Marktkommentar von Christian Hantel, Senior Portfolio Manager von Vontobel Asset Management

 

Amerika hat am Dienstag gewählt, doch weiß die Bevölkerung immer noch nicht, wer ihr nächster Präsident sein wird. Auch wenn Joe Bidens Chancen auf einen Sieg derzeit hoch sind, lassen Donald Trumps Äußerungen darauf schließen, dass er das Wahlergebnis anfechten wird. Sollte dann ein ausgedehnter politischer und rechtlicher Kampf um das Wahlergebnis folgen, würde sich für die Finanzmärkte aufgrund der erhöhten Unsicherheit ein viel gefürchtetes Bärenszenario bewahrheiten. Allerdings dürfte es sich dabei nur um eine vorübergehende Erscheinung handeln. Tatsächlich waren US-Unternehmen bereits vor der Wahl in die Erholungsphase des Kreditzyklus eingetreten und sind somit gut darauf vorbereitet, der zu erwartenden Marktvolatilität mit Cash-Beständen auf Allzeithochs zu begegnen.

Darüber hinaus werden die Kreditmärkte für Unternehmen von der US-Notenbank (Fed) stark unterstützt. Ursprünglich startete die Fed das Programm zum Kauf von Unternehmensanleihen als Rettungsschirm, in dessen Rahmen die Unternehmen die Fed als Kreditgeber letzter Instanz nutzen konnten. Jetzt kauft die Fed aktiv US-Unternehmensanleihen mit einer Laufzeit von bis zu vier Jahren, einschließlich Anleihen mit BB-Rating. Dies hat die Märkte besänftigt und Anreize für Investoren geschaffen, in Unternehmensanleihen zu investieren. Für den Fall, dass die Marktunsicherheit aufgrund eines unklaren US-Wahlergebnisses anhält, könnte die Fed das Vertrauen in den Markt für Unternehmenskredite relativ leicht wiederherstellen, indem sie ihre Aktivitäten am Primär- und Sekundärmarkt intensiviert. Daher sollte sich jede Spreadausweitung als überschaubar erweisen und die Liquiditätsbedingungen sollten weiterhin günstig bleiben.

Während eine Periode erhöhter Volatilität vor uns liegt, können Anleger von Fehleinschätzungen und Marktineffizienzen profitieren. Abgesehen von den Renditechancen bei Anleihen desselben Emittenten, die auf verschiedene Währungen lauten, hat die verstärkte Aktivität der Zentralbanken an den amerikanischen und europäischen Kreditmärkten dazu geführt, dass sich die Spreads in einigen Märkten anders als üblich verhalten, wodurch sich für globale Anleger Kaufgelegenheiten ergeben. Jede Marktschwäche kann sich in eine Kaufgelegenheit verwandeln, sofern der Emittent einer fundamentalen Kreditanalyse unterzogen wird.

Während sich die US-Wirtschaft noch immer erholt, dürfte der US-Markt im Vergleich zu anderen lokalen Märkten in Europa oder Asien weiterhin einen angemessenen Renditevorteil bieten. Darüber hinaus sind die Kosten für die Absicherung des Währungsrisikos zurückgegangen. Dies hat ausländische Investoren, wie z.B. Kunden aus Asien, in den US-Dollar-Markt gezogen, insbesondere in Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Rating.

Sobald das Wahlergebnis endgültig feststeht, werden alle Augen auf die Umsetzung der Steuerpolitik der neuen US-Regierung gerichtet sein. Sollte Joe Biden der nächste Präsident der Vereinigten Staaten werden, dürfte eine teilweise Rückabwicklung der Steuerreform von 2018 zuerst die Sektoren betreffen, die anfangs am meisten von der Steuersenkung profitiert haben: Transport und Finanzen.

 

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