Kommentar zum Koalitionsvertrag

Trotz des verständlichen Wunsches nach einer stabilen Regierung in weltpolitisch unruhigen Zeiten kann man dem Gedanken einer Fortsetzung der Großen Koalition tatsächlich nur wenig Zustimmung entgegenbringen. Dies liegt nicht allein an der Postenposse in der SPD, sondern insbesondere an der Tatsache, dass die CDU sich hier offenbar bereitwillig und ohne Gegenwehr zur Einnahme von Positionen erpressen lassen hat, die man von einer Partei, die einmal verstanden hatte, dass gerade die mittelständische Wirtschaft, die Kleinbetriebe und die Selbstständigen das Rückgrat der wirtschaftlichen Leistungs­ und Innovationsfähigkeit des Landes bilden, nicht erwarten konnte.

Der Koalitionsvertrag ist eine in weiten Teilen inhaltsleere, vor Allgemeinplätzen und Selbstverständlichkeiten strotzende Selbstdarstellung, bei der offensichtlich der aufgeblähte Umfang von 179 Seiten als Begründung für die so langwierige Erstellung dienen soll. Erschreckend hierbei ist, was trotz der Länge des Vertrages nicht den Weg in das Arbeitsprogramm der zukünftigen Regierung gefunden hat und was tatsächlich von ihr als vermeintlich prioritär erachtet wird.

Die Ausführungen zum Finanzmarkt vermitteln streckenweise den Eindruck, als seien sie unmittelbar von der Bankenlobby diktiert worden. Im Bereich der Bankenregulierung wird durch die Koalitionäre eine Überregulierung erkannt und den kleineren Instituten eine Entlastung in Aussicht gestellt. So soll sich der Bankenstandort Deutschland in freudiger Erwartung des Brexits attraktiv herausputzen, um Ansiedlungen zu erleichtern.

Gleichzeitig meint man jedoch, zum Zwecke einer vermeintlich qualitativen Verbesserung der Finanzaufsicht die freien Finanzanlagenvermittler schrittweise der Aufsicht der BaFin unterstellen zu müssen. Die Politiker der Großen Koalition zeigen sich hierbei erschreckend vergesslich und erkennen offenbar nicht, dass eine Übertragung von immer mehr Aufgaben auf die BaFin nicht zu deren Stärkung beiträgt, sondern diese bei der Erfüllung ihrer Kernaufgaben empfindlich schwächt, und sie so weiterhin nicht in die Lage versetzt, ihre volkswirtschaftlich tatsächlich existenzielle Kontrollaufgabe zu erfüllen.

Die BaFin muss in ihren Kernaufgaben gestärkt werden

Die BaFin hat, selbst wenn man nur die Skandale der letzten Jahre betrachtet, erschreckend lange eine bloß passive Beobachterstellung eingenommen und war ­ auch durch Versäumnisse der Großen Koalition ­ offensichtlich nicht in der Lage, ihrer Aufsichtsfunktion im gehörigen Maße nachzukommen. Dies hat sowohl die Reputation deutscher Banken als auch das Vertrauen der Bundesbürger in das Bankensystem und seine Aufsicht untergraben.

Bankenrettungsfonds und Bad Banks verstärken den Eindruck, dass stets der Steuerzahler das Fehlverhalten der Banken und das Versagen ihrer Aufsicht auszugleichen hat. Nur mit extremer Vergesslichkeit ist daher die jetzige Prioritätensetzung im Koalitionsvertrag zu erklären. Der Erinnerung ist daher bereits allein durch die Benennung von drei Vorgängen aus den letzten Jahren nachzuhelfen.

Libor/Euribor Skandal

Bereits im Jahr 2011 wurde aufgedeckt, dass sich auch deutsche Banken an der betrügerischen Manipulation der internationalen Referenzzinssätze Libor und Euribor beteiligt haben. Der weltweite Schaden beläuft sich vorsichtig geschätzt auf bis zu 20 Milliarden Euro. Auffällig ist hierbei, dass es erneut im Wesentlichen die britischen und die amerikanischen Aufsichtsbehörden waren, die von den manipulativ tätig gewordenen Großbanken Strafen in Milliardenhöhe einzogen. Die Deutsche Bank verständigte sich im April 2015 auf eine Strafzahlung an die Aufsichtsbehörden der USA und Großbritanniens in Höhe von tatsächlich 2,5 Milliarden Dollar. Geschädigt wurden jedoch auch in erheblichem Umfang deutsche Verbraucher, Maßnahmen der deutschen Finanzaufsicht sind hier nicht bekannt.

Panama Papers

Durch die Offenlegung der Aktivitäten der panamesischen Kanzlei Mossack Fonseca, welche in weltweiter Zusammenarbeit mit Banken die Gründung von Offshore­Firmen zur Steuerhinterziehung unterstützte, wurde offenbar, dass mehr als 1.200 dieser Briefkastenfirmen mit Hilfe deutscher Banken geschaffen worden waren; dabei taten sich erneut die Deutsche Bank aber auch die Privatbank Berenberg hervor, die tatsächlich trotz dieses Skandals seit April 2016 den Präsidenten des Bundesverbands deutscher Banken stellt. Zu den Kunden derartiger Offshore­Gründungen gehörte auch der ehemalige Finanzminister eines deutschen Bundeslandes. Der Schaden, der insgesamt durch das Betreiben illegaler Offshore­Briefkastenfirmen pro Jahr ausgelöst wird, wird auf annährend 200 Milliarden Dollar geschätzt. Die BaFin ist derzeit noch mit der Aufarbeitung und Kontrolle der diesbezüglichen Aktivitäten von mehr als 10 großen deutschen Banken beschäftigt und die Schlussergebnisse liegen noch nicht vor.

Cum­Ex­Skandal

Eigentlich noch nicht in Vergessenheit geraten sein sollte der Umstand, dass durch illegales sogenanntes Dividendenstripping der deutsche Staat um Milliardenbeträge geprellt wurde. Insgesamt geht man von einem Schaden von über 30 Milliarden Euro dadurch aus, dass sich von Banken unterstützte Betrüger die einmal von ihnen gezahlte Kapitalertragsteuer bis zu zehnmal erstatten ließen. Mutmaßliche Mitwirkende waren hierbei auch 40 deutsche Banken, zu denen u. a. auch die HypoVereinsbank, die Landesbank Baden­Württemberg und die HSH Nordbank gehören, die zumindest bereits knapp 500 Millionen Euro Erstattungen geleistet haben. Die BaFin sorgt sich offenbar um die Finanzstabilität der von ihr beaufsichtigten Institute, da sie im Juli 2017 Fragebögen an die beaufsichtigten 1.800 Banken versandte, um in Erfahrung zu bringen, mit welchen Rückzahlungsverpflichtungen diese auf Grund des aufgedeckten Skandals rechnen. Auch hier wurde der Skandal weder durch die BaFin verhindert, noch durch sie aufgedeckt, im Gegenteil: die Aufsicht spielt erneut lediglich eine passive Rolle.

Koalition bleibt Antworten schuldig

Es gibt also für eine neue Große Koalition genug zu tun, um die Bankenaufsicht effektiv zu stärken, das Vertrauen der Bürger in die Rechtmäßigkeit der Tätigkeiten großer deutscher Bankinstitute wieder zu entfachen, und das Entstehen weiterer Milliardenschäden zumindest unwahrscheinlicher zu machen. Eine Antwort auf die vorstehenden Skandale, und Gedanken zu ihrer Verhinderung in der Zukunft durch eine schlagkräftige Finanzaufsicht, war der verständliche Anspruch an den Koalitionsvertrag. Diese sucht man hier vergebens. Stattdessen meint die Große Koalition eine Aufgabe bei den freiberuflich tätigen Anlagevermittlern und Beratern gefunden zu haben, ohne dies auch nur im Ansatz zu begründen, da Fehlentwicklungen, wie die vorstehend dargestellten, in dieser Berufsgruppe tatsächlich nicht zu finden sind, insbesondere nicht im Hinblick auf die gewaltigen Schadensummen. Bezeichnend für die Arbeit der Großen Koalition in der zurückliegenden Legislaturperiode ist, dass es nicht gelungen ist, innerhalb der auf drei Jahre verlängerten Umsetzungsfrist der MiFID II die Finanzanlagenvermittlerverordnung anzupassen.

Für freie Finanzanlagenvermittler besteht eine funktionierende Aufsicht

Es gibt seit 2013 ein funktionierendes Aufsichts­ und Kontrollsystem für die freien Finanzanlagenvermittler! Dies gilt gerade in den Bundesländern, in denen es von den Handelskammern organisiert wird. Die persönliche Kontrolle eines jeden freien Finanzanlagenvermittlers im Wege der Abgabe jährlicher Prüfberichte eines Wirtschaftsprüfers und deren Nachkontrolle durch die jeweilige IHK greifen hier sehr gut ineinander. Dieses System ist viel näher an dem zu Beaufsichtigenden als es eine zentrale Behörde wie die BaFin sein kann. Berichterstattungen zu flächendeckenden Fehlberatungen, wie sie etwa bei der Vermittlung von Lehmann­Papieren durch die Sparkassen erfolgten, existieren seit der Einführung dieses Kontrollsystems tatsächlich nicht. Zudem hat der Gesetzgeber durch das Kapitalanlagegesetzbuch auch im Bereich der Alternativen Investmentfonds eine Produktregulierung geschaffen, die Probleme aus dem zurückliegenden grauen Kapitalmarkt ad acta gelegt haben. Man darf nie vergessen, dass die freien Finanzanlagenvermittler nur vermittelnd und beratend tätig werden können und zu keinem Zeitpunkt Zugriff auf das Geld­ oder Anlagevermögen ihrer Kunden haben. Eine Solvenzaufsicht, wie sie die BaFin im Wesentlichen weiterhin darstellt und auch darstellen sollte, ist daher bei dieser Berufsgruppe nicht erforderlich.

Die BaFin selbst hat in mehreren Anhörungen darauf aufmerksam gemacht, dass sie die Wahrnehmung der Aufsicht über die § 34 f­Berater durch ihre Behörde nicht als sinnvoll erachtet. Auch der ausgeschiedene Finanzminister, Wolfgang Schäuble, hat dies immer als unsachgemäß zurückgewiesen und wusste durchaus um die Defizite der Bankenaufsicht, die es zu verbessern galt. Sein kritischer Sachverstand fehlt dieser Großen Koalition offenbar bereits jetzt. Ihr Agieren ist das des Gärtners, der mit der Lupe nach Schmetterlingsraupen sucht, weil er sich um das Blattwerk seiner Rosen sorgt, während hinter ihm die Wildschweine die Bete umgraben.

Verantwortlich für den Inhalt:

Votum e.V., Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungs­Unternehmen in Europa e.V., Glockengießerwall 2 , D­20095 Hamburg
Tel.: 040 / 696 508 ­ 11 , Fax: 040 / 696 508 ­ 88
www.votum­verband.de