Kommentar von Thomas Wüst, Geschäftsführender Gesellschafter valorvest Vermögensverwaltung

 

In der Politik wird die Framing-Diskussion längst geführt. An den Finanzmärkten findet diese Diskussion aber noch nicht statt, obwohl sich Anleger in der täglichen Berichterstattung über das Börsengeschehen auch damit konfrontiert sehen – ob bewusst oder unbewusst. Was bewirken sprachliche Frames an der Börse und welche emotionalen Fallen stellen sie für Anleger dar? Ein Versuch der Sensibilisierung.

Wenn eine Ratingagentur eine Anleihe aus dem „Investment Grade Rating“ in den „Non Investment Grade“-Bereich abstuft, dann wird aus einer vormals investierbaren Anleihe plötzlich ein Schrottpapier von einem Unternehmen, das nur noch über eine Bonität verfügt, die im Ramsch-Status angesiedelt ist. Begriffe wir Ramschpapier oder Schrottanleihe finden sich dann in der täglichen Börsenberichterstattung unwidersprochen genauso wieder wie das englische Pendant eines Junk-Bonds. Jeder Anleger kann sich selbst fragen, welchen Deutungsrahmen er mit Begriffen wie „Schrott“, „Ramsch“ oder „Junk“ verbindet. Die Frage, die sich ein Anleger hier stellen sollte ist, ob diese undifferenzierte Einordnung für jede Anleihe eines Unternehmens, das möglicherweise tausende Mitarbeiter beschäftigt und nur wegen einer Änderung der Finanzierungs- oder Eigentümerstruktur in den Non-Investment-Grade-Bereich abgestuft wurde, passt? Das Urteil, das man aber automatisch mit einer solchen Einordnung verbindet, ist zunächst jedoch vernichtend. Den Anleger kostet es regelrecht Überwindung, sich gegen diesen Frame zu stellen, um sich mit den Hintergründen der Ratingherabstufung zu beschäftigen, was sich aber durchaus lohnt. Denn oftmals bieten gerade Anleihen, die sich in dem Grenzbereich zwischen Investment Grade- und Non-Investment-Grade-Bereich aufhalten, attraktive Renditechancen.

Das Börsenunwort des Jahres 2016, welches die Börse Düsseldorf jährlich kürt, findet sich noch heute regelmäßig in Börsenberichten: der „Anlagenotstand“. Ein Notstand ist dabei jedoch das, was man derzeit in Mosambik nach der verheerenden Naturkatastrophe durch den Wirbelsturm Idai auf besonders tragische und verheerende Weise mit Toten, zerstörten Gebäuden und vernichteter Infrastruktur vor Augen geführt bekommt. Ein „Anlagenotstand“ suggeriert somit eine Krise, die es in diesem Ausmaß an den Finanzmärkten de facto nie geben kann. Die Verwendung dieses Begriffs beinhaltet somit die Gefahr, dass Anleger denken, sie müssten nun etwas Besonderes tun, um sich vor einer Krise zu schützen. Und genau in dem Besonderen lauern wiederum Gefahren für den Anleger, die eben auch beispielsweise in der Flucht in „Betongold“ münden können, was dann wiederum zu neuen Risiken führen kann – vor denen sich ein Anleger eigentlich schützen wollte. Insofern verführen Begriffe wie „Anlagenotstand“ und „Betongold“ zu Handlungen, die vielmehr auf einer Angst vor einer Krise basieren und wenig mit einer individuell-ausgerichteten Anlagestrategie zu tun haben.

Und als letztes Beispiel für „Financial Framing“ sei der dreifache „Hexensabbat“ oder „triple witching day“ an den Terminbörsen erwähnt. Wenn am großen Verfalltermin an der Eurex die Optionen und Futures auf Aktien und Anleihen fällig werden, dann wird regelmäßig darüber berichtet, dass an der Börse die Hexen getanzt haben. Börse und Termingeschäfte sind aber keine Hexerei. Dass der Begriff „Sabbat“ seinen Ursprung im Hebräischen hat, ist hierbei wohl eher Zufall, wird doch die Floskel „jetzt ist Sabbat“ bei uns gleichbedeutend mit „jetzt ist Schluss“ oder „jetzt ist Wochenende“ eingesetzt. Wenn man jedoch Hexensabbat hört, dann wird bei mir der Frame von Zauberei und auch der Zockerei aktiviert, spielt doch ein Zauberer mittels Tricks mit seinem Publikum. Und gerade in Verbindung mit einer Terminbörse, deren ursprünglicher Sinne Absicherungsgeschäfte für Unternehmen darstellt, bewirkt die Verwendung des Begriffs „Hexensabbat“ eine Mystifizierung, die Anleger zu einem pauschalen Urteil über Termingeschäfte als Zockerei verführt.

Differenzierung ist angesagt. Begriffe, wie Ramschanleihen, Anlagenotstand, Betongold oder Hexensabbat, verführen Anleger zu einer pauschalen Einordnung, die der Sache nicht gerecht wird. Anleger tun gut daran, darauf zu achten, welche Deutungsmuster durch die Verwendung solcher Begriffe im Gehirn geweckt werden. Wenn daraus folgt, dass wir alle sensibler werden, was Sprachbilder bewirken und wie sie unser Denken bestimmen, dann hat eine sprachliche Aufrüstung in allen Lebensbereichen weniger negative Folgen – für Ihr Wertpapierdepot genauso wie für und unsere Gesellschaft insgesamt.

 

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