Die EU-Vorgaben für Nachhaltigkeit werden komplett neu ausgewürfelt. In Brüssel agiert man offenbar nach dem Motto ‘Versuch macht klug’ bzw. ‘Trial and Error’. Aktueller Anlass: Die ESMA hat vor kurzem (im Mai 2024, vgl. ‘k-mi’ 20/24) die sog. ‘Leitlinien für Fondsnamen’ veröffentlicht.

“Diese werden die bisherige BaFin-Verwaltungspraxis zu nachhaltigen Investmentvermögen vollständig ablösen”, teilt die deutsche Finanzaufsicht dazu jetzt im Stile von ‘Zurück auf Los!’ mit. Inoffiziell war dies schon in den letzten Wochen seit Mitte Mai bei Neuemissionen zu beobachten: KVGen, deren Vorgänger-AIF letztes Jahr noch als Artikel-9-Fonds aufgelegt wurden, taten dies nun bei ganz neuen AIF plötzlich nicht mehr, obwohl sie explizit ‘nachhaltig’ investieren. Besonders konsistent und kohärent sind diese Kapriolen des EU-Rechts, mit denen sich Anbieter und Vertriebe (und auch die BaFin selbst) herumschlagen müssen, sicher nicht. Zusätzliche Vertriebsimpulse für nachhaltige Investments entstehen dadurch auch nicht, eher im Gegenteil (vgl. ‘k-mi’ 22/24). Man mag sich auch gar nicht ausmalen, was allein an Kosten und Aufwand entstehen, Vertriebsmaterial, Zeichnungsstrecken und sonstige Prozesse ständig an das Brüsseler Experimentier-Labor für Nachhaltigkeit anzupassen.

Bislang war es schon umständlich und aufwendig genug, den ESG-Paragraphen-Dschungel einigermaßen zu roden, um sich in diesem ‘Buch mit sieben Siegeln’ für kurze Zeit einen halbwegs akzeptablen Überblick zu verschaffen. War dies nun alles vergebene Liebesmüh? Höchste Zeit also – wie Sisyphos – den Felsblock, der gerade kurz vor dem Gipfel zum Fuße des Bergs heruntergerollt ist, wieder heraufzurollen und zu schauen, ob das ganze Thema nun etwas übersichtlicher wird. Man darf ja noch fromme Wünsche haben. Die ESMA-Leitlinien unterscheiden gemäß BaFin grundlegend drei Begriffsgruppen:  ++ Transition-, sozial- oder Governance-verwandte Begriffe  ++ Umwelt- oder Impact-verwandte Begriffe  ++ Nachhaltigkeit-verwandte Begriffe. Darüber hinaus müssen KVGen laut BaFin weitere Bedingungen erfüllen, je nachdem welchen Begriff sie im Fondsnamen nutzen. Die ESMA lege dabei nicht nur fest, wie und in welcher Höhe der Fonds in bestimmte Vermögensgegenstände investieren muss, damit er in einer bestimmten Art und Weise bezeichnet werden darf. Sie führt darüber hinaus unterschiedliche Mindestausschlüsse ein. Diese richten sich nach der sog. Benchmark-Verordnung (EU) 2016/1011. Diese enthält zwei nachhaltigkeitsbezogene Referenzwerte: Den sog. Referenzwert für den klimabedingten Wandel (Climate Transition Benchmark CTB) und den Paris-abgestimmten EU-Referenzwert (Paris-Aligned Benchmark PAB), wobei der PAB mehr und höhere Mindestausschlüsse enthält, also laut BaFin “strenger” ist.

Je nach Bezeichnung des jeweiligen Fonds gelten entweder die strengeren Mindestausschlüsse des PAB oder die weniger strengen Ausschlüsse des CTB. So muss z. B. ein Fonds, der ‘Transition’ oder ‘Transformation’ im Namen hat, die weniger strengen Ausschlüsse des CTB beachten. Für einen Fonds, dessen Namen den Begriff ‘Umwelt’ beinhaltet, gelten dagegen die strengeren Ausschlüsse des PAB. In der Praxis bedeutet das folgendes, so die Aufsicht: “Wenn ein Fonds in seinem Namen beispielsweise den Begriff ‘Umwelt’ verwendet, dann müssen 80 % des Fondsvermögens in Übereinstimmung mit den verbindlichen nachhaltigen Elementen der Anlagestrategie investiert werden. Zusätzlich müssen die vordefinierten nachhaltigkeitsbezogenen Ausschlüsse nach dem Paris-abgestimmten Referenzwert beachtet werden.” Hierfür gibt es eine Kriterienliste, wonach Investitionen in “Unternehmen” nicht möglich sind, die definierte Einnahmequoten bzgl. Öl, Waffen, fossiler Stromerzeugung etc. überschreiten. Für sog. ‘Transitionsfonds’ gibt es analoge Vorgaben, allerdings mit weniger strengen Ausschlüssen als bei Fonds, die einen umweltbezogenen Begriff im Namen führen.

Für die Bearbeitung aller neu eingehenden Emissionen berücksichtigt die BaFin ab sofort nur noch die Vorgaben der ESMA-Leitlinien: “Dies bedeutet insbesondere auch, dass nunmehr allein das Vorhandensein von Nachhaltigkeitsbegriffen im Fondsnamen eine Prüfung der Anlagebedingungen im Sinne der vormaligen Prüfung auf Erfüllung der Anforderungen der BaFin-Verwaltungspraxis begründet. Die Frage, ob ein Fonds als ‘explizit nachhaltig’ vertrieben wird, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle mehr.” Das Prozedere bei Bestandsfonds sieht so aus: “Bestehende Fonds, die nachhaltigkeitsbezogene Begriffe im Namen haben, müssen die Vorgaben voraussichtlich ab Frühjahr 2025 beachten. Das genaue Datum hängt von dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Übersetzungen der Leitlinien in allen offiziellen EU-Landessprachen auf der ESMA-Website ab”, so BaFin-Exekutivdirektor Dr. Thorsten Pötzsch. Für eine Umstellung kündigt die BaFin einen möglichst reibungslosen Übergang an und will den KVGen keine zusätzlichen Steine in den Weg legen: “Bei der Umstellung von Bestandsfonds mit Nachhaltigkeitsbezug auf die Anforderungen der ESMA-Leitlinien betrachtet die BaFin eine Anpassung der Anlagebedingungen in der Regel weder als eine Änderung der Anlagegrundsätze noch als eine anlegerbenachteiligende Änderung wesentlicher Anlegerrechte. Dies gilt insbesondere, wenn die Anlagebedingungen bereits den Anforderungen der bisherigen BaFin-Verwaltungspraxis zu nachhaltigen Investmentvermögen entsprechen. Ebenso gilt dies, wenn die Angaben im vorvertraglichen ESG-Anhang zum Verkaufsprospekt von Fonds, die ihre Nachhaltigkeitsmerkmale nach Artikel 8 oder Artikel 9 der EU-Offenlegungsverordnung (VO (EU) 2019/2088, SFDR) offenlegen, bereits Mindestzusagen und Ausschlusskriterien als verbindliche Merkmale der ESG-Strategie enthalten, die mit den Ausschlüssen der ESMA-Leitlinien vergleichbar sind.”

Bleibt noch das Problem der Rückwirkung auf ausplatzierte geschlossene AIF: Hier besteht ja keinerlei Gefahr von Greenwashing, da kein Marketing mehr an Privatanleger erfolgt. Auf den Zweitmarkt agieren im Grunde nur professionelle Investoren. Trotzdem will die ESMA ausplatzierte AIF ebenfalls den ESG-Namens-Leitlinien unterwerfen und hat dabei die deutliche Kritik in der Konsultation in diesem Punkt ignoriert (vgl. ‘k-mi’ 20/24: “ESG-Fondsnamen: ESMA beharrt auf Rückwirkungs-Schnapsidee”). Müssen ältere Öko-Fonds, die nicht mehr im Vertrieb sind, nun umbenannt oder nochmal umgestrickt werden? Wir haben bei der BaFin nachgefragt, wie die Aufsicht in Deutschland nun damit umgeht, also konkret:  ++ Was fällt eigentlich unter der Begriff Bestandsfonds? Auch (alte) Bürgerenergiebeteiligungen und Vermögensanlagen mit Ökoschwerpunkt (im Fondsnamen)?  ++ Werden unter Bestandsfonds auch geschlossene Fonds erfasst, deren öffentliches Angebot und/oder deren Platzierungszeitraum bereits abgelaufen ist?

Zum ersten Punkt teilt die BaFin uns mit, dass gemäß Abschnitt. 6.1, Rz. 1-3 der ESMA-Leitlinien zu Fondsnamen “diese für OGAW-Verwaltungsgesellschaften (einschließlich OGAW, die keine Verwaltungsgesellschaft designiert haben), AIF-Verwaltungsgesellschaften (einschließlich intern verwalteter AIF), EuVECA, EuSEF und ELTIF sowie MMF-Manager gelten”. Demnach sind Vermögensanlagen inkl. Bürgerenergiebeteiligungen aus dem Schneider! Beim 2. Punkt gilt gemäß den ESMA-Leilinien, die bewusst nicht zwischen offenen Fonds und geschlossenen Altfonds/AIF unterscheiden, laut BaFin die Devise ‘mitgefangen, mitgehangen’: “Die ESMA-Leitlinien (Abschn. 6.1, Rz. 6) gelten auch für die­jenigen Fonds, die bereits aufgelegt waren, bevor die Leitlinien in allen offiziellen EU-Landessprachen auf der Internetseite der ESMA veröffentlicht werden und die nachhaltigkeitsbezogene Begriffe im Fondsnamen verwenden. Diese müssen die ESMA-Leitlinien neun Monate nach der Veröffentlichung der Leitlinien in allen offiziellen EU-Landessprachen auf der Internetseite der ESMA anwenden. Dabei unterscheiden die ESMA-Leitlinien nicht danach, ob der Vertrieb der Fondsanteile bereits beendet ist oder nicht.”

‘k-mi’-Fazit: Ob die neuen Nachhaltigkeitsregeln für Fonds nun den Durchbruch für mehr Verständlichkeit und Stringenz bringen und das bisherige Chaos beseitigen, muss sich erst zeigen. Zumindest ist das deutliche Bemühen der BaFin in der neuen Aufsichtsmitteilung erkennbar, für mehr Verständlichkeit zu sorgen. Die Rückwirkung auf geschlossene Altfonds kommt aber wie von uns befürchtet wohl leider! Gegenüber ‘k-mi’ lässt die BaFin durch ihre abschließende Anmerkung, dass sie sich “im Rahmen der zuständigen ESMA Gremien und in Abstimmung mit den anderen europäischen Aufsichtsbehörden auch weiterhin für die Klärung der offenen Auslegungs- und Anwendungsfragen engagiert”, ein kleines Hintertürchen offen. Ob aber die Rückwirkung auf Geschlossene AIF eine solche ‘offene Anwendungsfrage’ darstellt oder es noch wird, ist derzeit noch unklar. Aber ‘k-mi’ wird natürlich konstruktiv darauf hinwirken.

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