Marktkommentar – Anleihen von Carlos de Sousa, Investmentstratege und Portfoliomanager bei Vontobel
Die für viele westliche Regierungen überraschend schnelle Machtübernahme der Taliban in Afghanistan bringt neben menschlichem Leid und Angst vor einer ungewissen Zukunft auch Unruhe an den Anleihemärkten der Region. Zwar hat Afghanistan keine Staatsanleihen ausstehen, jedoch könnten die jüngsten Entwicklungen im Land die Nachbarländer Pakistan, Tadschikistan und Usbekistan, die Eurobonds ausstehen haben, erheblich beeinträchtigen. Die drei Hauptrisiken für diese Länder sind
- eine weitere Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan mit der latenten Gefahr eines Bürgerkriegs
- ein verstärkter Zustrom von afghanischen Flüchtlingen, der die Haushaltskosten in die Höhe treiben könnte
- eine mögliche Verschlechterung des politischen Umfelds, insbesondere in Pakistan, das ein wichtiger Verbündeter der neuen Taliban-Regierung sein dürfte.
In Usbekistan und Tadschikistan sind die Risiken für die Sicherheit und die politische Stabilität dank der militärischen und politischen Unterstützung durch Russland relativ gering. So hat Russland nur wenige Tage vor der Machtübernahme durch die Taliban eine gemeinsame Militärübung in Usbekistan und Tadschikistan entlang der afghanischen Grenze durchgeführt.
Pakistan auf wackligen Beinen
Die pakistanischen Eurobonds mit langer Laufzeit fielen am Montag um 1,8 Prozent, wobei sie einen Teil der Verluste in den folgenden Tagen wieder aufholten. Pakistan war bereits ein Verbündeter der Taliban, bevor diese vor 20 Jahren die Macht verloren, so dass jetzt erwartet wird, dass Pakistan wieder freundschaftliche diplomatische Beziehungen zu ihnen aufnimmt. Ein Szenario geht davon aus, dass Pakistan eine engere Beziehung zu China und Russland aufbaut und sich vom Westen abwendet und das laufende IWF-Programm scheitert. Ein anderes Szenario ist, dass sich die Beziehungen des Landes zum Westen verbessern, weil man mit der neuen Taliban-Regierung umgehen muss. Es ist jedoch noch zu früh, um zu wissen, welches Szenario eintreten wird.
Pakistans Aussichten hatten sich bereits vor der Übernahme Afghanistans durch die Taliban verschlechtert. Das laufende IWF-Programm wurde 2020 vorübergehend ausgesetzt, da die Pandemie das Land daran hinderte, die für 2019 gesetzten Ziele zu erreichen. Im April 2021 nahm Pakistan das IWF-Programm mit überarbeiteten Zielen wieder auf. Dies liess Pakistan eine Auszahlung von 500 Mio. US-Dollar zukommen, aber noch wichtiger war, dass die Regierung zwischen März und April Eurobonds im Wert von 3,5 Mrd. US-Dollar ausgeben konnte. Doch nur wenige Tage später nahm die Regierung eine Kabinettsumbildung vor, und der neue Finanzminister erklärte, die Regierung müsse die gerade mit dem IWF vereinbarten Haushaltsziele neu aushandeln, da höhere Steuern und Stromtarife die Armen treffen würden. Möglicherweise setzte die Regierung auf ihren größeren Einfluss im Westen, um angesichts des US-amerikanischen Abzugs aus Afghanistan mildere Bedingungen beim IWF zu erhalten. Mit der plötzlichen Machtübernahme durch die Taliban ist es jedoch weniger klar, ob dieser Verhandlsungsspielraum noch vorhanden ist.
Die unterdurchschnittliche Performance Pakistans im Vergleich zu anderen Hochzinsländern seit Mitte Juni ist hauptsächlich auf die gestiegene Wahrscheinlichkeit der Nichteinhaltung der IWF-Programmziele zurückzuführen, wobei die jüngsten Entwicklungen in Afghanistan die Situation weiter verkomplizieren. Daher ist es unwahrscheinlich, dass sich die in den letzten zwei Monaten beobachtete Spreadausweitung der Anliehen des Landes kurzfristig wieder revidieren wird.
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