Liebesgrüße aus Brüssel
Jede Woche scheint im britischen Unterhaus ein neues Verfassungsdrama aufgeführt zu werden. Der geplante Austritt am 29. März rückt unterdessen immer näher. Vergangene Woche haben die Abgeordneten in London über eine Reihe von Ergänzungsanträgen zu einem Antrag der Premierministerin abgestimmt. Darin hatte sie die Abgeordneten um das Mandat gebeten, die Austrittsvereinbarung ändern zu können. Die meisten Anträge wurden abgelehnt – zwei fanden eine Mehrheit. Im Ersten heißt es, dass das Parlament einen Austritt aus der EU ohne eine Vereinbarung ablehne. Ein anderer Antrag wurde ebenfalls verabschiedet. Hierin heißt es, dass die Regeln zum „Backstop“ für die Grenze zwischen Irland und Nordirland durch „alternative Absprachen“ zu ersetzen seien.
Der erste Antrag scheint einen „No-Deal-Brexit“ unwahrscheinlicher zu machen. Der zweite – der etwas fordert, das die EU stets ablehnte – scheint einen ungeordneten Brexit hingegen wahrscheinlicher zu machen. Das war unter anderem die Meinung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
Zurzeit kann nichts ausgeschlossen werden. Es ist aber vorstellbar, dass die mangelnde Begeisterung für die Austrittsvereinbarung sowie auch für einen harten Brexit am Ende zu einem EU-Austritt nach dem derzeitigen Termin, also nach dem 29. März, führen. Schon jetzt hat der Wahlkampf für die Europawahlen im Mai begonnen. Das Europaparlament muss einer möglichen Austrittsvereinbarung zustimmen, was einen zusätzlichen Anreiz für eine Verzögerung schafft, vielleicht um ein ganzes Jahr.
Was bedeutet all dies für Investoren?
Währung
Das Neuberger Berman Team für Währungen und Anleihen geht davon aus, dass das Pfund bei einem weichen Brexit um etwa drei Prozent aufgewertet würde. Würde der Brexit ganz abgesagt, betrüge das Aufwertungspotenzial sogar zehn Prozent, und bei einem harten Brexit könnte das Pfund um zehn Prozent fallen. Die Wahrscheinlichkeit eines weichen Brexits beträgt aus unserer Sicht 60 Prozent, die eines harten 30 Prozent. Mit zehn Prozent Wahrscheinlichkeit wird der Brexit abgesagt. Diese Zahlen passen zum aktuellen Pfund-Kurs.
Ist Hinauszögern das Gleiche wie ein weicher Brexit?
Nicht wirklich. Selbst wenn es am Ende zu einer Verhandlungslösung kommt, die britische Regierung einige ihrer „roten Linien“ aufgibt oder der Brexit gar abgesagt wird, haben Unternehmen kaum eine andere Wahl, als sich auf einen harten Brexit vorzubereiten. Und genau das geschieht bereits: Es wird noch weniger in Großbritannien investiert, immer mehr Lieferketten sparen Großbritannien aus, Arbeitsplätze gehen verloren. Es braut sich etwas zusammen – aus Elementen eines harten und eines weichen Brexits.
Das Pfund scheint gemessen an langfristigen Kennzahlen wie der Kaufkraftparität unterbewertet, und einige britische Wirtschaftszahlen haben sich verbessert. Das liegt aber auch an der größeren Zahl von Touristen, angelockt durch das schwache Pfund, und an der vorgezogenen Nachfrage infolge immer neuer Anreize, um die Folgen eines möglichen harten Brexits abzumildern. Wir bleiben deshalb so lange vorsichtig, bis kein harter Brexit mehr droht oder er vollständig in den Kursen berücksichtigt ist. Doch das kann noch Monate dauern.
Aktien
Das Neuberger Berman Team für internationale Aktien möchte der mit den Brexit-Verhandlungen verbundenen Volatilität entgehen. In Großbritannien bevorzugt es daher Unternehmen, die weltweit tätig sind und bis zur Klärung der Situation stabil erscheinen. Unsere langjährigen Positionen in britischen Unternehmen, die von internationalen Wachstumstrends profitieren, schätzen wir weiter positiv ein. Zu solchen Trends zählen Big Data, Mehrwertdienstleistungen, sogenannten Value-Added Distributions sowie Spezial- und Lebensversicherungen in Nordamerika und den Emerging Markets.
Da in puncto Währung, Geldpolitik, Fiskalpolitik und Verbrauchernachfrage so vieles unklar ist, möchte das Team aber auf günstigere Einstiegszeitpunkte warten, bevor es in binnenwirtschaftlich orientierte Firmen wie Banken und Immobilienentwickler investiert.
Letztlich bleibt die Unsicherheit bis Ende Februar und wohl auch darüber hinaus bestehen. Zwei Drittel des britischen BIP entfallen auf den Konsum, und ein Zehntel auf Unternehmensinvestitionen. Bis zum Stichtag bleiben weniger als zwei Monate, und wir müssen abwarten, ob Großbritannien ein weicher Brexit gelingt, der die kurzfristigen wirtschaftlichen Schäden begrenzt – oder ob uns eine Zeit mit deutlich weniger Investitionen und einem schwächeren Verbrauchervertrauen bevorsteht.
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