Marktkommentar von Jürgen Moll, Vorstand der A.S.I. Wirtschaftsberatung AG
Die Zeiten des Sparkontos und des freundlichen Bankberaters sind vorbei. Dafür steigt – auch getrieben durch die Start-Up-Szene – die Bandbreite der Versicherungen und Finanzangebote. Für die immer digitaler werdenden Kunden muss sich die Finanz- und Versicherungsbranche im Hinblick auf die Allfinanzberatung neu aufstellen. Wer soll zukünftig den Kontakt zum Kunden halten und erhält exklusiven Einblick in dessen Finanzdaten?
Ein Trend ist das Financial-Home-Modell in einer App oder einer Plattform. Dabei bündelt der Kunde alle seine Finanzprodukte an einem Ort und hat so einen umfassenden Überblick über seine Finanz- und Absicherungssituation. Diese Daten sind dann die Basis für Beratung und Empfehlungen. So werden Versicherungsprodukte und Sachwerte mit den persönlichen Lebenszielen abgeglichen und Handlungsempfehlungen für einzelne Szenarien ausgesprochen. Alles in einem „Zuhause“. Sind die Kunden einmal „eingezogen“, schauen externe Dienstleister und Konkurrenten nur noch zu, sie haben kaum mehr die Chance eine Schnittstelle zu erlangen.
Folgenschwere Entscheidung
Das Interesse an einer Financial-Home-Plattform ist von Verbraucherseite gegeben. Jeder Dritte in Europa interessiert sich für eine zentrale Bündelung seiner Finanz- und Versicherungsangebote. Die Idee ist nicht revolutionär, aber die richtige Antwort auf die sich wandelnde Finanzwelt. Daten sind die zukünftige Währung und da ist es konsequent und folgerichtig, dass sich alle Beteiligten der Branche rechtzeitig positionieren.
Es geht um Daten-Macht. Wer das Zuhause bereitstellt, darf bestimmen wer Zutritt zum Kunden bekommt. Daher haben natürlich auch Versicherungen ein Interesse daran, nicht zum reinen Produktlieferanten zu verkommen, sondern entscheidend mitzuwirken.
Aktuell ist das Financial-Home-Projekt noch in der Entwicklungsphase. Aufgrund der Datensensibilität und des -volumens gibt es aber nur geringe Aussichten auf einen regelmäßigen Anbieterwechsel. Der Wettkampf um die Kunden kommt daher eher einem K.O.-Duell gleich.
Doch wer gewinnt den Wettkampf um die Datenhoheit und damit die Zukunft der Finanz- und Versicherungsbranche?
Beratung und Vertrauen als Schlüsselkriterien Zunächst könnte man meinen, dass die Banken die Nase vorn haben. Aufgrund der flächendeckenden Filialschließungen müssen sie sowieso zukunftsfähige Lösung schaffen. Laut einer aktuellen Studie von Oliver Wyman, sehen zudem 62 Prozent der Befragten die Banken als bevorzugten Anbieter eines Financial Homes und nur 14 Prozent Versicherungen. Doch wer auch immer das Zuhause stellt, darf den entscheidenden Mehrwert nicht außer Acht lassen: die Beratung. Die Herausforderung besteht nicht allein in der Datenanalyse, sondern in der Ableitung einer optimalen und produktunabhängigen Lösung. Dem Hinweis auf veränderte Kosten bei einem Versicherungsprodukt oder den richtigen Zeitpunkt für den Beginn der Altersvorsorge, muss eine konkrete Empfehlung folgen. Diese muss aber zur Situation des Kunden passen. Daher ist Expertise in der gesamten Bandbreite der Themen gefragt und die Einsicht, dass nicht jedes Produkt auf jeden Kunden passt.
Zudem benötigen solch sensible Themen wie die eigenen Finanzen Vertrauen. Da haben die klassischen Bank- oder Versicherungs-Berater/Innen oft einen Vorteil, denn diese haben ein über Jahre gewachsenes Kundenverhältnis aufgebaut.
Financial Home darf kein Gefängnis sein
Financial Home ist eine vielversprechende Basis für die zukünftige Finanzberatung. Die Plattform muss aber einen Mehrwert für den Kunden darstellen und darf ihn nicht in seinen „eigenen vier Wänden“ einschränken. Ein ganzheitlicher und lebenslanger Beratungsansatz ist auch in der digitalen Welt notwendig, um eine schlüssige und individuelle Finanzplanung zu gewährleisten. Die Plattform muss einen guten Marktüberblick und in allen Lebenslagen Lösungen bieten können. Der Nutzen des Financial Homes bemisst sich aber letztlich an der daraus generierten Beratungsqualität. Nur wer aus dem Vollen schöpfen kann, ermöglicht die Freiheit der Kunden.
Wenn der Begriff Home wirklich greifen soll, dann müssen dem Kunden Sicherheit und Vertrauen geboten werden. Die benötigten technischen Voraussetzungen können sicherlich viele Wettbewerber gewährleisten. Anders ist es beim Vertrauen. Das muss man sich verdienen und fair mit dem Kunden umgehen. Durch Produktunabhängigkeit und fundiertes Wissen in den Finanz- und Versicherungssektoren, kann eine umfassende Beratung im Sinne der Kunden sichergestellt werden. Das ist die Domäne der persönlichen Beratung.
Financial Home ist ein attraktives Modell, das die Digitalisierung der Versicherungswirtschaft fordert. Gleichzeitig ist diese Entwicklung auch ein riesiger und vor allem wichtiger Schritt. Die Kunden erfahren volle Transparenz und Übersicht ihrer Daten. Und das hilft in der Beratung, denn die Diskussionen werden intensiver und die volle Expertise des Beraters wird gefordert. Das wohlige Gefühl von Zuhause entsteht durch die Gewissheit, gut beraten zu sein.
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