Volker Kurr, Head of Europe, Institutional, und Uday Patnaik, Head of Emerging Markets Debt bei Legal & General Investment Management (LGIM), sagen für Anleihen von Schwellenländern ein positives Jahr 2021 voraus.

 

Die Gründe dafür sehen sie hauptsächlich in neun Faktoren:

Faktor 1: Covid-Pandemie trifft Bilanzen von Schwellenländern weniger hart als die von Industrieländern

Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht davon aus, dass die Staatsverschuldung der Schwellenländer bis zum Jahresende 2020 um 9,2% auf 61,4% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ansteigen wird. Dagegen wird in den Industrieländern mit einem Anstieg um 20% auf 124% des BIP gerechnet – das ist sowohl in relativen als auch in absoluten Zahlen mehr als das Doppelte. (Abb.1) Die geringere Belastung der öffentlichen Finanzen von Schwellenländern zeigt sich auch in der Erwartung der Primärdefizite für das laufende Jahr. Diese sollen um 8,5% des BIP steigen und damit um 5,5% des BIP höher sein als 2019. Das Primärdefizit der Industrieländer in diesem Jahr wird dagegen auf 13% des BIP geschätzt, was einem Anstieg von 11% des BIP gegenüber dem Vorjahr entspricht.

Faktor 2: Globales Wachstum und Wiederbelebung des Handels

Der IWF prognostiziert auch, dass die Weltwirtschaft im Jahr 2021 wieder um 5,2% wachsen wird – gegenüber minus 4,4 % im Jahr 2020. Für die Schwellenländer sollen es sogar 6% sein. Das wäre das höchste Niveau seit zehn Jahren und 2% mehr Wachstum als für die Industrieländer vorausgesagt wird. Eine solche Entwicklung wird das globale Handelsvolumen stützen, das im Jahr 2021 voraussichtlich um 8% oder mehr steigen wird. Für die Exportvolumina der Schwellenländer wird eine Steigerung von 9,5% erwartet – der höchste Wert seit 2020. Wir erwarten eine Korrektur der Wachstumsprognosen zugunsten der Schwellenländer im Laufe des Jahres 2021, ausgelöst durch die Outperformance in Asien und insbesondere in China.

Faktor 3: Entwicklung von Impfstoffen

Fortschritte bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen das Coronavirus dürften dazu beitragen, dass sich das globale Wachstum schneller als erwartet erholt und so auch die Risikobereitschaft von Investoren erhöht.

Faktor 4: Weniger Handels- und geopolitische Spannungen

Die neue US-Regierung unter Joe Biden sollte auf globaler Ebene einen umfassenden, multilateralen Ansatz verfolgen. Dies dürfte zum Wiederaufbau der US-Allianzen, weniger Handelsspannungen, einem Rückgang der Twitter-Diplomatie und damit zu einer Verringerung der Volatilität führen.

Faktor 5: Starkes Engagement von Kreditgebern

Der IWF sowie andere multilaterale und bilaterale Kreditgeber bleiben den Schwellenländern eng verbunden. Seit Beginn der Pandemie hat der IWF mehr als 83 Länder finanziell unterstützt. Bilaterale Gläubiger haben über die bis Mitte 2021 andauernde Initiative zur Aussetzung des Schuldendienstes der G20 mehr als 45 Ländern einen 12-monatigen Schuldendiensterlass gewährt.

Faktor 6: Gute globale Liquiditätsbedingungen

Durch die Pandemie sind die Bilanzen der G4-Zentralbanken zwischen März und September 2020 um 17,5% des BIP angestiegen – schneller und stärker als während der globalen Finanzkrise. Finanzbehörden auf der ganzen Welt legten seit Beginn der Pandemie beispiellose Ausgabenpakete in Höhe von fast 12 Billionen US-Dollar auf (Abb. 2). Darum gibt es weltweit reichlich Liquidität zu historisch niedrigen Zinsen. Schulden mit negativer Rendite sind auf 17 Billionen US-Dollar angewachsen – das ist doppelt so viel wie im März 2020. Da diese Dynamik auf absehbare Zeit anhalten dürfte, sollte die Suche nach Renditen die Zuflüsse von Investorengeldern in die Schwellenländer im Jahr 2021 weiter unterstützen.

Faktor 7: Bewertungen und technische Fragen wirken unterstützend

Wir sind der Ansicht, dass Schwellenländer nach wie vor attraktiv bewertet sind, insbesondere im Hochzinsbereich. Das gilt sowohl im Vergleich zu US Investment Grade als auch zu US High Yield auf mehrjährige Sicht. Niedrigere Haushaltsdefizite dürften im nächsten Jahr zwar zu weniger Emission von Schwellenländeranleihen führen, aber trotzdem sollten die Cashflows dieser Asset-Klasse steigen. Grund dafür ist, dass die Amortisierungen und Zinszahlungen an Anleger 2021 höher ausfallen werden.

Faktor 8: Positive Aussichten für Rohstoffpreise

Wenn sich das globale Wachstum erholt, dürfte das zu einer Entwicklung der Rohstoffpreise führen, die für Schwellenländer vorteilhaft ist.

Faktor 9: Handelsspanne für US-Dollar

Der Dollar fungiert auch als Finanzierungswährung für den Kauf von Vermögenswerten von Schwellenländern. Aufgrund seiner antizyklischen Eigenschaften wird er tendenziell schwächer, wenn das globale Wachstum schnell steigt. Weil sowohl die Fed als auch die EZB ihre Ankaufprogramme von Anleihen wahrscheinlich fortsetzen werden, bis eine solide Erholung zu erkennen ist, dürfte das den Dollar und den Euro schwächen. Die Aussichten für Währungen der Schwellenländer würden davon allerdings profitieren. Sollten jedoch die Inflationserwartungen stark anziehen, weil die USA verglichen mit Europa überdurchschnittlich stark wächst, könnte das die US-Renditen steigen lassen und den Dollar stützen. Doch selbst in diesem Fall sehen wir keinen Grund für einen signifikanten Anstieg der realen Renditen, da die Fed das zeitweise Überschießen der Inflation zugunsten höherer Beschäftigung im Sinne eines „Average Inflation Targeting“ zulassen will. Daher erwarten wir für das kommende Jahr keine nachhaltige Erholung des Dollars.

Es gibt also einige Faktoren, die zuversichtlich stimmen. Investoren sollten aber auch auf mögliche Risiken achten. Die Volatilität könnte sich erhöhen, wenn die scheidende US-Regierung noch kurzfristig in Bezug auf China, den Iran, den Handel und andere Themen aktiv wird. Auch nach dem Übergang zur Biden-Regierung könnte ein geteilter US-Kongress zu weniger starken Impulsen und Verzögerungen bei der Eindämmung von Covid-19 führen und so die Erholung des Landes schwächen.

Lockdowns und die Ausbreitung von Infektionen in Europa bergen ebenfalls Risiken für das globale Wachstum. Innerhalb der Schwellenländer sind die asiatischen Länder erfolgreich bei der Kontrolle des Virus und sind zudem überdurchschnittlich gewachsen. Andere große Volkswirtschaften könnten jedoch empfindlicher auf einen Anstieg der Infektionszahlen reagieren, zumal die Lieferung des Impfstoffes sich hinziehen könnte. Umgekehrt könnten die Inflationserwartungen steigen, wenn der Impfstoff zu einer schnelleren weltweiten Erholung führt als derzeit erwartet. Das würde auch höhere Benchmark-Renditen und einem stärkeren Dollar mit sich bringen.

Schließlich ist zu bedenken, dass die Spreads für Staatsanleihen und Unternehmen in Schwellenländern seit März um 250 Basispunkte geschrumpft sind, und das in einer Erholungsphase, die nun schon sieben Monate anhält und damit relativ ausgereift ist. Das könnte auf Konsolidierungstendenzen im kommenden Jahr schließen lassen, aber wir glauben, dass die neun Faktoren stark genug sind, um die Risikoaufschläge für Schwellenländer wieder um 50 bis 70 Punkte steigen zu lassen. Damit wären sie auf ihrem Vorkrisenniveau von 300 Basispunkten. Die anhaltende Risikobereitschaft von Investoren könnte jedoch durchaus dazu führen, dass Spreads in einem „Widerstandsbereich“ von 240 bis 260 Punkten getestet werden.

 

Verantwortlich für den Inhalt:

Legal & General Deutschland, Service­GmbH, Richmodstr. 6, D­-50667 Köln Tel.: 0221/92042­225, Fax: 0221/92042­301, www.legal­and­general.de