An „Environmental, Social und Governance“ oder kurz ESG führt in der Assekuranz kein Weg mehr vorbei. Welche Fortschritte die Branche bei der Nachhaltigkeit macht, zeigt der ESG-Report 2022 von Franke und Bornberg.
Die Assekuranz kennt viele Hebel für nachhaltiges Handeln, angefangen beim Verbrauch im eigenen Betrieb über Mitarbeiterorientierung, Kapitalanlagestrategien und Ausschlüsse bis hin zum Nichtversichern bestimmter Branchen. Für den ESG-Report 2022 hat Franke und Bornberg zum zweiten Mal alle deutschen Erstversicherer nach diesen und weiteren Aspekten von Nachhaltigkeit untersucht. 26 Versicherer und damit drei mehr als im Jahr zuvor beteiligten sich an der Untersuchung. Betrachtungszeitraum war das Jahr 2020.
Michael Franke, geschäftsführender Gesellschafter von Franke und Bornberg und Impulsgeber für den ESG-Report, skizziert die Motivation: „Der Klimawandel betrifft uns nicht erst morgen. Schon heute sind wir mittendrin in der entscheidenden Dekade. Laut Weltklimarat IPCC können nur noch drastische Emissionsminderungen und drei- bis sechsmal höhere Investitionen helfen, unter dem 1,5-Grad-Limit zu bleiben. Armut, Hunger, fehlende Bildung und schlechte Gesundheitsversorgung bedrohen weltweit unzählige Menschen, Regionen und ganze Staaten. Das muss sich ändern, und zwar schnell. Die Finanz- und Versicherungsbranche kann dabei einen wesentlichen Beitrag leisten. Der ESG-Report von Franke und Bornberg untersucht, ob die Branche diese Chance wirklich ergreift.“
ESG-Report 2022: E wie Environmental
Ob Papier, Wasser, Energie, Abfall oder Dienstreisen – der ESG-Report listet wieder zahlreiche Detailwerte auf. Für bessere Vergleichbarkeit wurden die Angaben als Vollzeitäquivalente abgefragt (FTE: Full Time Equivalent). Aber nicht immer beziehen die Unternehmen alle Standorte bei ihren Angaben ein. Ausgelagerte oder an Dienstleister vergebene Aufgaben wie Kantine, Haustechnik und Fuhrpark bleiben oft unberücksichtigt. Das führt zu Verwerfungen. So reicht die Bandbreite beim Wasserverbrauch je nach Unternehmen von 2,3 Kubikmetern pro FTE bis hin zu 20,25 Kubikmetern pro Jahr.
High Energy: Jeder zweite Versicherer im hohen Stromverbrauch
In Deutschland verbrauchen Ein-Personen-Haushalte rund 2.500 kWh Strom pro Jahr. Dieser Wert könnte mit energiesparendem Verhalten noch niedriger sein. Versicherungsunternehmen liefert dieser Durchschnittsverbrauch einen Orientierungswert, der nicht überschritten werden sollte. Doch von 20 Unternehmen, die Angaben hierzu lieferten, schaffen es gerade mal neun, unter 2.500 kWh zu bleiben. Ein Ausreißer kommt sogar auf mehr als das zwanzigfache des Durchschnittsverbrauchs. Als energiebewusst erweisen sich beim ESG-Report Bayern-Versicherung, DEURAG, die Bayerische, SV SparkassenVersicherung, Stuttgarter, Swiss Life, vigo, VOLKSWOHL BUND, Waldenburger und Zurich.
Zwischen einzelnen Verbräuchen gibt es manchmal interessante Zusammenhänge. So verbrauchen Gesellschaften mit hohem Stromverbrauch oft auch viel Wasser. Die gleiche Beobachtung lässt sich beim Wasser- und Heizverbrauch machen. Die Beispiel zeigen: In Unternehmen ist Nachhaltigkeit kein Zufall, sondern eine Managementaufgabe.
Verbräuche in Zeiten von Corona
Hat die Corona-Pandemie Einfluss auf die Verbräuche? Um dies zu untersuchen, hat Franke und Bornberg die Verbräuche pro FTE der jeweiligen Home-Office-Quote gegenübergestellt. Die Korrelationen fielen allerdings anders aus als erwartet. Tendenziell verbrauchten Versicherer mit einem hohen Home-Office-Anteil mehr Strom als Unternehmen mit einem niedrigen Anteil. Der Stromverbrauch hängt also nur wenig von der Anzahl der Mitarbeitenden vor Ort ab. Andere Faktoren wie Energiesparmaßen, aber auch die Auslagerung energieintensiver Abteilungen spielen offensichtlich eine wichtigere Rolle. Ausgelagerte Abteilungen werden oft nicht in die Berechnung von Verbräuchen wie Wasser, Strom und Heizung einbezogen. Zudem unterscheiden sich bei den Gesellschaften Anteil und Umfang der ausgelagerten Prozesse.
ESG-Report 2022: S wie Social
Eigentum verpflichtet. Unternehmen müssen neben ihrem Ertrag auch das Wohl von Menschen und Gesellschaft im Auge haben. Der aktuelle ESG-Report untersucht das Innenverhältnis, also Arbeitsbedingungen, Sozialleistungen etc., für Beschäftigte. Dafür hat Franke und Bornberg sich u. a. für Angebote zur betrieblichen Gesundheitsförderung interessiert. Spitzenreiter sind Betriebssport und professionelle Hilfsangebote. Beide bieten gute Chancen für mehr Arbeitszufriedenheit und Fitness sowie weniger Ausfallzeiten durch Krankheit. Für das Problem, Beruf und Familie besser zu vereinbaren, haben die beteiligten Versicherer ebenfalls eine Reihe von Angeboten entwickelt. Die Top 3 sind Home Office, Flexible Arbeitszeiten und Angebote zur Kinderbetreuung.
ESG-Orientierung der Kapitalanlagen
2020 beliefen sich die Kapitalanlagen der Erstversicherer in Deutschland auf 1.762 Mrd. Euro. Im selben Jahr betrug der Bundeshaushalt ca. 442 Mrd. Euro und die Marktkapitalisierung aller DAX 30 Unternehmen rund 1.081 Mrd. Euro. Mit diesem Investitionsvolumen kann die Versicherungswirtschaft enorme Lenkungswirkung auf andere Unternehmen und Branchen entwickeln. Verordnungen der EU beschleunigen die Ausrichtung der Assekuranz an ESG-Kriterien. Strategien für nachhaltige Kapitalanlagen gibt es einige. Am weitesten verbreitet im Kontext Nachhaltigkeit sind Ausschlusskriterien, auch Negativkriterien genannt. Sie definieren vorab, in welche Staaten, Branchen oder Unternehmen nicht investiert werden darf. 19 von 26 Versicherern setzen auf diese Strategie.
Die vier häufigsten Ausschlüsse für Staaten sind Korruption, Verstöße gegen die Pressefreiheit, NichtRatifizierung des Übereinkommens von Paris sowie Verhängung der Todesstrafe. Bei den Ausschlusskriterien für Unternehmen lassen sich zwei klare „Favoriten“ herauskristallisieren: Waffen und Kohle. Menschenrechtsverletzungen sowie Verstöße gegen den UN-Wertekanon UN Global Compact folgen auf der „No-Go-Liste“ für Unternehmensbeteiligungen.
Wird die Assekuranz nachhaltiger?
Im Vergleich zum ESG-Report 2021 zeigen sich aktuell einige positive Entwicklungen. So ist der Wasserverbrauch der Versicherer im Durchschnitt um 2 Kubikmeter je Vollzeitbeschäftigten gesunken. Der niedrigste und höchste Wert lagen beim ersten ESG-Report noch bei 4,92 bzw. 24,45 Kubikmeter pro FTE, im ESG-Report 2022 zwischen 4,2 und 20,25 Kubikmeter pro FTE. Ebenfalls rückläufig ist der Stromverbrauch. Gegenüber dem ESG-Report 2021 liegt er jetzt im Durchschnitt um fast 200 kWh pro FTE niedriger. Die Top-Ebene der Assekuranz wird zudem weiblicher: Auf Vorstandsebene stieg der durchschnittliche Frauenanteil von 9,4 % auf 11 % und in den Aufsichtsräten von 24,7 % auf 29 %. Seit der letzten Umfrage nutzen die befragten Versicherer in ihrer Anlagepolitik deutlich mehr Ausschlüsse für Unternehmen. Das betrifft zum Beispiel Kohle und Ölsande (plus 15,4 %). Den größten Anstieg beobachtet Franke und Bornberg bei Ausschlüssen für Öl und kontroverse Waffen (plus 38,5 %).
Wie aussagekräftig sind Nachhaltigkeitsberichte?
Franke und Bornberg hat die Nachhaltigkeitsberichte und nichtfinanziellen Berichte der teilnehmenden Versicherer mit den Daten aus der Praxis verglichen. Von den 26 Unternehmen haben 18 einen Bericht veröffentlicht, davon zwölf Nachhaltigkeitsberichte und fünf nichtfinanzielle Berichte. Ein Versicherer widmet dem Thema Nachhaltigkeit im Geschäftsbericht ein eigenes umfassendes Kapitel. „Ein Nachhaltigkeitsbericht, der nicht auf anerkannten Standards basiert, ist nicht zwangsläufig weniger aussagekräftig“, erläutert Michael Franke. Für anerkannte Standards gelte das Prinzip „Comply or Explain“ („Befolge oder erkläre!“). In der Praxis werde aber häufig nur die „Explain“- Variante gewählt und damit kein Mehrwert geliefert. Ein anschauliches Beispiel liefern interne Guidelines, wie die zur Bevorzugung bestimmter Verkehrsmittel. Die Praxis weicht oft diametral davon ab. Problematisch sei zudem, dass fehlende Standards die Vergleichbarkeit zumindest erschwerten, wenn nicht sogar unmöglich machten. „Wer die Nachhaltigkeit von Versicherern auf Basis von Berichten mit unterschiedlichen Standards bewertet, vergleicht nicht selten Äpfel mit Birnen“, so Franke.
Fazit und Ausblick
Der ESG-Report 2022 zeigt: Die Assekuranz ist auf einem guten Weg in Richtung Nachhaltigkeit. „Im Vergleich zum Vorjahr beobachten wir bei den Versicherern einige Fortschritte. Aber wie sonst auch gibt es ESG-Pioniere, Mitläufer und Nachzügler“, konstatiert Michael Franke. Die Branche müsse jetzt geschlossen handeln und ihren Einfluss zum Wohl von Mensch und Umwelt geltend machen. Mit den ESG-Reports treibt Franke und Bornberg die konstruktive Debatte über nachhaltiges Handeln der Versicherungsbranche weiter voran. Aus diesem Grund stellt Franke und Bornberg den aktuellen Report 2022 interessierten Kreisen der Branche kostenlos zur Verfügung. Aufbauend auf dem ESGReport und angereichert um weitere Daten und Analysen wird in Kürze ein eigenständiges ESG- Rating für Versicherer veröffentlicht. Es nimmt die Nachhaltigkeit von Versicherern unter die Lupe und will auf diese Weise Standards für eine einheitliche und konsistente Berichterstattung mitgestalten und Orientierung für die Beratung bieten.
Ab dem 2. August 2022 müssen Vermittelnde in der Beratung zu Versicherungsanlageprodukten die Nachhaltigkeitspräferenzen von Kunden und Interessenten erheben und dafür passende Produkte anbieten. Nachhaltigkeitsziele und -wünsche sollen produktunabhängig in den Beratungsprozess einbezogen werden. Aufgrund fehlender Daten wird die Startphase jedoch von Problemen begleitet sein. Erst ab 2023 sind detailliertere Informationen in der Breite verfügbar. Bis dahin müssen Vermittler:innen die Produkte den Nachhaltigkeitspräferenzen zumindest teilweise ohne entsprechende Datengrundlage zuordnen. Ab Mitte Juli und damit rechtzeitig zum Start der Abfragepflicht unterstützt sie fb>xpert von Franke und Bornberg bei der Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen einschließlich Produktauswahl und Dokumentation. Die Produktratings von Franke und Bornberg untersuchen schon jetzt nachhaltige Produktfeatures und setzen damit Standards. Im Internetauftritt erläutert Franke und Bornberg die wichtigsten Begriffe rund um ESG für die Finanz- und Versicherungsbranche (Glossar Nachhaltigkeit).
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