AGCS-Bericht zeigt Trends für Risikomanager und Versicherer im Bereich „Directors and Officers“ (D&O) auf
Vorstandsmitglieder und Führungskräfte müssen weiter auf der Hut sein: Die gegenwärtige Marktvolatilität mit der zunehmenden Gefahr von Vermögensblasen und Inflation, die Aussicht auf eine steigende Zahl von Insolvenzen infolge der Pandemie und wachsende Anforderungen im Bereich Umwelt, Soziales und Governance sowie Cybersicherheit sind die wichtigsten Haftungsszenarien, die Vorstände und Top-Manager (Directors & Officers/D&Os) im Jahr 2022 im Auge behalten müssen. Dazu kommen potenzielle Risiken im Zusammenhang mit abgeleiteten Aktionärsklagen („shareholder derivative suits“) in den USA sowie rund um die immer beliebter werdenden SPACs (Special Purpose Acquisition Companies), so die jüngste D&O-Studie der Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS).
„Interessengruppen prüfen immer kritischer, was Unternehmen und ihr Management tun und wofür sie stehen – und dies führt oft zu Klagen und Prozessen“, beobachtet Shanil Williams, Global Head of Financial Lines bei AGCS. „Dies geschieht vor dem Hintergrund eines sich stabilisierenden D&O-Marktes, obwohl die Kapazitäten in einigen Segmenten immer noch knapp sind und viele Unternehmen gerne mehr Deckungsstrecken kaufen würden, als die Branche derzeit anbieten kann. Die Marktsanierung ist fortgeschritten – auch in unserem eigenen Bestand bei AGCS – und das wird die schwierige Situation für einige unserer Kunden verbessern. Wir verfolgen einen vorsichtigen und disziplinierten Underwriting-Ansatz und müssen im weiterhin volatilen Geschäftsumfeld wachsam bleiben und die Schadenentwicklung genau beobachten. Der Bereich der D&O-Versicherung bietet jedoch langsam, aber sicher wieder Chancen für profitables Wachstum in ausgewählten Bereichen – und wir sind bestrebt, diese zu nutzen.”
Insolvenzrisiken sind weiterhin ein zentrales Thema im D&O-Bereich
Das Auflaufen der Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmen, die während der Pandemie eingerichtet wurden, schafft die Voraussetzungen für eine allmähliche Normalisierung der Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2022, die künstlich auf niedrigem Niveau gehalten wurden. Der Euler Hermes Global Insolvency Index dürfte nach zwei aufeinanderfolgenden Jahren des Rückgangs (-6 % für 2021 und -12 % für 2020) im Jahr 2022 wieder um +15 % gegenüber dem Vorjahr steigen. Während die Insolvenzwelle bisher milder ausfiel als erwartet, werden künftig weltweit unterschiedliche Trends erwartet. In weniger entwickelten Märkten wie Afrika oder Lateinamerika wird die Zahl der Insolvenzen voraussichtlich schneller ansteigen als in Volkswirtschaften wie Frankreich, Deutschland und den USA. Traditionell ist die Insolvenz eine der Hauptursachen für D&O-Ansprüche, da die Insolvenzverwalter versuchen, die Verluste zu kompensieren. „Es gibt viele Möglichkeiten, wie Aktionäre oder andere Interessengruppen nach einer Insolvenz gegen Geschäftsführer vorgehen können, z. B. mit der Behauptung, dass diese versäumt haben, sich angemessen auf eine Pandemie oder auf längere Zeiträume mit geringeren Einnahmen vorzubereiten“, sagt Stephan Geis, Regional Head of Financial Lines von AGCS in Zentral- und Osteuropa.
Marktvolatilität, Klimawandel und Digitalisierung als Schlüsselthemen Finanzdienstleister, aber auch Unternehmen aus anderen Branchen sehen sich im gegenwärtigen Wirtschaftsklima weiterhin mit zahlreichen Herausforderungen beim Risikomanagement konfrontiert. Der Ausblick für die Märkte ist volatiler, da das Risiko von Vermögensblasen steigt und die Inflation in verschiedenen Teilen der Welt zunimmt. Gleichzeitig wird von mehr Banken und Versicherern erwartet, die Verantwortung für klimabedingte Risiken aus dem eigenen operativen Geschäft bzw. Vermögensanlagen selbst zu tragen und diese zudem angemessen und rechtzeitig zu dokumentieren und offenzulegen. Das sich verschärfende regulatorische Umfeld, die Aussicht auf Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Klimawandel oder „Greenwashing“ – aus all diesen Themen können sich potenziell Ansprüche gegen Top-Manager entwickeln.
In der Zwischenzeit hat sich die Digitalisierung im Covid-19-Umfeld weiter beschleunigt, was für die Unternehmen ein erhöhtes Risiko im Bereich der Cybersicherheit bedeutet. Dies erfordert von der Unternehmensleitung eine aktive Rolle bei der Steuerung des Risikomanagements rund um den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien. „IT-Systemausfälle oder Cyberangriffe könnten kostspielige Betriebsunterbrechungen und Mehrkosten verursachen, etwa für Kundenregressforderungen, Rechtsberatung, Umsatzrückgang und Geldbußen. Und nicht zuletzt kann auch der Ruf der Marke leiden. All dies kann sich letztlich auf den Aktienkurs eines Unternehmens auswirken und das Management kann für unzureichende Vorkehrungen in Haftung genommen werden“, sagt Geis.
Erhöhtes Risiko von Rechtsstreitigkeiten in den USA
Prozessrisiken sind nach wie vor eine Hauptursache für Schadenfälle in der D&O-Versicherung, insbesondere im Zusammenhang mit Aktionärsklagen, die gegen ausländische Unternehmen vor US-Gerichten anhängig sind. „Eine Reihe neu eingereichter Klagen in den USA, der lange Arm amerikanischer Gerichte, die immer häufiger Klagen gegen ausländische Unternehmen zulassen, und ein möglicherweise rekordverdächtiger Vergleich im Oktober 2021 deuten auf erhöhte Rechtsrisiken für Vorstände von Unternehmen mit US-Geschäft hin“, betont Geis.
Seit Anfang 2020 hat eine Gruppe von Anwaltskanzleien vor den Gerichten des Bundesstaates New York mehr als zehn Klagen im Namen von Aktionären nicht-amerikanischer Unternehmen eingereicht, um Geschäftsführer für Pflichtverletzungen rechtlich und finanziell zur Verantwortung zu ziehen. Die finanziellen Hürden für eine Klage in den USA sind deutlich niedriger als in vielen anderen Ländern, und die US-Gerichte und
-Jurys gelten traditionell als klägerfreundlich. Die Folgen für Top-Manager, die gezwungen sind, sich in Aktionärsderivatklagen vor US-Gerichten zu verteidigen, können schwerwiegend sein. Dies illustriert ein aktuelles Urteil: In einem möglicherweise rekordverdächtigen Vergleich in einem abgeleiteten Aktionärsklageverfahren erklärten sich das beklagte chinesische Unternehmen Renren („Facebook von China“) im Oktober dieses Jahres bereit, mindestens 300 Millionen US-Dollar zu zahlen, um einen Rechtsstreit beizulegen, in dem Aktionäre vor einem New Yorker Gericht der Unternehmensführung Fehlverhalten vorgeworfen hatten.
SPACs auf dem Prüfstand
Ein neues Risiko im Bereich der globalen D&O-Versicherung stellt die Zunahme der so genannten Special Purpose Acquisition Companies (SPACs) dar. Dabei handelt es sich um Mantelfirmen, die einen schnelleren Weg hin zu einer Börsennotierung ermöglichen. Zu den Vorteilen, die das Wachstum von SPACs gegenüber traditionellen Börsengängen (IPOs) vorantreiben, gehören reibungslosere Verfahren, geringere regulatorische und prozessuale Belastungen, einfachere Kapitalbeschaffung und kürzere Fristen für den Abschluss einer Fusion mit Zielunternehmen. In der ersten Jahreshälfte 2021 hat sich die Zahl der angekündigten und abgeschlossenen SPAC-Fusionen in den USA mit 359 SPAC-Anmeldungen und einem Gesamtvolumen von 95 Mrd. US-Dollar gegenüber dem Gesamtjahr 2020 mehr als verdoppelt. Das Wachstum von SPACs in Europa liegt zwar noch deutlich hinter dem in den USA, doch wird erwartet, dass es trotz des weniger günstigen Gesellschaftsrechts in den Staaten Europas weiter Fahrt aufnimmt. In Asien sind SPACs ebenfalls auf dem Vormarsch, insbesondere in China, Hongkong und Singapur.
SPACs sind mit einigen besonderen versicherungsrelevanten Risiken verknüpft; es wird bereits über erste D&O-Schadenfälle berichtet. Sowohl die SPAC als auch die private Zielgesellschaft versuchen in der Regel, D&O-Deckungen abzuschließen. Außerdem werden Prospekthaftungsversicherungen benötigt. „Die Risiken könnten sich aus Missmanagement, Betrug oder vorsätzlicher Falschdarstellung, ungenauen oder unzureichenden Finanzinformationen oder Verstößen gegen Vorschriften oder Offenlegungspflichten ergeben“, erläutert Geis.
Darüber hinaus könnten auch das Versäumnis, eine geplante Transaktion innerhalb der Zweijahresfrist abzuschließen, Insiderhandel während der Börseneinführung, Vorwürfe wegen einer falschen Auswahl des zu übernehmenden Unternehmens oder das Fehlen einer angemessenen Due-Diligence-Prüfung des Zielunternehmens eine Rolle spielen. Nach dem Zusammenschluss wird von Aktionären kritisch geprüft, ob das künftige Unternehmen die erwarteten Leistungen erbringt oder die neuen Pflichten eines börsennotierten Unternehmens erfüllt.
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