruflich eine Zinsnachberechnung zuzusichern oder einen Änderungsvertrag mit einer wirksamen Zinsanpassungsklausel anzubieten, der die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs berücksichtigt. 1.156 Kreditinstitute legten dagegen Widerspruch ein.

Weiterer Ablauf Widerspruchsverfahren

Welche Auswirkungen das BGH-Urteil auf die Widerspruchsverfahren hat, wird die BaFin nun im Einzelnen prüfen. Die Aufsicht plant aus verfahrensökonomischen Gründen, über einzelne Widersprüche vorrangig zu entscheiden, um anschließend verwaltungsgerichtliche Musterverfahren zu führen. Sobald hierzu abschließende rechtskräftige Entscheidungen vorliegen, wird die BaFin die übrigen Widerspruchsverfahren auf Basis der Rechtsprechung in den Musterverfahren abschließen. Bis zum Abschluss der Widerspruchsverfahren müssen die Kreditinstitute, die Widerspruch eingelegt haben, die Allgemeinverfügung noch nicht erfüllen. Die BaFin rät betroffenen Prämiensparerinnen und -sparern, sich darüber zu informieren, wie sie sich vor einer Verjährung ihrer Ansprüche schützen können. Rechtliche Beratung erhalten sie bei Verbraucherzentralen und Rechtsanwälten.

 

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Urteil vom 6. Oktober 2021 – XI ZR 234/20

 

Der u.a. für das Bank- und Kapitalmarktrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 6. Oktober 2021 über die Revisionen des Musterklägers, eines Verbraucherschutzverbands, und der Musterbeklagten, einer Sparkasse, gegen das Musterfeststellungsurteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 22. April 2020 über die Wirksamkeit von Zinsänderungsklauseln in Prämiensparverträgen entschieden.

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:

Die beklagte Sparkasse schloss seit dem Jahr 1994 mit Verbrauchern sogenannte Prämiensparverträge ab, die eine variable Verzinsung der Spareinlage und ab dem dritten Sparjahr eine der Höhe nach – bis zu 50% der jährlichen Spareinlage ab dem 15. Sparjahr – gestaffelte verzinsliche Prämie vorsehen. In den Vertragsformularen heißt es u.a.:

“Die Spareinlage wird variabel, z.Zt. mit .. % p.a. verzinst.”

In den in die Sparverträge einbezogenen “Bedingungen für den Sparverkehr” heißt es weiter:

“Soweit nichts anderes vereinbart ist, vergütet die Sparkasse dem Kunden den von ihr jeweils durch Aushang im Kassenraum bekannt gegebenen Zinssatz. Für bestehende Spareinlagen tritt eine Änderung des Zinssatzes, unabhängig von einer Kündigungsfrist, mit der Änderung des Aushangs in Kraft, sofern nichts anderes vereinbart ist.”

Der Musterkläger hält die Regelungen zur Änderung des variablen Zinssatzes für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge von der Musterbeklagten vorgenommene Verzinsung der Spareinlagen für zu niedrig. Er verfolgt mit seiner Musterfeststellungsklage sieben Feststellungsziele. Mit diesen macht er die Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel, die Bestimmung eines Referenzzinssatzes und eines monatlichen Zinsanpassungsintervalls sowie die Verpflichtung der Beklagten geltend, die Zinsanpassungen nach der Verhältnismethode vorzunehmen. Darüber hinaus möchte er festgestellt wissen, dass die Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen frühestens ab der wirksamen Beendigung der Sparverträge fällig werden, dass mit der Kenntnis der Höhe der tatsächlich vorgenommenen Zinsgutschriften im Sparbuch keine den Verjährungslauf in Gang setzende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der den Anspruch auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen begründenden Umstände verbunden ist und dass die widerspruchslose Hinnahme der Zinsgutschriften im Sparbuch nicht dazu führt, dass das Umstandsmoment für eine Verwirkung der Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen gegeben ist.

Das Oberlandesgericht hat der Musterfeststellungsklage teilweise stattgegeben. Der Musterkläger verfolgt seine Feststellungsziele mit der Revision weiter, soweit das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen hat. Die Musterbeklagte verfolgt mit der Revision ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die angegriffene Klausel wegen eines Verstoßes gegen § 308 Nr. 4 BGB in Bezug auf die Ausgestaltung der Variabilität der Verzinsung der Spareinlagen unwirksam ist und dass die in den Prämiensparverträgen insoweit entstandene Regelungslücke durch eine ergänzende Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB zu schließen ist. Auf die Revision des Musterklägers hat er das Musterfeststellungsurteil des Oberlandesgerichts aufgehoben, soweit dieses keinen für die Höhe der variablen Verzinsung maßgebenden Referenzzinssatz bestimmt hat. Insoweit hat er die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Darüber hinaus hat er entschieden, dass die Zinsanpassungen von der Musterbeklagten monatlich und unter Beibehaltung des anfänglichen relativen Abstands des Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz (Verhältnismethode) vorzunehmen sind. Er hat zudem entschieden, dass Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen frühestens mit Beendigung der Sparverträge fällig werden. Die vom Musterkläger verfolgten Feststellungsziele zu Teilaspekten der Verjährung und Verwirkung hat er jeweils als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt:

Die angegriffene Klausel enthält bei der gebotenen objektiven Auslegung im Zusammenhang mit Ziffer 3.1 der Bedingungen für den Sparverkehr ein Zinsänderungsrecht der Musterbeklagten, wonach diese den Vertragszinssatz durch die Änderung eines Aushangs in ihrem Kassenraum ändern kann. Das Oberlandesgericht hat zutreffend angenommen, dass die Klausel wegen eines Verstoßes gegen § 308 Nr. 4 BGB in Bezug auf die Ausgestaltung der Variabilität unwirksam ist, da sie nicht das erforderliche Mindestmaß an Kalkulierbarkeit möglicher Zinsänderungen aufweist. Rechtsfehlerhaft ist das Oberlandesgericht allerdings davon ausgegangen, es könne einen Referenzzinssatz deswegen nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung bestimmen, weil im Verfahren über die Musterfeststellungsklage nicht auszuschließen sei, dass einzelne Sparverträge individuelle Vereinbarungen enthielten. Solche Individualvereinbarungen sind nur in den Klageverfahren zwischen den Verbrauchern und der Musterbeklagten zu berücksichtigen und schließen die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils nach § 613 Abs. 1 ZPO, nicht aber die Vornahme einer ergänzenden Vertragsauslegung im Musterfeststellungsverfahren aus.

Nach dem Konzept der auf ein langfristiges Sparen angelegten Sparverträge ist es interessengerecht, einen Zinssatz für langfristige Spareinlagen als Referenz für die Verzinsung der Spareinlagen heranzuziehen. Da das Oberlandesgericht – von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig – bislang keine Feststellungen zu einem geeigneten Referenzzinssatz getroffen hat, wird es dies nach Zurückverweisung des Musterverfahrens nachzuholen haben. Die Zinsanpassungen sind nach der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung in einem monatlichen Rhythmus vorzunehmen, weil der für langfristige Spareinlagen in Betracht kommende Referenzzinssatz in der von der Deutschen Bundesbank erhobenen Zinsstatistik monatlich veröffentlicht wird.

Im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ist weiter davon auszugehen, dass bei den Zinsanpassungen der anfängliche relative Abstand des Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz beizubehalten ist. Nur eine solche Auslegung gewährleistet, dass das Grundgefüge der Vertragskonditionen über die gesamte Laufzeit der Sparverträge erhalten bleibt, so dass günstige Zinskonditionen günstig und ungünstige Zinskonditionen ungünstig bleiben.

Rechtsfehlerfrei hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass die Ansprüche der Verbraucher auf weitere Zinsbeträge aus den Sparverträgen frühestens ab dem Zeitpunkt der Vertragsbeendigung fällig werden. Die in einem Sparguthaben enthaltenen Zinsen unterliegen derselben Verjährung wie das angesparte Kapital. Das gilt auch für den Verbrauchern bislang nicht gutgeschriebene Zinsbeträge. Die Möglichkeit der Verbraucher, vor Vertragsbeendigung eine Gutschrift von weiteren Zinsbeträgen einzuklagen, bewirkt keine Vorverlagerung der Fälligkeit des Anspruchs auf Auszahlung der weiteren Zinsbeträge. Der rechtlich nicht vorgebildete Verbraucher, auf den bei der Auslegung der in den Sparverträgen getroffenen Abreden abzustellen ist, erwartet aufgrund der vertraglichen Absprache über die Zinskapitalisierung, dass die Bank die vertraglich geschuldeten Zinsen auch dann am Ende eines Geschäftsjahres dem Kapital zuschlägt, wenn er sein Sparbuch nicht zum Nachtrag vorlegt. Dieser berechtigten Erwartung widerspräche es, wenn der Anspruch auf Auszahlung der weiteren Zinsbeträge bei Vertragsbeendigung deswegen bereits verjährt wäre, weil der Anspruch auf Erteilung einer korrekten Zinsgutschrift nicht in einer die Verjährung hemmenden Art und Weise vom Verbraucher während der Laufzeit des Sparvertrags geltend gemacht worden ist.

Die vom Musterkläger verfolgten Feststellungsziele zu Teilaspekten der Verjährung und Verwirkung sind im Musterfeststellungsverfahren unzulässig, weil sie nicht verallgemeinerungsfähig sind. Die Frage, ob ein bestimmter Umstand geeignet ist, einem Verbraucher Kenntnis oder auf grober Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis von seinem Anspruch auf weitere Zinsbeträge zu verschaffen, lässt sich nur individuell abhängig von der Person des Verbrauchers beantworten. Die Verwirkung eines Anspruchs wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment ein Umstandsmoment voraus. Zeit- und Umstandsmoment können dabei nicht voneinander unabhängig betrachtet werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung. Die Frage, ob ein Umstandsmoment vorliegt, das zusammengenommen mit dem Zeitmoment eine Verwirkung des Anspruchs des Verbrauchers rechtfertigt, kann daher nur individuell und nicht in einem Musterverfahren beantwortet werden.

Vorinstanz:

OLG Dresden – Musterfeststellungsurteil vom 22. April 2020 – 5 MK 1/19

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 133 BGB

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.

§ 157 BGB

Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

§ 308 Nr. 4 BGB

In Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist insbesondere unwirksam

[…]

4. (Änderungsvorbehalt)

die Vereinbarung eines Rechts des Verwenders, die versprochene Leistung zu ändern oder von ihr abzuweichen, wenn nicht die Vereinbarung der Änderung oder Abweichung unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den anderen Vertragsteil zumutbar ist;

[…]

§ 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO

(1) Das rechtskräftige Musterfeststellungsurteil bindet das zur Entscheidung eines Rechtsstreits zwischen einem angemeldeten Verbraucher und dem Beklagten berufene Gericht, soweit dessen Entscheidung die Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt der Musterfeststellungsklage betrifft.

[…]

 

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BFH  IV R 20/18 30. September 2021 – Nummer 034/21 – Urteil vom 17.03.2021

 

Mit Urteil vom 17.03.2021 hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass der Schadensersatzanspruch, der einem Kommanditisten einer gewerblich tätigen Fonds-KG wegen fehlerhafter Angaben im Beteiligungsprospekt zusteht, steuerpflichtig ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH gehören zu den gewerblichen Einkünften des Gesellschafters einer Personengesellschaft alle Einnahmen und Ausgaben, die ihre Veranlassung in der Beteiligung an der Gesellschaft haben. Erhält danach der Gesellschafter Schadensersatz, so ist dieser als Sonderbetriebseinnahme bei den gewerblichen Einkünften zu erfassen, wenn das schadensstiftende Ereignis mit der Stellung des Gesellschafters als Mitunternehmer zusammenhängt.

Der Kläger hatte vor dem Zivilgericht ein Urteil erstritten, durch das ihm gegen den Ersteller des Beteiligungsprospekts für einen gewerblich tätigen Filmfonds, dem der Kläger als Kommanditist beigetreten war, Schadensersatz wegen fehlerhafter Angaben in dem Prospekt zugesprochen worden war. Anders als das Finanzamt war der Kläger der Meinung, dass dieser Anspruch nicht der Besteuerung unterliege.

Der BFH entschied nun, dass auch Ansprüche aus zivilrechtlicher Prospekthaftung, die dem Mitunternehmer einer KG gegen einen Vermittler oder Berater zustehen, weil unzureichende Informationen über eine eingegangene Beteiligung erteilt wurden, der Besteuerung unterliegen. Dies gilt nicht nur für den Schadensersatz aus Prospekthaftung selbst, sondern auch für den Zinsanspruch, den der Kläger für die Dauer seines zivilgerichtlichen Schadensersatzprozesses erstritten hat.

 

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Die Aufsicht muss Anbieter nicht anhören, bevor sie den Verdacht auf einen Verstoß gegen die Prospektpflicht bekanntmacht. Dies ist nun gerichtlich entschieden.

 

Anbieter, die in Deutschland Vermögensanlagen öffentlich anbieten, sind gemäß § 6 Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) grundsätzlich dazu verpflichtet, einen Verkaufsprospekt zu veröffentlichen. Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass ein Anbieter dieser Pflicht nicht nachkommt, kann die BaFin diesen Umstand gemäß § 26b Absatz 2 Nr. 1b) VermAnlG auf ihrer Internetseite bekanntmachen. So sollen Anlegerinnen und Anleger auf den möglichen Verstoß gegen das VermAnlG und den damit einhergehenden Mangel an Transparenz und die erschwerte Vergleichbarkeit des Angebots aufmerksam gemacht werden.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat bestätigt, dass die BaFin den Anbieter vor der Veröffentlichung der prospektrechtlichen Verdachtsbekanntmachung nicht gemäß § 28 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) anhören muss (Az. 7 L 2897/20.F). Damit stützt das Gericht die Verwaltungspraxis der BaFin. Ein Anbieter hatte mit einem Eilantrag die Löschung der prospektrechtlichen Verdachtsbekanntmachung gefordert. Zur Begründung hatte er insbesondere darauf abgestellt, dass ihm vor der Veröffentlichung keine Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden sei.

„Mit dieser Gerichtsentscheidung werden wichtige Befugnisse der BaFin für öffentliche Bekanntmachungen gestärkt“, erklärt Beatrice Freiwald, BaFin-Exekutivdirektorin für Innere Verwaltung und Recht. „So können wir dem kollektiven Verbraucherschutz auch weiterhin ohne Verzögerungen Rechnung tragen.“

Bekanntmachung ist Realakt

Eine Anhörung ist nach Ansicht des Gerichts nicht erforderlich, weil die Bekanntmachung mangels Regelungscharakters kein Verwaltungsakt, sondern ein sogenannter Realakt ist. Die BaFin stelle durch die Bekanntmachung nämlich keine Rechte oder Pflichten verbindlich fest. Die Bekanntmachung führe keine Rechtsfolge herbei, sondern diene vielmehr der Information der Öffentlichkeit. Daher finde § 28 VwVfG keine Anwendung, der grundsätzlich vorsieht, dass die Betroffenen vor Erlass eines Verwaltungsakts angehört werden müssen.

Das Gericht schloss auch eine analoge Anwendung von § 28 VwVfG im Hinblick auf die Bekanntmachungen der BaFin aus. Zum einen liege keine planwidrige Regelungslücke vor, die eine analoge Anwendung rechtfertige. Zum anderen sei die Interessenlage im Vorfeld von Bekanntmachungen nicht mit der des § 28 VwVfG vergleichbar. Diese Regelung bezwecke, den Betroffenen eine Möglichkeit zur Wahrung ihrer Verfahrensrechte vor einer verbindlichen Entscheidung ihrer Rechte und Pflichten einzuräumen. Zugleich liege die objektive Funktion der Norm darin, den Sachverhalt aufzuklären. Die Bekanntmachung der BaFin bezwecke hingegen keine abschließende Sachverhaltsaufklärung, sondern sei dazu da, rasch mitzuteilen, dass Anhaltspunkte für ein öffentliches Angebot ohne die Veröffentlichung eines von der BaFin gebilligten Verkaufsprospekts vorliegen.

Verfasst von

Kristin Hofmeister

BaFin-Rechtsreferat für Wertpapieraufsicht und Kompetenzstelle für Verfassungs-, Verwaltungs- und Europarecht

 

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Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Marie-Curie-Str. 24-28, 60439 Frankfurt, Telefon: 0228 / 4108-0, www.bafin.de

Wenn eine Versicherungsmaklerin* (oder Versicherungsmakler, *wegen der Gesellschaftsform sprechen wir im weiteren aber nur von der weiblichen Form) zu einer Schadenersatzzahlung von über EUR 5.000.000,00 verurteilt wird, erweckt allein schon die besondere Schadenhöhe große Aufmerksamkeit.

 

Geht diese Schadenhöhe über die vertraglich bestehende Versicherungssumme hinaus und wie kann das sein? Greift nicht eventuell auch eine Haftungsbegrenzungsklausel der Versicherungsmaklerin durch ihren Maklervertrag?

Das Besondere an der Entscheidung des Landgerichts Hamburg mit dem Aktenzeichen 413 HKO 27/20 ist aber, dass der Maklerin eine Betreuungspflichtverletzung vorgeworfen wird, für die sie nach § 63 VVG haften soll.

Zuletzt war dann noch die Frage zu klären, ob die zuvor entstandenen vergeblichen Prozesskosten auf Deckungsschutz in Höhe von immerhin € 259.449,69, die die Kundin zur Geltendmachung des Deckungsanspruches gegenüber dem Versicherer aufgewendet hatte, als Schadenersatzposition gegenüber der Versicherungsmaklerin geltend gemacht werden können?

Schauen wir uns einmal die wesentlichen Stationen des Sachverhaltes an, die ich für Sie stark verkürzt wiedergebe:

  1. SACHVERHALT

Die Versicherungsnehmerin betreibt seit 1990 ein Bewachungsgewerbe im Rahmen dessen sie unter anderem mobile Kontrolldienste durchführt und Werk- und Objektschutz übernimmt. Seit dem 01.01.2008 war die Versicherungsnehmerin im Rahmen einer allgemeinen Haftpflichtversicherung versichert. Am 16.02.2015 schloss die Versicherungsnehmerin mit der Versicherungsmaklerin einen Maklervertrag.

In dem bestehenden Versicherungsvertrag wurden Haftpflichtansprüche aus Sachschäden, welche entstehen durch […] Überschwemmungen stehender oder fließender Gewässer […] ausgeschlossen.

Auch die Beschädigung und Vernichtung bewachter Sachen wurde hinsichtlich der Ersatzleistung auf EUR 1.000.000,00 je Versicherungsfall, EUR 2.000.000,00 für alle Schäden eines Versicherungsjahres begrenzt, mit einer Selbstbeteiligung von 10%.

Die Versicherungsnehmerin schloss dann ab September 2016 drei „Alarmüberwachungsverträge“. In diesen Verträgen verpflichtete sich die Klägerin zum Verschluss der Flutschutztore.

Jedenfalls hatte am 20.10.2016 eine Mitarbeiterin der Versicherungsnehmerin die „Hochwasserverträge“ mit den neuen Kunden an die Maklerin weitergeleitet. Hier habe es seitens der Versicherungsmaklerin keine Reaktion gegeben, die „Hochwasserverträge“ mit den neuen Kunden nicht zu unterzeichnen.

Am 27. Dezember 2016 kam es dann zu erheblichen Schäden, da im Rahmen eines Hochwassers wegen mangelhaften Verschlusses der Flutschutztore Wasser in die zu schützenden Objekte eingedrungen war.

Der Versicherer versagte die Haftpflichtdeckung mit der Argumentation, dass über die Klausel § 4 Abs. 1 Nr. 5 AHB Ansprüche ausgeschlossen sind, da es sich um einen Überschwemmungsschaden handelte, der nicht ausdrücklich mitversichert war.

Zu erwähnen ist wohl auch, dass die Versicherungsmaklerin den Versicherungsvertrag zum 01.01.2017 umdecken wollte und dass das Angebot des künftigen Versicherers auch den Versicherungsschutz für den Verschluss von Flutschutztoren enthielt.

Die Versicherungsnehmerin klagte also nunmehr vor dem Landgericht Hamburg gegen die Versicherungsmaklerin auf Feststellung der Freihaltung dieser über eine Haftpflichtversicherung versicherbaren Schadenersatzansprüche der Objekteigentümer durch das unzureichende Verschließen der Flutschutztore.

  1. UMFANG DER BETREUUNGSPFLICHT

Fraglich ist also, ob die Versicherungsmaklerin eine Beratungspflicht verletzt hat und vollumfänglich für diesen Millionen-Schaden selbst einstehen muss?

Der Versicherungsmaklerin wurde eine unzureichende Risikoanalyse schon mit Abschluss des Maklervertrages vorgeworfen. Außerdem habe sie eine Erkundigungs- und Informationspflicht gegenüber der Versicherungsnehmerin. So habe es die Maklerin unterlassen, zu Beginn des Mandates und fortlaufend eine Analyse der aktuellen Situation mit dem Ziel der vollständigen Abdeckung der mit dem Betrieb verbundenen Risiken vorzunehmen. Es komme hinzu, dass jedenfalls die Dokumentation einer solchen Analyse fehle, was dazu führe, dass die Versicherungsmaklerin die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der angeblichen Maßnahmen treffe.

Das Gericht stellte fest, dass die Versicherungsmaklerin weitgehende Pflichten habe:

Die Versicherungsmaklerin habe für den Kunden einen individuellen und an das Risiko angepassten Versicherungsschutz zu versorgen, von sich aus das Risiko zu untersuchen und ungefragt über ihre Bemühungen zu unterrichten. Im Rahmen der laufenden Betreuung muss eine Versicherungsmaklerin das versicherte Risiko überwachen und der Versicherungsnehmerin bei Veränderungen darauf hinweisen und auf eine Anpassung hinwirken (vgl. Sachwalterentscheidung BGH, Urteil vom 22.05.1985 – IV a ZR 190/83; BGH, Urteil vom 10.03.2016 – I ZR 147/14; OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 19.05.2017 – 10 U 53/17; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2011 – 3 U 192/10). Diese Pflichten hat die Versicherungsmaklerin verletzt, indem sie das Risiko des „Flutschutzes“ nicht versichert hat (LG Hamburg, Urteil vom 09.09.2021 – AZ: 413 HKO 27/20).

Denn jedenfalls bei Abschluss der „Flutschutzverträge“ in 2016 hätte sie die mangelnde Deckung des Versicherungsschutzes erkennen und auf dieses hinweisen müssen.

Grundsätzlich hat die Versicherungsmaklerin das versicherte Risiko selbstständig zu überwachen. Allerdings muss sie nur dann tätig werden, wenn sie über Veränderungen, die aus der Sphäre der Versicherungsnehmerin herrühren, beispielsweise durch Aufnahme neuer Risiken, in Kenntnis gesetzt wird (OLG Hamburg, Urteil vom 27.09.2018 – 1 U 2/18). Ein solcher Hinweis hat durch die Übersendung des Vertragsentwurfes der „Flutschutzverträge“ mit der Email am 20.10.2016 stattgefunden.

Gleichwohl hat das Gericht eine Beweisaufnahme über eine strittige Aufklärungen durchgeführt, die ein Mitarbeiter der Versicherungsmaklerin geleistet haben will. Das Gericht ist nach einer Beweiswürdigung der Aussagen jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass die beklagte Versicherungsmaklerin nicht die verbleibenden Unklarheiten im Rahmen der persönlichen Anhörung bei Gericht aufklären konnte. Unverständlich ist aus meiner persönlichen Sicht aber, warum das Gericht davon ausgegangen ist, dass die Versicherungsmaklerin für etwaige Unklarheiten einer Beratung beweispflichtig sei. Vermutlich erwartete das Gericht eine sekundäre Darlegungslast seitens der Versicherungsmaklerin. Wer hier aber wie im Rahmen einer Beweisaufnahme darlegungs- und beweispflichtig ist, würde ich persönlich anders als das Landgericht Hamburg beurteilen.

  1. BEGRENZUNG AUF DIE VERSICHERUNGSVERTRAGLICHE DECKUNGSSUMME

Die Versicherungsmaklerin hatte noch weiter vorgetragen, dass kein Versicherungsschutz bestünde, weil diverse Haftungsausschlüsse (gem. § 23, 26, 81, § 103 VVG oder nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 AHB) eingreifen würden und die Haftung für Sachschäden bewachter Sachen auf eine Ersatzleistung von € 1 Mio. begrenzt sei (mit 10% Selbstbeteiligung).

Das Landgericht Hamburg begründet die volle Haftungsverantwortlichkeit der Versicherungsmaklerin aber mit einer weitreichenden Quasi-Haftung. Durch die Quasi-Deckung ist die Versicherungsnehmerin so zu stellen, wie sie bei richtiger Beratung und entsprechender richtiger Versicherung gestanden hätte. Es ist also eine hypothetische Deckung anzuschlagen. Daher ist nicht die Höchsthaftungssumme aus der bestehenden Betriebshaftpflichtversicherung maßgeblich, sondern die einer hypothetisch passenden Versicherungssumme. Allerdings sagt das Gericht auch, dass es im vorliegenden Fall die Versicherungsmaklerin versäumt hätte vorzutragen, dass es auch bei einer Versicherung von Flutschäden nicht üblich sei, die Höchsthaftungssumme im Ergebnis auf mehr als € 900.000,00 (€ 1 Mio. minus 10% SB) festzusetzen.

  1. HAFTUNGSBEGRENZUNGSKLAUSEL

Die Versicherungsmaklerin wurde auch nicht damit gehört, dass sie eine Haftungsbegrenzungsklausel im Maklervertrag vereinbart hatte. Diese lautet:

Der Makler haftet für Vermögensschäden nach den gesetzlichen Bestimmungen, die Gesamtleistung für Vermögensschäden ist begrenzt auf einen Betrag von € 2,5 Mio. Die Haftung der Maklerin auf Schadenersatz für die Verletzung von Betreuungspflichten ist auf den vertragstypischen, vorhersehbaren Schaden begrenzt. Die vorstehenden Haftungsbegrenzungen gelten nicht für die Haftung wegen vorsätzlichen Verhaltens, für garantierte Beschaffungsmerkmale, wegen Verletzung des Lebens, des Körpers oder Gesundheit oder nach dem Produkthaftungsgesetz.

Diese Haftungsbeschränkungsklausel hat das Landgericht Hamburg ebenfalls für unwirksam erklärt. Die AGB sehen eine Haftungsbeschränkung der Versicherungsmaklerin auch bei grober Fahrlässigkeit vor. Eine solche Klausel verstößt gegen §§ 309 Nr. 7 lit. b), 310 BGB.

Demzufolge wurde die Versicherungsmaklerin verurteilt, der Kundin sämtliche Schäden und Kosten aus dem Schadenereignis vom 27.12.2016 zu ersetzen, insbesondere sie von der Inanspruchnahme der Geschädigten freizuhalten.

  1. KOSTEN DES VORPROZESSES AUF DECKUNGSKLAGE

Die erfolglose Deckungsklage der Kundin über alle Instanzen gegenüber dem Versicherer, die Prozesskosten in Höhe von € 259.449,69 ausgelöst hatte, musste die Versicherungsmaklerin nicht noch zusätzlich übernehmen Denn das Gericht war der Auffassung, dass diese Kosten keinen ersatzfähigen Schaden darstellen. Schäden nur unfreiwillige Einbüßen am Vermögen. Freiwillige Vermögensopfer, die im Eigeninteresse des Gläubigers erfolgen, sind Aufwendungen. Der Deckungsprozess wurde im eigenen Interesse und aus freier Entscheidung geführt, so dass diese erheblichen Verfahrenskosten nicht vom Versicherungsmakler zu befriedigen sind. (a.A. war wohl OLG Dresden Urteil vom 19.5.2020

Aktenzeichen: 4 U 2660/19)

  1. FAZIT:

Besonders bemerkenswert ist, dass das Gericht im Wesentlichen auf eine Betreuungshaftung ab Kenntnis der Versicherungsmaklerin abstellt und diesen Anspruch mit § 63 VVG begründet. Ich persönlich meine, dass hier die Anspruchsgrundlage des § 280 BGB richtiger wäre, dies ändert aber am Ergebnis nichts. Gleichzeitig verlangt das LG Hamburg im Einklang mit der ursprünglichen Sachwalterentscheidung eine aktive Betreuungstätigkeit des Versicherungsmaklers, wenn er Kenntnis von risikorelevanten Umständen erhält.

Überlasst ein Bewachungsunternehmen zu schließende Kundenverträge, dann scheint der Versicherungsmakler verpflichtet zu sein, die Inhalte der Verträge (z. B. Flutschutz) mit den Inhalten der bestehenden Versicherungsverträge abzugleichen und auf Deckungslücken hinzuweisen. Geht also der bestehende Maklerkunde mit neuen Vertragsabschlüssen Risiken ein, die grundsätzlich versicherbar wären, aber über den bestehenden Versicherungsvertrag nicht gedeckt sind, so stellt diese fehlende Analyse und Beratung auch im Rahmen der Betreuung eine haftungsbegründende Beratungspflichtverletzung eines Versicherungsmaklers dar.

Im konkreten Fall hätte die Versicherungsmaklerin also den Hinweis mitteilen müssen, dass diese neuen „Flutschutzverträge“ so nicht von der Versicherungsnehmerin abgeschlossen werden dürfen, bis nicht der Versicherungsschutz auch auf diese einzugehenden Risiken – Flutschutz – angepasst worden sei. Allerdings war das Gericht (nach der Beweisaufnahme) der Auffassung, dass in dem streitgegenständlichen Telefonat der Mitarbeiter der Versicherungsmaklerin nicht darauf hingewiesen habe, dass die überlassenen „Flutschutzverträge“ wegen der Deckungslücke nicht umgesetzt werden dürfen.

Bemerkenswert ist des Weiteren, dass nach Auffassung des Landgerichts Hamburg die Quasi-Haftung nicht auf den bestehenden Versicherungsvertrag begrenzt ist, sondern auf eine hypothetisch richtige Haftpflichtversicherungssumme. Auch hierüber lässt sich möglicherweise streiten, denn die Versicherungsnehmerin hat sich ja bewusst und bestimmt nach ausreichender Aufklärung für die vertraglich vereinbarten Versicherungssummen entschieden? Aber passt nach Kenntnis dieses „Quasi-Haftung-Urteils“ auch Ihre Versicherungssumme der Berufshaftpflichtversicherung noch? Welche hypothetischen Schadenrisiken haben Sie im Bestand?

Insofern musste auch über die Wirksamkeit der Haftungsbegrenzungsklausel entschieden werden. Bitte schauen Sie auch nochmal in Ihre eigenen Maklerverträge. Eine Haftungsbeschränkung darf nicht für grobe Fahrlässigkeit vereinbart sein. Deshalb darf ein Ausschluss der Haftungsbegrenzung nicht nur den Vorsatz ausschließen, sondern muss auch für den Fall der groben Fahrlässigkeit ausgeschlossen sein. In den regelmäßig verwendeten Maklerverträgen können Sie Ihre Haftungsbegrenzung für Betreuungspflichtverletzungen nur bei leicht fahrlässigen Pflichtverletzungen vereinbaren. Eine Haftungsbegrenzung darf nicht für eine Haftung wegen grob fahrlässigen Verhaltens gelten. Folglich war die o.g. Haftungsbegrenzungsklausel unwirksam.

Auf gute und intensive Betreuung Ihrer Kunden!

 

Ihr,

Stephan Michaelis LL.M.

Fachanwalt für Versicherungsrecht

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

 

Verantwortlich für den Inhalt:

Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte, Glockengießerwall 2, 20095 Hamburg, Tel: +49 40 88888-777,Fax: +49 40 88888-737, www.kanzlei-michaelis.de

BaFin-Konsultation 13/2021 (Entwurf einer BaFin-Richtlinie für nachhaltige Investmentvermögen) – Stellungnahme des VOTUM Verbands

 

Im Namen der in unserem Verband vertretenen Finanzanlagevermittlungsunternehmen möchten wir die BaFin auffordern von ihrem Plan, eine „Richtlinie für nachhaltige Investmentvermögen“ zu erlassen, Abstand zu nehmen.

Die BaFin sollte vielmehr ihren Einfluss im Rahmen der europäischen Kapitalmarktaufsicht nutzen, um eine Einheitlichkeit der Umsetzung der europäischen Richtlinien und Verordnungen zu erreichen. So bietet es sich etwa an, das bewährte Instrument der ESMA „Q&As on MiFID II and MiFIR investor protection and intermediaries topics“ fortzuschreiben und dort auch die maßgeblichen Fragen zur ESG Implementierung zu beantworten.

Ein Vorgreifen auf zukünftige europäische Standards, wie etwa das europäische Umweltzeichen (EU-Ecolabel) im Wege eines nationalen Alleingangs, ist sowohl für das angestrebte Ziel der Vermeidung eines Risikos potenziell irreführender Werbung nicht sinnvoll und dient auch nicht dem Schutz der deutschen Verbraucher, sondern ist vielmehr geeignet, das derzeitig bestehende Verbraucherschutzniveau zu verringern.

Das Ziel, breite Bevölkerungsschichten von einer nachhaltigen Kapitalanlage zu überzeugen und sie hierfür zu interessieren, ist eine globale Aufgabe. Die EU hat sich dieser Aufgabe angenommen und sich mit den bereits verabschiedeten EU-Initiativen und den laufenden Beratungen auf einen überzeugenden Weg gemacht, um einen einheitlichen Regulierungsrahmen für den europäischen Wirtschaftsraum zu schaffen. Dies erfolgt in der Überzeugung, dass in einer Kapitalmarktunion, in der die in einem Land genehmigten Investmentvermögen auch in jedem anderen europäischen Land vertrieben werden dürfen, nationale Einzelgänge nicht sinnvoll sein können.

Wenn durch eine deutsche Richtlinie, die ausschließlich für deutsche Publikumsfonds gilt, engere Regeln vorgegeben werden, als solche die für Fondsvermögen von Anbietern aus europäischen Nachbarländern gelten, führt dies, auf Grund der heute gegeben Beweglichkeit der Kapitalmärkte, dazu, dass Ausweich- und Abwanderungsbewegungen gerade im Bereich der als nachhaltig beworbenen Fonds in das EU-Ausland zu beobachten sein werden.

Im Ergebnis führt dies dann dazu, dass die Kapitaleinlagen deutscher Anleger, die bisher der deutschen Finanzmarktaufsicht unterlagen, nunmehr dieser Aufsicht entzogen sind, was den Verbraucherschutz in Deutschland nicht stärkt, sondern schwächt. Zugleich wird der Finanzstandort Deutschland geschädigt.

Durch die beabsichtigten Regelungen, die ausschließlich inländische Publikumsinvestmentvermögen treffen, entsteht damit eine Wettbewerbsverzerrung bis hin zu dem Eindruck, dass in den anderen europäischen Ländern eine deutlich größere Anzahl und Auswahl an nachhaltigen Investmentvermögen besteht, als es solche Fonds in Deutschland gibt. Die Kunden haben hierbei nicht die Möglichkeit zu erkennen, dass an Fondsgesellschaften aus dem europäischen Ausland geringere Anforderungen gestellt werden als an deutsche Fondsgesellschaften.

Auch für die Anlagevermittlung und -beratung kommt es hier zu einer Überforderung, da der Vermittler gegenüber seinen Kunden möglicherweise demnächst gezwungen ist, zu differenzieren, ob der von ihm gewählte Fonds lediglich nach europäischen Kriterien die Anforderungen an ein nachhaltiges Investmentvermögen erfüllt, oder aber auch nach den speziellen Anforderungen der BaFin Richtlinie. Dies zu einem Zeitpunkt, in dem sich die Branche insgesamt noch auf die Umsetzung der Erfassung von Nachhaltigkeitspräferenzen im Anlageberatungsprozess vorbereitet. In dieser Phase verbietet es sich, die ohnehin komplexen Anforderungen der Delegierten EU-Verordnungen noch durch weitere BaFin Richtlinien zu verschärfen.

Die Bundesregierung hat sich zu Beginn der Legislaturperiode auf eine 1:1 Umsetzung von europäischen Vorgaben verständigt. Bei der nunmehr beabsichtigen BaFin Richtlinie handelt es sich um eine Abweichung von dieser Vorgabe, hin zu einem nicht wünschenswerten Gold- Plating.

Wenn die BaFin das Ziel verfolgen möchte, ein Greenwashing bei den Investmentvermögen zu verhindern, muss sie dieser Gefahr auf europäischer Ebene begegnen und nicht allein Sonderregeln für deutsche Anbieter festschreiben. Die derzeitige Entwicklung zeigt auch, dass die Gefahr des Greenwashing in Deutschland im Vergleich nicht so hoch ist, dass es hier einer gesonderten Vorgehensweise außerhalb eines verbundenen europäischen Handelns bedarf.

Die BaFin sollte daher von der Verabschiedung der Richtlinie Abstand nehmen und ihr diesbezügliches Wirken auf die Ebene der ESMA verlagern.

Für den VOTUM-Verband,
RA Martin Klein
Geschäftsführender Vorstand

 

Verantwortlich für den Inhalt:

VOTUM Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa e. V., Friedrichstraße 149, 10117 Berlin, Tel: +49 (0)30 28880718, www.votum-verband.de

von Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski und Stephan Michaelis

 

  1. GRUNDFRAGEN

Im Programmentwurf zur Bundestagswahl 2021 von Bündnis90/DIE GRÜNEN heißt es auf Seite 108 unter der Überschrift „Finanzberatung im Interesse der Kunden*innen“:

„Häufig werden Kund*innen Finanzprodukte angedreht, die für sie zu teuer, zu riskant oder schlicht ungeeignet sind. Diese Produkte sind häufig gut für die Gewinne der Banken und Versicherungen, aber schlecht für die Kundinnen. Wir wollen die Finanzberatung vom Kopf auf die Füße stellen. Dafür schaffen wir ein einheitliches und transparentes Berufsbild für Finanzberater*innen….Wir wollen weg von der Provisionsberatung und schrittweise zu einer unabhängigen Honorarberatung übergehen…“

Es geht im Kern um die Einführung eines Provisionsverbots im Bereich der Anlageberatung, also für Versicherungsanlageprodukte nach §§ 7 b/c VVG (z. B. fondsgebundene Renten- und Lebensversicherungen) oder um Finanzinstrumente (z. B. Wertpapiere) nach §§ 2 Abs. 4, 63, 64 WpHG. Auf der Grundlage europarechtlicher Vorgaben (MiFID II/IDD)[1] werden die Kunden heute rechtzeitig vor der Beratung in verständlicher Form darüber informiert, ob die Anlageberatung unabhängig erbracht wird oder nicht (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 WpHG). Versicherungsvermittler teilen dem VN beim ersten Geschäftskontakt mit, ob die Vergütung vom VN zu zahlen oder als Provision in der Versicherungsprämie enthalten ist und ob der Vermittler andere Zuwendungen als Vergütung erhält (§ 15 Abs. 1 Nr. 6/7 VersVermV). In diese europarechtlich abgesicherten Strukturen würde ein Provisionsverbot für die Anlageberatung grundlegend eingreifen. Berührt wäre die Freiheit der Produktanbieter (Versicherer/Banken) ihre Vertriebswege und die damit verbundenen Entgelte frei zu entwickeln und zu gestalten. Berührt wäre die Freiheit der Vermittler:innen bei der Gestaltung von Entgeltvereinbarungen, ebenso wie die Freiheit der Kund:innen. Sie können heute zwischen der Provisions- und der Honorarberatung sowie von Mischformen zwischen beiden Bereichen frei wählen. Diese Freiheit hätten sie in Zukunft nicht mehr.

Eingriffe dieser Art beschränken aus der Sicht der Kund:innen die Handlungsfreiheit (Art. 2 GG) und die Gewerbefreiheit für die Produktanbieter und Vermittler:innen (Art. 12 GG). Eingegriffen wird zugleich in die Komplementärfreiheiten der europäischen Charta der Grundrechte (Artt. 15/16). Darüber hinaus wird in den freien und unverfälschten Wettbewerb auf dem Binnenmarkt der EU eingegriffen (Artt. 119, 120 AEUV). Berührt ist in diesen Fällen regelmäßig auch das Stand-still-Gebot (Art. 4 Abs. 3 EUV), das europäische Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art. 5 EUV) und – bei grenzüberschreitenden Sachverhalten – die Dienstleistungsfreiheit (Artt. 56/57 AEUV).

Die letztlich entscheidende Frage ist, ob der Eingriff in die Freiheitsrechte, wie hier angedeutet, durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls möglicherweise gerechtfertigt. Die Grenzen, die bei der Beantwortung dieser Frage einerseits durch das europäische und andererseits durch das nationale Verfassungsrecht gezogen werden, sind durch ein Grundprinzip gekennzeichnet, das im Folgenden zu konkretisieren sein wird. Entscheidend ist die Frage, ob der Eingriff in die Freiheit der Entgeltgestaltung im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips erforderlich, geeignet und angemessen ist. Sollte sich herausstellen, dass ein striktes Provisionsverbot mit den Grundwerten des Verfassungs- und Europarechts kollidiert, so stellt sich im zweiten Schritt die Frage, ob das Grundziel, einer guten, bedürfnisorientierten Beratung auf einem anreizkompatiblen Weg erreicht werden kann.

 

  1. VERMITTLERTYPEN

Die von einem Provisionsverbot möglicherweise betroffenen Vermittlertypen ergeben sich aus der Gewerbeordnung. Eine europarechtliche Vorgabe gibt es nicht. In der IDD wird ganz allgemein von Versicherungsvermittlern gesprochen, also natürlichen oder juristischen Personen, die kein Versicherungsunternehmen sind und die ihre Vertriebstätigkeit gegen Vergütung ausüben (Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 IDD[2]). Die Gewerbeordnung differenziert zwischen Versicherungsvermittlern, Versicherungsberatern (§ 34 d GewO) und Finanzanlagenvermittlern (§ 34 f GewO).

Wer gewerbsmäßig Versicherungsverträge vermitteln will, ist Versicherungsvermittler (§ 34 d Abs. 1 GewO). Versicherungsvermittler sind entweder Versicherungsvertreter, die von einem oder mehreren VU mit der Vermittlung betraut sind (Ein-Firmen/Mehrfach-Vermittler: § 34 d Abs. 1 Nr. 1 GewO). Versicherungsvermittler sind aber auch Versicherungsmakler, die für den Auftraggeber (Kunden) die Vermittlung übernehmen, ohne von einem VU damit betraut zu sein (§ 34 d Abs. 1 Nr. 2 GewO).

Auch der Versicherungsberater (§ 34 d Abs. 2 GewO) darf die Vermittlung von Versicherungsverträgen für den Kunden übernehmen. Der Berater darf vom VU jedoch keinen wirtschaftlichen Vorteil (also auch keine Provision) erhalten und er darf auch nicht in anderer Weise von ihm abhängig sein (§ 34 d Abs. 2 GewO).

Finanzanlagenvermittler bedürfen der Erlaubnis nach § 34 f GewO. Sie betreiben die Anlagevermittlung oder Beratung nach § 2 Abs. 8 Nr. 4/10 WpHG. Sie vermitteln zum Beispiel Aktien oder Anteile an Investmentfonds oder KG-Anteile nach § 1 Abs. 2 VermögensanlageG.

 

  1. DER RECHTSRAHMEN FÜR VERSICHERUNGSVERTRETER: ANSPRUCH AUF PROVISION

Versicherungsvertreter sind typischerweise als Handelsvertreter damit betraut, Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen (§§ 84, 92 HGB). Der Handelsvertreter hat sich um die Vermittlung oder den Abschluss von Geschäften zu bemühen und hierbei das Interesse des Unternehmens für das er tätig ist, wahrzunehmen (§ 86 Abs. 1 HGB). Handelsvertreter haben Anspruch auf Provision für alle während der Vertragsverhältnisses abgeschlossenen Geschäfte, die auf ihre Tätigkeit zurückzuführen sind (§ 87 abs. 1 HGB). Wird das Vertragsverhältnis zum VU beendet, so kann der Handelsvertreter ein angemessenen Ausgleich verlangen, wenn das VU auch nach der Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses erhebliche Vorteile von der Geschäftsverbindung hat (§ 39 b HGB).

Das Recht der Handelsvertreter beruht auf der Richtlinie 86/653/EWG vom 18.12.1986[3]. Der europäische Begriff des Handelsvertreters (Art. 1 Abs. 2) ist identisch mit der Formulierung in § 84 Abs. 1 HGB. Es geht um Personen, die als selbstständige Gewerbetreibende ständig damit betraut sind für eine andere Person (Unternehmer) den Ankauf von Waren zu vermitteln oder ihre Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen. Nach Art. 7 Abs. 1 hat der Handelsvertreter Anspruch auf Provision, wenn der Geschäftsabschluss auf seine Tätigkeit zurückzuführen ist. Dieser Anspruch auf Provision ist konstitutiver Bestandteil der Rechtsform des Handelsvertreters (Artt. 2, 10, 11).

Würde der deutsche Gesetzgeber für den Bereich der Versicherungsvermittlung für Anlageprodukte (z. B. Renten- und Lebensversicherungen) den Versicherern die Zahlung einer Provision verbieten, so würden sie damit in die europarechtlichen Vorgaben des Handelsvertreterrechtes grundlegend eingreifen. Ein solcher Eingriff wäre ohne Änderung des europäischen Rechtsrahmens nicht möglich.

 

  1. DER RECHTSRAHMEN FÜR VERSICHERUNGSMAKLER: COURTAGE NACH HGB

Versicherungsmakler sind, anders als Vertreter, nicht für ein oder mehrere VU sondern als Sachwalter für den Kunden tätig. Sie vermitteln und beraten ausschließlich im Kundeninteresse Versicherungsverträge, ohne von einem VU oder einem Vertreter damit betraut zu sein (§ 34 d Abs. 1 Nr. 2 GewO). Der Versicherungsmakler handelt in der Regel gewerbsmäßig und hat deshalb auch die Rechte und Pflichten eines Handelsmaklers (§ 93 Abs. 1 HGB). Ist unter den Parteien (gemeint sind die VN und die VU) nichts darüber vereinbart, wer den Maklerlohn bezahlen soll, so ist er in Ermangelung eines abweichenden Ortsgebrauchs von jeder Partei zur Hälfte zu entrichten (§ 99 HGB). Im Bereich der Versicherungsvermittlung ist die Bruttopolice seit langem ortsüblich, das heißt, die Parteien gehen davon aus, dass die Versicherungsprämie, die Provision für den Makler (Courtage genannt) enthält und vom VU an den Makler ausgekehrt wird. Darüber informiert der Makler den Kunden (§ 15 Abs. 1 Nr. 6/7 VersVermV).

 

  1. DER RECHTSRAHMEN FÜR DEN VERSICHERUNGSBERATER: ANSPRUCH AUF HONORAR

Der Versicherungsberater ist, wie der Makler, ausschließlich im Kundeninteresse tätig (§ 34 d Abs. 2 GewO). Er vermittelt an den Kunden Versicherungsverträge. Er kann diese Verträge prüfen oder den Kunden bei der Änderung rechtlich beraten. Er kann den Kunden ferner gegenüber dem VU außergerichtlich (z. B. im Schadensfall) vertreten.

Der Versicherungsberater darf sich seine Tätigkeit nur durch den Auftraggeber vergüten lassen. Zuwendungen eines VU im Zusammenhang mit der Beratung, insbesondere auf Grund einer Vermittlung als Folge der Beratung, darf er nicht annehmen (§ 34 d Abs. 2 GewO). Sind mehrere Versicherungen für den Versicherungsnehmer in gleicher Weise geeignet, hat der Versicherungsberater dem VN vorrangig die Versicherung anzubieten, die ohne das Angebot einer Zuwendung seitens des VU erhältlich ist (§ 34 d Abs. 2 GewO). Wenn der Versicherungsberater dem VN eine Versicherung vermittelt, deren Vertragsbestandteil auch Zuwendungen zu Gunsten desjenigen enthält, der die Versicherung vermittelt, so hat er unverzüglich die Auskehrung der Zuwendungen an den VN nach § 48 c Abs. 1 VAG zu veranlassen (§ 34 d Abs. 2 GewO).

 

  1. DER RECHTSRAHMEN FÜR DEN FINANZANLAGENVERMITTLER: PROVISION BEI BERATUNG

Der Finanzanlagenvermittler vermittelt und berät über Anlagen nach dem KWG. Auf ihn sind die Verhaltensregelungen der §§ 63, 64 WpHG anwendbar. Er informiert den Kunden vor der Beratung in verständlicher Form darüber, ob die Anlageberatung unabhängig erbracht wird (unabhängige Honoraranlageberatung) oder nicht (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 WpHG). Nach § 70 Abs. 1 WpHG dürfen von Dritten (z. B. Emittenten von Wertpapieren) Zuwendungen (z. B. Provision) angenommen werden, die darauf ausgelegt sind, die Qualität der für den Kunden erbrachten Dienstleistung zu verbessern. Das ist etwa bei einer Anlageberatung der Fall (§ 6 Abs. 2 WPDVerOV).

 

  1. CONCLUSIO

Mit Blick auf die in Deutschland üblichen und durchgesetzten Formen der Vermittlung von Finanzanlagen kann man zunächst einmal festhalten, dass der Kunde über eine Vielzahl von Wahlmöglichkeiten verfügt. Der Kunde kann sich an gebundene Vermittler wenden und wird darüber informiert, dass dieser Vermittler im Interesse eines bestimmten Unternehmens tätig wird. Der Kunde kann stattdessen einen Sachwalter seiner Wahl um die Vermittlung und Beratung bitten. Bei Versicherungsverträgen besteht die Wahl zwischen den Maklern auf der einen und den Beratern auf der anderen Seite. Beide Seiten müssen die Höhe des Entgelts, das sie für ihre Beratung fordern, transparent offenlegen. Für den Versicherungsmakler ergibt sich dies aus § 2 Abs. 2 VVG-InfoV, wonach die Vermittlungskosten in Euro und Cent anzugeben sind. Der Kunde kann sich, insbesondere bei Versicherungsverträgen, zwischen den Vermittlertypen frei wählen und von demjenigen beraten lassen, der das beste Preis-Leistungsverhältnis bietet. Würde der Gesetzgeber den Versicherern in Zukunft verbieten, Provisionen zu zahlen, so würde dies das gesamte Handelsvertreterrecht in Europa grundlegend verändern. Darüber hinaus würde in das Recht der Makler eingegriffen werden, bei denen es traditionell üblich ist, die Vermittlungskosten als Teil der Bruttoprämie beim Versicherer zu erheben. Auch Finanzanlagenvermittler dürfen Provisionen, die offengelegt sind, von den Produktanbietern nehmen, wenn sie Anlageberatung anbieten. Auch dies wäre in Zukunft bei einem generellen Provisionsverbot nicht mehr möglich. Die daraus resultierenden Fragen lauten, ob es Sachgründe dafür gibt, die Wahlfreiheiten, die der Gesetzgeber derzeit den Kunden in der Finanzberatung eröffnet, grundlegend zu beschränken. Diese Frage stellt sich zunächst aus der Sicht des nationalen Verfassungsrechtes und sodann aus der Sicht des europäischen Rechtes.

 

III.            DER EINGRIFF IN DIE BERUFS- UND GEWERBEFREIHEIT (ART. 12 GG)

Nach Art. 12 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht den Beruf frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. Ein Provisionsverbot würde in die Berufsausübungsfreiheit der Versicherer und auch der Vermittler (indirekt auch der Kund:innen) eingreifen, weil dadurch der freie Wettbewerb über Vergütungssysteme (Honorare/Courtagen/Provisionen) erheblich eingeschränkt werden würde. Letztlich wäre die Privatautonomie sowohl der Versicherer als auch der Vermittler beeinträchtigt. Diese Einschränkung der Privatautonomie ist zugleich Ausdruck der Berufsfreiheit, die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt wird und nimmt deshalb an der Garantiefunktion dieses Grundrechts teil.[4] Die Einführung eines Provisionsverbotes würde also in den Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 1 GG fallen. Die darin zugleich liegende Beschränkung der Allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) tritt hinter Art. 12 GG zurück, weil Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht ausgestaltet ist.[5]

Der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG erstreckt sich sowohl auf Versicherer als auch auf Vermittler und zwar auch dann, wenn sie die Rechtsform einer juristischen Person oder einer Personengesellschaft gewählt haben sollten.[6] Die Berufsfreiheit des Art. 12 GG bündelt die Berufswahl- und die Berufsausübungsfreiheit zu einem einheitlichen Tatbestand und ist insoweit als Abwehrrecht der Betroffenen gegen den Staat gewährleistet.[7]

Art. 12 Abs. 1 GG umfasst die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen verbindlich privatautonom auszuhandeln. Dies hat das BVerfG bei Einführung des Besteller-Prinzips auf den Mietwohnungsmarkt ausdrücklich betont. Genau diese Grundsätze würden auch bei einem Provisionsverbot gelten.[8] Die Einführung des Provisionsverbotes bedürfte nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG einer gesetzlichen Grundlage.[9] Zu prüfen ist in jedem Falle, ob ein Gesetz die Zustimmung des Bundesrates bedarf.[10] Der Eingriff, in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen einzelvertraglich frei zu vereinbaren, kann durch zwingende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein.[11] Wenn und soweit die zwingenden Gründe des Gemeinwohls eine unumgängliche Einschränkung der freien Berufsausübung verlangen, so muss der Eingriff darüberhinaus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen.[12] Dies bedeutet, das Provisionsverbot müsste zur Erreichung des Eingriffsziels erforderlich und geeignet sein, es dürfte nicht über das hinausgehen, was die Gemeinwohlbelange erfordern.[13] Schließlich darf der Eingriff in seiner Wirkung nicht über das hinausgehen, was zur Zielerreichung noch angemessen ist, das heißt, die Grenzen der Zumutbarkeit und der Proportionalität müssen gewahrt sein.[14]

Die Einführung eines Provisionsverbotes bei der Vermittlung von Finanzanlagen würde in die Freiheit der Vertragsbeteiligten, das Entgelt für berufliche Leistungen einzelvertraglich zu vereinbaren, eingreifen. Beim gebundenen Vertreter würde § 87 Abs. 1 HGB, der auf einer europäischen Richtlinie[15] beruht, außer Kraft gesetzt werden. Beim Versicherungsmakler würde in das Leitbild des § 99 HGB eingegriffen werden. Daneben ist das Leitbild des § 652 Abs. 1 BGB berührt, wonach frei vereinbart werden kann, wer den Maklerlohn in welcher Höhe zu zahlen verpflichtet ist.

Es ist richtig, dass der Gesetzgeber beim Ausgleich widerstreitender Interessen über einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum verfügt.[16] Der Beurteilungsspielraum ist erst dann überschritten, wenn die Erwägungen des Gesetzgebers so offensichtlich fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für die gesetzgeberischen Maßnahmen (hier: Provisionsverbot) abgeben können.[17]

Ausgehend von diesen Grundsätzen lautet die Grundfrage, ob die Einführung eines Provisionsverbotes für die Vermittlung von Finanzanlageprodukten im zwingenden Gemeinwohlinteresse liegt. Denkbar wäre insoweit das Interesse der betroffenen Kund:inen, die von den Vermittlern umworben und beraten werden. Sollte ein solches zwingendes Interesse an einem Provisionsverbot aus der Perspektive der betroffenen Kund:innen begründbar sein, so wäre im nächsten Schritt zu prüfen, ob dieses Verbot im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlich, geeignet und in seiner Ausgestaltung angemessen wäre. Daneben ist die Frage zu stellen ist, ob ein solches auf Finanzanlageprodukte begrenztes Verbot mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 GG) in Einklang steht. Diese später zu vertiefende Frage würde sich dann stellen, wenn man aus der Perspektive des Art. 12 Abs. 1 GG ein Provisionsverbot legitimieren könnte. Dann nämlich wäre die Frage, warum ein solches Provisionsverbot nicht auch für andere Finanz- und Versicherungsprodukte gelten müsste.

 

  1. ZWINGENDE GEMEINWOHLINTERESSEN

Die eben formulierte Grundfrage lautet, ob ein Provisionsverbot für Finanzanlageprodukte im zwingenden Gemeinwohlinteresse liegt. Die Frage impliziert einen Interessenwiderstreit zwischen den Versicherern und Vermittlern auf der einen Seite und den umworbenen Kund:innen auf der anderen Seite. Die umworbenen Kund:innen müssten durch die Zahlung einer Provision strukturelle Nachteile erleiden, die sie bei einem Provisionsverbot nicht erleiden würden. Im Programmentwurf zur Bundestagswahl 2021 von BÜNDNIS90/Die Grünen heißt es[18], „dass Kund*innen häufig Finanzprodukte angedreht werden, die für sie zu teurer, zu riskant oder schlicht ungeeignet sind“. Deshalb, so heißt es weiter, „wollen wir weg von der Provisionsberatung und schrittweise zu einer unabhängigen Honorarberatung übergehen“. Ähnlich hat sich der vzbv mehrfach geäußert. Ohne Provision, so der Chef des vzbv, Klaus Müller, in einem Interview mit der Wirtschaftswoche, gäbe es sicher weniger Berater, aber die Qualität wäre höher. Dies hätten die Erfahrungen aus Großbritannien und den Niederlanden gezeigt.[19]

Der entscheidende Vorwurf lautet: „Den Kund*innen werden häufig Finanzprodukte angedreht, die für sie zu teuer, zu riskant oder schlicht ungeeignet sind. Dies, so die Schlussfolgerung, wird durch Übergang von der Provisionsberatung zur unabhängigen Honorarberatung überwunden.

Genau besehen, sind es zwei Vorwürfe, um die es geht:

Häufig werden Kund:innen zu teure, zu riskante oder schlicht ungeeignete Finanzprodukte vermittelt.

Die Ursache dafür liegt im Provisionssystem.

Deshalb muss an die Stelle des Provisionssystems das Honorarsystem treten.

 

  1. a) Finanzprodukte zu teuer

Der erste Vorwurf lautet, dass Finanzprodukte häufig zu teuer vermittelt werden. Ein solcher Vorwurf ist grundlegend und würde, sollte er sich als zutreffend herausstellen, einerseits die BaFin zwingen im Wege der Missstandsaufsicht gegen Versicherer vorzugehen (§§ 294ff. VAG). Andererseits würden Versicherer und Vermittler ihre Wohlverhaltenspflichten nach § 1 a VVG, ebenso wie ihre Beratungspflichten nach § 7 c VVG verletzten und somit den Kund:innen auf Schadensersatz (z. B. Rückgängigmachung des Vertrages) haften (§§ 6, 63 VVG).

Sucht man in der Literatur nach empirischen Untersuchungen, wonach Finanzanlageprodukte zu teuer sind, so wird man nicht fündig. Schon die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Finanzanlageprodukt zu teuer ist, wird nicht beantwortet. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn auf den Märkten für Finanzanlageprodukte herrscht freier Wettbewerb. Die Preise für die Produkte und die Preise für die Vermittlung der Produkte folgen den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Die Kund:innen haben die Wahl zwischen einer Vielzahl von Produkten und Anbietern. Die Produkte werden zunehmend über Vergleichsportale täglich auf ein angemessenes Preis-/Leistungsverhältnis geratet. Die Kund:innen können zwischen gebundenen Vertretern, Maklern, Honorarberatern und Finanzberatern frei wählen. Sollte ein Produkt aus der Perspektive eines Kunden „zu teuer“ sein, so wird dieser Kunde über die Berater und/oder Vergleichsportale herausfinden, ob es vergleichbare günstigere Produkte gibt und dann diese wählen.

Anders formuliert: Es gibt im Augenblick keinerlei empirische Nachweise dafür, dass bei der Finanzanlageberatung prinzipiell „zu teure“ Produkte angeboten und vertrieben werden. Dies wäre dann und nur dann möglich, wenn der Markt für Finanzanlageprodukte monopolisiert wäre. Davon kann keine Rede sein – der Markt für Finanzanlageprodukte ist frei, unverfälscht und effektiv, das heißt, der Wettbewerb funktioniert im Sinne von Artt. 119, 120 AEUV. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Finanzanlageprodukte strukturell überteuert sind. Wenn und soweit dies im Einzelfall der Fall sein sollte, so hat die BaFin das Recht nach §§ 294ff. VAG gegen Unternehmen vorzugehen, deren Produkte überteuert sind.

Das Gleiche gilt mit Blick auf die Höhe der Provisionen. Ob Provisionen aus der Sicht der Kundennutzens zu teuer sind, entscheidet derzeit der Markt. Die Kunden können zwischen Brutto- und Nettoprodukten und insoweit zugleich zwischen der Provisions- und der Honorarberatung wählen. Bei Privatbanken, Vermögensverwaltern und Robo-Advisern werden keine produktspezifischen Abschlusskosten, sondern flat-fees pro Jahr berechnet.[20] Als Folge von Pauschalvergütungen scheint der Kundenkontakt zu den Beratern gestiegen zu sein; auch die Portfolio-Effizienz scheint sich in diesem System zu verbessern.[21] Ergebnisse dieser Art könnten zu der Frage führen, ob es sich anbietet im Markt flat-fee Vergütungssysteme verstärkt anzubieten. Jedenfalls öffnet der Markt schon heute den Kund:innen den Zugang zu unterschiedlichen Provisions- und Honorierungssystemen, so dass jeder selbst entscheiden kann, welches System für sie oder ihn den höchsten Kundennutzen verwirklicht.

 

  1. b) Finanzprodukte zu riskant

Der zweite Vorwurf lautet, häufig würden Finanzprodukte angedreht, die zu riskant seien. Was mit diesem Vorwurf genau gemeint ist, bleibt offen. Möglicherweise sind Finanzprodukte gemeint, mit denen eine hohe Verlust- oder Ausfallwahrscheinlichkeit verbunden ist. Um Ausfallrisiken zu minimieren, sind die Produktanbieter verpflichtet, sämtliche Vermögenswerte so anzulegen, dass Sicherheit, Qualität, Liquidität und Rentabilität des Portfolios als Ganzes sichergestellt werden (§ 124 Abs. 1 Nr. 2 VAG). Dabei sind die Anlagen in angemessener Weise, so zu mischen und zu streuen, dass eine übermäßige Abhängigkeit von einem bestimmten Vermögenswert oder Emittenten vermieden wird (§ 124 Abs. 1 Nr. 7 VAG). Die Verwendung derivativer Finanzinstrumente ist nur zulässig, sofern diese zur Verringerung von Risiken beiträgt (§ 124 Abs. 1 Nr. 5 VAG). Die Einhaltung dieser Grundsätze, die für Versicherer wie Banken in gleicher Weise bindend sind, unterliegen der Aufsicht der BaFin.[22] Über § 294 Abs. 4 VAG werden durch die Geeignetheitsprüfung der Kapitalanlagen im Versicherungsrecht seit langem umfangreiche materielle Finanzproduktprüfungen durchgeführt. Aufgrund der großen Schnittmengen der Portfolios von Banken und Versicherern findet auf diese Weise, quasi durch die Hintertür, so Anika Patz, eine umfangreiche materielle staatliche Aufsicht über Finanzinstrumente statt.[23] Richtig ist, dass die Finanzkrise Fehler im Aufsichtssystem und bei der Erfassung von Risiken in Asset-Backed-Securities (ABS) sowie Credit-Default-Swaps (CDS) offengelegt hat.[24] Diese Fehleinschätzungen betrafen aber nicht den Markt für Kapitalanlageprodukte sondern den Inter-Banken-Markt. Inzwischen sind die Fehlsteuerungen durch eine Vielzahl von Maßnahmen der G20-Staaten weitgehend korrigiert. Da die Aufsicht der BaFin über Finanzprodukte, von einzelnen Missständen abgesehen, funktionsfähig ist, gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass Kund:innen prinzipiell zu riskante Finanzanlagen vermittelt werden. Da dieser Vorwurf nicht trifft, vermag er keinen Übergang von der Provisions- zur Honorarberatung zu legitimieren.

 

  1. c) Finanzprodukte schlicht ungeeignet

Schließlich, so der dritte Vorwurf, werden Kund:innen häufig Finanzprodukte „angedreht“, die für sie schlicht ungeeignet sind. Auch dieser Vorwurf wird nicht konkretisiert. Er stammt vielleicht aus der Zeit, bevor die Anbieter von Finanzanlagen verpflichtet waren im bestmöglichen Interesse der Kund:innen zu beraten. Dieser Standard ist heute in § 1 a VVG für Versicherer und Vermittler rechtlich verbindlich verankert. Das Gleiche gilt für Finanzberater nach § 63 Abs. 1 WpHG. Hinzukommt eine detaillierte Geeignetheitsprüfung für Versicherungsanlageprodukte (§ 7 c VVG) und für Finanzinstrumente (§ 64 Abs. 3 WpHG). Ermittelt werden die Anlageziele und die Risikotoleranz, sodass den Kund:innen nur solche Produkte empfohlen werden, die für sie geeignet sind und ihrer Fähigkeit Verluste zu tragen, entsprechen.

Sollte sich ein Produkt im Einzelfall als schlicht ungeeignet herausstellen, so läge darin ein Beratungsfehler, der die Kund:innen berechtigen würde den ungeeigneten Vertrag rückgängig zu machen. Zugleich könnte ein verbleibender Schaden geltend gemacht werden. Fälle dieser Art kommen vor. Sie beschäftigen die Ombudsleute und die Gerichte. Aber Hinweise darauf, dass flächendeckend schlicht ungeeignete Finanzprodukte vermittelt werden, gibt es nicht. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass schlicht ungeeignete Finanzprodukte zwar im Wege der Provisionsberatung aber nicht in den Fällen der Honorarberatung vermittelt werden.

 

  1. FAZIT

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass der Wettbewerb um Finanzanlagen funktioniert – die Kund:innen können die für sie günstigsten Produkte wählen. Sie werden dabei von den Vergleichsportalen unterstützt. Irgendein Hinweis auf eine marktbeherrschende Position oder ein Marktversagen anderer Art ist nicht erkennbar. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass Finanzanlageprodukte die Risikotragfähigkeit der Kund:innen prinzipiell überschreiten, also zu riskant sind. Auch statistisch überprüfbare Zahlen, Daten oder Fakten, wonach Anlageprodukte für die Kund:innen prinzipiell schlicht ungeeignet sind, finden sich in der öffentlich zugänglichen Literatur nicht. Dies bedeutet, es fehlen zwingende Gemeinwohlgründe für einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Anbieter von Finanzprodukten. Es gibt keinen Sachgrund für die Überwindung der Provisionsberatung.

 

  1. ERFAHRUNGEN IN EUROPÄISCHEN NACHBARLÄNDERN

Die Behauptung des vzbv, wonach in der Provisionsberatung die am höchsten provisionierten Produkte vertrieben werden, egal ob das im Interesse der Verbraucher ist oder nicht, lässt sich jedenfalls nicht empirisch mit Leben erfüllen.[25] Der vzbv weist auf die Berichte der britischen Aufsichtsbehörde hin.[26] Die Berichte der britischen Financial Conduct Authority (FCA) zeigen, dass es eine verfassungs- oder europarechtliche Aufarbeitung der Frage, ob ein Provisionsverbot im zwingenden Interesse der Allgemeinheit notwendig war und ist, nicht gab. Vor allem zeigen die Berichte, dass es um die Frage strukturell fehlerhafter Finanzanlageberatung durch ein Provisionssystem überhaupt nicht ging. Im Kern wurde die Frage gestellt, ob die Kund:innen Zugang zu einer angemessenen Beratung hatten.[27] Es wurde festgestellt, dass Menschen mit einem Vermögen von über 150.000 Pfund typischerweise Beratungsleistungen in Anspruch nahmen.[28] Die Studien der FCA kommen zu dem Ergebnis, dass auch Verbraucher:innen mit geringerem Vermögen Zugang zum Beratungsmarkt bekommen sollten. Die FCA schlägt deshalb einen Markt vor, der ein breiteres Spektrum an Dienstleistungen anbietet, einschließlich einmaliger Beratungsmodelle, die verfügbar und leicht zugänglich sind und wo Dienstleister miteinander konkurrieren.[29] Im Ergebnis schlägt die FCA damit ein System vor, das dem derzeitigen System in Deutschland mit einer Vielzahl von Wahlmöglichkeiten sehr ähnlich ist, sodass auch weniger vermögende Kunden jederzeit Zugang zu einer Beratungsdienstleistung erhalten.

Sowohl in Großbritannien als auch in den Niederlanden gibt es keinerlei statistisch überprüfbare Angaben darüber, unter welchen Voraussetzungen flächendeckende Beratungsfehler vorlagen, die ursächlich im Provisionssystem wurzelten. Ob es überhaupt Zahlen, Daten und Fakten dieser Art für beide Länder gibt, wird von Brancheninsidern bezweifelt. Wie auch immer: Die Frage, ob die Provisionsverbote in beiden Ländern mit den in Deutschland geltenden Grundsätzen der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) zu rechtfertigen wären und ob ein solches Verbot mit den Grundprinzipien des europäischen Recht in Einklang stünde, wurde vor den Gerichten bisher nicht überprüft. Nach den vom deutschen Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen geht es nicht darum, ob ein Provisionsverbot möglicherweise die Unabhängigkeit des Berater stärken könnte oder nicht. Die entscheidende Frage lautet, ob ein Verbot im zwingenden Allgemeininteresse erforderlich ist, ob mit anderen Worten die Verbraucher schutzbedürftig sind, weil sie sich im freien Wettbewerb um Finanzanlageprodukte nicht selbst orientieren und hinreichend schützen können. Anhaltspunkte gibt es, wie dargestellt, nicht.

Zu beachten ist, dass sich das Provisionsverbot in UK nur auf die Kapitalanlage und Altersvorsorge bezieht. Provisionsberatung ist dagegen im Bereich der RisikoLV genauso zulässig wie etwa im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung. Die Frage, ob eine solche Differenzierung mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Gleichbehandlung und Nicht-Diskriminierung in Einklang zu bringen sind, wurde weder in UK noch in den Niederlanden gestellt.

Wie immer in einer freien und offenen Marktwirtschaft gibt es eine Vielzahl von Wegen, die beschritten werden können, um ein bestimmtes Ziel, z. B. eine angemessene Finanzanlageberatung, zu erreichen. Die Wege, die beschritten werden können und dürfen, sind unterschiedlich und aus der Perspektive rationaler Betrachter teilweise unteroptimal. Dies hängt häufig mit Wünschen, Bedürfnissen, Zielen und Präferenzen zusammen, die unterschiedlich sein können. Das Interesse an Sicherheit und Garantien überwiegt bei manchen Menschen, das Interesse an einer möglichst hohen Verzinsung und umgekehrt.

Eine Marktwirtschaft geht davon aus, dass die Rechtsordnung den Menschen einen Rahmen gibt, der Fairness und Transparenz gewährleistet, der sie aber nicht bevormundet. Aus diesem Grunde sind Verbote, etwa in die Berufsausübungsfreiheit, nicht zulässig, es sei denn zwingende Schutzinteressen der Allgemeinheit legitimieren einen derart massiven Eingriff. Anhaltspunkte dafür sind, wie dargestellt, auf den Märkten für die Vermittlung von Finanzprodukten in Deutschland nicht erkennbar. Gelegentliche Missbräuche von Produktanbietern und/oder Vermittlern können und werden durch die BaFin geahndet. Davon abgesehen, haben die Kund:innen die Wahlfreiheit zwischen einer Vielzahl von Finanzprodukten und einer Vielzahl von unterschiedlich ausgerichteten Vermittlertypen. Sie werden über die Abhängigkeit und Unabhängigkeit der jeweiligen Vermittler informiert. Darüberhinaus gibt es eine größer werdende Anzahl von Angeboten des Internetvertriebs, das heißt, das deutsche System verwirklicht die Marktfreiheiten für alle Beteiligten geradezu mustergültig. Es spricht vieles dafür, dass aus der Perspektive des nationalen Verfassungsrechtes die in UK und den Niederlanden praktizierten Provisionsverbote nicht zu legitimieren wären. Zu einem ähnlichen Ergebnis wird die Analyse des europäischen Rechts führen, sodass sich zumindest für die Niederlande die Frage stellen wird, ob sie ihre, die Marktteilnehmer beschränkenden, Regelungen möglicherweise aufgeben müssen.

 

  1. GEWICHTUNG DER GEMEINWOHLBELANGE „INS BLAUE HINEIN“

Es ist verfassungsrechtlich anerkannt, dass der Gesetzgeber beim Ausgleich widerstreitender Interessen über einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum verfügt. Die Einschätzung der für die Konfliktlage maßgeblichen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen liegt zunächst in seiner politischen Verantwortung, ebenso die Vorausschau auf die künftige Entwicklung und die Wirkungen seiner Regelung.[30] Dasselbe gilt für die Bewertung der Interessenlage, das heißt, die Gewichtung der einander entgegenstehenden Belange und die Bestimmung ihrer Schutzbedürftigkeit. Wenn allerdings, wie im vorliegenden Fall, eine Schutzbedürftigkeit der Kapitalanleger nicht erkennbar ist, wenn es mit anderen Worten keine hinreichenden tatsächlichen Grundlagen, die einen Eingriff des Gesetzgebers rechtfertigen könnten, gibt, so bleibt im Ergebnis offen, ob überhaupt zwingende Gemeinwohlinteressen berührt sind oder nicht. Es geht mit anderen Worten nicht um die Frage, ob man den Interessen der einen oder der anderen Seite den Vorrang geben sollte, sondern es geht um die vorgelagerte Frage, ob überhaupt nennenswerte Interessenverletzungen zu erkennen sind.

Aus dieser Perspektive hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass der Eingriff in die Gewerbefreiheit dann und nur dann legitimierbar sein kann, wenn er sich auf hinreichende tatsächliche Grundlagen stützt.[31] Fehlen hinreichende tatsächliche Grundlagen, wie im vorliegenden Fall, so darf der Gesetzgeber, um es plakativ zu formulieren, seine Nachteils- und Gefährdungsabschätzung nicht einfach ins Blaue hinein treffen. Genauso wäre es aber mit Blick auf ein Provisionsverbot für die Vermittlung von Finanzanlageprodukten. Es fehlen zunächst einmal nachvollziehbare Zahlen, Daten und Fakten darüber, unter welchen Voraussetzungen überhaupt eine Fehlberatung vorliegt. In welchen Fällen trifft die Behauptung zu, Finanzanlageprodukte seien zu teuer, zu riskant oder schlicht ungeeignet für die jeweils Betroffenen. Diese Frage ist derzeit völlig offen. Erst dann, wenn geklärt wäre, ob es tatsächlich flächendeckende Fehlberatungen bei Anlageprodukten in Deutschland geben sollte, müsste es nun im zweiten Schritt um die Ermittlung der Ursachen einer solchen flächendeckenden, strukturellen Fehlberatung gehen. Bei dieser Ursachenforschung würde zunächst einmal geklärt werden, wieso Vermittler in der Lage waren und sind, den Kund:innen Anlageprodukte zu vermitteln, die für die Nachfragenden offensichtlich zu teuer, zu riskant oder aus anderen Gründen schlicht ungeeignet sind. Es wäre zu klären, wie es zu einer solchen flächendeckenden Fehlberatung trotz funktionsfähigen Vermittlerwettbewerbs kommen kann.

Im nächsten Schritt wäre zu klären, mit welchen Mitteln man ein solches flächendeckendes Marktversagen seitens des Gesetzgebers beseitigen kann. Muss es um klarere, tarnsparentere oder standardisierte Beratungsprozesse gehen? Sollte man für Rahmenbedingungen sorgen, die den Auswahl- und Entscheidungsprozess strukturieren und mit einem Gütesiegel versehen? Könnte es sein, dass Beratungsfehler durch das Beseitigen von Marktintransparenzen beseitigt werden können? Darüber wird gleich noch zu sprechen sein. Erst dann, wenn sich herausstellt, dass alle Maßnahmen zur Verbesserung des Beratungsprozesses und seiner Transparenz nicht zielführend sind, wäre zu fragen, ob die Fehlsteuerungen möglicherweise am Honorierungsystem liegen.

Trifft es tatsächlich zu, dass den Kund:innen flächendeckend, fehlerhafte, ungeeignete Finanzprodukte „angedreht“ werden, weil die Vermittlung provisionsgetrieben erfolgt? Ändert die Honorarberatung hieran irgendetwas? Zweifel sind erlaubt, denn aus der Sicht der Kund:innen ist es gleichgültig, ob er/sie das Vermittlungsentgelt an den Vermittler direkt oder über den Produktanbieter (als Teil der Prämie) zahlt. Auch in Großbritannien ist es üblich, dass der Berater mit den Kund:innen die Höhe des Entgelts vereinbart und der Produktanbieter als Inkassostelle tätig wird. Anders formuliert: Das Honorar entspricht der Provision – im Zweifel sind die Kund:innen, diejenigen die das Entgelt für die Vermittlung zu zahlen haben. Deshalb wäre es überraschend, wenn flächendeckende Fehlberatungen tatsächlich mit dem System der Entgelterhebung und -einziehung zu tun haben sollten.

Wie auch immer: Derzeit fehlt es an hinreichenden, tatsächlichen Grundlagen, aus denen sich ableiten ließe, dass flächendeckend zu teure, zu riskante und schlicht ungeeignete Finanzprodukte vermittelt werden würden. Da es Anhaltspunkte für eine solche flächendeckende Fehlberatung nicht gibt, fehlt es zugleich an der Legitimation für den Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Versicherer und Vermittler bei der Entgeltgestaltung für die Vermittlungsleistung. Eine darüberhinaus weisende vertiefte Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erübrigt sich. Wenn zwingende Gemeinwohlbelange nicht berührt sind, so darf der Gesetzgeber in die Freiheit der Gewerbetreibenden nicht eingreifen. Es geht somit nicht mehr um die Differenzierung in Erforderlichkeit, Geeignetheit und Angemessenheit.

 

  1. VEREINBARKEIT MIT DEM GLEICHHEITSSATZ (ART. 3 ABS. 1 GG)

Die Einführung eines Provisionsverbotes für die Vermittlung von Finanzprodukten würde zugleich die Frage der Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) aufwerfen. Nach dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 GG sind „alle Menschen vor dem Gesetz gleich“. Der Gleichheitssatz ist auch auf juristische Personen anwendbar.[32] Verboten ist eine unsachgemäße und ungerechtfertigte Differenzierung von Personen oder Personengruppen, ebenso wie die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem.[33] Bei einem Provisionsverbot für Finanzanlageprodukte läge eine Ungleichbehandlung zu allen anderen Produkten und Vertriebswegen, die provisionsgesteuert sind, vor. Es würde sich also die Frage stellen, wieso eine Feuer-, Kfz-, Haftpflicht-, Rechtschutz-, Kranken-, BU- oder Unfallversicherung gegen Provision vermittelt werden dürfen, während dies bei Finanzanlageprodukten nicht der Fall sein darf. Man würde darüberhinaus fragen, wieso es in anderen Lebensbereichen, etwa bei der Vermittlung von Immobilien oder Zeitungsabos oder Kraftfahrzeugen zulässig ist, eine Provision zu zahlen, während dies bei der Vermittlung der Finanzanlageprodukten ausgeschlossen wäre. Letztlich ginge es auch hier um die Frage, ob die Einführung eines Provisionsverbotes aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls notwendig und im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips erforderlich, geeignet und in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht des Regelungsziels stünde. Anhaltspunkte dafür, Rechtfertigungsgründe für eine solche Ungleichbehandlung von Vertriebsgruppen und Vertriebssystemen zu finden, liegen, wie eben beschrieben, nicht vor.

 

VII.            EUROPARECHTLICHE ANALYSE

  1. IDD

Die Vermittlerrichtlinie II (IDD) vom 20.1.2016[34] zielt auf eine Mindestharmonisierung ab. Sie soll die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, strengere Bestimmungen zum Zweck des Verbraucherschutzes beizubehalten oder einzuführen, sofern diese Bestimmungen mit dem Unionsrecht, einschließlich dieser Richtlinie in Einklang stehen (Erwägungsgrund 3). Hiervon ausgehend, so heißt es in Art. 22 Abs. 3, können die Mitgliedstaaten Versicherungsvertreibern die Annahme von Provisionen, die ihnen ein Dritter zahlt, im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Versicherungsprodukten beschränken oder untersagen. Der gleiche Gedanke findet sich noch einmal in Art. 29 Abs. 3 mit Blick auf Versicherungsanlageprodukte (z.B. Lebensversicherungen). Dies bedeutet, dass die Richtlinie ein Provisionsverbot dann aber auch nur dann zulassen würde, wenn dies zum Zweck des Verbraucherschutzes erforderlich, geeignet und angemessen und mit den Bestimmungen des Unionsrechts in Einklang zu bringen wäre.

Die vorstehende Analyse hat gezeigt, dass das deutsche System mit einer Vielzahl von Wahlmöglichkeiten zwischen Vermittlertypen und Produkten den Wettbewerb auf den Vermittlungsmärkten funktionsfähig macht, Diskriminierungen und Ausbeutung auf Seiten der Verbraucher:innen vermeidet und damit im bestmöglichen Interesse der Kunden aller Alters- und Vermögensklassen liegt. Aus der Perspektive des deutschen Verfassungsrechtes fehlt es an zwingenden Gemeinwohlgründen für einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Anbieter und Vertreiber von Finanzprodukten und somit auch keinen Sachgrund für die Überwindung der Provisionsberatung. Dies bedeutet, die Zwecke des Verbraucherschutzes würden ein Provisionsverbot im Sinne der IDD nicht legitimieren können.

 

  1. BERATUNG IM BESTMÖGLICHEN INTERESSE

Deshalb hat sich der europäische Gesetzgeber in der zweiten Vermittlerrichtlinie vom 21.01.2016 (2016/97:IDD) gegen ein Provisionsverbot und stattdessen für Rahmenbedingungen entschieden, die eine qualitativ hochwertige Beratung auch bei Finanzanlagen gewährleisten (Art. 17 Abs. 1). Diese Grundsätze hat der deutsche Gesetzgeber aufgegriffen. Produktanbieter und –vermittler sind verpflichtet gegenüber den Kund:innen stets ehrlich, redlich und professionell, in deren bestmöglichem Interesse zu handeln (§§ 1 a, 59 VVG, 63 Abs. 1 WpHG). In § 48 a Abs. 1 VAG wurde festgeschrieben, dass Versicherer keine Vorkehrungen treffen dürfen, durch die Anreize geschaffen werden könnten, einem Kunden ein bestimmtes Versicherungsprodukt zu empfehlen, obwohl ein anderes, den Bedürfnissen des Kunden besser entsprechendes Produkt angeboten könnte. Diese Regelungen gehen davon aus, dass die Produktanbieter den Vermittlern eine Provision zahlen dürfen. Ein Provisionsverbot wäre somit richtlinienwidrig.

 

  1. DER GRUNDSATZ DES FREIEN, UNVERFÄLSCHTEN WETTBEWERBS

Darüberhinaus sind die Mitgliedstaaten der EU dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet, sodass ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird (Artt. 119, 120 AEUV). Der Binnenmarkt (Art. 3 EUV) umfasst ein System, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt (Protokoll Nr. 27).

Nach diesen Grundsätzen ist der Wettbewerb um Vertriebsentgelte auf Versicherungs- und Kapitalanlagemärkten frei. Provisionsverbote wären nur dann erlaubt, wenn der Wettbewerb auf den Märkten für die Vermittlung von Finanzanlagen nicht funktionsfähig wäre. Beispiele sind etwa die Märkte für Strom-, Gas- oder Wassernetze, weil es dort teurer wäre durch Bau einer Vielzahl von Parallelleitungen Wettbewerb zu eröffnen. Aus diesem Grunde werden die Netzentgelte auf diesen Märkten durch die BNetzA reguliert.

Ein vergleichbares Marktversagen ist aber, wie oben vielfach gezeigt, auf den Märkten für Vermittlerentgelte bei Finanzprodukten nicht erkennbar. Aus diesem Grund würde die Einführung eines Provisionsverbotes gegen das Prinzip des freien und unverfälschten Wettbewerbs (Artt. 119, 120 AEUV) verstoßen und europarechtswidrig sein.

 

  1. VERLETZUNG DER DIENSTLEISTUNGSFREIHEIT

Das Gleiche gilt für die Verletzung der Europäischen Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV). Immer dann, wenn ein Versicherer grenzüberschreitend in Deutschland tätig wäre, dürfte er dem von ihm beauftragten Vermittler keine Provision mehr bezahlen. Dies wäre nach Art. 56 AEUV dann und nur dann zulässig, wenn hierfür ein zwingender Sachgrund bestünde. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses sind im europäischen Recht als ungeschriebene Rechtfertigungsgründe anerkannt.[35] Zwingende Gründe des Allgemeininteresses sind, wie oben entwickelt, nicht erkennbar. Es fehlt an einem flächendeckenden Marktversagen bei der Vermittlung von Anlageprodukten. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass ungeeignete Produkte nur deshalb vermittelt werden, weil Provisionen aber keine Honorare seitens der Beratenden gezahlt werden. Die Schaffung eines Provisionsverbotes würde somit gegen Artt. 56, 57 AEUV verstoßen.

 

  1. VERSTOSS GEGEN DAS STANDSTILL-GEBOT

Darüberhinaus würde ein solches Provisionsverbot auch gegen das Standstill-Gebot (Art. 4 Abs. 3 EUV) verstoßen, wonach die Mitgliedstaaten keine Maßnahmen ergreifen dürfen, die den Zielen des Binnenmarktes wiedersprechen. Zu diesen Zielen gehört insbesondere der freie und unverfälschte Wettbewerb.

 

VIII.            ERGEBNIS

Ein Provisionsverbot für die Vermittlung von Finanzprodukten würde gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstoßen. Es fehlt an zwingenden Gründen des Gemeinwohls, die ein solches Verbot rechtfertigen würden.

Es gibt bisher keinerlei tatsächliche Grundlagen dafür, dass den Kund:innen Finanzprodukte „angedreht“ werden, die für sie zu teuer, zu riskant oder schlicht ungeeignet sind.

Da es für die flächendeckende Fehlberatung auf den Märkten für die Vermittlung von Finanzprodukten keinerlei, statistisch nachprüfbare tatsächliche Grundlagen gibt, gibt es erst recht keinen Sachgrund für das Einführen eines Provisionsverbotes.

Aus den gleichen Gründen wäre ein Provisionsverbot auch mit Art. 3 GG nicht zu vereinbaren.

Das Gleiche Ergebnis folgt aus dem europäischen Recht. Die IDD sieht Provisionszahlungen vor, ebenso wie die Handelsvertreterrichtlinie.

Ein Provisionsverbot würde gegen den freien, unverfälschten Wettbewerb (Artt. 119, 120 AEUV) ebenso verstoßen wie gegen die Dienstleistungsfreiheit (Artt. 56/57 AEUV) und das Standstill-Gebot (Art. 4 Abs. 3 EUV).

  1. WORÜBER MAN NACHDENKEN SOLLTE
  2. LEVEL-PLAYING-FIELD FÜR GLEICHE ANLAGEPRODUKTE.

Wenig nachvollziehbar ist es, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für gleiche Anlageprodukte unterschiedlich sind. So gelten für fondsgebundene Lebensversicherungen andere Rahmenbedingungen als für Investmentsparpläne, obwohl es sich in beiden Fällen um sehr ähnliche Produkte handelt. Warum die Beratungs- und Dokumentationsgrundsätze des Versicherungsrechtes anders gestaltet sind als diejenigen des WpHG ist aus der Perspektive der Anlageprodukte nicht nachvollziehbar. Diese Unterschiede aber führen aber zu Wettbewerbsverzerrungen auf Märkten für gleiche Produkte. Der Gesetzgeber sollte diese Ungleichheiten beseitigen.[36]

 

  1. BETRIEBLICHE ALTERSSICHERUNG: OPT-OUT-PRINZIP

Die Alterssicherung vieler Menschen wird über die betriebliche Altersversorgung gewährleistet. Trotz vorhandener staatlicher Unterstützung machen viele Arbeitnehmer:innen von der Möglichkeit der betrieblichen Alterssicherung, insbesondere der Entgeltumwandlung, nicht Gebrauch. Dies führt mittelfristig zur Altersarmut. Der Gesetzgeber sollte an die Stelle des in Deutschland gebräuchlichen Opt-in-Prinzips das in den angelsächsischen Ländern durchgesetzte Opt-out-Prinzip verankern. Das bedeutet, die Arbeitnehmer:innen sind innerhalb des vom Arbeitgeber installierten betrieblichen Sicherungssystems erfasst, haben aber das Recht aus dem System auszutreten. Dieses Opt-out-Prinzip begünstigt die Betroffenen in erheblicher Weise, insbesondere werden sie dadurch vor Altersarmut geschützt.[37]

 

  1. STANDARDS FÜR GUTE BERATUNG

Angelehnt an die Wohlverhaltenspflichten (§ 1 a VVG/§ 63 Abs. 1 WpHG) sollten Standards geschaffen werden, um eine Beratung im bestmöglichen Interesse der Kund:innen zu gewährleisten.

Rahmenbedingungen sollten für marktorientierte Normierungen sorgen. Beispielgebend ist die ganzheitliche Beratung unter Einsatz der DIN 77230. Diese Norm, die unter Beteiligung einer Vielzahl von Marktteilnehmern freiwillig und wissenschaftlich begleitet entstanden ist, sorgt für eine bedarfs- und bedürfnisgerechte Beratungsstruktur. Sie ist nicht am Verkauf bestimmter Produkte interessiert sondern ausschließlich daran, dass die Kunden eine ganzheitliche Beratung erhalten, die vor allem dafür sorgt, dass zunächst einmal solche Risiken abgesichert werden, die Vorrang haben und die für den einzelnen Kunden bezahlbar sind.

Anknüpfend an dieses Beispiel sollten Rahmenbedingungen entstehen, die weitere Standardisierungen und Normierungen anregen. Zu denken wäre beispielsweise an Normierungen für Nachhaltigkeitsfaktoren in Finanzprodukten im Sinne der VO (EU) 2019/2088[38] und der TaxonomieVO (EU) 2020/852[39]. Daneben müssten Normen entstehen, die für eine klare und verständliche Produktbeschreibung und für eine klare Gliederung der AVB sorgen. Ergänzt werden sollten diese Regelungen durch Normen, die dafür sorgen, dass bestimmte Mindeststandards bei der Produktgestaltung um- und durchgesetzt werden.[40] Schließlich sollte es um Kostentransparenz nicht nur für Finanzanlageprodukte, sondern für alle Vermittlungsleistungen, in allen Branchen gehen.

Ganz generell sollte die Frage, was letztlich eine gute Beratung für individuell Betroffene ausmacht, zum Gegenstand vertiefter, wissenschaftlicher Untersuchungen gemacht werden. Hier fehlen empirische, statistisch belastbare Untersuchungen. Der Gesetzgeber sollte Forschungsanreize setzen, um herauszufinden, wovon es abhängt, ob das Principal-Agent-Problem im Sinne der Kund:innen überwunden werden kann. Zugleich sollte auf diese Weise die Flut der völlig überflüssigen Informationspflichten, die nur Bürokratiekosten verursachen, zurückgedrängt werden. Es geht nicht darum, dass Produktanbieter und -vermittler die Kunden mit immer mehr Papier und nutzlosen Informationen überhäufen, sondern umgekehrt darum herauszufinden, welche Anreize, wie zu setzen sind, um im Einzelfall eine angemessene, zielführende, bedarfs- und bedürfnisgerechte Beratung zu verwirklichen. Eines jedenfalls steht fest: Ein Provisionsverbot gehört ganz sicher nicht dazu.

[1] weiterführend: Heukamp/Stepanek, Das Provisionsabgabeverbot soll Gesetz werden – Was bringt die geplante Verankerung der umstrittenen Regelung im VAG? VersR 2017, 193, 197.

[2] Richtline (EU) 2016/97 v. 20.1.2016 Abl L 26/19 v. 2.2.2016.

[3] Abl EG v. 31.12.1986, Nr. L 382/17.

[4] BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 48701, Rn. 49 m.w.N.

[5] BVerfG v. 31.10.1984 – 1 BvR 35/82, BVerfGE 61, 193, 223f.; std. Rspr. des BVerfG aus neuerer Zeit BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BVerfGE 142, 268, Rn. 49.

[6] Std. Rspr. so etwa BVerfG v. 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, BVerfGE 50, 290, 363.

[7] Allg. M. Ruffert in: BeckOK, GG, Stand 15.08.2020, Art. 12 vor Rn. 1.

[8] BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 48701; weitere Nachweise auf frühere Entscheidungen des BVerfG in Rn. 49.

[9] BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 48701 m.w.N. in Rn. 52.

[10] BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 43701, ab Rn. 57.

[11] Grundlegend BVerfG v. 11.06.1958 – 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377, 405f.; seitdem std. Rspr. so auch BVerfG v. 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, BVerfGE 121, 317ff.; BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 48701, ab Rn. 63.

[12] BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 48701, Rn. 65.

[13] BVerfG v. 16.01.2002 – 1 BvR 1236/99, BVerfGE 104, 357, 364; BVerfG v. 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, BVerfGE 121, 317, 346.

[14] BVerfG v. 14.012.1965 – 1 BvL 14/60, BVerfGE 19, 330, 337; BVerfG v. 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, BVerfGE 121, 317, 346.

[15] Richtlinie v. 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbstständigen Handelsvertreter 86/653/EWG Abl EU v. 31.12.1986, Nr. L 382/17 Art. 7.

[16] BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 48701, Rn. 64 m.w.N.

[17] BVerfG v. 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, juris, Rn. 103 m.w.N.; BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 48701, Rn. 64 m.w.N.

[18] S. 108.

[19] So Mirko Wenig unter Hinweis auf das Interview in einer Vertriebsmitteilung v. 12.07.2018; vertiefend Veröffentlichung des vzbv zu Europäischen Provisionsverboten und deutschen Fehldarstellungen unter Hinweis auf die Reports der britischen Finanzaufsichtsbehörde.

[20] Forschungspapier von Steffen Meyer und Charlien Uhr, Same bank, and same clients but different pricing: How do flat-fees for mutual funds affect retail investor? September 2020, https://safe-frankfurt.de/fileadmin/user_upload/editor_common/Research/TFI_technical_report_Charline_Uhr_20200903.pdf.

[21] Forschungspapier Meyer/Uhr, a.a.O., Ergebnisse 4.1.

[22] Übergreifend Anika Patz, Staatliche Aufsicht über Finanzinstrumente, 2016, ab S. 153.

[23] Patz, a.a.O., S. 470 These 13.

[24] Vertiefend Köhler, Die Zulässigkeit derivativer Finanzinstrumente in Unternehmen, Banken und Kommunen. Eine ökonomische und rechtliche Analyse, 2012, passim.

[25] So die Aufarbeitung der Diskussion über Provisionsverbote im Vereinigten Königreich und in den Niederlanden, Stellungnahmen des vzbv zu Europäischen Provisionsverboten und deutschen Fehldarstellungen.

[26] Financial advice market review (final report), März 2016; Baseline report, Juni 2017 und Evaluation of the impact of retail distribution review and financial advice market review, Dezember 2020; vertiefend Rechtsvergleich bei Christian Schafstädt, Das Spannungsverhältnis zwischen Provisionsberatung und Honorarberatung im Versicherungsmarkt – eine rechtsvergleichende und –ökonomische Analyse, VVW H Berliner Reihe, Bd. 46, 2015, ab S. 299. Verglichen werden die Entgeltsysteme in Großbritannien, Niederlande, Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark, der Schweiz und Österreich.

[27] FCA Evaluation, Dezember 2020, Kurzfassung 1.3.

[28] FCA Evaluation, Dezember 2020, Kurzfassung 1.3.

[29] FCA Evaluation, Dezember 2020, S. 24, Ziff. 4.4.

[30] BVerfG v. 29.06.2016 – 1 BvR 1015/15, BeckRS 2016, 48701, Rn. 64.

[31] BVerfG v. 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, juris, Rn. 109.

[32] BVerfG v. 03.06.1954 – 1 BvR 183/54, BVerfGE 3, 383, 390.

[33] BVerfG v. 16.03.2004 – 1 BvR 1778/01, BVerfGE 110, 141, 167.

(34] Richtlinie (EU) 2016/97 Abl L 26/19 v. 2.2.2016.

[35] EuGH v. 04.12.1986 – 205/84, Slg. 1986, 37, 55, Rn. 53 Kommission/Deutschland; EuGH v. 30.11.1995 – Rs. I-41/65, NJW 1996, 579 Gebhard, seither vielfach bestätigt etwa EuGH v. 08.06.2017 – C-580/15 ECLI:EU:C:2017:429, Rn. 39 Van der Weegen u.h.

[36] Zu diesem Fragenkreis grundlegend Schwintowski, MiFID, VVR – Zeit für (die) Neuorientierung bei den deutschen Finanzdienstleistern, NOMOS-Verlag 2007, ab S. 9ff.

[37] Vertiefend Rüffert, Die Rechtspflicht des Arbeitgebers zur Bereitstellung einer Durchführungsmöglichkeit für die Entgeltumwandlung, NOMOS-Verlag, 2008, zum Opt-out-System der USA ab S. 55.

[38] Seit 31.03.2021 in Kraft.

[39] Die sechs Umweltziele finden sich in Art. 9 – die VO tritt mit Blick auf die Umweltziele am 01.01.2022 in Kraft (Art. 27).

[40] Dazu vertiefend Viktoria Jank, Produktstandardisierung für Versicherungen – Eine verbraucher- und binnenmarktfreundliche Alternative?, VVW, Berliner Reihe, Bd. 52, 2017, passim; Schwintowski, Standardisierung auf den Versicherungsmärkten – Zurück in die Zukunft?, VuR 2014, 251.

 

Autor

Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski

Rechtsanwalt (Of Counsel, Sitz in Berlin)

 

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Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte, Glockengießerwall 2, 20095 Hamburg, Tel: +49 40 88888-777,Fax: +49 40 88888-737, www.kanzlei-michaelis.de

Die Hausratversicherung leistet normalerweise bei Schäden durch Feuer, Leitungswasser, Sturm, Hagel und Einbruchdiebstahl.

 

Im Einbruchsfall müssen hierzu allerdings eindeutige Einbruchspuren nachgewiesen werden. Gelingt das nicht, besteht kein Leistungsanspruch. Zu diesem Urteil kam das Oberlandesgericht Dresden (Az. 4U 161/21). In dem konkreten Fall ging es um einen Diebstahl aus einer Garage, bei dem die Geschädigte keine Einbruchsspuren vorweisen und auch nicht beweisen konnte, dass das Garagentor abgeschlossen war. „Neuere Hausratversicherungstarife leisten jedoch teilweise auch bei einfachem Diebstahl, das heißt ohne gewaltsames Eindringen“, erklärt Schadenexpertin Margareta Bösl von der uniVersa Versicherung. Dann sind je nach Anbieter beispielsweise auch Waschmaschinen und Trockner aus Gemeinschaftsräumen sowie Kinderwägen, Krankenfahrstühle und Gehhilfen bereits bei Diebstahl versichert. Ebenso Wäsche, Gartenmöbel, Gartengeräte, Grills, Pools sowie Kinderspiel- und Sportgeräte auf dem Versicherungsgrundstück. Vereinzelt leisten manche Anbieter auch dann, wenn der Dieb unberechtigt in einen Raum eines Gebäudes eingedrungen ist. Auch hier ist das gewaltsame Eindringen dann nicht erforderlich, so Bösl. Fahrräder und E-Bikes sind außerhalb der Wohnung normalerweise nicht versichert. Gegen einen geringen Aufpreis können sie jedoch in den Vertrag eingeschlossen werden. Der Versicherungsschutz greift dann, wenn das Fahrrad abgesperrt war. Verbraucherfreundliche Bedingungen leisten ohne Ausschlusszeiten rund um die Uhr und machen keine Vorgaben bei Verwendung eines bestimmten Schlosses und wie das Fahrrad abgeschlossen sein muss.

 

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uniVersa Lebensversicherung a.G., Sulzbacher Str. 1-7, 90489 Nürnberg, Telefon 0911/5307-1698, www.universa.de

I R 61/17  02. September 2021 – Nummer 029/21 – Urteil vom 15.03.2021

 

Kapitalgesellschaften, die zu mindestens 25 % an einer Luxemburger Investment-Gesellschaft in der Rechtsform der Société d’investissement à capital variable (SICAV) beteiligt sind, müssen die von dieser im Jahr 2010 erhaltenen Ausschüttungen (Dividenden) in Deutschland nicht versteuern. Dies gilt selbst dann, wenn der Luxemburger Fiskus von dem ihm zustehenden Quellenbesteuerungsrecht keinen Gebrauch gemacht und die Ausschüttungen unversteuert gelassen hat. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 15.03.2021 (I R 61/17) entschieden.

Im Streitfall hatte die Klägerin, eine deutsche GmbH, nahezu alle Anteile einer Luxemburger SICAV gehalten. Bei der SICAV handelt es sich um eine besondere Form der Aktiengesellschaft, die mit der deutschen Investmentaktiengesellschaft mit veränderlichem Kapital vergleichbar ist. In dem im Streitjahr 2010 zwischen Deutschland und Luxemburg geltenden Abkommen zur Vermeidung der doppelten Besteuerung (DBA) aus dem Jahr 1958 war geregelt, dass Dividenden, die eine Kapitalgesellschaft über die Grenze an eine andere Kapitalgesellschaft leistet, im Empfängerstaat steuerfrei sind, wenn die Beteiligung mindestens 25 % beträgt (sog. abkommensrechtliches Schachtelprivileg). Dem Staat, in dem die ausschüttende Gesellschaft ansässig ist, stand das Recht zur Besteuerung der Dividende “an der Quelle” zu. Von diesem Quellenbesteuerungsrecht hat Luxemburg im Fall der SICAV allerdings keinen Gebrauch gemacht.

Während die Klägerin die von der SICAV im Jahr 2010 bezogenen Ausschüttungen als steuerfrei ansah, hielt das Finanzamt das abkommensrechtliche Schachtelprivileg nicht für einschlägig. Zu Unrecht, wie der BFH jetzt entschieden hat. Dass Luxemburg von dem ihm in Bezug auf die Ausschüttungen der SICAV zustehenden Besteuerungsrecht keinen Gebrauch gemacht habe,  ändere  nichts an dem im DBA vereinbarten Verzicht Deutschlands auf sein Besteuerungsrecht.

Die Entscheidung des BFH ist zur Rechtslage des Jahres 2010 ergangen. Inzwischen haben Deutschland und Luxemburg ein neues DBA abgeschlossen, das seit dem Jahr 2014 in Kraft ist. Dieses neue Abkommen enthält eine sog. Rückfallklausel, nach der nur diejenigen aus Luxemburg stammenden Einkünfte in Deutschland steuerfrei sind, die in Luxemburg tatsächlich besteuert werden.

 

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Bundesfinanzhof, Ismaninger Straße 109, 81675 München, Tel: (089) 9231-0, www.bundesfinanzhof.de

Beitrag von Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski, Rechtsanwalt (Of Counsel, Sitz in Berlin)

 

  1. GRUNDFRAGEN

Viele VN, die eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen haben, fragen, ob der Versicherer seine Leistung wegen staatlicher Unterstützungsleistungen mindern darf. Die Antwort auf diese Frage dürfte nach dem gegenwärtigen Stand der Diskussion in Literatur und Rechtsprechung überwiegend Nein lauten, allerdings mit unterschiedlichen Begründungen und Gewichtungen. Im Kern werden drei Szenarien diskutiert: Die Betriebsschließungsversicherung als Summenversicherung, die Betriebsschließungsversicherung als Schadensversicherung und (in beiden Fällen) leistungseinschränkende Klauseln in den AVB. In einem Exkurs (IV) wird ergänzend die Frage nach einer etwaigen Rückzahlung staatlicher Leistungen wegen des Anspruches aus einer BSV diskutiert.

  1. DIE BETRIEBSSCHLIESSUNGSVERSICHERUNG ALS SUMMENVERSICHERUNG
  2. DAS ALTE VVG

Der Begriff Summenversicherung kommt im geltenden VVG nicht vor. Auch die – nicht einheitlichen – AVB für Betriebsschließungsversicherungen kennen diesen Begriff nicht.[1] Der Begriff Summenversicherung stammt aus der Wissenschaft, worauf schon die Motive zum VVG[2] hinweisen. Dort wird er definiert als eine Vereinbarung, die bezweckt den VN eine von dem Eintritt eines Schadens unabhängige oder über den Betrag des Schadens hinausgehende Leistung zu verschaffen. In der Summenversicherung geht es, nach allgemeiner Meinung, um eine abstrakte Bedarfsdeckung. Der Bedarf wird in Höhe der fest vereinbarten Versicherungsleistung unwiderlegbar vermutet.[3] Dabei gingen die Motive zum VVG davon aus, dass Vereinbarungen, die bezwecken, dem VN ein von dem Eintritt des Schadens unabhängige Leistung zu verschaffen, nur bei solchen Versicherungen getroffen werden können, die sich auf eine Person beziehen.[4] Deshalb wurde unter der Geltung des früheren VVG (bis 31.12.2007) angenommen, dass zwar die Personenversicherung als Summen- oder Schadensversicherung vereinbart werden kann. Dagegen sei die Nicht-Personenversicherung nur als Schadensversicherung möglich.[5]

  1. DAS NEUE VVG

Mit dem Inkrafttreten des neuen, heute geltenden, § 1 VVG (01.01.2008) wurde die Zweiteilung in Schadens- und Personenversicherung aufgegeben. Die Gegenüberstellung dieser Begriffe sei, so heißt es in der Gesetzesbegründung, sachlich nicht zutreffend, da eine Personenversicherung auch eine Schadensversicherung beinhalten kann (z. B. in der Krankenversicherung).[6] Stattdessen umschreibt § 1 VVG heute für alle Arten von Versicherungen die vertragstypischen Pflichten. Es heißt dort wörtlich: Der Versicherer verpflichtet sich mit dem Versicherungsvertrag, ein bestimmtes Risiko des VN oder eines Dritten durch eine Leistung abzusichern, die er bei Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalls zu erbringen hat. Entscheidend ist somit nicht, ob es sich um eine Summen-, eine Schadens- oder eine Personenversicherung handelt. Es kommt allein darauf an, zu welcher Leistung sich der Versicherer im Versicherungsvertrag verpflichtet hat.

Daraus folgt, dass es auf die jeweilige Vertragsgestaltung im Einzelfall ankommt. Daraus folgt ferner, dass eine pauschale Bedarfsdeckung, die die Auszahlung einer ganz bestimmten Summe, etwa pro Tag, vorsieht, auf der Grundlage des heute geltenden VVG jederzeit zulässig und möglich ist. Eine Beschränkung einer solchen pauschalen Bedarfsdeckung auf die Personenversicherung enthält das VVG nicht mehr.

Dies bedeutet, immer dann, wenn in den zugrundeliegenden AVB dem VN bei Eintritt eines definierten Ereignisses eine pauschale Entschädigungszahlung versprochen wird, ist diese zu zahlen. Anders als früher ist es heute also möglich auch außerhalb der Personenversicherung abstrakte Bedarfsdeckungen in Form von Versicherungssummen zu vereinbaren. Vereinbarungen dieser Art verstoßen auch nicht gegen ein allgemeines Bereicherungsverbot. Ein solches ungeschriebenes allgemeines Bereicherungsverbot gab es, so der BGH, auch unter der Geltung des früheren VVG nicht.[7] Aus diesem Grunde ist der frühere § 55 VVG, aus dem ein Bereicherungsverbot teilweise hergeleitet worden war, durch die VVG-Reform ersatzlos weggefallen. Heute gilt, dass der Versicherer die Leistung schuldet, die er vertraglich versprochen hat (§ 1 VVG). Ist vertraglich eine Summe, im Sinne eines abstrakten Bedarfs, vereinbart, so ist diese zu zahlen. Stellt der Vertrag auf einen konkreten Schaden ab, so ist dieser Schaden zu ersetzen. Dabei kommt es nicht auf das Schadensersatzrecht des BGB sondern auf die vertragliche Vereinbarung über die Art und Weise der Schadensberechnung an.[8]

  1. DIE VEREINBARUNGEN IN DER BETRIEBSSCHLIESSUNGSVERSICHERUNG
  2. a) Die Formulierungen wie in den Musterbedingungen des GDV

Aus alledem folgt, dass es für die Betriebsschließungsversicherung darauf ankommt, welche Vereinbarungen die VR mit den VN im Rahmen der jeweils zugrunde gelegten AVB getroffen haben.

So heißt es beispielsweise in den Musterbedingungen des GDV (Stand: 2004) zur Betriebsschließungsversicherung in Ziff. 3 a: Der Versicherer ersetzt im Falle einer Schließung…den Schaden in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für jeden Tag der Betriebsschließung bis zur vereinbarten Dauer. Vereinbarungen dieser Art hat beispielsweise die Allianz ihren Bedingungen (BS 311/05, § 2 I 1) zugrunde gelegt. Die gleiche Formulierung findet sich in den AVB des HDI Gerling (Betriebsschließung 2012, Ziff. 3 a), oder den AVB der AXA (AVB BS 2002, Ziff. 3 a). Diese Formulierung findet sich auch in den AVB der R+V (IND-BHIBS 0108, § 2 Ziff. 3 a).

Im Kern verspricht der Versicherer in diesen Fällen den Ersatz des Schadens in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für jeden Tag der Betriebsschließung bis zu vereinbarten Dauer. Aus dieser Formulierung schlussfolgert das LG München I[9], dass es sich bei der Betriebsschließungsversicherung um eine Schadensversicherung und nicht um eine betragsmäßig von der Ursache unabhängige Summenversicherung handele. Zweck einer Betriebsschließungsversicherung sei es, sich für den Schaden durch Umsatzausfall zu versichern. Die vereinbarte Summe für die Tagesentschädigung sei, nach dem Willen der Parteien, pauschal vereinbart worden. Mithin solle der Schaden durch einen pauschalierten Betrag abgesichert werden, um Streit über die Höhe der Versicherungsleistung zu vermeiden. Dafür spreche auch die Klausel zur Anrechnung öffentlich-rechtlicher Entschädigungsleistungen, die in diesem Zusammenhang zulässig sei.

  1. B) BGH V. 04.04.2001 – IRRELEVANT

Das LG München I beruft sich für seine Auffassung auf ein Urteil des BGH vom 04.04.2001[10]. Tatsächlich ging es im Urteil des BGH nicht um die Abgrenzung zwischen einer auf abstrakte Bedarfsdeckung gerichteten Summenversicherung gegenüber einer den konkreten Schaden umfassenden Schadensversicherung. Vielmehr ging der BGH davon aus, dass ein (pauschaler) Höchstentschädigungsbetrag für die Tötung von durch eine Tierseuche befallenen Schweinen, begrenzt auf eine bestimmte Anzahl, vereinbart war. Es war mit anderen Worten unstreitig, dass es sich im Falle des BGH um eine Schadensversicherung handelte. Dem Gericht ging es um eine völlig andere Frage nämlich die, ob der damals geltende § 55 VVG ein allgemeines Bereicherungsverbot erteilte, was der BGH verneinte, und welche Konsequenzen es hat, wenn man den Versicherungswert durch Vereinbarung eines bestimmten Betrages (Taxe) festgesetzt hatte. Dies bedeutet, dass die Entscheidung des BGH vom 04.04.2001 für die hier relevante Frage, ob die Parteien eine abstrakte Tagesentschädigung oder einen konkreten Schadensersatz vereinbart haben, keine Aussage trifft, da der BGH ersichtlich von einer Schadensversicherung ausging.

  1. c) BGH v. 04.07.2001 – relevant

Die letztlich entscheidende Frage lautet deshalb, ob es sich bei der Leistungsvereinbarung, in den hier relevanten Bedingungswerken, wirklich um die Vereinbarung eines konkreten Umsatz- oder Verdienstausfalls handelt. Mit dieser Frage hat sich der BGH am 04.07.2001[11] im Rahmen einer Krankentagegeldversicherung auseinandergesetzt. Der Gerichtshof wies auf die Gestaltungsfreiheit der Versicherer hin. Es sei ihnen unbenommen die Krankentagegeldversicherung als Summen- oder Schadensversicherung auszuformen.[12] Die für die Summenversicherung charakteristische abstrakte Bedarfsdeckung sei dann gegeben, wenn der Versicherte im Versicherungsfall eine im Voraus bestimmte Entschädigung für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit erhalte, ohne Rücksicht darauf, welchen Verdienstausfall er tatsächlich habe. Es solle pauschal ein Bedarf abgedeckt werden, von dem angenommen werde, dass er bei durch Arbeitsunfähigkeit eingetretenem Verdienstausfall entstehen könne. Dagegen wäre die Krankentagegeldversicherung als Schadensversicherung einzuordnen, wenn sie auf Deckung des konkreten Verdienstausfallschadens des Versicherten ziele und sich demgemäß die zu erbringende Versicherungsleistung den Einkommensschwankungen des Versicherten ständig und automatisch anpasse.[13] Eine solche Berechnung der Versicherungsleistung nach Maßgabe des konkreten Verdienstausfall sähen aber der Versicherungsvertrag und die ihm zugrunde liegenden Bedingungen nicht vor. Diesen Gedanken führte der BGH sodann aus.

  1. d) Schlussfolgerungen

Wendet man diese Überlegungen auf die Formulierung der hier relevanten AVB an, so spricht zunächst für die Einordnung als Schadensversicherung die Formulierung, wonach der Versicherer im Falle der Schließung den Schaden ersetzt. Gegen die Einordnung als Schadensversicherung spricht allerdings, dass der Schaden nicht konkret an Umsatz oder Gewinneinbußen berechnet, sondern in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für jeden Tag bis zur vereinbarten Dauer fingiert wird. Es kommt mit anderen Worten gar nicht darauf an, welchen Schaden das Unternehmen des VN tatsächlich hatte. Es kommt ausschließlich auf die vereinbarte Tagesentschädigung und darauf an, für welche Dauer der VN eine solche Entschädigung vereinbart hat. Es geht mit anderen Worten darum, dass der VN vom VR für einen bestimmten Zeitraum eine Tagesentschädigung bei definierten Betriebsschließungen verlangen kann. Ob die Betriebsschließung – wie in der Coronapandemie – möglicherweise sehr viel länger dauert, spielt für die Leistungsverpflichtung keine Rolle. Es spielt auch keine Rolle, welchen tatsächlichen Umsatzausfall und/oder Verdienstausfall der VN durch die Betriebsschließung erlitt. Er soll, so das Leistungsversprechen, für jeden Tag der Betriebsschließung eine der Höhe nach vereinbarte Tagesentschädigung erhalten. Ob diese ausreicht, den tatsächlichen eingetretenen Schaden zu decken oder nicht, spielt keine Rolle. Deshalb kann die Kalkulation des Versicherers auch nicht auf tatsächlichen konkreten Umsatz- oder Gewinneinbußen des VN beruhen, sondern ausschließlich auf der Wahrscheinlichkeit, dass aufgrund von Infektionen nach dem IfSG Betriebsschließungen für eine bestimmte Zahl von Tagen eintreten könnten oder nicht. Nicht ein konkret eintretender Umsatz- oder Gewinnausfall bildet somit die Grundlage für die Prämienkalkulation des Versicherers, sondern die Wahrscheinlichkeit, dass für eine bestimmte Zeit von Tagen Betriebsschließungen mit der Folge der Zahlung der vereinbarten Tagesentschädigung drohen könnten.

Genau das umfasst das Leistungsversprechen, so wie es in den hier zu beurteilenden AVB gegeben wurde. Dieses Leistungsversprechen hat nichts mit einem konkret eintretenden Schaden zu tun, sondern ist ausschließlich an einer vereinbarten Tagesentschädigung orientiert.

Wie im Urteil des BGH vom 04.07.2001[14] sehen die hier zugrunde liegenden AVB eine Berechnung der Versicherungsleistung nach Maßgabe des konkreten Verdienstausfalls nicht vor.

Richtig ist, dass die Versicherer die AVB anders hätten gestalten können. Dazu wären sie, worauf der BGH am 04.07.2001[15] ausdrücklich hinweist, ohne Weiteres berechtigt gewesen. Die Versicherer haben insoweit Gestaltungsfreiheit und der Blick auf andere Bedingungswerke zeigt, dass sie von dieser Gestaltungsfreiheit auch Gebrauch gemacht haben. So heißt es etwa in den AVB der Versicherungskammer Bayern (AVB BS 2002 – Stand: 01.01.2008), dass die „Tagesentschädigung auf höchstens 110 % des Anteils an Geschäftskosten und Gewinn eines Tagesumsatzes begrenzt ist. Tagesumsatz, so heißt es weiter, ist der Wochenumsatz geteilt durch die Zahl der wöchentlichen Arbeitstage des versicherten Betriebs; Wochenumsatz 1/52 des Jahresumsatzes“.

Bei einer solchen Formulierung ist es klar, dass es sich um die Anknüpfung an eine ganz bestimmte Art der Schadensberechnung handelt. Es wird ein konkreter Bedarf versichert. Wenn aber, wie in den Musterbedingungen des GDV und den hier zitierten Bedingungswerken der Schaden in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung fingiert wird, wenn in Wirklichkeit also gar keine Schadensberechnung stattfindet, so geht es den Parteien ersichtlich um die Absicherung eines abstrakten Bedarfs, ähnlich wie in der Unfallversicherung. Letztlich schafft sich der VN durch eine solche Summenversicherung einen gewissen finanziellen Puffer, ohne sicher sein zu können, dass dieser Puffer den tatsächlich eintretenden Schaden auch nur annähernd ausgleicht. Für den VN ist eine solche Vereinbarung sinnvoll, weil die Prämie sich nicht an etwaigen konkret eintretenden Schäden orientiert und deshalb eher niedrig bemessen ist. Auch die Kalkulationsgrundlagen für den Versicherer sind klarer als bei der Anknüpfung an konkret eintretende Schäden, die in ihrer Höhe häufig schwer im Voraus zu kalkulieren sind. Umgekehrt gehen beide Seiten Risiken ein. Der VN, weil ein Teil des ihn möglicherweise treffenden Schadens unversichert bleibt und der VR, weil er möglicherweise nicht damit rechnet, dass Ereignisse wie COVID-19 mit pandemischen Ausmaßen eintreten, sodass er Tagesentschädigungen über längere Zeiträume für präventive Betriebsschließungen zahlen muss.

Letztlich aber, und das ist entscheidend, kommt es darauf an, welche Vereinbarungen die Parteien im Versicherungsvertrag getroffen haben. Wenn sie, wie in den hier zu beurteilenden AVB, den Begriff Schaden benutzen und ihn durch eine fingierte vereinbarte Tagesentschädigung ausfüllen, dann ist nicht am gewählten Begriff (Schaden) festzuhalten, sondern der wirkliche Wille der Parteien ist maßgeblich (falsa demonstratio non nocet).[16]

Es bleibt festzuhalten: In den Fällen, in denen die AVB der Betriebsschließungsversicherung eine Entschädigungsberechnung mit dem Wortlaut wie in den Musterbedingungen des GDV enthalten, haben die Parteien für jeden Tag der Betriebsschließung bis zur vereinbarten Dauer eine Tagesentschädigung vereinbart. Diese Tagesentschädigung ist zu zahlen, ganz unabhängig davon, wie hoch als Folge der Betriebsschließung tatsächlich Umsatz- oder Gewinneinbußen waren.

  1. e) Keine Änderung durch § 21 Musterbedingungen GDV

An diesem Ergebnis ändert auch § 21 der Musterbedingungen des GDV nichts. Dort heißt es: „Ein Anspruch auf Entschädigung besteht insoweit nicht, als Schadensersatz aufgrund öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechts beansprucht werden kann (zum Beispiel nach den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes, den Vorschriften über Amtshaftung oder Aufopferung oder EU-Vorschriften).“ Ganz praktisch ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es diese Klausel nicht in allen AVB, die am Markt verwendet wurden, gibt. Außerdem haben, jedenfalls in der Coronapandemie, die Unternehmen bisher nicht nur keinen Schadensersatz aufgrund öffentlich-rechtlicher Entschädigungsnormen, sondern nur Hilfeleistungen des Staates zugewiesen bekommen.[17] Selbst wenn es sich aber bei der einen oder anderen Hilfeleistung des Staates um eine Entschädigung im Sinne von § 21 der Musterbedingungen des GDV handeln sollte, decken diese, nach den bisherigen öffentlichen Informationen, den Schaden in den Unternehmen bei weitem nicht ab. Wenn und soweit Ansprüche aus der BSV zur Lückenfüllung bestünden, würden diese somit nicht in Konkurrenz zu den Ansprüchen aufgrund öffentlich-rechtlicher Entschädigungsnormen stehen.

Hier von unabhängig ist – für die BSV als Summenversicherung – darauf hinzuweisen, dass § 21 BSV (Musterbedingungen – GDV) wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Infolgedessen ist eine unangemessene Benachteiligung durch diese Klausel anzunehmen mit der Folge, dass diese Klausel nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB stellt auf die Natur des Vertrages ab. Die Norm sorgt dafür, dass eine formularmäßige Ausfüllung von Kardinalpflichten für unzulässig erklärt wird.[18] Die Norm hat drei Tatbestandsmerkmale. Im Zentrum steht die Natur des Vertrages, hier der Betriebsschließungsversicherung. Wie oben entwickelt handelt es sich bei der Entschädigungsberechnung nach den Muster-AVB um eine am abstrakten Bedarf orientierte, der Höhe nach als Tagesentschädigung fingierte, Summenversicherung. Den Anspruch auf diese Leistung erwirbt sich der VN durch Prämienzahlung. Es gelten die gleichen Grundsätze wie bei einer privaten Unfallversicherung. Entschädigungsleistungen aus einer solchen Versicherung sind auf einen etwaigen Schadensersatzanspruch deshalb nicht anzurechnen, weil der Schädiger zu dieser Entschädigungsleistung weder etwas beiträgt, noch darf er durch eine freiwillige Versicherungslösung des VN entlasten werden.

Bei der Leistung aus der Betriebsschließungsversicherung, die am abstrakten Bedarf orientiert ist, handelt es sich somit um eine Kardinalpflicht, die gefährdet wäre, wenn die Leistung an den VN davon abhängig gemacht werden würde, ob und in welchem Umfang staatliche Entschädigungsleistungen öffentlich-rechtlicher Art erbracht werden. Diese Leistungen haben mit dem Versicherungsschutz, den sich der VN freiwillig und auf eigene Kosten verschafft hat, nichts zu tun. Infolgedessen erweist sich § 21 BSV aus der Perspektive von § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB als unwirksam.

  1. F) VORLÄUFIGES FAZIT

Als vorläufiges Fazit ist festzuhalten, dass AVB, die im Sinne der Musterbedingungen des GDV gestaltet sind, eine am abstrakten Bedarf orientierte, summenmäßig gestaltete Entschädigung dem VN zuweisen. Etwaige staatliche Entschädigungsleistungen, gleich welcher Art und Höhe, sind auf das Leistungsversprechen aus der BSV weder anzurechnen, noch sind staatliche Leistungen zurückzugewähren, wenn und soweit die BSV leistet.

III. DIE BETRIEBSSCHLIESSUNGSVERSICHERUNG ALS SCHADENSVERSICHERUNG

Es wurde bereits mehrfach betont, dass die Versicherer Gestaltungsfreiheit bei der Frage haben, ob sie die Betriebsschließungsversicherung als Summen- oder als Schadensversicherung ausformen.[19] Entscheidend ist, so der BGH, was der Versicherer vertraglich versprochen hat. Dies muss er halten.[20] Wenn ein Versicherer, wie etwa die Versicherungskammer Bayern, die Tagesentschädigung auf höchstens 110 % des Anteils an Geschäftskosten und Gewinn eines Tagesumsatzes begrenzt, so wird die Leistung des Versicherers durch die Höhe des Schadens bestimmt und begrenzt. Es handelt sich folglich auch nach den Motiven zum VVG um eine Schadensversicherung.[21] Tatsächlich wird in den AVB der Versicherungskammer Bayern der Tagesumsatz als der Wochenumsatz, geteilt durch die Zahl der wöchentlichen Arbeitstage des versicherten Betriebs, definiert. Der Wochenumsatz wird ferner durch 1/52 des Jahresumsatzes (§ 2 Ziff. 1 a AVB BS 2002) konkretisiert.

In anderen AVB, die in der Praxis verwendet wurden, gibt es Entschädigungen in Höhe von 75 % des Tagesumsatzes. Einige Bedingungen beziffern die Höhe der Tagesentschädigung auf 1/360 der vereinbarten Versicherungssumme. Einige Klauselwerke stellen für die Berechnung der Entschädigung auf den Vertragsausfallschaden ab.[22] In diesen Fällen handelt es sich in der Tat bei der BSV um eine Schadensversicherung.[23] Die Entschädigung wird zunächst einmal nach den zugrunde liegenden Berechnungsmodi der jeweiligen AVB errechnet. Eine Kürzung nach Maßgabe des § 76 VVG käme dann in Betracht, wenn die versicherte Entschädigung den wirklichen Wert des Interesses erheblich übersteigen würde.[24] Die Frage wäre, ob die vereinbarte Entschädigung (Taxe) zu einer erheblichen Bereicherung des VN führen würde.[25] Für eine solche Annahme dürfte bei Leistungen aus der BSV im Zeichen der Coronapandemie schon deshalb wenig sprechen, weil die Schäden, die die Unternehmen durch Betriebsschließungen erlitten haben und weiterhin erleiden werden, in aller Regel sehr viel höher sind als die Entschädigungsleistungen aus der BSV. Darüber-hinaus muss im jeweiligen Einzelfall geprüft werden, welches Leistungsversprechen sich die Parteien der Höhe nach gegeben haben.[26]Etwaige unklare Formulierungen wären im Sinne der kundenfreundlichsten Auslegung nach § 305 c Abs. 2 BGB zu korrigieren.

Wenn und soweit die AVB in diesen Fällen einen Wegfall der Entschädigungspflicht bei staatlichen Leistungen enthalten, so wie § 21 Muster-AVB des GDV, so wäre auch hier zunächst darauf hinzuweisen, dass es sich bei den staatlichen Leistungen bisher regelmäßig nur um Hilfs- und Unterstützungszahlungen handelte, nicht hingegen um Schadensersatz aufgrund öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechts. Außerdem gilt auch hier, dass die Höhe der staatlichen Leistungen die tatsächlichen Umsatz- und Ertragseinbußen der Unternehmen bei weitem nicht wettmachen, sodass eine Konkurrenz mit Zahlungen aus der BSV rein rechnerisch kaum denkbar ist.

Sollte ein VN in Zukunft den Staat tatsächlich nach dem IfSG oder wegen Aufopferung auf Entschädigungsleistung in Anspruch nehmen, so müsste das dem Versicherer der BSV angezeigt werden. Die VN könnten nun vom VU ein zinsloses Darlehen in Höhe der Versicherungsleistung beantragen. Das VU dürfte die Abtretung der Staatshaftungsansprüche verlangen. Bei alledem ist das Quotenvorrecht des § 86 VVG zu berücksichtigen. Der Übergang des Ersatzanspruches auf den Versicherer darf danach nicht zum Nachteil des VN geltend gemacht werden (§ 86 Abs. 1 VVG). Hiervon kann nicht zum Nachteil des VN abgewichen werden (§ 87 VVG).

  1. EXKURS RÜCKZAHLUNG STAATLICHER LEISTUNGEN

Gelegentlich wird gefragt, ob VN, die eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen hatten, möglicherweise verpflichtet sind staatliche Unterstützungsleistungen zurückzuzahlen, wenn und soweit Leistungen aus der BSV erbracht worden sind.

1) Kurzarbeitergeld

Arbeitnehmer, nicht hingegen Arbeitgeber, haben nach § 95 Abs.3 Nr. 1 SGB III unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Das Kurzarbeitergeld schützt somit den Arbeitnehmer. Voraussetzung des Anspruchs nach § 95 Abs. 3 Nr. 1 SGB III ist ein „Arbeitsausfall mit Entgeltausfall“. Wenn das Entgelt nicht ausfällt, zum Beispiel weil der Arbeitgeber eine Betriebsunterbrechungsversicherung abgeschlossen hat, dann hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld.[27] Hat der Staat in diesen Fällen Kurzarbeitergeld gezahlt, so ist es, wegen der fehlenden Voraussetzung des § 95 Abs. 3 Nr. 1 SGB III zurückzugewähren.

Diese Grundsätze können auch bei einer BSV eine Rolle spielen, jedenfalls dann wenn es, wie oben entwickelt, um eine Schadensversicherung geht. In diesen Fällen dient die BSV dem Ausgleich des tatsächlich entstehenden Schadens durch coronabedingten Arbeitsausfall. Infolgedessen müsste in diesen Fällen das Kurzarbeitergeld, soweit es durch die Leistung der BSV ausgeglichen wird, an den Staat zurückgewährt werden.[28] Handelt es sich demgegenüber bei der BSV um eine echte Summenversicherung, so geht es nicht um die Abdeckung eines konkreten Schadens, sondern um den Ausgleich einer versprochenen Summe für ein bestimmtes Ereignis. Infolgedessen liegen in diesen Fällen die Voraussetzungen für die Zahlung des Kurzarbeitergelds nach § 95 Abs. 3 Nr. 1 SGB III vor – das Kurzarbeitergeld ist folglich nicht zurückzuzahlen.

2) “Novemberhilfen“ – Beschluss vom 28.10.2020

In einer Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Länder wurde am 28.10.2020 ein Beschluss mit einer Vielzahl von Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-Pademie gefasst. In der Ziff. 11 heißt es, dass den von den temporären Schließungen erfassten Unternehmen, Betrieben, Selbständigen, Vereinen und Einrichtungen vom Bund eine außerordentliche Wirtschaftshilfe gewährt wird , um diese für finanzielle Ausfälle zu entschädigen. Der Erstattungsbetrag beträgt 75 % des entsprechenden Umsatzes des Vorjahresmonats für Unternehmen bis 50 Mitarbeiter*innen. Die Prozente für größere Unternehmen werden nach Maßgabe der Obergrenzen der einschlägigen beihilfe-rechtlichen Vorgaben ermittelt. Darüberhinaus werden (Ziff. 12) bisher bereits beschlossene Maßnahmen des Bundes verlängert. Dieser Beschluss des Bundes wurde von den Ländern umgesetzt. So gibt es etwa eine Richtlinie in Bayern für die Gewährung von außerordentlichen Wirtschaftshilfen des Bundes (Novemberhilfe) vom 24.11.2020[29]. Vergleichbare Richtlinien gibt es von allen Bundesländern im Netz. Kurzarbeitgeld wird für den Leistungszeitraum auf die Leistungen der Novemberhilfen angerechnet[30]. In Ziff. 4.3 heißt es:

„Aufgrund der Betriebsschließung bzw. Betriebseinschränkung aus Versicherungen erhaltende Zahlungen werden auf Leistungen der Novemberhilfe angerechnet; soweit die Förderzeiträume sich überschneiden. Eine Anrechnung bereits bewilligter bzw. erhaltener Leistungen aus … Versicherungen, erfolgt bereits bei der Beantragung der Novemberhilfe, ansonsten erfolgt eine Anrechnung der Leistungen in tatsächlich erfolgter Höhe in Rahmen der Schlussabrechnung. In der Schlussabrechnung bestätigt der prüfende Dritte die tatsächliche Länge des Leistungszeitraums, den Vergleichsumsatz sowie den tatsächlich erzielten Umsatz im Leistungszeitraum (Ziff. 6.4). Zudem muss die Bestätigung die tatsächlich erhaltenden Versicherungszahlungen nach Ziff. 4.3 … umfassen. Die Schlussabrechnung ist spätestens bis 31.12.2021 vorzunehmen (Ziff. 6.4).“

Die Leitlinien des anderen Bundesländer sind gleich. Im Ergebnis heißt dies, dass Zahlungen von der BSV bei Antragstellung zu berücksichtigen sind. Das gleiche gilt für Leistungen die der Versicherer der BSV im Antragszeitraum bewillig hat. Ansonsten sind in die Schlussabrechnung, die spätestens bis 31.12.2021 vorzunehmen ist, tatsächlich erhaltende Versicherungszahlungen nach Ziff. 4.3 abzuziehen.

Der Wortlaut ist eindeutig. Etwaige Leistungen aus der BSV, die nach der spätestmöglichten Beantragung (31.12.2021) fällig werden, sind nicht abzuziehen. Im Ergebnis bedeutet dies für die betroffenen Unternehmen, ein sehr einfaches und klares Verfahren. Leistungen aus der BSV werden dann und nur dann angerechnet, wenn sie im Zeitraum bis 31.12.2021 entweder tatsächlich ausgezahlt oder bewilligt worden sind.

Leistungen des Versicherers, die beispielsweise wegen der Durchführung eines Rechtsstreites erst nach dem 31.12.2021 fällig werden, sind nicht zurückzuzahlen. Etwas anderes würde dann gelten, wenn ein VN seinen Anspruch aus der BSV nicht geltend macht, um die Anrechnung im Rahmen der Novemberhilfen quasi zu umgehen. Damit würde der Begünstigte rechtsmissbräuchlich handeln. So heißt es in § 226 BGB, das die Ausübung eines Recht, hier die das Recht auf den Anspruch aus einer BSV nicht gelten zu machen, unzulässig ist, wenn dies nur den Zweck haben kann, einem Anderen (hier: dem Staat) Schaden zuzufügen. Daraus folgt umgekehrt, das die Unternehmen, die über eine BSV verfügen verpflichtet sind, den Anspruch aus der BSV geltend zu machen. Im Rahmen des durch die Novemberhilfe entstehenden gesetzlichen Schuldverhältnisses zum Staat sind sie verpflichtet ihren Versicherer aufzufordern, die Prüfung des Anspruchs bis zum 31.12,2021 abzuschließen, damit über die Frage der Anrechenbarkeit entschieden werden kann. Grundsätzlich gilt § 14 Abs. 2 VVG, wonach die Erhebungen zur Feststellung des Versicherungsfalles und zum Umfang der Leistung normalerweise innerhalb eines Monates seit Anzeige des Versicherungsfalles beendet sein sollen. Andernfalls, kann der VN Abschlagszahlungen in Höhe des Betrages verlangen, den der VR voraussichtlich mindestens zu zahlen hat.

Hiervon ausgehend obliegt es den BSV versicherten Unternehmen Ihren Anspruch neben der Novemberhilfe, unverzüglich gegenüber dem VR gelten zu machen und dafür zu sorgen, dass der VR seine Leistungspflicht bis zum 31.12.2021 prüfen kann.

In den Fällen, in denen der VR möglichweise die Leistung verweigert, etwa weil nach seiner Einschätzung für die Corona-Pandemie keine Deckung besteht, hat der VN zwei Möglichkeiten. Er kann entweder die Ablehnung akzeptieren oder aber im, Klagewege dagegen vorgehen. In beiden Fällen ist im Rahmen der Novemberhilfen nichts anzurechnen, da es bis zum 31.12.2021 weder eine Zahlung noch eine Leistungsbewilligung durch den VR gab.

  1. WESENTLICHE ERGEBNISSE

Wenn und soweit das Leistungsversprechen in der BSV so ausgestaltet wurde, wie in den GDV-Musterbedingungen, ist der Versicherer zur Leistung der vereinbarten Tagesentschädigung (Summenversicherung) verpflichtet. Auf diese Tagesentschädigung sind etwaige staatliche Leistungen, gleich welcher Art und Höhe, nicht

Wenn und soweit die BSV als Schadensversicherung ausgestaltet wurde, ist die Höhe der Entschädigung nach den Vereinbarungen in den AVB zu errechnen. Eine Minderung der Entschädigung nach § 76 VVG (Taxe) dürfte in aller Regel nicht in Betracht kommen, da der Schaden, den die Unternehmen durch die Betriebsschließungen in der Coronakrise erlitten haben, in aller Regel weitaus höher ist als die Leistungen aus der BSV.

Nimmt ein VN den Staat aus öffentlich-rechtlichen Entschädigungsregeln in Anspruch, so dürften dies in aller Regel nicht mit Leistungen aus der BSV kollidieren, weil die Leistungen des Staates weitaus geringer sind als der tatsächlich eingetretene Schaden.

Sollte dies ausnahmsweise einmal anders sein, so geht der Anspruch des VN gegen den Staat insoweit auf den Versicherer über, als der VN dadurch keinen Nachteil erleidet (§ 86 Abs. 1 VVG i.V.m. § 87 VVG).

Hiervon abgesehen müssen staatliche Leistungen in bestimmten Fällen zurückgezahlt werden. Das kann das Kurarbeitsgeld und die “Novemberhilfen“ betreffen.

Dabei sind die Unternehmen verpflichtet, Leistungen der BSV zeitnah geltend zu machen, sie verstoßen andernfalls im Verhältnis zum Staat gegen §226 BGB.

[1] Überblick bei Orlikowski-Wolf/Gubenko: Die Berechnung der Entschädigung bei Betriebsschließungsversicherungsfällen, r+s 2020, 675ff.

[2] Nachdruck 1963, S. 71.

[3] BGH v. 20.12.1972 – IV ZR 171/71, VersR 1973, 224 m.w.N.; BGH v. 19.12.1973 – IV ZR 130/72, VersR 1974, 184 unter II m.w.N.; BGH v. 04.07.2001 – IV ZR 307/00, VersR 2001, 1100 unter 4 a m.w.N.; LG Dortmund v. 07.12.1995 – 17 S 218/95, VersR 1996, 963 m.w.N.

[4] Motive zum VVG, Nachdruck 1963, S. 72.

[5] BK/Schauer, Vorbem. §§ 49-68 a VVG, Rn. 1; unter Hinweis auf Bruck/Möller, VVG, 8. Aufl. vor §§ 49-80 Anm. 3; Bruck/Möller/Winter, VVG, 8. Aufl. V/2, Rn. B 73; Sieg, ZVersWiss 1973, 321; BGH v: 24. 09:1969 – IV ZR 776/68 –, BGHZ 52, 352, 353f.; zuvor bereits Möller, JW 1938, 916.

[6] Vertiefend Niederleithinger, Das neue VVG, Nomos-Verlag 2007, S. 96.

[7] BGH v. 17.12.1997 – IV ZR 136/96, VersR 1998, 305, ab Rn. 27; BGH v. 04.04.2001 – IV ZR 138/00, VersR 2001, 749, Ls. 1.

[8] Vertiefend Prölss/Martin/Armbrüster, VVG, 31. Aufl., vor § 74, Rn. 25.

[9] 12 O 5868/20 unter II 4 b.

[10] IV ZR 138/00, r+s 2001, 252.

[11] IV ZR 307/00, VersR 2001, 1100.

[12] So bereits Leitsatz 1.

[13] So zuvor bereits BGH v. 19.12.1973 – IV ZR 130/72, VersR 1974, 184; Neeße, Übergang der Schadensersatzforderung, die der Versicherungsnehmer gegen seinen Schädiger hat, auf den Versicherer in der privaten Krankenversicherung, VersR 1976, 704, 707.

[14] IV ZR 307/00.

[15] IV ZR 307/00, VersR 2001, 1100.

[16] Vergleiche BGH v. 09.10.2000 – II ZR 345/98, NJW 2001, 144.

[17] Prölss/Martin/Armbrüster, VVG, 31. Aufl., Anh. (BSV) FBUB 180, Rn. 17 (COVID-19-Soforthilfen) und Rn. 18 (Kurzarbeitergeld); ähnlich: Orlikowski-Wolf/Gubenko, Die Berechnung der Entschädigung bei Betriebsschließungsversicherungsfällen, r+s 2020, 676, 681.

[18] BGH v. 29.05.1968 – VIII ZR 77/66, BGHZ 50, 206; BGH v. 12.10.1978 – VII ZR 2020/77, BGHZ 72, 208, BGH v. 25.06.1973 – II ZR 72/71, NJW 1973, 1878.

[19] So der BGH zur Krankentagegeldversicherung v. 04.07.2001 – IV ZR 207/00, VersR 2001, 1100.

[20] BGH v. 04.04.2001 – IV ZR 138/00, r+s 2001, 252.

[21] Motive zum VVG, Nachdruck 1963, S. 70.

[22] Zu diesen Beispielen Orlikowski-Wolf/Gubenko, a.a.O., r+s 2020, 676, 677f.

[23] So auch für einen Fall dieser Art das LG München I v. 01.10.2020 – 12 O 5895/20.

[24] Darauf weist das LG München I am 22.10.2020 – 12 O 5868/20 zurecht hin.

[25] BGH v. 04.04.2001 – IV ZR 138/00; Prölss/Martin/Armbrüster, VVG, 31. Aufl., § 76, Rn. 12 m.w.N.

[26] Mustergültig insoweit LG München I v. 22.10.2020 – 12 O 5868/20.

[27] LAG Schleswig-Holstein v. 15.06.1989 – 4 Sa 628 / 88.

[28] So im Ergebnis LG München I v. 01.10.2020 – 12 O 5895 / 20; LG Magdeburg v. 06.10.2020 – 31 O 45 / 20; LG Darmstadt v. 09.12.2020 – 4 IO 220 / 20; LG Hamburg v. 04.11.2020 -412 HKU 91 / 20; LG Flensburg v. 10.12.2020 – 4 O 153 / 20; LG Hannover v. 01.02.2021 – 19 O 163 / 20.

[29] Az. PGÜ – 3560 – 3 / 2 / 185.

[30] Leitlinien Bayern Ziff. 4.4

 

Verantwortlich für den Inhalt:

Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte, Glockengießerwall 2, 20095 Hamburg, Tel: +49 40 88888-777,Fax: +49 40 88888-737, www.kanzlei-michaelis.de

von Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski, Rechtsanwalt (Of Counsel, Sitz in Berlin)

 

Nach dem Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht vom 20.01.2021 sollen in Zukunft – erstmals im deutschen Recht- Verbraucher*innen unlauter handelnde Unternehmen auf Schadensersatz in Anspruch nehmen können (§9 Abs. 2 UWG – E). Dies könnte für Versicherer und Vermittler zu völlig neuen Fragen führen, jedenfalls dann, wenn man den Verstoß gegen die Wohlverhaltensregeln des am 23.02.2018 inkraft getreten §1 a VVG zugleich als unlautere geschäftliche Handlung i.S.d. neuen UWG einordnet. Dann nämlich hätten die VN bei Verstoß gegen §1 a VVG einen Schadensersatzanspruch, der zum Beispiel zur Rückgängigmachung des Vertrages führen könnte oder auch zum Ausgleich des durch Fehlberatung oder fehlerhafte Schadensbearbeitung entstandenen finanziellen Nachteils. Da das novellierte UWG in Kürze in Kraft treten wird, soll hier die Frage untersucht werden, welche Auswirkungen der neue Schadensersatzanspruch auf die Haftung von Versicherern und Vermittlern im Rahmen des §1 a VVG haben könnte.

 

  1. DIE VERTRIEBSTÄTIGKEIT DER VERSICHERER NACH § 1 A VVG

1 a VVG wurde mit Wirkung 23.02.2018 durch das IDD-Umsetzungsgesetz eingeführt.[1] Die Norm setzt Art. 17 Abs. 1 IDD um. Dort sind Versicherungsvertreiber verpflichtet, stets ehrlich, redlich und professionell zu handeln. Die gleichen Grundsätze gelten für Versicherungsvermittler (§ 59 Abs. 1 VVG). Der Richtlinie folgend werden, so heißt es in der deutschen Gesetzesbegründung, die unbestimmten Rechtsbegriffe „ehrlich“, „redlich“ und „professionell“ verwendet.[2] Mit dieser Regelung, so heißt es weiter, ist allenfalls eine geringfügige Änderung des deutschen Rechts verbunden. Bereits nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB), die das deutsche Zivilrecht beherrschen, muss in vertraglichen Beziehungen weitgehend entsprechend gehandelt werden, auch wenn möglicherweise keine völlige Deckungsgleichheit zwischen den Grundsätzen, die auf der Basis des § 242 BGB entwickelt worden sind, und der Regelung des Art. 17 Abs. 1 IDD besteht.[3]

Berücksichtige man ferner, dass nach §§ 6 Abs.1, 61 Abs.1 VVG die Verpflichtung bestehe, dass die Wünsche und Bedürfnisse des VN zu erfragen sind und ein darauf abgestimmter Rat zu erteilen sei, lasse sich sagen, dass auch jetzt schon ehrlich, redlich und professionell beraten werden müsse. Eine nicht ehrliche, unprofessionelle und unredliche Beratung wäre mit den Vorgaben des geltenden VVG kaum vereinbar, sie könnte zu Schadensersatzansprüchen nach § 6 Abs. 5 VVG (und nach § 63 VVG für die Vermittler) führen. [4] Darüber hinaus muss nach § 1 a Abs. 1 VVG die Vertriebstätigkeit gegenüber den VN in deren bestmöglichem Interesse erfolgen. Damit greift der deutsche Gesetzgeber einen Gedanken aus dem Erwägungsgrund 46 der Richtlinie (EU) 2016/97 auf.[5]

Ferner müssen alle Informationen im Zusammenhang mit der Vertriebstätigkeit einschließlich Werbemitteilungen, die der VR an den VN richtet, redlich, eindeutig und nicht irreführend sein. Damit wird Art. 17 Abs. 2 IDD umgesetzt, der für den Versicherungsvertrieb Sonderregelungen über unlautere Geschäftspraktiken vorsieht.[6] Die Rechtsfolgen bei der Verletzung von Pflichten aus § 1 a VVG ergeben sich bei fehlerhaften Beratungsverhältnissen aus § 6 Abs. 5 VVG oder bei fehlerhafter Schadensbearbeitung aus § 280 Abs. 1 BGB[7]. Daneben können sich Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs.2 BGB ergeben, da § 1 a VVG ausdrücklich zum Schutz der Verbraucher in der EU eingeführt wurde, um Versicherte vor Schäden zu bewahren. Damit hat das Gesetz das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und den Kreis der geschützten Personen hinreichend bestimmt.[8]

Darüber hinaus wird in der Literatur angenommen, dass es sich bei § 1 a VVG um eine Marktverhaltensregel, im Sinne von § 3 a UWG handelt.[9] Für die Einordnung von § 1 a VVG, als Marktverhaltensregel spreche die inhaltliche Nähe zu den §§ 6, 61 VVG, die ihrerseits unter § 3 a UWG fallen.[10] Verstöße gegen Marktverhaltensregeln lösen Beseitigungs-, Unterlassungs-, und Schadensersatzansprüche der Mitbewerber nach §§ 8, 9 UWG aus.

 

  1. DAS ZUKÜNFTIGE SCHUTZKONZEPT DES UWG

Daneben schützt das UWG ausdrücklich Verbraucher vor unlauteren Handlungen, die nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen (§ 3 Abs. 2 UWG). Die unternehmerische Sorgfalt ist in § 2 Nr. 7 UWG definiert. Gemeint ist der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, von dem billigerweise angenommen werden kann, dass ein Unternehmer ihn in seinem Tätigkeitsbereich gegenüber Verbrauchern nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheiten einhält.

Haben Unternehmen die ihnen auferlegte unternehmerische Sorgfalt in der Vergangenheit verletzt, so blieb ihr Verhalten im Verhältnis zu den Verbrauchern sanktionslos. Das UWG wies nämlich den Verbrauchern keine eigenständigen Beseitigungs-, Unterlassungs-, oder Schadensersatzansprüche zu. Dies soll sich in Zukunft, in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/2161 vom 27.11.2019 grundlegend ändern. Verbraucherinnen und Verbrauchern soll der Zugang zu angemessenen und wirksamen Rechtsbehelfen eröffnet werden.[11]

Dies bedeutet, dass man in Zukunft wird fragen müssen, ob Verstöße gegen § 1 a VVG zugleich Verstöße gegen § 3 UWG sind mit der Folge, dass die Verbraucher nach § 9 Abs. 2 UWG n.F. Schadensersatz verlangen können.

 

III. DAS NEUE SCHADENSERSATZKONZEPT DES UWG FÜR VERBRAUCHER*INNEN

Der neue § 9 Abs. 2 UWG – E setzt Art. 3 Nr. 5 der Richtlinie (EU) 2019/2161 um. Dort heißt es in Art. 11 a:

„Verbraucher, die durch unlautere Geschäftspraktiken geschädigt wurden, haben Zugang zu angemessenen und wirksamen Rechtsbehelfen, einschließlich Ersatz des dem Verbraucher entstandenen Schadens, sowie gegebenenfalls Preisminderung oder Beendigung des Vertrages. Die Mitgliedstaaten können die Voraussetzungen für die Anwendung und die Folgen der Rechtsbehelfe festlegen. Die Mitgliedstaaten können gegebenenfalls die Schwere und Art der unlauteren Geschäftspraktiken, den dem Verbraucher entstandenen Schaden, sowie weitere relevante Umstände berücksichtigen“.

Die Vorgaben der Richtlinie setzt der deutsche Gesetzgeber in § 9 Abs. 2 UWG-E wie folgt um:

„Wer vorsätzlich oder fahrlässig eine nach § 3 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, ist den Verbrauchern zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Dies gilt nicht für unlautere geschäftliche Handlungen nach den §§ 3 a , 4 und 6“.

Dies bedeutet, dass Verbrauchern in Zukunft zwar bei unlauteren geschäftlichen Handlungen ein Schadensersatzanspruch eingeräumt wird. Sie sollen aber keinen Schadenersatzanspruch haben, wenn etwa ein Versicherer gegen eine Marktverhaltensregelung, zum Beispiel § 61 VVG oder § 1 a VVG verstößt. Ob dies mit Art. 11 a UGP-RL vereinbar ist, erscheint zweifelhaft, denn Verbraucher*innen sind Marktteilnehmer. Zu ihrem Schutz wurden Marktverhaltensregelungen, wie etwa §§ 61, 1 a VVG geschaffen.[12] Wenn Verbraucher*innen bei einem Verstoß gegen sie schützende Marktverhaltensregelungen keinen angemessenen und wirksamen Rechtsbehelf haben, dürfte die Vorgabe der Richtlinien nicht hinreichend umgesetzt sein. Dem wird man kaum entgegenhalten können, dass Verbraucher*innen bei geschäftlichen Handlungen, die nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen, in Zukunft einen Schadensersatzanspruch haben werden. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die Zuwiderhandlungen gegen eine Marktverhaltensregel (§ 3 a UWG) nicht in jedem Falle die tatbestandlichen Voraussetzungen der Unlauterkeit nach § 3 Abs. 2 i.V.m § 2 Nr. 7 UWG erfüllen. Nur dann, wenn dies der Fall ist, haben Verbraucher*innen in Zukunft einen eigenständigen Schadensersatzanspruch.

Der deutsche Gesetzgeber gewährt den Verbraucher*innen – wie erwähnt – zwar einen Schadensersatzanspruch. Den Anspruch auf Beseitigung und Unterlassung nach § 8 UWG erstreckt er hingegen nicht auf die Verbraucher*innen. Ob dies zu Schutzlücken führen kann, wird die Zukunft zeigen. Jedenfalls ist die Umsetzung der Richtlinie in das deutsche Recht von dem Bestreben gekennzeichnet, die in der Literatur seit Jahrzehnten immer wieder geforderte Anspruchsberechtigung für Verbraucher*innen im geringstmöglichen Maße im deutschen Recht umzusetzen. immerhin geht der deutsche Gesetzgeber davon aus, dass: „für jeden Verstoß gegen die Richtlinie ein individueller Anspruch der Verbraucher*innen auf Ersatz des ihnen entstandenen Schadens vorgesehen sein muss“. Im Übrigen können, so heißt es in der Gesetzesbegründung, die Mitgliedstaaten die Voraussetzungen, Anwendungen und die Rechtsfolgen der Ansprüche frei bestimmen, solange die eingeräumten Ansprüche und Rechte die Verbraucher*innen wirksam schützen.

Außerdem, so betont die Begründung, besteht für Verbraucher*innen aus dem bürgerlichen Recht bereits ein weitgehender, aber aus Sicht der Richtlinie nicht lückenloser Schutz. Insbesondere sei bisher nicht hinreichend sichergestellt, dass Verbraucher*innen gegen unlauter handelnde Unternehmen einen Anspruch auf Schadensersatz haben, wenn zwischen ihnen kein Vertragsverhältnis entstanden ist. Der Gesetzgeber verweist auf Anlockfälle, also Irreführungen über die Verfügbarkeit einer als besonders günstig beworbenen Ware.

Fragen dieser Art können sich aber auch nach § 1 a VVG, stellen, etwa wenn es um die Beratung oder die Vorbereitung von Versicherungsverträgen oder um Werbemitteilungen geht. In diesen Fällen wäre es für die Verbraucher*innen hilfreich, wenn der Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflichten des § 1 a VVG als solcher bereits einen Schadensersatzanspruch auslösen würde, sodass im Einzelfall nicht mehr zu überprüfen wäre, ob die Verletzung des § 1 a VVG zugleich gegen die unternehmerische Sorgfalt im Sinne der §§ 3 Abs. 2; 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG verstieß.

Immerhin weist die Gesetzesbegründung ausdrücklich daraufhin, dass die Verbraucher*innen in Zukunft auch bei aggressiven geschäftlichen Handlungen nach § 4 a UWG einen eigenständigen Schadensersatzanspruch nach den UWG haben, weil der Schutz durch das BGB nicht lückenlos sei.[13] Der neue Schadensersatzanspruch umfasst nicht nur unlautere geschäftliche Handlungen, die vom Vertragspartner, sondern auch von Dritten ausgehen. So haben Verbraucher*innen bei schuldhafter, irreführender Werbung nunmehr einen Anspruch auf Ersatz des durch die schuldhaft irreführende Werbeäußerung entstandenen Schadens[14].Dieser Schadensersatzanspruch steht in freier Anspruchskonkurrenz zu den bereits bestehenden Ansprüchen des bürgerlichen Rechts. Dies bedeutet, die Verbraucher*innen können bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen frei entscheiden, ob sie gegen den Schädiger den Schadensersatzanspruch aus § 9 Abs. 2 UWG-E oder einen ebenfalls bestehenden Gewährleistungs-, oder außervertraglichen Haftungsanspruch geltend machen.[15] Diese Ergänzung des UWG soll, so heißt es weiter, nichts daran ändern, dass die Vorschriften des UWG mit Ausnahme der Strafnorm des § 16 UWG grundsätzlich keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sind, wie es auch bisherigem Verständnis entspricht.[16] Der Anspruch, so heißt es in der Gesetzesbegründung weiter, richtet sich regelmäßig nur auf das negative Interesse. Dies bedeutet, dass Verbraucher*innen vom Schädiger so zu stellen sind, als wäre die unlautere geschäftliche Handlung nicht vorgenommen worden.[17] Ob diese Einschränkung einen angemessenen und wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 11 a UGP-RL darstellt, insbesondere bei Verstößen gegen § 1 a VVG, wird die Diskussion in der Zukunft erst noch zeigen. Jedenfalls wären Verträge, bei Wegfall der unlauteren geschäftlichen Handlungen in aller Regel nicht geschlossen worden, d. h. das negative Interesse umfasst auch den Anspruch auf Naturalersatz (Aufhebung des Vertrages).

Nicht ganz unwichtig ist, dass im Anhang zu § 3 Abs.3 UWG bestimmte geschäftliche Handlungen als stets unzulässig eingeordnet werden.

Dazu gehört auch die Verhinderung der Durchsetzung vertraglicher Rechte im Versicherungsverhältnis (Nr. 31). Danach handelt ein Versicherer unzulässig, wenn er zum Nachweis des Anspruchs des VN die Vorlage von Unterlagen verlangt, die nicht erforderlich sind. Das Gleiche gilt, wenn er systematisch Schreiben zur Geltendmachung eines solchen Anspruchs nicht beantwortet. In diesen Fällen, die bisher im bürgerlichen Recht unter dem Stichwort strategisch-systematische Verzögerung der Schadensregulierung diskutiert wurden[18], sorgt der Schadensersatzanspruch nach § 9 Abs. 2 UWG-E nunmehr für eine klare Rechtslage, die allerdings die Frage aufwirft, warum die Verbraucher*innen sich mit dem negativen Interesse begnügen müssen. Es gibt keinen erkennbaren Sachgrund dafür, den Schädiger in diesen Fällen vom Ersatz des positiven Interesses, zum Beispiel des entgangenen Gewinns, weil das Schmerzensgeld am Kapitalmarkt nicht angelegt werden konnte, zu entlasten.

Die Begrenzung des Schadenersatzanspruchs auf das negative Interesse ist in Art. 11 a UGP-RL nicht enthalten. Der neue § 9 Abs. 2 UWG sollte richtlinienkonform dahin interpretiert werden, dass auch das positive Interesse umfasst ist. Nur auf diese Weise wird für den von der Richtlinie geforderten angemessenen und wirksamen Rechtsbehelf gesorgt.

 

  1. DAS VERHÄLTNIS VON § 1 A VVG ZUR UNTERNEHMERISCHEN SORGFALT DES § 2 ABS. 1 NR. UWG

Im Folgenden soll es um die Frage gehen, ob ein Verstoß gegen die Wohlverhaltensregelungen in § 1 a VVG immer zugleich auch die unternehmerische Sorgfalt im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG verletzt mit der Folge, dass in diesen Fällen die Verbraucher*innen in Zukunft einen Schadensersatzanspruch nach § 9 Abs. 2 UWG-E haben.

Die unternehmerische Sorgfalt nach § 2 Abs. 7 UWG meint ein Verhalten des Unternehmers gegenüber Verbrauchern in seinem Tätigkeitsbereich „nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheiten“. Das entspricht nahezu dem Wortlaut von Art. 2 h UGP-RL. Dort ist von beruflicher Sorgfalt die Rede unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheiten und /oder dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben in seinem Tätigkeitsbereich. Auf diese Weise sind einheitliche Beurteilungsmaßstäbe innerhalb der EU für das Verhalten von Unternehmern gegenüber Verbrauchern seit 2008 entstanden.[19] Dies bedeutet § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG ist richtlinienkonform am Maßstab des Art. 2 h UGP-RL auszulegen.[20] Die Formulierung im deutschen UWG entspricht im Großen und Ganzen den Vorgaben des Art. 2 h UGP-RL, die auf das Handeln „gemäß dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben/oder den anständigen Marktgepflogenheiten“ abstellt. Auf diese Weise wird klargestellt, dass es nicht auf Marktgepflogenheiten im Sinne einer Branchenüblichkeit, sondern auf rechtlich anerkennenswerte oder missbräuchliche Gepflogenheiten ankommt.[21] Letztlich kommt es auf die tatsächlichen Marktgepflogenheiten und darauf an, dass diese dem kaufmännischen Anstand endsprechen.[22] Lassen sich anständige Marktgepflogenheiten nicht ermitteln, wie etwa bei neuen Absatzstrategien, so kommt es allein auf den Grundsatz von Treu und Glauben an.[23]

Im vorliegenden Zusammenhang geht es um die Wohlverhaltensregeln der Versicherer und Vermittler bei der Vertriebstätigkeit nach §1 a VVG. Diese Norm ist am 23.02.2018 in Kraft getreten und diente der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97[24]. Der Norm geht es darum, das Vertrauen der Kunden zu stärken und die Verbraucher in der Europäischen Union einheitlich besser zu schützen als zuvor.[25] Der Versicherer muss bei seiner Vertriebstätigkeit, ebenso wie der Vermittler, gegenüber VN stets ehrlich, redlich und professionell in derer bestmöglichem Interesse handeln. Diese unbestimmten Rechtsbegriffe entsprechen, so heißt es in der Gesetzesbegründung, weitgehend den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB)[26]. Damit sei „allenfalls eine geringfügige Änderung des deutschen Rechts“ verbunden. Bereits nach den Grundsätzen von Treu und Glauben, die das deutsche Zivilrecht beherrschen, muss in vertraglichen Beziehungen weitgehend entsprechend gehandelt werden.[27]

Dies bedeutet, der Gesetzgeber ging bei der Schaffung des § 1 a VVG davon aus, dass die anständigen Marktgepflogenheiten bei Anbahnung und Abschluss von Versicherungsverträgen durch die Grundsätze von Treu und Glauben, auch schon vor dem 23.02.2018, geprägt waren. Das heißt auch, vor diesem Zeitpunkt mussten die Unternehmen ehrlich, redlich, professionell und im bestmöglichen Interesse der VN handeln. Dies bedeutet, der Gesetzgeber ging und geht davon aus, dass § 1 a VVG die anständigen Marktgepflogenheiten für nationale Versicherer und Vermittler abbildete und auch heute abbildet. Diese Annahme entspricht zugleich den Vorgaben der europäischen Vermittlerrichtlinie (IDD). Daraus wiederrum folgt, dass § 1 a VVG letztlich den Begriff der unternehmerischen Sorgfalt im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. UWG konkretisiert. Ein VU/Vermittler handelt in diesem Sinne sorgfältig, wenn die Vertriebstätigkeit ehrlich, redlich, professionell und im bestmöglichen Interesse der VN ausgeübt wird. Dabei gehören zur Vertriebstätigkeit die Beratung, die Vorbereitung und der Abschluss von Versicherungsverträgen sowie die Mitwirkung bei Verwaltung und Erfüllung von Versicherungsverträgen, insbesondere im Schadensfall. Außerdem gebietet es die unternehmerische Sorgfalt, Werbemitteilungen, die der Versicherer an VN oder potentielle VN richtet, redlich und eindeutig so zu gestalten, dass sie nicht irreführend sind (§ 1 a Abs. 3 VVG).

Nach alledem kann festgehalten werden, dass § 1 a VVG die Anforderungen an die unternehmerische Sorgfalt der Versicherer/Vermittler im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG konkretisiert. Wird mit anderen Worten die unternehmerische Sorgfalt durch Verstoß gegen § 1 a VVG verletzt, so ist dies nach § 3 Abs. 2 UWG unlauter und nach §3 Abs. 1 UWG zugleich unzulässig. Infolgedessen haben Verbraucher in Zukunft immer dann einen Schadensersatzanspruch nach § 9 Abs. 2 UWG-E, wenn ein Versicherer/Vermittler seine Wohlverhaltenspflichten nach § 1 a VVG verletzt, da diese Verletzung zugleich die nach dem UWG geschuldete unternehmerische Sorgfalt gegenüber den VN verletzt. Anders formuliert, der Begriff der unternehmerischen Sorgfalt in § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG ist mit den Anforderungen an die Wohlverhaltensregeln des § 1 a VVG deckungsgleich.

Ausgehend von diesem Befund, werden Verbraucher*innen nach Inkrafttreten des § 9 Abs. 2 UWG-E immer dann einen individuellen Anspruch auf Schadensersatz gegen Versicherer/Vermittler haben, wenn ihnen gegenüber nicht ehrlich, nicht redlich, nicht professionell und/oder nicht im bestmöglichen Interesse gehandelt wurde. In diesen Fällen ist nicht nur eine Marktverhaltensregel (§ 3 a UWG) verletzt, sondern das Verhalten ist, weil es die unternehmerische Sorgfalt verletzt, zugleich unlauter und damit unzulässig. Praktische Bedeutung kann diese Erkenntnis dann gewinnen, wenn es sich um Verhaltensweisen von Versicherern/Vermittlern handelt, die möglichweise im Vorfeld der Anbahnung von Verträgen oder auch im Rahmen der Schadensregulierung geschuldet wurden. Dies würde in diesen Fällen zu einer Anspruchskonkurenz zwischen §§ 311 , 280 BGB und § 9 Abs. 2 UWG-E führen.

 

  1. ANWENDUNGSBEISPIEL BAYRISCHE LÖSUNG

Mit Blick auf die Fragen, die unter dem Stichwort Bayrische Lösung diskutiert werden, würde dies dazu führen, dass das Verhalten der beteiligten Versicherer zugleich im Sinne des UWG unlauter war und zu einem Schadenersatzanspruch nach § 9 Abs. 2 UWG-E führen würde. Bei der Bayrischen Lösung geht es um einen Vergleich, den Versicherer ihren VN, die über eine Betriebsschließungsversicherung verfügten, im ersten Lockdown (April/Mai 2020) anboten. Die Versicherer hatten die Bayrische Lösung im Vorfeld mit der Bayrischen Staatsregierung, dem DEHOGA-Verband Bayern, der Vereinigung der Bayrischen Wirtschaft e. V., dem GDV sowie der Versicherungskammer Bayern, der Allianz und der Haftpflichtkasse VVaG verhandelt und in einer Presseerklärung vom 03.04.2020 veröffentlicht. Den Kunden, die über eine Betriebsschließungsversicherung verfügten, wurde mittgeteilt, dass gemäß den Versicherungsbedingungen kein Versicherungsschutz bestehe. Man habe unter Einbeziehung staatlicher Stellen und deren Interessenverbänden sowie dem GDV zahlreiche Gespräche geführt und eine gemeinsame Lösung gefunden. Als Lösung boten die Versicherer 15 % der vereinbarten Tagesentschädigung für die Dauer der versicherten Schließungszeit (maximal für 30 Tage) an. Alle betroffenen VN sollten gleich behandelt werden, d. h. Nachverhandlungen im Einzelfall wurden ausgeschlossen. Die Annahme dieses Angebotes wurde auf spätestens drei Wochen nach Zugang des Angebotes befristet. Die Abfindungserklärungen lauteten, dass alle Ansprüche aus der Betriebsschließungsversicherung im Zusammenhang mit dem Corona-Virus abschließend erledigt sind. Dies galt auch für etwaige zukünftige Entwicklungen im direkten oder indirekten Zusammenhang mit dem Corona-Virus.

Mit diesem Angebot erweckten die Versicherer den Eindruck, dass Einbußen für die VN über die Betriebsschließungsversicherung nicht versichert waren. Es entstand der Eindruck als stünde diese Erkenntnis quasi objektiv fest. Um diesen Eindruck zu unterstreichen wiesen die Versicherer darauf hin, dass zahlreiche Gespräche unter Einbeziehung staatlicher Stellen und ihrer Interessensverbände geführt worden waren.

Aus der Perspektive eines durchschnittlichen, verständigen VN konnte dies nur bedeuten: Die Bayrische Staatsregierung und wichtige Wirtschaftsverbände waren und sind sich mit der Versicherungswirtschaft einig: Für vorsorgliche Betriebsschließungen durch Corona gab und gibt es in der Betriebsschließungsversicherung keine Deckung.

Dies war eine objektive Aussage, die nur so verstanden werden konnte, als stünde sie quasi unanfechtbar fest.

Diese Art der scheinbar auf objektiven Fakten beruhenden Information war im Sinne des § 1 a VVG unredlich, nämlich zumindest missverständlich. Die Versicherer hätten darauf hinweisen müssen, dass die Frage, ob Corona in der Betriebsschließungsversicherung mitversichert ist, damals zumindest umstritten war und auch heute noch ist. Sie haben genau das Gegenteil getan und damit ihre überlegenen Sach- und Fachkenntnisse zum Nachteil der VN ausgenutzt. Dies war auch schon vor Inkrafttreten des § 1 a VVG, nach der Rechtsprechung des BGH, unzulässig.[28] Die Versicherer haben, letztlich den Eindruck erweckt, dass quasi objektiv kein Versicherungsschutz besteht, so dass es sich nicht lohnen würde, Rechtsstreite über diese Frage zu führen.

Tatsächlich lag eine unklare Rechtlage vor, so dass die VN ausreichend auf die strittigen Punkte hinsichtlich des Deckungsschutzes hätten hingewiesen werden müssen.[29] Damit haben die Versicherer zugleich nicht im bestmöglichen Interesse der VN gehandelt. Im bestmöglichen Interesse der VN hätte es gelegen, ihnen zu raten, einen Vergleich im Sinne der Bayrischen Lösung nicht zu akzeptieren. Es hätte im bestmöglichen Interesse der Kunden gelegen, ihnen einen solchen Vergleich gar nicht erst anzubieten, denn die Kunden haben durch diesen Vergleich 85 % des möglicherweise zu 100 % bestehenden Anspruchs gegen die Versicherer verloren. Bei Kunden die mehr als 30 Tagessätze, in ihrer Police vereinbart hatten, dürfte der Verlust durch Annahme des Vergleiches eher bei 95 % gelegen haben. Ein Vergleich, bei dem ein Kunde 80-95 % eines möglicherweise zu 100 % bestehenden Anspruch verliert, kann und darf nur dann geschlossen werden, wenn geradezu sicher ist, dass der Kunde bei Nichtannahme quasi leer ausgehen würde. Genau das haben die Versicherer auch suggeriert und deshalb sind diese Vergleiche angenommen worden.

Nach heutiger Betrachtung ist es aber völlig abwegig anzunehmen, dass die Kunden mit Blick auf die typischerweise geschlossenen Betriebsschließungsversicherungen mit aller Sicherheit leer ausgehen. Im Gegenteil, inzwischen liegen eine Vielzahl von Urteilen vor, in denen den Kunden 100% ihrer Ansprüche zugewiesen wurden.[30] Dies alles gilt auch dann, wenn man den Begriff des bestmöglichen Interesses im Sinne des  das deutsche Schuldrecht beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben interpretiert. Zwar ist keine Partei vertraglich verpflichtet eigene Interessen gegenüber dem anderen Teil grundsätzlich zurückzustellen[31]. Es geht aber in der Bayrischen Lösung nicht darum, dass die Versicherer ihre eigenen Interessen hätten zurückstellen müssen, sondern es geht nur darum, dass sie ehrlich und redlich ihre Kunden, so wie es Treu und Glauben verlangt, auf die bestehenden Zweifel und Unsicherheiten beim Deckungsschutz in der Betriebsschließungsversicherung hingewiesen hätten. Sie hätten nicht den Eindruck erwecken dürfen, als stünde es quasi objektiv fest, dass keine Leistung aus diesen Verträgen zu erwarten war. Das konnten die Versicherer den VN in redlicher Weise nicht übermitteln, weil es weder damals noch heute feststehende höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Fragenkreis gibt.

Die Kunden, die die Bayrische Lösung akzeptiert haben, können heute somit geltend machen, dass ihnen gegenüber § 1 a VVG verletzt wurde. Sie haben Schadensersatzansprüche nach §§ 280, 249 BGB und nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 1 a VVG.

In Zukunft, wenn das neue UWG in Kraft getreten sein wird, könnten sie ihren Schadensersatzanspruch aber auch auf § 9 Abs. 2 UWG stützen, weil das Verhalten der Versicherer ihnen gegenüber die unternehmerische Sorgfalt nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG verletzte. Die Versicherer hätten nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheiten nicht den Eindruck erwecken dürfen, als stünde es quasi objektiv fest, dass die VN aus der Betriebsschließungsversicherung im ersten Lockdown keine Leistung zu erwarten hatten. Das Gegenteil war und ist richtig.,

 

  1. BERATUNG OHNE EINBEZIEHUNG DER DIN-NORM 77230

Die DIN-Norm 77230 wurde vom Arbeitsausschuss NA 159-07-01 AA „Finanzanalyse für den Privathaushalt“ im DIN-Normenausschuss Dienstleistungen (NADL) erarbeitet. Ausgangspunkt waren Berichte, die sich Anfang der 2000er Jahre über Vermögensschäden häuften, die Privathaushalten u. a.  durch fehlerhafte Finanz- und Versicherungsberatung entstanden. Die Ursachen waren vielfältig. Sie reichten von mangelnder Ausbildung der Berater (sowohl auf der Versicherungs- wie auch auf der Bankenseite) über die Vermittlung von für den Kundenbedarf ungeeigneten Produkten bis hin zu intransparenten Beratungsprozessen. Aus diesem Grunde hat sich eine repräsentative Gruppe von Markteilnehmer*innen, Wissenschaftler*innen und Verbraucherschützern sowie weiterer interessierter Kreise mit dem Ziel zusammengefunden, sich auf freiwilliger Basis in einem Normungsverfahren diesem komplexen Themenbereich anzunehmen. Ziel war es, im Konsens, einen objektivierbaren, reproduzierbaren und transparenten Analyseprozess zu entwickeln, der im Rahmen einer Basisfinanzanalyse eine ganzheitliche Betrachtung der finanziellen Situation von Privathaushalten ermöglicht.

Mit anderen Worten: Die DIN-Norm liefert Grundlagen für die mögliche sich anschließende Finanzberatung für den Privathaushalt. Differenziert  werden bis zu 42 Risiken und Notwendigkeiten aus den Themenbereichen Absicherung, Vorsorge und Vermögensplanung. Es geht es u.a. um die Altersvorsorge oder um den Verlust der Arbeitskraft (Berufsunfähigkeit). Ziel ist es den finanziellen Grundbedarf abzusichern und den Lebensstandard zu erhalten oder zu verbessern. Da Privathaushalte nicht über unbegrenzte Mittel verfügen, ist es notwendig eine Reihenfolge für zum Beispiel Haftungsrisiken, Krankheit oder Berufsunfähigkeit festzulegen. Differenziert wird zwischen subjektiven Bedürfnissen und objektiven Bedarfen. Die Norm geht davon aus, dass die objektiven Bedarfe vorrangig vor den subjektiven Bedürfnissen betrachtet werden sollten. Die Festlegung der Reihenfolge ist von vier Prinzipien geleitet.

(1) Gegenwärtige Risiken vor zukünftigen Risiken

(2) Risiken mit hohen wirtschaftlichen Auswirkungen (in der Regel existenzbedrohend) vor Risiken mit niedrigen wirtschaftlichen Auswirkungen (in der Regel nicht existenzbedrohend)

(3) Unvermeidbare Risiken vor vermeidbaren Risiken

(4) Versicherungspflichtige Risiken vor nicht versicherungspflichtigen Risiken

Das Krankheitskostenrisiko steht in der Rangfolge an Platz (1), gefolgt vom allgemeinem Haftungsrisiko und dem Grundschutz für den Verlust der Arbeitskraft. Am Ende der Rangfolge stehen Risiken aus der Beschädigung von Fahrzeugen (Nr. 40) und die  Schaffung von Eigenkapital für den Erwerb von Wohneigentum (Nr. 41) sowie weitere individuelle Ziele (Nr. 42).

Das Besondere an der DIN 77230 ist, dass sie sich weder an einen Produktanbieter noch an bestimmte Versicherungsprodukte bindet, sondern völlig unabhängig davon, den Analyse- und Beratungsprozess angemessen und sachlich zutreffend strukturiert.

Alles in allem kann man festhalten, dass diese nach wissenschaftlichen und praktischen Bedürfnissen entwickelte DIN-Norm ein professionelles Handwerkzeug für beratende Versicherer und Vermittler darstellt. Eine bessere Strukturierungs- und Orientierungshilfe für den Gesamtberatungs- und Risikoanalyseprozess gibt es derzeit im Markt nicht. Das bedeutet, die Norm ist „state of the art“. Sie entspricht dem aus dem englischen Recht bekannten Beratungsansatz best advice. Sie verkörpert zugleich Grundsätze, die ein professioneller Berater deshalb zu beachten hat, weil § 1 a VVG seit dem 23.02.2018 dazu rechtlich verpflichtet.

Anders formuliert: Ein Beratender, der seinem Beratungsprozess für einen Privathaushalt die DIN-Norm nicht zugrunde legt, handelt unprofessionell und verletzt folglich § 1 a VVG.

Jedenfalls für Makler*innen wird es kaum möglich sein, ohne Zugrundelegung der DIN-Norm zu beraten einfach deshalb, weil Makler*innen Sachwalter*innen der Kunden sind und deshalb in ihrem bestmöglichen Interesse nach § 1 a VVG zu handeln verpflichtet sind.

Genau besehen, gilt dies allerdings auch für Versicherer und gebundene Vermittler. Denn im Regelfall liegt die Beratung unter Zugrundelegung der DIN 77230 dem wohlverstandenen, also bestmöglichem Interesse des VN im Sinne des § 1 a VVG. Wie schon betont, kann es nur in seltenen Ausnahmefällen Gründe geben, in denen es nicht sinnvoll wäre, die Norm zugrunde zu legen. Ganz sicher ist dies der Fall, wenn der VN keine Beratung wünscht, also eine Versicherung execution only vermittelt bekommen möchte. Auch dann, wenn ein VN zwar nicht sicher ist, welches Produkt das für ihn geeignete und beste ist, aber doch weiß, dass es ihm ausschließlich um einen bestimmten Produkttypus, etwa eine private Haftpflicht, eine Hausrat- oder eine Gebäudeversicherung geht, wird der Vermittler auf die Zugrundelegung der Norm verzichten können, solange hinreichend dokumentiert ist, dass die Wünsche und Bedürfnisse des VN ohne Zugrundelegung der DIN 77230 angemessen und sachgerecht erfüllt werden konnten. Die Dokumentation sollte diesen Hinweis enthalten, damit für alle Seiten, auch im Falle eines späteren Streites klar ist, warum auf die Zugrundelegung einer professionellen Beratungsstruktur verzichtet wurde.

Ausgehend von diesen Grundsätzen wird man in Zukunft von Versicherern und Vermittlern erwarten können und dürfen, dass sie zumindest den Zugang zur DIN 77230 für sich eröffnet haben, sodass sie im Einzelfall, nach den Wünschen und Bedürfnissen der VN auf diese, die Beratung und die Risikoanalyse strukturierende Norm zugreifen können. Versicherer und Vermittler, die den Zugang zur DIN 77230 verweigern, handeln unprofessionell und verletzen deshalb § 1 a VVG. Sie handeln zugleich nicht im bestmöglichen Interesse der VN und verstoßen auch aus diesem Grunde gegen § 1 a VVG. Die daraus resultierende weitere Konsequenz ist, dass Versicherer und Vermittler, die sich Vorwürfe dieser Art machen lassen müssen, zugleich die unternehmerische Sorgfalt nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG verletzen und damit nach § 3 Abs. 2 UWG unlauter handeln. In Konsequenz dessen wird der Verbraucher, der ohne DIN 77230 beraten wurde, in Zukunft einen Schadensersatzanspruch nach § 9 Abs. 2 UWG-E haben. Dieser Anspruch wird entweder darauf gerichtet sein, den Zustand wiederherzustellen, der ohne die schädigende Handlung bestand. Das könnte der vertragslose Zustand sein. Möglicherweise kommt aber auch Geldersatz für überflüssige oder zu teure Beratungen oder fehlerhafte Produkte in Betracht.

 

VII. WESENTLICHE ERGEBNISSE

Das Schutzkonzept des zukünftigen UWG wird erstmals Schadensersatzansprüche für Verbraucher in § 9 Abs. 2 UWG-E enthalten.

Bei Verletzung der unternehmerischen Sorgfalt nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG ist das Verhalten der Unternehmen nach § 3 Abs. 2 UWG unlauter und unzulässig. Die Verbraucher werden deshalb gegen die Unternehmen einen Schadensersatzanspruch nach § 9 Abs. 2 UWG-E haben.

Ein Verstoß gegen die Wohlverhaltensregeln für den Versicherungsvertrieb nach § 1 a VVG beinhaltet immer zugleich einen Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG und führt deshalb automatisch zu einem Schadensersatzanspruch (Beispiel: Bayrische Lösung nach § 9 Abs. 2 UWG-E.

Das bedeutet beispielsweise, dass Versicherer und Vermittler für unredliches, irreführendes Verhalten bei der Schadensregulierung in Zukunft nicht nur nach den Grundsätzen des BGB sondern auch nach § 9 Abs. 2 UWG-E auf Schadensersatz haften.

Das Gleiche gilt für Versicherer und Vermittler, die den Beratungsprozessen für Privathaushalte die DIN-Norm 77230 nicht zugrunde legen, zum Beispiel deshalb, weil sie sich den Zugang zu dieser Norm nicht eröffnet haben. Ein solches Verhalten wäre unprofessionell und verstieße gegen das bestmögliche Interesse der VN.

[1] BGB l 2018 I S. 2789.

[2] BT-Drucks. 18/11627, S. 42.

[3] So BT-Drucks. 18/11627, S. 42.

[4] BT-Drucks. 18/11627 S. 42.

[5] BT-Drucks. 18/11627, S. 42.

[6] BT-Drucks. 18/11627, S. 43

[7] BT-Drucks. 18/11627, S. 42; Pölss/Martin Armbrüster, VVG 31. Aufl. § 1 a Rn. 9; Langheits/Rixecker/Rixecker, VVG, 6. Aufl., § 1 a, Rn.1; HK-VVG/Brömmelmeyer, 4. Aufl, § 1 a, Rn.18.

[8] BGH vom 17.11.1963 – V ZR 201 / 21; OLG Hamm, Beschluss v. 07.02.2014 – I-9 U 224 / 13; Palandt/Sprau, 80. Aufl., § 823, Rn. 58.

[9] Prölss/Martin/Armbrüster, VVG, 31. Aufl., § 1 a. Rn.9. ,

[10] So OLG München v. 06.04.2017 – 29 U 3139/16, NJOZ 2017,1603; Prölss/Martin/Armbrüster, VVG, 31. Aufl., § 1 a Rn. 9.

[11] Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht v. 20.01.2021, S. 1.

[12] OLG-München v. 06.04.2017 – 29 U 3139/16, NJOZ 2017, 1603.

[13] Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht v. 20.01.2021, S. 18/19, 42ff.

[14] Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht v. 20.01.2021, S. 19, 42.

[15] Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht v. 20.01.2021, S. 19, 42, 43.

[16] Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht v. 20.01.2021, S. 19, 42, 43 unter Hinweis auf BT Drucks 15/1487, S .22.

[17] Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht v. 20.01.2021, S. 43.

[18] Dazu vertiefend Schwintowski. Der Anspruch auf Ersatz des Schadens durch (verzögerte) Schadensregulierung, FS Lothar Jäger zum 75. Geb. S. 421 – 435.

[19] Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 2, Rn. 127 m.w.N.

[20] Köhler, a.a.O, Rn. 130 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des EuGH  zur Auslegung der UGP-RL vgl. EuGH v. 19.12.2013 – C-281/12, GRUR 2014, 196, Rn. 26 Trento Sviluppo.

[21] So in der älteren Rechtsprechung BGH v. 18.03.1959 – IV ZR 182/58, BGHZ 30, 7, 29 Caterina Valente; BGH v. 30.03.1971 – I ZR 130/69, GRUR 1971, 320, 321 Schlankheitskur.

[22] Köhler, a.a.O., Rn. 136.

[23] Vertiefend Köhler, a.a.O., Rn. 139.

[24] v. 20.01.2016 über Versicherungsvertrieb und zur Änderung weiterer Gesetze v. 20.07.2017. BGBl I 3798, 2803.

[25] Erwägungsgrund 10 der RL (EU 2016/97).

[26] So BT-Drucks 18/11627, S. 42.

[27] BT-Drucks 18/11627, S. 42.

[28] BGH v. 15.02.2017 – IV ZR 280/15, r+s 2017, 368 ff; zuvor schon BGH v. 07.02.2007 – IV ZR 244/ 03, NJW-RR 2017, 753.

[29] Wie hier Fortmann, Betriebsschließungsversicherung- ein Update, r+s 2020, 665, 673.

[30] Beispiele bei Fortmann, Betriebsschließungsversicherung- Ein Update, r+s 2020, 656 in Fn. 1.

[31] BGH LM § 455 Nr. 21 B 12, § 252 (Be) Nr. 36.

 

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Bewirtungskosten aus geschäftlichem Anlass sind bei Selbständigen und leitenden Angestellten gang und gäbe.

 

Das Gute daran: Auch der Staat kann an den Kosten beteiligt werden. Allerdings sind diese immer auch ein beliebter Prüfungsschwerpunkt der Finanzbeamten, sodass auf jeden Fall stets eine ordnungsgemäße Bewirtungsrechnung vonnöten ist. “Wichtig dabei: Bewirtungsbelege müssen zwingend elektronisch erstellt sein und spätestens ab dem 1. Januar 2023 auch die entsprechenden Angaben zur verwendeten Technischen Sicherheitseinrichtung (TSE) enthalten”, warnt Rechtsanwalt und Steuerberater Dietrich Loll, Leiter der ETL SteuerRecht Berlin.

Der Abzug von Bewirtungsaufwendungen ist an einige Voraussetzungen geknüpft. So können die Kosten nur dann steuerlich geltend gemacht werden, wenn auch ein Geschäftspartner bewirtet wird, d. h. sie der Geschäftsbeziehung dient bzw. eine solche gerade aufgebaut werden soll. Dafür anfallende Aufwendungen für Speisen, Getränke sowie Nebenkosten wie Trinkgelder oder Garderobengebühren sind steuerlich abziehbar, allerdings nur soweit sie angemessen sind und dann auch nur zu 70 %. Der Vorsteuerabzug ist allerdings in voller Höhe zulässig.

Bewirtungsaufwendungen müssen einzeln und getrennt von den sonstigen Betriebsausgaben auf einem gesonderten Konto aufgezeichnet werden. Die geschäftliche Veranlassung der Bewirtung ist zeitnah nachzuweisen, indem der Bewirtungsbeleg um die Teilnehmer (einschließlich Gastgeber) und den Anlass der Bewirtung ergänzt und unterschrieben wird. Bei einer Bewirtung in den eigenen Betriebsräumen ist ein entsprechender Eigenbeleg nötig, der auch Ort und Tag der Bewirtung sowie die Höhe der Aufwendungen enthält.

“Der Anlass muss möglichst aussagekräftig sein. Allgemeine Angaben wie Kundenpflege, Arbeitsessen oder Informationsgespräch reichen nicht aus”, erklärt Rechtsanwalt und Steuerberater Dietrich Loll.

An Bewirtungsbelege von Gaststätten stellt die Finanzverwaltung besonders hohe Anforderungen. Entspricht die Rechnung nicht den Vorgaben, erkennt das Finanzamt die Rechnung insgesamt nicht an und der Betriebsausgaben- und Vorsteuerabzug wird versagt. Wichtigste Vorgabe: Bewirtungsbelege müssen zwingend elektronisch erstellt sein und spätestens ab dem 1. Januar 2023 auch die nötigen Angaben zur verwendeten technischen Sicherheitseinrichtung (TSE) enthalten.

Diese Schonfrist gilt jedoch ausschließlich für den Abzug von Bewirtungsaufwendungen – nicht aber für das Ausstellen von Barbelegen unter Einsatz einer elektronischen Registrierkasse. Gastwirte, die bereits eine TSE verwenden, müssen also auch schon jetzt Belege mit TSE-Angaben ausstellen. Dies betrifft

den Zeitpunkt des Vorgangsbeginns und -endes (Bestellbeginn bis Ende des Kassiervorgangs),

die Transaktionsnummer sowie

die Seriennummer des elektronischen Aufzeichnungssystems oder des Sicherheitsmoduls

Fehlen diese Angaben, kann es bei Betriebsprüfungen in der Gastronomie erheblichen Ärger mit dem Prüfer geben, der bei weiteren Versäumnissen mitunter sogar zur Hinzuschätzung von Umsätzen berechtigt ist. Neu ist, dass die Zusatzangaben aus der TSE nunmehr auch als QR-Code aufgedruckt sein können. Damit lässt sich die Länge der Belege immerhin um ein paar Zentimeter verkürzen.

“Der Bewirtende sollte bei größeren Rechnungen darauf bestehen, dass der Gastwirt – zumindest händisch – den Namen und die Anschrift des Leistungsempfängers auf dem Bewirtungsbeleg notiert. Anderenfalls riskiert er, dass weder der Betriebsausgabenabzug noch der Vorsteuerabzug anerkannt wird”, rät Rechtsanwalt und Steuerberater Dietrich Loll.

 

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egev Geschäftsführer Knut Ropte teilt seine Erfahrungen bei der Erstellung von Prospekten

 

Um Anlageentscheidungen sachgerecht treffen zu können, müssen Anleger umfangreich und verlässlich über die betreffende Vermögensanlage und den Emittenten informiert werden. Bis auf wenige Ausnahmen dürfen Vermögensanlagen in Deutschland nicht ohne einen Prospekt öffentlich angeboten werden. Die Prospektpflicht gilt auch für Anlageformen, die keine Wertpapiere i.S.d. WpPG (Wertpapierprospektgesetzbuch) und keine Investmentanteile i.S.d. KAGB (Kapitalanlagegesetzbuch) sind. Die entsprechende Prospekterstellung sollte aufgrund der hohen Komplexität inhaltlich und rechtlich begleitet werden. Die egev, eine Beratungsgesellschaft aus Oststeinbek bei Hamburg, verfügt über die nötige Expertise und Erfahrung, um Projektierer bzw. Emittenten bei der Erstellung des Verkaufsprojekts zu unterstützen.

Verkaufsprospekte nach dem Vermögensanlagegesetz

Ob eine Hotelanlage auf den Balearen, ein Windpark in der Nordsee oder ein anderes Anlage-Projekt: Wer für ein unternehmerisches Vorhaben eine Großinvestition vor der Brust hat, steht auch vor der Frage der Finanzierung. Der klassische Weg über die Kreditaufnahme bei einer Bank ist – u.a. aufgrund hoher Hürden und genereller Zurückhaltung der Geldinstitute – häufig nicht die beste Lösung. Die Alternative liegt in der die Emission von Kapitalmarktprodukten. So zum Beispiel kommen – je nach Ausgestaltung – Unternehmensanteile, Anteile an Treuhandvermögen, Genussrechte oder Namensschuldverschreibungen in Betracht. Zu den Unternehmensanteilen gehören Unternehmensbeteiligungen an Personengesellschaften, GmbH-Anteile und GbR-Anteile. Auch stille Beteiligungen an den genannten Gesellschaften, an bestimmten Vermögensmassen solcher Gesellschaften oder auch Beteiligungen an ausländischen Unternehmen anderer Rechtsformen gehören zu den gängigen Kapitalmarkprodukten. Grundsätzlich gilt: Wer sich über ein Angebot solcher Anlageformen an Anleger in Deutschland finanzieren will, muss nach § 8 des Vermögensanlagengesetzes zunächst einen entsprechenden Verkaufsprospekt von der BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) billigen lassen.

Die Herausforderung: Es bestehen hohe formelle Anforderungen an den Inhalt von Vermögensanlagenprospekten. Diese haben ab Herausgabe eine Gültigkeit zwölf Monaten und werden von der BaFin auf Vollständigkeit, Verständlichkeit und Widerspruchsfreiheit geprüft. Jedoch überprüft die BaFin weder die Seriosität des Emittenten noch kontrolliert sie das Produkt. Wichtig zu wissen: Der Prospektverantwortliche und der Anbieter haften unter den Voraussetzungen des § 20 Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) gegenüber dem Erwerber der Vermögensanlage, sofern wesentliche Angaben im Prospekt unrichtig oder unvollständig sind.

Einen Schwerpunkt im Prospekt bildet die Darstellung der aktuellen und voraussichtlichen Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Emittenten. Die BaFin fordert hierbei i.d.R. Planungszeiträume, die der Laufzeit der Vermögensanlage entsprechen. Auch ausführliche Angaben zu mit der Anlage verbundenen Risiken, zu tragenden Personen des Unternehmens und deren möglichen Interessenkonflikten sowie zu den wichtigsten mit der Anlage zusammenhängenden Verträgen sind elementar und erfordern höchste Sorgfalt.

Professioneller Anlageprospekt: Konzeption und Umsetzung nach Maß

Die egev unterstützt Emittenten sowohl bei der Konzeption als auch bei der Erstellung eines Vermögensanlagenprospekts. Knut Ropte, Geschäftsführer der egev: „Je nach Bedarf reicht unser Angebot von der professionellen Objekt-/Projekt-Beschreibung über die Strukturierung sämtlicher Pflichtinhalte bis hin zur rechtlichen Beratung durch erfahrene Partner. Auch die visuelle Gestaltung und den Druck der fertigen Broschüre koordinieren wir gern, damit alles reibungslos über die Bühne geht. Generell empfehlt sich auch die Inanspruchnahme unseres umfassenden Know-hows, wenn es um die Beantragung des Billigungsverfahren bei der BaFin geht. Das gilt auch für das erforderliche Vermögensanlagen-Informationsblatt (VIB)“, einer übersichtlich zusammengestellten Zusammenfassung des Vermögensanlagenprospekts. Dieses enthält die wesentlichen Charakteristika der Anlage auf maximal drei DIN A4 Seiten.

Sobald die BaFin den Prospekt und das VIB gebilligt hat, müssen diese spätestens einen Werktag vor dem öffentlichen Angebot veröffentlicht werden (§ 9 VermAnlG). Dieses muss in jedem Fall auf der Internetseite des Anbieters geschehen, darüber hinaus im Bundesanzeiger oder zur kostenlosen Ausgabe bei der Zahlstelle, die im Verkaufsprospekt zu benennen ist.

 

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egev.hamburg, Knut Ropte, Gewerbering 8, 22113 Oststeinbek, Tel: 040 / 22 61 49 02-0, www.egev.hamburg

… die Anforderungen an die Erbenermittlungspflicht des Nachlassgerichts dürfen nicht zu niedrig angesetzt werden

 

Auf dieses “aber” kommt es an! Ein Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 20. April 2021 (Az. 6 W 60/21) hat die Verpflichtung der Nachlassgerichte zur Erbenermittlung präzisiert. Ein wegweisendes Urteil für alle potenziellen Erben, Erbenermittler, Nachlasspfleger usw., betont es doch ausdrücklich die Pflicht zur Erbenermittlung, bevor der Fiskus als gesetzlicher Erbe in Betracht kommt.

Dieses Urteil stellt zwar auch das grundsätzliche Recht der Nachlassgerichte heraus, über Reichweite und Umfang der Erbenermittlungen nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Damit muss allerdings für jeden konkreten Einzelfall bestimmt werden, welche Ermittlungen geboten sind. Im vorliegenden Fall erfolgte nach Meinung des Gerichts diese Ermessensausübung nicht fehlerfrei. Auch ein (im vorliegenden Fall lediglich vermuteter) geringwertiger oder überschuldeter Nachlass entbindet nicht von der Erbenermittlungspflicht.

Ausdrücklich wird in diesem Urteil konstatiert, dass die Kenntnis von der Existenz eines nahen Angehörigen die zuständigen Gerichte verpflichtet, weitere Nachforschungen anzustellen.

Zwar hält der Senat für alle mittel- und unmittelbar Betroffenen dieses letztinstanzlichen Urteils als Faustformel zur Erbenermittlung fest, dass regelmäßig zumindest Anfragen an Sterbe-, Ehe- und Geburtenregister der feststellbaren Lebensmittelpunkte eines Erblassers gerichtet werden müssen. Dies wird aber ausdrücklich als Mindestanforderung verstanden und entbindet die Nachlassgerichte nicht von der Pflicht, Erben bei konkreten Nachlassmöglichkeiten intensiver zu ermitteln.

Dieses Urteil mit seiner Betonung des grundgesetzlich verankerten Vorrangs des Erbens und damit der Erbenermittlungspflicht ist natürlich Wasser auf die Mühlen des Verbandes Deutscher Erbenermittler (VDEE), gehört es doch seit langem zu unserer Forderung, die Suche nach den gesetzlichen Erben in den Vordergrund zu stellen und die Fiskuserbschaft als letzte Lösung zu betrachten. Ein Instrument und ein wichtiger Schritt hierfür wäre sicherlich ein Nachlasshinterlegungsregister! Das Fehlen eines zentralen Registers hat sich leider schon im Bereich der Nachrichtenlosen Konten als großes Hindernis auf dem Weg zur Erbgerechtigkeit herausgestellt.

Nachlassgerichte bzw. die Nachlasspfleger sind jedenfalls in vielen Fällen gut beraten, professionelle Erbenermittler einzubinden, sei es zur Vermeidung einer Amtshaftung oder generell, um die Chancen von Erbanwärtern zu verbessern.

 

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Verband Deutscher Erbenermittler (VDEE®) e.V., Grünberger Str. 1, 10243 Berlin, Tel: 030 – 246 251 62, www.verbanddeutschererbenermittler.de

Von Insolvenzverwalter Rolf Pohlmann

 

Anleger der insolventen Selfmade Capital-, New Capital Invest- und Euro Grundinvest-Fonds, die über die Vermittlung „dima24“ angeworben wurden, haben in den bislang eröffneten Insolvenzverfahren Forderungen in Höhe von rd. 30 Millionen zur Tabelle angemeldet. Die Forderungen wurden weitestgehend bestritten. Am 18.August 2021 sprach die 6. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München I den Initiator und Hintermann der Vermittlungs- und Fondsgesellschaften des gewerbsmäßigen Betrugs für schuldig. Wird das Urteil rechtskräftig, können Anleger, die sich bei ihrer Forderungsanmeldung auf Betrug gestützt haben, mit der nachträglichen Anerkennung ihrer Forderung rechnen. Ob und in welcher Höhe auf sie eine Insolvenzquote entfallen wird, hängt vom jeweiligen Fonds ab.

Rund 80 Gesellschaften gehörten zu dem undurchsichtigen Unternehmenskonstrukt um die insgesamt 25 Fonds der „Selfmade Capital“-, „New Capital Invest“- und „Euro Grundinvest“-Gruppen, mit denen fast eine Viertel Milliarde Euro Anlegergelder eingeworben wurden, überwiegend Einzelanlagen zwischen 15.000 und 50.000 Euro. Vermittelt wurden die Fondsanlagen im Telefonvertrieb von der ‚dima24 ‘-Gruppe. Ein Teil der Anlagesumme wurde den Anlegern anfänglich zurückbezahlt, wodurch – medial wirksam – Gewinne und Erfolge vorgespiegelt und Anleger zu weiteren und höheren Investitionen gelockt wurden. Tatsächlich waren Investitionsziele und Renditeerwartungen weitgehend frei erfunden. Wirtschaftlich tragfähige Konzepte existierten nicht. Dass hinter den verschiedenen Fonds und der Vermittlung ‚dima24‘ und sogar hinter positiven Analysten- und Medienberichten ein und dieselbe Person stand, die sich verschiedenster Pseudonyme bediente, wussten die Anleger nicht. Der Großteil der investierten Gelder ist verschwunden. Ein relevanter Teil wurde im kostspieligen Betrieb etwa für Vertriebs-, Personal-, Miet- und Rechtsberatungskosten sowie Provisionen verbraucht. Hinsichtlich der meisten Gelder verliert sich aber jede Spur angesichts mehrfacher Transaktionen über Ländergrenzen hinweg und durch den Einsatz verschiedener Mittelsfirmen. „Uns ist es in mühseliger Detailarbeit gelungen, bislang immerhin rund 11 Millionen Euro zu sichern, unter anderem auf Konten der Gesellschaften, auf mehreren Golddepots in Liechtenstein und auf Drittkonten in Curacao“, sagt Rechtsanwalt Rolf Pohlmann, den das Amtsgericht München seit 2014 als vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. Insolvenzverwalter in der Mehrzahl der Unternehmen eingesetzt hat, nicht ohne Stolz. „Und wir verfolgen seit Jahren intensiv eine sehr konkrete Spur in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wohin nach unseren akribischen Ermittlungen letztlich ein erheblicher Teil der Gelder geflossen sein muss“, so Pohlmann weiter. Ob aus den Emiraten noch Massezuflüsse zu generieren sind, hängt zunächst vor allem von dort eingeleiteten Strafermittlungsverfahren und dem weiteren Vorgehen der Behörden vor Ort ab. Einen weiteren Massezufluss in Millionenhöhe erwartet Pohlmann aus einem Rechtsstreit, den er seit 2018 gegen einen anderen Insolvenzverwalter führt und der das Geld an die Ehefrau des verurteilten Fonds-Initiators auszahlen will. „Man muss in diesem ungewöhnlichen Verfahrenskomplex viel Geduld haben und zwischendrin auch Rückschläge hinnehmen, aber Stück für Stück gelingt es dann doch, Gelder aufzuspüren und zu sichern.“, sagt Pohlmann.

Bislang ist nur ein Teil der Insolvenzverfahren eröffnet. Bei zahlreichen Insolvenzverfahren ist noch unklar, ob mit einer die Verfahrenseröffnung rechtfertigenden Wahrscheinlichkeit mit Massezuflüssen gerechnet werden kann. Soweit Insolvenzverfahren eröffnet wurden, haben dort zahlreiche Anleger, oft gemeinschaftlich von Anlegeranwälten vertreten, ihre Forderungen zur Tabelle angemeldet. Diese Forderungen hat der Insolvenzverwalter weitestgehend bestritten, so dass sie nicht als festgestellt gelten und keine Quote auf sie entfallen kann. „Grund hierfür ist, dass eine Forderung eines Gesellschafters auf Rückzahlung angelegten Kapitals grundsätzlich keine Insolvenzforderung ist“, sagt Pohlmann. „Wenn ich zum Beispiel in eine Aktie investiere und die Aktie verliert an Wert, dann hat sich mein Verlustrisiko realisiert und ich kann den Verlust nicht als Schaden gegenüber der Gesellschaft geltend machen“, so Pohlmann weiter. Etwas anderes gilt allerdings, wenn die Anleger im Zeitpunkt der Vermögensanlage bewusst getäuscht wurden. „Wenn sich herausstellt, dass das Konzept gerade darin bestand, die Anleger zu täuschen, damit sie ihr Geld zum eigenen Nachteil investieren, dann lässt sich ein Rückzahlungsanspruch auf Schadensersatz stützen“, sagt der Insolvenzverwalter. „Dass hier strafbare Handlungen vorliegen, hat sich schon von Anfang an abgezeichnet, aber damit eine berechtigte Insolvenzforderung besteht, muss Betrug beim Einwerben der Gelder vorliegen und nicht zum Beispiel erst später eine Untreue“. Das Landgericht München I hat den Initiator und Hintermann der Fonds und Vermittlungsgesellschaften am gestrigen Mittwoch des gewerbsmäßigen Betrugs für schuldig befunden. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und drei Monaten verurteilt. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, beabsichtigt Pohlmann seinen Widerspruch hinsichtlich solcher Forderungen, die sich auf Betrug stützen, nachträglich zurückzunehmen, so dass die Forderungen zur Insolvenztabelle festgestellt wären, ohne dass es einer gerichtlichen Klärung bedürfte. Im Falle der Rücknahme des Widerspruchs erhalten die Anleger in den nächsten Monaten entsprechende Nachricht vom Insolvenzverwalter. Ob die Inhaber festgestellter Forderungen dann mit relevanten Insolvenzquoten rechnen können, hängt aber vom jeweiligen Verfahren ab. Denn die Quote richtet sich immer nach der im jeweiligen einzelnen Insolvenzverfahren realisierten Masse und der Höhe der jeweiligen Gläubigerforderungen. Beides ist bei der Vielzahl der Verfahren stark unterschiedlich. In manchen Verfahren konnte noch gar keine Masse realisiert werden, in anderen Verfahren sind Massen mit mehreren Mio. Euro vorhanden.

Geschädigte Anleger können sich auf der vom Insolvenzverwalter eingerichteten Sonder-Internetseite ‚https://pohlmannhofmann.de/selfmade‘ über den jeweils aktuellen Stand informieren.

 

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Rechtsanwalt Rolf Pohlmann als (vorl.) Insolvezverwalter, Unterer Anger 3, 80331 München, Tel: 089 548033-222, www.pohlmannhofmann.de

von Rechtsanwalt Dr. Jan Freitag, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte

 

Schon während der Corona-Krise war offenbar bei vielen Arbeitgebern der Eindruck entstanden, es bestünde nun ein neues Arbeitsrecht. In der Beratung in unserer Kanzlei kamen Fragen nach (nicht vorhandenen) anderen Kündigungsfristen, nach (ebenfalls nicht vorhandenen) Möglichkeiten, einseitig Kurzarbeit anzuordnen und viele andere Themen.

Das deutsche Rechtsystem, auch das deutsche Arbeitsrecht, ist naturgemäß nicht in Gänze auf eine Pandemie vorbereitet gewesen. Die Rechtsystematik selbst bleibt jedoch verlässlich und letztlich unangetastet.

Mögliche Insolvenzsituation nach der Corona-Krise

Es ist leider abzusehen, dass nach der Corona-Krise auch wirtschaftlich vieles nicht mehr so sein wird, wie vorher. Viele Firmen wählen richtigerweise den Weg, jedenfalls eine Insolvenzberatung wahrzunehmen. Denn die Insolvenzaussetzung während der Pandemie kennte leider viele Fallstricke für Unternehmen. Hier können wir als Kanzlei gern Kontakte zu Kooperationspartnern (Insolvenzverwalter-Kanzleien) herstellen, die in diesen Zeiten die Begrifflichkeit von entstehenden „Zombie-Unternehmen“ verwenden. Viele Unternehmen sollten bzw. müssten eigentlich schon lange den Weg eines Insolvenzverfahren gehen, hoffentlich mit dem Ziel einer Fortführung der Geschäfte.

Für den Arbeitgeber ist es wichtig, sich rechtzeitig beraten zu lassen. Denn es drohen nicht unerhebliche Haftungsfälle, bis hin zu strafrechtlichen Vorwürfen, wenn man zum Beispiel Insolvenzsituationen „verschleppt“.

Als Arbeitgeber muss man aber auch wissen, dass man spätestens ab dem Moment der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, jedenfalls phasenweise „das Heft aus der Hand gibt“. In die bisherige Position zum Beispiel des Geschäftsführers eines Versicherungsmaklers tritt dann der Insolvenzverwalter, der zu agieren, aber letztlich auch zu haften hat. Er führt die Firma.

Über den Titel „Arbeitsrecht in der Insolvenz“ ist nun einiges an Besonderheiten in dieser Phase zu beachten:

Beendigungsmaßnahmen werden von dem Insolvenzverwalter durchgeführt. Zum Beispiel bei Kündigungsschutzklagen von Arbeitnehmern ist dieser Insolvenzverwalter, nicht das Unternehmen zu verklagen. Dabei muss man wissen, dass die Insolvenzverwaltung häufig ein „Massengeschäft“ ist. So hat auch der Insolvenzverwalter eine Fülle von Formalien zu beachten. Wenn ein Insolvenzverwalter zum Beispiel fälschlicherweise noch auf dem Briefpapier der Firma kündigt und nicht kenntlich macht, dass er passiv legitimiert wäre, dürfte diese zu Grunde liegende Kündigung sogar deswegen unwirksam sein.

Sowieso wäre der Eindruck falsch, dass es eine insolvente Firma leichter habe, sich von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu trennen. Zwar gibt es insofern eine Erleichterung, als dass über den § 113 InsO eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses schon mit einer Höchstfrist von 3 Monaten möglich ist, dass man also zum Beispiel Arbeitnehmer, die längere Kündigungsfristen haben, weil sie sehr lange in dem Betrieb beschäftigt sind oder längere arbeitsvertragliche Kündigungsfristen haben, mit kürzerer Frist kündigen kann.

Hinsichtlich der Wirksamkeit der Kündigung gilt aber, trotz der Insolvenzsituation (!), weiterhin das Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Mithin bedarf es auch für die insolvente Firma wirksamer Kündigungsgründe, z.B. im betriebsbedingten Bereich. Betriebsbedingte Kündigungsgründe müssen aber nicht nur vorliegen, es muss auch die Sozialauswahl berücksichtigt werden, also auch die insolvente Firma muss den „richtigen“ Arbeitnehmer kündigen.

Zwar ist das Vorliegen eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes in einer solchen Situation in der Regel nahliegender, als in sonstigen Fällen. Besondere Schwierigkeiten gibt es hier jedoch zum Beispiel, wenn es während der Insolvenzphase zu einem Verkauf der Firma (bei Maklerfirmen reicht schon ein Bestandsverkauf) kommen sollte. Denn für den Fall, dass der Verkauf der Firma vor dem Ende der Kündigungsfrist des Arbeitnehmers liegt, muss der betriebsbedingte Kündigungsgrund auch zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorliegen, was in diesem Fall bei Betriebserwerbern zu prüfen ist und dort vermutlich nicht vorliegt, weil die ankaufende Firma naturgemäß nicht insolvent sein dürfte.

Aber auch die Sozialauswahl bleibt ein wichtiger Prüfungspunkt. Zwar kann man über § 113 InsO Kündigungsfristen verkürzen. Aber langjährige Mitarbeiter oder Mitarbeiter, die besondere Versorgungslasten haben, haben weiterhin in der im Kündigungsschutzgesetz notwendigen Sozialauswahl einen erheblichen Vorteil.

Die insolvente Firma hat aber durchaus Möglichkeiten, selbst wenn die insolvente Firma keinen Betriebsrat hat, über Instrumente, die es sonst nur in Firmen mit Betriebsrat gibt, hinsichtlich der zu kündigenden Mitarbeitern zu steuern, zum Beispiel über das Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz nach § 126 InsO.

Zusammengefasst gibt es in der Tat eine Reihe von Besonderheiten im „Arbeitsrecht in der Insolvenz“. Es gibt aber kein besonderes Arbeitsrecht in der Insolvenz, sondern viele bekannte arbeitsrechtliche Diskurse gibt es auch in der Insolvenzsituation.

Wir hoffen sehr, dass Sie, Ihre Firma und Ihre Kunden die Corona-Krise gut überstehen und dass Sie sich solche Fragen für Sie nicht stellen.

Wenn sich diese Fragen stellen, liegt es aber an den (Pandemie-)Umständen und wir unterstützen Sie sehr gern auch arbeitsrechtlich in dieser schwierigen Phase.

 

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Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass sechs Prozent Steuerzinsen pro Jahr verfassungswidrig sind.

 

Die Finanzämter dürfen ab 2019 nicht mehr so hohe Steuerzinsen berechnen. Jetzt muss der Gesetzgeber einen niedrigeren Steuerzinssatz festlegen. Was ab wann gilt und wie sich Steuerzahler zu viel gezahlte Zinsen zurückholen können, erklärt Ecovis-Steuerberater Alexander Kimmerle in Kempten.

Frage: Trotz Niedrigzinsphase: Die Finanzbehörden haben bisher den vor Jahrzehnten festgelegten Steuerzins von sechs Prozent im Jahr verlangt. Für was genau haben die Finanzämter sechs Prozent Zinsen im Jahr berechnet?

Kimmerle: Die Finanzämter verlangen die Zinsen für Steuernachzahlungen und -erstattungen. Normalerweise dann, wenn der Steuerbescheid mehr als 15 Monate nach dem Steuerjahr verschickt wird. Der Zinssatz stammt aus dem Jahr 1961 und beträgt 0,5 Prozent pro Monat, was sechs Prozent im Jahr sind. Der Gesetzgeber hat den Zinssatz seither nicht geändert.

Ab wann und für welche Steuerjahre dürfen die Finanzämter diesen Zinssatz laut dem Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht mehr berechnen?

Ab 2014 sind die Zinsen grundsätzlich verfassungswidrig, da sie realitätsfern sind. Das Verfassungsgericht gestattet dem Gesetzgeber jedoch, dass er erst ab 2019 die Verzinsung neu regeln muss. In dieser Übergangszeit von 2014 bis einschließlich 2018 kann der Gesetzgeber den Zinssatz ändern, muss es aber nicht und wird es auch nicht tun. Ab 2019 ist er jedoch zum Handeln verpflichtet. Für alle Zinsmonate bis Dezember 2018 wird es also bei 0,5 Prozent pro Monat bleiben, nur danach wird sich der Monatszinssatz reduzieren.

Mit welchem Zinssatz ist zu rechnen?

Das Verfassungsgericht schreibt in seinem Urteil keinen Zinssatz vor, sondern legt nur allgemeine Regelungen zu dessen Ermittlung dar. Der Gesetzgeber muss bis Ende Juli 2022 einen neuen Zinssatz festlegen. Es sieht Vieles nach drei Prozent pro Jahr beziehungsweise 0,25 Prozent pro Zinsmonat aus.

Was können Unternehmen beziehungsweise Steuerzahler tun, wenn ihre Steuerbescheide schon rechtskräftig ist?

Im Großen und Ganzen nichts. Die günstigeren Zinsen gelten nur für die Zinsmonate ab 2019 – und das wird automatisch geändert. Wegen Corona und der verlängerten Abgabefristen sind ja für die Steuererklärung 2019 noch gar keine Zinsen angefallen. Für die Abgabe der Steuererklärung 2019 hatte das Bundesfinanzministerium die Frist bis zum 31. August 2021 verlängert. Steuerpflichtige können jetzt aktiv nichts tun. Sie müssen abwarten.

Gelten die künftigen niedrigeren Zinsen auch für Steuerhinterziehungszinsen, Aussetzungszinsen und Stundungszinsen?

Leider nein – nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ist hier nichts zu ändern – sie bleiben also bei sechs Prozent pro Jahr.

Wann und wie können Unternehmen oder Steuerzahler zu viel gezahlte Steuerzinsen zurückbekommen?

Bevor der Gesetzgeber keine Neuregelung getroffen hat, wird sich nichts ändern. Wegen der bevorstehenden Wahlen und der zu erwartenden langen Regierungsbildung wird in diesem Jahr wohl nichts mehr beschlossen. Somit bleibt nur Abwarten.

 

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Die BaFin veröffentlicht ein Merkblatt zum Blindpoolverbot gemäß § 5b Absatz 2 des Vermögensanlagengesetzes (VermAnlG). 

 

Künftig muss bei Vermögensanlagen das Anlageobjekt zum Zeitpunkt der Erstellung des Vermögensanlagen-Verkaufsprospekts oder in Fällen, in denen §§ 2a, b VermAnlG greift, zum Zeitpunkt der Erstellung des Vermögensanlagen-Informationsblatts (VIB) konkret bestimmt sein. Da Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht veröffentlicht Merkblatt zum Verbot von Blindpool-Konstruktionen im Vermögensanlagengesetz.

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht veröffentlicht ein Merkblatt zum Blindpoolverbot

des § 5b Absatz 2 VermAnlG. Künftig muss bei Vermögensanlagen das Anlageobjekt zum Zeitpunkt der Erstellung des Vermögensanlagen-Verkaufsprospekts oder in Fällen der §§ 2a, b VermAnlG zum Zeitpunkt der Erstellung des Vermögensanlagen-Informationsblatts (VIB) konkret bestimmt sein. Das Merkblatt gibt hierzu Erläuterungen im Einzelnen. Es gilt mit Inkrafttreten des § 5b Absatz 2 VermAnlG ab dem 17.08.2021.s Merkblatt gibt hierzu Erläuterungen im Einzelnen. Es gilt mit Inkrafttreten des § 5b Absatz 2 VermAnlG ab dem 17.08.2021. https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Merkblatt/dl_mb_Verbot_BlindpoolKonstruktionen_VermAnlG.html?nn=9021442

 

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Knapp zwei Drittel aller Rentenleistungen im Jahr 2020 waren einkommensteuerpflichtig

 

Im Jahr 2020 haben in Deutschland 21,8 Millionen Personen Leistungen in Höhe von 341 Milliarden Euro aus gesetzlicher, privater oder betrieblicher Rente erhalten. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, waren das rund 0,7 % oder 146 000 Rentenempfängerinnen und -empfänger mehr als im Vorjahr. Die Höhe der gezahlten Renten stieg im gleichen Zeitraum um 4,1 % oder 13,5 Milliarden Euro. Knapp 64 % der Rentenleistungen im Jahr 2020 zählten zu den steuerpflichtigen Einkünften (217 Milliarden Euro). Seit 2015 ist der durchschnittliche Besteuerungsanteil damit um mehr als 8 Prozentpunkte gestiegen.

Ursache für den Anstieg ist die Neuregelung der Besteuerung von Alterseinkünften im Alterseinkünftegesetz von 2005. Kernelement der Neuregelung ist der Übergang von einer vorgelagerten zu einer nachgelagerten Besteuerung der gesetzlichen Renten bis zum Jahr 2040. Demnach werden die Aufwendungen zur Alterssicherung in der Ansparphase schrittweise steuerfrei gestellt und erst die Leistungen in der Auszahlungsphase steuerlich belastet. Welcher Anteil der Renteneinkünfte steuerpflichtig ist, richtet sich nach dem Jahr des Rentenbeginns: Je später der Rentenbeginn, desto höher ist der besteuerte Anteil der Renteneinkünfte.

Diese Übergangsregelung ist Grundlage (steuer-)rechtlicher Diskussionen um eine verfassungswidrige Doppelbesteuerung von Renteneinkünften. Am 31. Mai 2021 hat der Bundesfinanzhof (BFH) hierzu Berechnungsgrundlagen festgelegt. Daraus ergibt sich, dass spätere Rentnerjahrgänge von einer doppelten Besteuerung ihrer Renten betroffen sein dürften. Das Bundesministerium der Finanzen kündigte daraufhin an, zu Beginn der nächsten Legislaturperiode eine Steuerreform auf den Weg zu bringen, die die BFH-Vorgaben erfüllt und auch in Zukunft eine Doppelbesteuerung von Renten vermeidet.

2017 zahlte knapp ein Drittel der Rentnerinnen und Rentner Einkommensteuer

Wie viele Rentnerinnen und Rentner Einkommensteuer zahlen, ist aufgrund der langen Fristen zur Steuerveranlagung für 2020 noch nicht bekannt. Aktuellste Informationen zur Rentenbesteuerung liegen für das Jahr 2017 vor. Demnach mussten 32 % oder 6,8 Millionen der insgesamt 21,4 Millionen Rentenempfängerinnen und -empfänger Einkommensteuer auf ihre (gesetzlichen, privaten oder betrieblichen) Renteneinkünfte zahlen. Im Vergleich zu 2016 stieg der Anteil um knapp 3 Prozentpunkte beziehungsweise 516 000 Personen.

Bei knapp 90 % der steuerbelasteten Rentenempfängerinnen und -empfänger – hierzu zählen auch hinterbliebene Eheleute und Kinder – liegen neben den Renten noch andere Einkünfte vor. Bei zusammenveranlagten Ehepaaren können das auch Einkünfte der Partnerin oder des Partners sein, die für die Besteuerung zusammengerechnet werden.

 

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