Selten war die Diskrepanz zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und den Finanzmärkten so eklatant wie im Moment, sagt Jean-Marie Mercadal, Chefanlagestratege bei OFI Asset Management.
Die Aktienmärkte zeigen sich trotz einer tiefen Rezession, trotz des Lockdowns wegen möglicher Virusmutationen und trotz der Impf-Probleme erstaunlich widerstandsfähig. Die wichtigsten Aktienindizes befinden sich fast auf Allzeithoch.
„Seit Ende Oktober – also in weniger als drei Monaten – sind die wichtigsten Aktienindizes spektakulär gestiegen: um etwa 20 Prozent bei europäischen, US-amerikanischen und chinesischen Aktien und um 40 Prozent beim weltweiten Index für Nebenwerte, dem Russel 2000 Index für Small und Mid Caps. Unserer Ansicht nach ist das Ende der Krise zumindest teilweise bereits eingepreist.
Wir denken jedoch, dass das Wachstum höher ausfallen könnte als die aktuellen Prognosen – 4,0 Prozent für die USA, 4,7 Prozent für die Eurozone, 8,2 Prozent für China und 5,2 Prozent global – und das aus folgenden Gründen:
Das neue Hilfspaket der US-Regierung gegen die Auswirkungen der Coronakrise von fast 1.900 Milliarden US-Dollar könnte recht schnell vom Kongress verabschiedet werden. Dadurch würden die Direktzahlungen an die Haushalte verlängert und das Arbeitslosengeld sowie das Lohnfortzahlungsprogramm ausgeweitet werden. Das Paket sieht auch massive Investitionen in die Infrastruktur und in die Energiewende der US-amerikanischen Wirtschaft vor.
In der Eurozone wird das 750 Milliarden Euro schwere Konjunkturprogramm, das durch eine Anleiheemission der Europäischen Kommission finanziert wird, noch in diesem Jahr anspringen. Der Konsum der privaten Haushalte könnte sich stark erholen, da die Ersparnisse in den meisten Ländern im Jahr 2020 erheblich gestiegen sind. In den USA haben die Haushalte schätzungsweise fast 1.500 Milliarden US-Dollar an zusätzlichen Ersparnissen auf die Seite gelegt – das entspricht 10 Prozent des Jahresverbrauchs. Auch in Europa haben die Haushalte Mittel, die sie nicht ausgegeben haben, auf ihren Bankkonten deponiert. Wenn die Lockdowns also vorbei sind, könnte es aus unserer Sicht zu einem regelrechten Konsumrausch kommen. Auch Unternehmen haben Investitionen aufgeschoben, die es dann nachzuholen gilt.
Das Hauptrisiko für die Wirtschaft besteht unserer Meinung nach nicht in der Unsicherheit, wie gut die Impfstoffe wirken. Das größte Risiko geht von zwei Faktoren aus: Ein zu schneller Anstieg der Anleiherenditen, der die Unternehmen schwächen würde. Und/oder die Furcht der Verbraucher vor einem möglichen Ende der fiskalen Rettungspakete und damit vor Steuererhöhungen. Dann würden sie ihre angesammelten Ersparnisse nicht wie erwartet ausgeben. Trotz allem gehen wir davon aus, dass die Zentralbanken bei einer “Rückkehr zur Normalität” sehr vorsichtig bleiben und für gute Bedingungen für die Regierungen und die Refinanzierung ihrer Schulden sorgen werden.
An den Finanzmärkten gehen wir nach dem starken Anstieg in den letzten Monaten von einer neuen Phase der Volatilität aus. Wir empfehlen Anlegern nach den Gewinnen der letzten Zeit, ihre Aktieninvestments zu reduzieren, um im Falle einer Korrektur wieder investieren zu können.“
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