Carsten Roemheld, Kapitalmarktexperte bei Fidelity International, kommentiert den zehnten Jahrestag der Lehmann-Insolvenz.
Wirtschaftliche Auswirkungen politischer Entscheidungen werden noch zu häufig unterschätzt
Lösungen für Krisen können nur gemeinschaftlich gemeistert werden
Anleger sollten Herdentrieb bei Fonds-Rennlisten überdenken
Normalerweise sind runde Geburtstage ein Grund zu feiern. Die Insolvenz der US-amerikanischen Lehman-Bank jedenfalls, die sich aktuell zum zehnten Male jährt und die Kapitalmärkte bis ins tiefste Mark erschütterte, ist sicherlich kein Grund zum Feiern. Und „Normalität“ hat sich an den Finanzmärkten seitdem auch nicht wieder eingestellt. Die von Lehman ausgelöste Vertrauenskrise stellt noch immer eine Zäsur für die Kapitalmärkte dar. Die globalen Zentralbanken begannen eine beispiellose Nullzinspolitik, deren Rückführung sich noch immer als sehr schwierig erweist. Auch die in der Folge deutlich verschärften Regularien zwangen die Akteure auf den Finanzmärkten zum Umdenken.
Ernüchtert muss man dennoch feststellen, dass sich die Lerneffekte aus der Krise in Grenzen halten. Zwar ist das Finanzsystem durch deutlich verbesserte Eigenkapitalausstattungen des Bankensektors heute wesentlich robuster aufgestellt, die globalen Schuldenstände und die zum Teil zu beobachtenden nationalistischen und protektionistischen Bestrebungen einiger Länder geben jedoch Anlass zur Sorge. Stellte man sich heute die Frage, ob sich ein Lehman-Szenario wiederholen könnte, wären zwei zentrale Fragen zu beleuchten:
Würden die globalen Institutionen mit den heutigen Kenntnissen in gleicher Weise wieder handeln?
Welche Szenarien würden heute eine solche globale Vertrauenskrise herbeiführen?
Zum ersten Punkt dürfte aktuell kaum ein Zweifel daran bestehen, dass man sich bei einer Lehman-2.0.-Krise heute anders entscheiden würde. Die Folgen der Lehman-Insolvenz und die nicht vorherzusehenden Dominoeffekte auf zahlreiche andere wichtige Institute im Nachgang würden vermieden.
Bei Punkt zwei käme als möglicher Auslöser unmittelbar ein erneutes Aufflammen der Euro-Krise in den Sinn, da sich einzelne Nationen in vielen politischen und wirtschaftlichen Fragen selbst näher sind als der Gemeinschaft. Der schwerfällige Umgang mit der Flüchtlingskrise in Europa und die Diskussionen um die Zukunft des Euro lassen darüber hinaus Zweifel an der Bereitschaft aufkommen, gemeinsame Lösungen zu finden. Es gibt jedoch auch Gegenbeispiele: Die Rettung Griechenlands war ohne Frage für Investoren schmerzhaft und teuer, aber zumindest in dem Punkt effektiv, dass eine deutlich größere Krise vermieden wurde.
Die Rettung einzelner Unternehmen sowie die Bereitstellung von Hilfspaketen für in Schieflage gekommene Euro-Länder birgt immer Gefahren des sogenannten „moral hazard“. Das heißt, es fehlt der Wille der Betroffenen, festgelegte Regeln einzuhalten, da die Gemeinschaft keine Eskalation der Situation riskiert und ohnehin für eine Lösung einsteht, . Gerade dieser Aspekt ist vielen Steuerzahlern nicht zu vermitteln, obwohl die Kosten einer Pleite viel teurer wären als die Rettung eines Einzelnen.
Welche Lehren muss der Anleger aus Lehman ziehen?
Anlegern bleibt zehn Jahre nach Lehman nur die Erkenntnis, dass sie sich noch intensiver mit ihrer Geldanlage auseinandersetzen müssen. Die Märkte werden wieder Krisen erleben – einzig der Zeitpunkt ist unklar. Um gewappnet zu sein, hilft es, sich stärker mit den Finanzmärkten und ihren Risiken auseinanderzusetzen und sein Portfolio entsprechend darauf auszurichten. Dabei hilft eine langfristig ausgerichtete Anlagestrategie, die insbesondere auf die fundamentalen Perspektiven der Unternehmen abstellt. Der bloße Herdentrieb hinein in die aktuell erfolgreichsten Produkte in den Rennlisten, bei denen Anleger oftmals gar nicht wissen, in welchen Märkten oder Branchen sie investiert sind, kann ein böses Erwachen nach sich ziehen.
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