von Rechtsanwälten Timmermann/Michaelis, Kanzlei Michaelis Rechtsanwälte
Im folgenden Beitrag geben wir eine klare Handlungsorientierung bzgl. der derzeit bekannten Einzelheiten zu der Off-VO[1]. Unter
1.) wird auf den regulativen Gesamtzusammenhang der supranationalen Vorschriften eingegangen, unter
2.) die Vorgaben der Normen genannt und unter
3.) derzeit mögliche Handlungsempfehlungen gegeben.
Zu 1.) Regelungskontext – Sinnzusammenhang
Im Laufe der vergangenen zwei Jahrhunderte hat sich uns in Europa ein Bild von Privatrecht eingeprägt, das gekennzeichnet ist durch die Staatlichkeit der Normen, durch die Existenz grundsätzlich nur einer Regelungsebene, der Vorstellung, dass sich das Privatrecht vom öffentlichen Recht als eigenständiger Bereich abtrennen lässt und dass es sich um dabei ein nach innerer Widerspruchsfreiheit strebendes System handelt, das bestimmten methodischen Prinzipien folgt.
Durch die europäische Integration sieht sich dieses Bild von Privatrecht in zunehmendem Maße infrage gestellt. Dabei standen die Entwicklungen zunächst im Schlaglicht sog. „edukatorischer Gesetzgebung“.[2] Von edukatorischem Charakter i.w.S. kann gesprochen werden, sobald eine Regelung ihrer Intention nach zur Einübung bestimmter, vom Gesetzgeber als erwünscht betrachteter Verhaltensweisen führt.[3] Einer explizit – etwa in der Gesetzesbegründung – vom Gesetzgeber formulierten Regelungsintention wird man es gleichstellen müssen, wenn der verhaltenssteuernde Effekt faktisch bewirkt wird und sich bruchlos in den objektiv verstandenen Regelungszweck einer Norm einfügt.
Von edukatorischem Charakter i.e.S. kann gesprochen werden, wenn Rechtsnormen auf die Herbeiführung eines Bewusstseinswandels hinwirken. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn sie bewirken sollen, dass der Normadressat ein bestimmtes Verhalten nicht nur zur Herbeiführung vorteilhafter und zur Vermeidung nachteilhafter Rechtsfolgen übt, sondern deswegen, weil er dieses Verhalten als „richtiges“ Verhalten verinnerlicht hat.[4]
Hierher gehört nun m.E. durch aus die sog. paternalistische Privatrechtsgesetzgebung. Diese basiert ebenfalls auf der verhaltenstheoretischen Grundlage.
Die ökonomische Theorie kannte in ihrer neoklassischen Ausprägung traditionell drei Gründe, die ein staatliches Eingreifen in den Marktprozess rechtfertigen:
eine Verbesserung der Allokation von Ressourcen,
eine Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt durch Umverteilung von Einkommen und Vermögen, sowie
makroökonomische Stabilisierung.[5]
Jüngst ist ein weiterer Grund hinzugekommen, nämlich die unvollständige individuelle Rationalität. Die ersten drei genannten Gründe beziehen sich auf die gesellschaftliche Interaktion von Individuen. Ausgrenzungen führen beispielsweise zu einer ineffizienten Allokation von Ressourcen, aber fast immer auch zu einem Konflikt zwischen Verursacher und Betroffenen. In einer Welt mit positiven Transaktionskosten, in der beide Parteien diesen Konflikt nicht ohne weiteres unter sich lösen können, kann der staatliche Eingriff effizient sein.
Ähnliches gilt für die Umverteilung von Einkommen, die Individuen aufgrund ihrer divergierenden Interessen naturgemäß kaum dezentral und freiwillig regeln können, sowie für die konjunkturelle Stabilisierung, welche die Funktionsbedingungen der Marktwirtschaft insgesamt verbessern soll und insoweit ein öffentliches Gut darstellt.
Anders sieht es beim vierten Grund aus. Hier geht es, zumindest vordergründig, darum, individuelle Entscheidungsdefizite auf der Ebene des einzelnen Entscheidungsträgers so zu korrigieren, dass das Ergebnis für ihn selbst besser ist.
Die Rechtfertigung für eine Intervention liegt also gerade nicht in Konflikten zwischen Individuen oder in über-individuellen, gesellschaftlichen Wohlfahrtskriterien und unterscheidet sich damit wesentlich von den bisher regelmäßig herangezogenen Argumenten für korrigierende Eingriffe in die dezentralen Entscheidungen von Marktteilnehmern. Es geht hier tatsächlich um paternalistische Eingriffe, also um solche, bei denen der Eingreifende mit Sicherheit oder zumindest hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgeht, angeblich besser als Betroffene zu wissen, welches Verhalten in dessen eigenem Interesse wäre.
Warum erlauben der Staat und die supra-nationale Einrichtung EU sich nun diese Anmaßung? Moderne demokratische Verfassungsstaaten sind vom Leitbild des normativen Individualismus bestimmt: Der Einzelne ist frei, seinen Neigungen und Interessen zu folgen.[6] Staatliche Behinderungen dieser Freiheit müssen gerechtfertigt werden. Eine solche Rechtfertigung gelingt relativ unproblematisch nach dem „no harm“-Prinzip: Die eigene Freiheitsausübung darf Rechte Dritter nicht verletzten.
Staatlicher Paternalismus, der Schutz eines Dritten vor sich selbst, lässt sich hingegen aus Sicht des normativen Individualismus nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen begründen. Für John Stuart Mill, dem Ahnherrn des Utilitarismus, war klar, dass Kinder und Geisteskranke vor sich selbst geschützt werden müssen. Gegenüber dem vernunftbegabten Normalbürger hingegen sollten allenfalls retardierende Interventionen gestattet werden, um Informationsmängel auszugleichen. Genau an dieser Stelle setzen Befürworter des modernen Paternalismus ein: Auch das Handeln der sog. „Normal-Bürger“ folgt oft nicht der pareto-Rationalität, sondern muss unter den Bedingungen begrenzter Rationalität entscheiden.[7] Wir handelten eben oft nicht vernünftig, sondern im Grunde wie Kleinkinder; dies auch im Wirtschaftsleben. Mag diese Beobachtung der Verhaltensökonomik wohl richtig sein, doch genügt sie auch, um die Grundannahmen des normativen Individualismus auszuhebeln?[8]
Ist es aus Sicht einer normativen politischen Theorie sinnvoll, unter Rückgriff auf die Einsichten der „Behavioural Economics“ die Interventionsgründe für den Staat unbegrenzt auszuweiten? Staatliches Nudging will menschliches Verhalten bevormundend steuern. Das gilt es zunächst einmal festzuhalten. Es muss sich als paternalistische Intervention deshalb m.E. besonders hohen Rechtfertigungsanforderungen stellen.[9]
Moral wird immer dann aktiviert, wenn die aktuellen Probleme sich nicht mehr im Rahmen herkömmlicher rechtlicher und sozialer Muster lösen lassen. Im Hintergrund dieses nun anrollenden Regulierungs-Instrumentariums der EU im Zuge des „Green Deals“[10] steht die Erkenntnis, dass die (inzwischen) überschuldeten Wohlfahrts-Staaten mit einem bloß weiteren Aufblähen der Gesetzes-Produktion keine Antwort mehr auf die modernen, globalen Probleme mehr geben können.[11] Der erreichte Grad sozialer und wirtschaftlicher Komplexität schafft eine Netzwerk-Gesellschaft und verlangt zur Problemlösung nicht nur nach einem quantitativen-, sondern nach einem qualitativen Anstieg der Modellbildung und rechtlicher Problemlösung.
Zu 2.) Nachhaltigkeit
Die beiden Regelwerke stehen künftig bei der Regulierung der „Nachhaltigkeit“ im Vordergrund:
die VO (EU) 2019/2088 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor („Disclosure-VO“), die auf den Finanzsektor gerichtet ist und neue Transparenzpflichten begründet;
die VO (EU) 2020/852 über die Errichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen („Taxonomie-VO“), die an die Wirtschaftstätigkeit von Unternehmen anknüpft und fragt, ob diese ökologisch nachhaltig ist.
Hintergrund der neuen Regeln sind aus Sicht des EU-Gesetzgebers bestehende Informationsasymmetrien, die derzeit nach wie vor verhindern, dass Investoren sich über die Nachhaltigkeit ihrer Investitionen hinreichend informieren können.
Es fehle an einer harmonisierten Offenlegung. Neben der bereits praktizierten Offenlegung zu finanziellen Risiken sind daher künftig auch nachhaltigkeitsbezogene Informationen zu berichten. Damit sollen Kapitalflüsse verstärkt zu nachhaltigen Investitionen gelenkt werden.[12]
Schon seit einiger Zeit gelten zahlreiche qualitative Vorgaben zur Nachhaltigkeit. Im Vordergrund steht dabei die (vollständige) Erfassung von Nachhaltigkeitsrisiken, d.h. von Risiken für die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie Reputation infolge von Umwelt- und ggfs. sozialen Risiken. Weniger Beachtung finden hingegen die tatsächlichen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren (d.h. Umwelt-, Sozialbelangen, inkl. Arbeitnehmerbelangen, Achtung der Menschenrechte und Bekämpfung von Korruption und Bestechung). So stellt die Klimaerwärmung z.B. ein Nachhaltigkeitsrisiko für Investoren in Agrarbetriebe dar. Die BaFin veröffentlichte bereits 2019 ein Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken.[13] Es verpflichtet von der BaFin beaufsichtigte Unternehmen, Nachhaltigkeitsrisiken umfassend zu ermitteln und zu bewerten. Im November 2020 erschienen parallel auch die Leitlinien der EZB zu Klima- und Umweltrisiken, die auf von der EZB beaufsichtigte, bedeutende Institute Anwendung finden. Im Wesentlichen bilden diese Regeln jedoch weitgehend lediglich die Inhalte des o.g. sektorübergreifenden BaFin-Merkblatts bzw. der EZB-Leitlinien ab und werden als eigenständige Anforderungen keine größeren Auswirkungen auf die Marktpraxis der deutschen Finanzindustrie mehr haben.[14]
- a) Nachhaltigkeitsbegriff
Die Disclosure-VO folgt einem weiten Verständnis des Nachhaltigkeitsbegriffs. Nachhaltig sind demnach Investitionen in eine wirtschaftliche Tätigkeit,
die zur Erreichung eines Umweltziels (ökologisches Ziel) oder
die zur Erreichung eines sozialen Ziels beiträgt (vgl. Art. 2 Nr. 17 Disclosure-VO).
Zu unterscheiden ist damit die ökologische und die soziale Nachhaltigkeit. Der Begriff der ökologischen (nicht jedoch der sozialen) Nachhaltigkeit wird in der Taxonomie-VO weiter konkretisiert. Damit soll „Greenwashing“, also die Vermarktung eines Finanzprodukts als umweltfreundlich, obwohl es grundlegenden Umweltstandards nicht entspricht, verhindert werden. Die Taxonomie-VO legt künftig EU-weit verbindlich fest, ob und inwieweit eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist. Diese Nachhaltigkeitseinstufung wird dann von anderen Regelwerken übernommen, z.B. von der Disclosure-VO. Darüber hinaus enthalten die Disclosure- und Taxonomie-VO Mindestanforderungen u. a. an die Unternehmensführung (Governance) und an soziale Standards.
- b) Adressaten
Die Disclosure- und Taxonomie-VO richten sich an unterschiedliche Adressaten.
(1) Adressaten der Disclosure-VO
Verpflichtete der Disclosure-VO sind „Finanzmarktteilnehmer“ (vgl. Art. 2 Nr. 1 Disclosure-VO) und „Finanzberater“ (vgl. Art. 2 Nr. 11 Disclosure-VO) in Bezug auf sog. „Finanzprodukte“ i.S. des Art. 1 Nr. 1, 11 und insb. 12 Disclosure-VO.[15]
Finanzberater nach Maßgabe der Disclosure-VO sind Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute sowie Versicherungsvermittler und -unternehmen „der Versicherungsberatung für IBIP erbringt“, vgl. Art. 2 Nr. 11 lit. a) und b) Disclosure-VO[16];
Finanzmarktteilnehmer sind Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute als Finanzportfolioverwalter, Manager von kollektiven Vermögensanlagen (Fonds), Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge und Hersteller von Altersvorsorgeprodukten sowie Versicherungsunternehmen in Bezug auf das Angebot von Versicherungsanlageprodukten (sog. IBIP).
Damit erhebt die Disclosure-VO nicht den Anspruch, umfassende Transparenzvorschriften für alle Finanzprodukte über alle Vertriebskanäle zu begründen. Erfasst werden primär Beratungsfälle. Ferner erfasst die Disclosure-VO für den Versicherungsvermittler nur die dort genannten Finanzprodukte der IBIP.
(2) Finanzprodukte
Die Disclosure-VO unterscheidet zwischen Finanzprodukten, die ein nachhaltiges Investment anstreben und solchen, auf die dies nicht zutrifft.
Art. 2 Nr. 12 Disclosure-VO nennt als Finanzprodukte explizit:
ein Portfolio, das verwaltet wird;
einen alternativen Investmentfonds (AIF);
ein IBIP;
ein Altersvorsorgeprodukt;
ein Altersversorgungssystem;
einen Organismus für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) oder
ein PEPP.
In Art. 4 Nr. 2 PRIIP-VO – auf die die Disclosure-VO Bezug nimmt – werden „Versicherungsanlageprodukte“ als Versicherungsprodukte definiert, die „einen Fälligkeitswert oder einen Rückkaufwert bieten, der vollständig oder teilweise direkt oder indirekt Marktschwankungen ausgesetzt“ ist. In den Anwendungsbereich der PRIIP-VO fallen somit auch LV-Verträge und innerhalb dieser Sparte vornehmlich die kapitalbildende LV in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen. Angesichts der weit gefassten Definition und des bezweckten Kleinanlegerschutzes soll es grundsätzlich keinen Unterschied machen, in welcher Art und Weise der Versicherer das ihm zur Verfügung gestellte Kapital anlegt, insbes. ob es sich bei dem Vertrag um eine fondsgebundene oder eine konventionelle Kapital-LV handelt.[17] Wurden gem. Art. 2 Abs. 2 PRIIP-VO wiederum bestimmte Versicherungsprodukte vom Anwendungsbereich ausgenommen sind, darunter Altersvorsorgeverträge, sind diese durch Art. 2 Nr. 12 Disclosure-VO wieder aufgenommen.
- c) Anzugebende Informationen
Im Detail begründet die Disclosure-VO folgende Transparenzpflichten:
Veröffentlichung der Unternehmensstrategie zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken – unterschieden werden muss hier aber nach den Anforderungen, die an Finanzmarktteilnehmer und an Finanzberater zu stellen sind. Der Finanzmarktteilnehmer haben sich zur Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken in Investitionsentscheidungsprozesse zu äußern (vgl. Art. 3 Abs. 1 Disclosure-VO) und Finanzberater hierzu im Rahmen ihrer Beratungsdienstleistung (vgl. Art. 3 Abs. 2 Disclosure-VO).
Veröffentlichung von Informationen zu den wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren. Die Regelung unterscheidet inhaltlich wieder zwischen Finanzmarktteilnehmern und Finanzberatern.
Finanzmarktteilnehmer sind verpflichtet eine Erklärung „über Strategien zur Wahrung der Sorgfaltspflicht im Zusammenhang mit den nachteiligen Auswirkungen von Investitionsentscheidungen“ im Internet zu veröffentlichen (vgl. Art. 4 Abs. 1 Disclosure-VO). Gegenstand ist damit die Darlegung interner Organisations- und Verhaltensvorgaben, die sicherstellen sollen, dass wichtige, nachteilige Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren bei Investitionsprozessen zutreffend erkannt und bewertet werden. Finanzmarktteilnehmer müssen dann ihre Entscheidung jedoch im Internet begründen und ggf. mitteilen, ob und wann erstmals die Berücksichtigung nachteiliger Auswirkungen geplant ist (vgl. Art. 4 Abs. 1 lit. b) Disclosure-VO).
Der Umfang der Offenlegung für Finanzberater ist dagegen erheblich begrenzter (vgl. Art. 4 Abs. 5 Disclosure-VO): Insoweit ist lediglich zu veröffentlichen, „ob“ die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt werden und, falls dies nicht der Fall ist, muss eine Begründung hierzu abgegeben werden.
Vergütungspolitik – Finanzmarktteilnehmer und -berater werden durch die Disclosure-VO verpflichtet zu veröffentlichen, inwiefern ihre Vergütungspolitik mit der Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken im Einklang steht (vgl. Art. 5 Disclosure-VO).
Transparenz auf Produktebene – schließlich begründet die Disclosure-VO produktbezogene Transparenzpflichten, die primär über vorvertragliche Informationen gegenüber Kunden zu erfüllen sind. Das konkret einschlägige vorvertragliche Informationsdokument wird in der Disclosure-VO nach Art des Finanzprodukts bzw. der einschlägigen Finanzdienstleistung konkretisiert (Art. 6 Abs. 3 Disclosure-VO). In vorvertraglichen Informationen sind gem. Art 6 Disclosure-VO Erläuterungen zur Art und Weise zu geben, wie Nachhaltigkeitsrisiken bei Investitionsentscheidungen (für Finanzmarktteilnehmer) bzw. wie Nachhaltigkeitsrisiken bei Anlage- oder Versicherungsberatung (für Finanzberater) einbezogen werden. Des Weiteren sind die Ergebnisse der Bewertung der zu erwartenden Auswirkungen von Nachhaltigkeitsrisiken auf die Rendite der Finanzprodukte, die sie zur Verfügung stellen (für Finanzmarktteilnehmer) bzw. die Gegenstand ihrer Beratung sind (für Finanzberater) anzugeben. Erachten Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater Nachhaltigkeitsrisiken als nicht relevant, so haben die Erläuterungen eine klare und knappe Begründung dafür zu enthalten.
Die Disclosure-VO unterscheidet insoweit zwischen Nachhaltigkeitsrisiken und nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen.
Nachhaltigkeitsrisken bedeuten ein „Ereignis oder eine Bedingung im Bereich Umwelt, Soziales oder Unternehmensführung (…) dessen bzw. deren Eintreten erhebliche negative Auswirkungen auf den Wert der Investition haben könnte“ (vgl. ErwG 12, 14 Disclosure-VO).
Nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen stellen hingegen negative Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren selbst dar (d.h. Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung).
Zu 3.) Konkrete Handlungsanweisungen
Zur Konkretisierung der Disclosure-VO lag ein gemeinsames Konsultationspapier der ESAs mit dem Entwurf einer delegierten VO („Disclosure-DelVO“) vor.[18] Es enthielt sehr weitreichende Vorgaben an den Aufbau, Inhalt und die Ausgestaltung der Offenlegungsanforderungen. Die Vorgaben richteten sich hier jedoch primär an Finanzmarktteilnehmer und nur sehr eingeschränkt auch an Finanzberater.
Der Entwurf liegt im Moment auf Eis[19] und scheint zumindest in der ursprünglichen Fassung nicht weiter verfolgt zu werden. So teilte die Kommission ausgewählten Verbänden schon im Oktober 2020 mit: „Um den Finanzmarktteilnehmern und Finanzberatern sowie den Aufsichtsbehörden Zeit für die Umsetzung zu geben, werden die technischen Regulierungsstandards zu einem späteren Zeitpunkt anwendbar“[20], d.h. nicht schon mit Geltung der Disclosure-VO. Betroffene Unternehmen sollen die Disclosure-VO nunmehr (zunächst nur) prinzipienbasiert umsetzen.
Aufgrund dieser „ungefähr“ Anordnung der EU Kommission selbst können derzeit nur folgende Handlungsangaben getroffen werden:
- a) Ausnahme-Regel
Wenn weniger als 3 Beschäftigte in einem Vermittlerbetrieb vorhanden sind, greift die Ausnahme des Art. 17 Abs. 1 Disclosure-VO, d.h. diese wäre nicht anzuwenden. Es wäre dann zu beobachten, ob Deutschland von der Mitgliedsstaatenoption (vgl. Art. 17 Abs. 2 Disclosure-VO) Gebrauch macht und trotzdem auch kleinere Vermittlerbetriebe zur Anwendung der VO verpflichtet.
Abzuwarten sein wird auch, wie der Begriff „Beschäftigte“ in Art. 17 Abs. 1 Disclosure-VO auszulegen ist. Orientiert man sich am englischen Begriff des „employers“ aus dem Original der Verordnung dürften nur festangestellte Angestellte gemeint sein. Dies dann allerdings unabhängig davon, ob diese einen Bezug zur Produktberatung aufweisen, d.h. auch Reinigungspersonal etc. wären dann mitzuberücksichtigen.
- b) Anwendungsbereich
Wie erörtert, greift die Disclosure-VO nur bei Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten (z.B. ungeförderte Lebens- und Rentenversicherungen) ein.
- c) Einzelheiten
(1) Nachhaltigkeitsstrategie – Homepage (vgl. Art 3 Disclosure-VO)
Besteht derzeit keine eigene Nachhaltigkeitsstrategie (Strategien zur Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken bei Ihrer beratenden Tätigkeit, z.B. zur Befragung nach Wünschen und Bedürfnissen, zur Versicherer- und zur Produktauswahl, zur Bewertung der Angebote etc.) hat der Vermittler hierauf auf der Internetseite[21]
Als Grund dafür kann zur Zeit noch problemlos auf das Fehlen der technischen Regulierungsstandards der Europäischen Aufsichtsbehörden (sog. RTS) sowie Informationen der Versicherungsgesellschaften hingewiesen werden. Der Vermittler allein kann ohne diese Vorgaben gar nicht detailliert prüfen, welche Nachhaltigkeitsrisiken bzw. nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren bestehen und wie diese in die Beratung einbezogen werden könnten.
Ein Versicherungsmakler bzw. Mehrfachvertreter kann also derzeit offen angeben, keine eigenständige Nachhaltigkeitsstrategie zu verfolgen. Er kann insofern auf § 23 Abs. 1c VAG[22] rekurrieren und zusätzlich erwähnen, dass jedoch selbstverständlich bei der Auswahl von Versicherungsgesellschaften und Versicherungsprodukten die von diesen Versicherern zur Verfügung gestellten Informationen Beachtung finden. Über die jeweilige Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken bei Investitionsentscheidungen hat der jeweilige Versicherer – wie dargelegt – mit seinen vorvertraglichen Informationen den VN selbst zu informieren.
Auch ein Makler ohne Nachhaltigkeitsstrategie wird diese aber für die Zukunft entwickeln müssen und die Aspekte dieser Strategie bei der künftigen Beratung beachten.
Versicherer, die erkennbar keine Strategie zur Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken in ihre Investitionsentscheidungen einbeziehen, sollte der Makler dennoch per se ausschließen.
Es sollte dies vielmehr offen kommuniziert und der Kundenwunsch abgewartet bzw. hierzu eingeholt werden. Alles andere würde zu einem Problem bzgl. der angemessenen Beratungsgrundlage (vgl. § 60 VVG) und damit ggfs. zu weitreichenden Haftungsproblemen führen können.[23]
(2) Vergütungspolitik (vgl. Art. 5 Disclosure-VO)
Der Kunde soll erfahren, ob die Vergütungspolitik mit der Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken in Einklang steht. Es ist deshalb durch einen entsprechenden Hinweis auf der Homepage ferner anzugeben, ob unterschiedlich hohe Vergütungen (Provisionen, Courtagen, Bonifikationen etc.) für Versicherungsanlageprodukte erwirtschaftet werden, je nachdem ob sie nachhaltig sind oder nicht.
Es ist anzugeben, ob eine Vermittlungsvergütung von Versicherern unterschiedlich ausfällt, je nachdem, ob das empfohlene Versicherungsanlageprodukt Nachhaltigkeitsrisiken bzw. Nachhaltigkeitsauswirkungen berücksichtigt oder nicht.
Wenn Versicherer die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken bei Investitionen durch eine höhere Vergütung für die Vermittlung fördern, ist vom Vermittler anzugeben, wenn sich dies auch in einer höheren Vergütung auswirkt.
Es ist auch anzugeben, ob der Vermittler selbst bei der Vergütung seiner Mitarbeiter oder Untervermittler die „Nachhaltigkeit“ mitberücksichtigt oder nicht.
(3) Vorvertragliche Informationen (vgl. § 6 Abs. 2 Disclosure-VO)
Schließlich sind durch entsprechenden Hinweis in der Beratung (und Dokumentation in der Beratungsdokumentation) Nachhaltigkeitsrisiken in die Beratung einzubeziehen sowie zu erwartenden Auswirkungen auf die Rendite in die Bewertung einzubeziehen.
Es muss klar angegeben werden, wenn bei einer Beratung zu Versicherungsanlageprodukten Nachhaltigkeitsrisiken für nicht relevant erachtet werden. Als Grund könnte angegeben werden, dass diese bereits durch den Versicherer selbst berücksichtigt wurden und in dessen vorvertraglichen Informationen dargelegt werden.
Solle die Nachhaltigkeit für den Vermittler selbst eine Rolle spielen, hat auch dies zum Ausdruck zu kommen. Für die Berücksichtigung dieser Nachhaltigkeitsrisiken sollte hinsichtlich der Informationsgrundlage dann auf die vorvertraglichen Informationen der Versicherer verwiesen werden. Bezüglich der auszusprechenden Empfehlung (Rat) sollte dann der Hinweis erfolgen, dass bei einer pflichtgemäßen Einschätzung einer vergleichbaren oder besseren Rendite das Produktes, das Nachhaltigkeitsrisiken berücksichtigt, vorrangig empfohlen wird.
4.) Ergebnis
Will man dem Menschen Würde zuerkennen, kann man diesem schwerlich seine Autonomie absprechen. Mark D. White hat diesen Aspekt in die Paternalismus-Diskussion eingeführt, indem dieser an die auf Kant zurückgehende interne Autonomie erinnerte.[24] Von dieser ist dann die Rede, wenn sich Menschen die Fähigkeit haben, ihre eigenen Entscheidungen selbst kritisch zu reflektieren und sich die innere Freiheit bewahren, nicht immer den ersten Impulsen scheinbar nutzenmaximierenden Handelns zu folgen. Dies impliziert also die Fähigkeit zur Selbstkontrolle in alltäglichen Entscheidungssituationen, aber vor allem auch die Fähigkeit zur kritischen Reflexion der eigenen Ziele, Wertvorstellungen und Lebenspläne. Es geht hier um die Fähigkeit, Autor des eigenen Lebens zu sein. Wiederum würden Befürworter des neuen Paternalismus argumentieren, dass sie gerade dies ermöglichen wollen und verweisen auf den Unterschied zwischen kurz- und langfristigen Präferenzen.[25] Jedoch impliziert die Autorenschaft am eigenen Leben die Möglichkeit, die Gewichtung zwischen möglichen Zielen, Werten und auch Präferenzen für Konsumgütern selbst vorzunehmen und auch immer wieder neu zu justieren. Dies entspricht der klassischen liberalen Vorstellung von individueller Freiheit. Genau dem wirkt eine Politik des neuen Paternalismus allerdings systematisch entgegen, indem sie den manipulativen Entscheidungsdesigner zumindest zum einflussreichen Mitautor von für ihn fremden Leben macht. Das die Verfasser diesem verhaltenssteuernden „new deal“, der auch den EU Regularismus antreibt, sehr kritisch gegenübersteht dürfte deutlich geworden sein.
Die Disclose-VO ist jedoch auch vor dem Hintergrund eines prinzipiengesteuerten EU Sekundärrecht zu sehen[26], dass die netzförmigen Strukturen der komplexen Wirtschaftsbeziehungen anders abbildet als noch die linear-systemkonformen nationalen Gesetzes es konnten.
Für den Versicherungsvermittler gibt es bis zum Erlass der RTS bislang nur übersichtlichen Handlungsbedarf. Gedanken über die neuen Vorgaben sind aber besser „zu früh“ als zu spät anzustellen. Jeder wird sich hier positionieren müssen. Das setzt auch den geübten Umgang mit anderen neuen Rechtsinstituten voraus: Als Makler muss man gegenüber seinem Produktgeber den Anspruch aus § 23 Abs. 1c VAG (bzw. Art. 8 Abs. 2 EU 2017/2358 einzufordern verstehen.
Ob bzw. welche Haftungen im Zuge der Nachhaltigkeits-Offensive der EU auf die Vermittler von Versicherungsanlageprodukten noch anrollen, bleibt von den weiteren, geplanten Änderungen vorbehalten.[27] Thematisieren Sie aber den Nachhaltigkeitsaspekt auf der Internetseite, in der Beratung und vor allem in der Dokumentation.
[1] Vgl. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX:32019R2088
[2] Vgl. Lüdemann, „Edukatorisches Staatshandeln. Steuerungstheorie und Verfassungsrecht am Beispiel der staatlichen Förderung von Abfallmoral“, 2002, S. 98 f.
[3] Vgl. Zippelius, „Verhaltenssteuerung durch Recht und kulturelle Leitideen“, 2004; Raiser, „Grundlagen der Rechtssoziologie“, 2009, S. 185 f. Ganz radikal ist in dieser Hinsicht die Strömung der „ökonomischen Theorie des Rechts“, die die Rechtsnormen als die zur Steuerung des menschlichen Verhaltens dienenden Anreize betrachtet. Dazu Schäfer/ Ott, „Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts“, 2005, S. 3, 58 ff.
[4] Vgl. Raiser (Fn. 3), S. 254; ders., „Rechtsgefühl, Rechtsbewusstsein, Rechtskenntnis und Rechtsakzeptanz“, in: Pichler (Hrsg.), „Rechtsakzeptanz und Handlungsorientierung“, 1998, S. 109 ff.
[5] Vgl. Musgrave,“The Theory of Public Finance: A Study in Public Economy“, New York 1959.
[6] Vgl. zu den Einzelheiten der Kant´schen Freiheits-Deontik: Eller, „Das Recht der Verantwortungsgesellschaft“, RW 2019, S. 5 ff.
[7] Vgl. Schimank, „Die Entscheidungsgesellschaft: Komplexität und Rationalität“, 2012, S. 121 ff., 173 ff.; zur „bounded rationality“ auch: Göbel, „Entscheidungstheorie“, 2. Aufl. 2018, S. 179 ff.
[8] Vgl. dass die „Nachhaltigkeit“ sogar als Prinzip mit Verfassungsrang ausgestattet werden soll, siehe https://www.insm-oekonomenblog.de/21546-nachhaltigkeit-als-verfassungsprinzip-warum-wir-eine-grundgesetzaenderung-brauchen/.
[9] Vgl. Volkmann, „Darf der Staat seine Bürger erziehen?“ in: Würzburger Vorträge zur Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie, 2012, S. 37 ff.
[10] Vgl. https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal_de.
[11] Vgl. Bock, „Die Eigendynamik der Verrechtlichung in der modernen Gesellschaft“, in: Lampe (Hg.), „Zur Entwicklung von Rechtsbewußtsein“, 1997, 403 ff.; Galanter, „Law Abounding: Legalisation Around the North Atlantic“, 55 MOD. L. REV. 1 (1992); Schmidt, „Verrechtlichung von Intimbeziehungen“, in: Lampe (Hg.), „Zur Entwicklung von Rechtsbewußtsein“, 1997, 429 ff.
[12] Vgl. ErwG 17 Disclosure-VO.
[13] Vgl. https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Merkblatt/dl_mb_Nachhaltigkeits- risiken.html.
[14] Allerdings sind ferner Anpassungen der Delegierten-VO EU 2017/593 (zum Schutz der Finanzinstrumente und Gelder von Kunden, Produktüberwachungspflichten und Vorschriften für die Entrichtung beziehungsweise Gewährung oder Entgegennahme von Gebühren, Provisionen) und der RL 2014/65/EU (MiFID II) nebst Erweiterungen der Geeignetheitsprüfung) geplant.
[15] Hierauf wird ausführlich unter (2) eingegangen werden.
[16] Wobei IBIP, sog. insurance-based investment products wiederum unter Art. 2 Nr. 3 Disclosure-VO definiert wird.
[17] Vgl. Baroch Castellvi, „Zum Anwendungsbereich der PRIIP-Verordnung auf Produkte von Lebensversicherern – was ist ein Versicherungsanlageprodukt?“ VersR 2017, 129 ff.
[18] Vgl. Europäische Aufsichtsbehörden, Joint Consultation Paper, ESG disclosure, JC 2020/16 vom 23.04.2020.
[19] Das von der Europäischen Kommission beauftragte Joint Committee of European Supervisory Authorities (ESAs) bestehend aus den drei europäischen Aufsichtsorganen EBA, EIOPA und ESMA veröffentlichte am 04.02.2021 seinen Abschlussbericht mit den finalen „Regulatory Technical Standards“ („Draft-RTS“). Der finale RTS-Entwurf der ESAs kann nun entweder von der Kommission innerhalb von drei Monaten gebilligt und dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament zur Zustimmung vorgelegt werden oder aber zurückgewiesen und den europäischen Aufsichtsbehörden zur erneuten Überarbeitung delegiert werden. Es ist derzeit also davon auszugehen, dass der finale RTS-Draft bis Ende März bzw. Anfang April 2021 verabschiedet werden wird.
[20] Vgl. Europäische Kommission, Brief vom 20.10.2020 an die ESAs, Application of Regulation (EU) 2020/2088.
[21] Empfohlen wird, dies an der Stelle der sonstigen Statusangaben zu ergänzen.
[22] Darin heißt es: „Unternehmen, die Versicherungsprodukte konzipieren, haben allen Vertreibern sämtliche sachgerechten Informationen zu dem Versicherungsprodukt und dem Produktfreigabeverfahren, einschließlich des bestimmten Zielmarkts des Versicherungsprodukts, zur Verfügung zu stellen.“ Außerdem wird auf Art. 8 Abs. 2 Delegierten-VO EU 2017/2358 hingewiesen.
[23] Vgl. Timmermann, Urteilskritik: Entscheidung OLG Zweibrücken, Urt. v. 12.12.2018 – 1 U 167/14 – „Zur Schadensersatzpflicht des Versicherungsmaklers für unterlassene Beratung über ein „naheliegendes Risiko“, ZfV 2019, 701 ff.
[24] Vgl. White, „The Manipulation of Choice. Ethics and Libertarian Paternalism“, 2013, S. 123 ff.; Frey/ Stutzer, „Beyond Outcomes: Measuring Procedural Utility“, Oxford Economic Papers 57, 2005, S. 90 ff.
[25] Vgl. Thaler/ Sunstein, „Nudge. Improving Decisions about Health, Wealth and Happiness“, 2008.
[26] Vgl. Wandt, „Prinzipienbasiertes Recht und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“, 2012, S. 14 ff.
[27] Vgl. Fn. 14.
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