Die Kurse klettern, die Märkte feiern, als ob die Themen Rezession und Inflation bereits abgehakt wären.
„Das trifft zumindest für den US-Raum auch weitgehend zu“, sagt Mathias Beil, Leiter Private Banking bei der Hamburger Sutor Bank. „Doch der Blick nach Europa ist da noch nicht ungetrübt.“ Trotzdem werden die Themen jetzt ausgepreist, die Kurse können weiter steigen, so der Kapitalmarktexperte.
Die restriktive Geldpolitik der Notenbanken mit den extrem schnellen Zinserhöhungen hat Wirkung gezeigt. „Und zwar in zweierlei Hinsicht“, erklärt Beil: „Zum einen wurde der Preisauftrieb gedämpft, zum anderen aber vor allem den Märkten das Gefühl der Zuversicht zurückgegeben.“ Durch die Verknappung des Geldes durch die höheren Zinsen wurde die Wirtschaftsdynamik gebremst, der Druck hin zu Preissteigerungen dadurch reduziert. Zudem haben zumindest im US-Markt viele Unternehmen reagiert und massiv Mitarbeiter entlassen. Die jüngsten Entlassungen bei den großen Tech-Firmen sind dabei nur die Spitze des Eisbergs.
Hohe Inflation in Europa nicht gebannt – doch Märkte euphorisch
Auf diese Weise wurde verhindert, dass eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt. „In Europa sieht das anders aus“, sagt Beil. „Angesichts der Forderungen der Gewerkschaften ist es durchaus möglich, dass diese Spirale hier gestartet wird und so das Thema Inflation noch eine ganze Weile fester Begleiter der Märkte sein wird.“ Denn höhere Personalkosten werden von den Unternehmen genau wie höhere Kosten bei Energie an die Kunden weitergegeben. Die Haushalte brauchen dann mehr Geld, für den Lebensunterhalt, die Gehaltsforderungen nehmen zu und so weiter.
Interessant ist, dass trotz dieser bekannten Risiken auch die europäischen Märkte sich von der Euphorie anstecken lassen. „Der Dax ist seit Jahresanfang um fast 11 Prozent gestiegen, während der S&P 500 im gleichen Zeitraum nur gut 7 Prozent zugelegt hat“, sagt Beil. „Die Begründung dafür kann nicht in der Stärke der europäischen Wirtschaft liegen, aber in den USA werden seit August die Gewinnschätzungen vieler Unternehmen reduziert.“
Märkte Vertrauen Notenbanken und gewichten Risiken unter
Doch kann ein Kursanstieg nachhaltig sein, der Risiken einfach ausblendet? „Ja, das ist durchaus möglich und vielleicht erleben wir gerade eine solche Phase“, sagt Beil. „Die Märkte haben sich entschieden, die Risiken geringer zu gewichten und den Notenbanken zu vertrauen.“ Obwohl bislang in der Geschichte auf starke Zinserhöhungen auch in der Regel Rezessionen folgten, wollen die Märkte jetzt die Ausnahme von der Regel sehen.
Und sie haben gute Chancen. „Je länger die Aufschwungphase dauert, desto mehr Investoren werden unruhig, die noch nicht oder nicht voll investiert sind“, sagt Beil. „Derzeit sind die Barmittelquoten in Fonds und bei Anlegern sehr hoch, was für eine vorsichtige Zurückhaltung spricht.“ Immer mehr werden die an der Seitenlinie stehenden Investoren aber durch den Kursanstieg fast gezwungen sein, in den Markt zurückzukehren. „Und wenn diese Welle einsetzt, ist so viel Geld zur Investition verfügbar, dass durchaus neue Allzeithochs bei Aktien möglich sind. Allerdings eher in den USA als in Europa“, sagt Mathias Beil.
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