Infektionsverlauf: Notenbanken immunisieren den Markt – Beitrag von Philipp van Hove, Leiter des Fonds- und Portfoliomanagement Aktien bei der SIGNAL IDUNA Asset Management
In den letzten Monaten herrschte am europäischen Aktienmarkt wenig Bewegung. Der seit Juni etablierte Seitwärtskanal zwischen 3.200 und 3.400 Punkten im EuroStoxx 50 war weitestgehend stabil. Doch auf Einzeltitelebene ist viel passiert. Hier gab es immer wieder Favoritenwechsel – je nachdem, ob gerade Konjunkturoptimismus ausbrach oder gedämpft wurde. Zudem mischte sich, wie auch in den letzten Tagen, zeitweilig die Sorge vor der Pandemie und deren konjunkturellen Folgen in das Kursgeschehen.
US-Wahlen mit Impuls?
Für einen echten Ausbruch aus der derzeitigen Seitwärtsbewegung nach oben fehlte und fehlt dem Markt aber ein anhaltender Impuls. Viele Marktteilnehmer hatten in diesem Zusammenhang auf ein Konjunkturpaket in den USA gehofft. Angesichts der Präsidentschaftswahl und der Neuwahl des kompletten Repräsentantenhauses und eines Drittels der Mitglieder des US-Senats kamen Demokraten und Republikaner jedoch zu keiner Einigung. Und ob das Ergebnis der eigentlichen Wahl zu einem anhaltenden Impuls werden wird, ist schwer zu beurteilen.
In Europa würde bei einem Wahlsieg von Joe Biden und seinen Demokraten zwar kurzfristig die Erleichterung obsiegen, in Washington wieder einen Gesprächspartner der alten Schule vorzufinden. Ich bezweifele allerdings angesichts des grundlegenden Stimmungswandels in den USA hinsichtlich der Gestaltung von Handelsabkommen, dass dieser Impuls lange trüge. Zwar bestünde für die Europäische Union Hoffnung auf konstruktivere Gespräche – aber sicherlich unter der Bedingung, dass Europa sich im Hegemonialstreit mit China an die Seite der USA stellte. Davor würden die exportorientierten Nationen des alten Kontinents jedoch vermutlich zurückschrecken.
Das Infektionsgeschehen bestimmt das Winterhalbjahr
Mangels geeigneter Impulse von jenseits des Atlantiks konzentriert man sich deshalb hierzulande kurzfristig eher auf das Infektionsgeschehen. Dabei fragt man sich – auch angesichts des bisherigen Jahresverlaufs –, ob es noch zu einem klassischen Jahresendspurt kommen kann. Denn die Märkte haben sich von ihren Tiefstständen des ersten Quartals bereits erholt: Der EuroStoxx NR liegt seit Jahresbeginn nur noch 12 Prozent im Minus, der DAX nur noch 8 Prozent. Und der US-Markt, gemessen am S&P, liegt sogar mit 7 Prozent im Plus. Die Erwartungen für die letzten Wochen des Jahres sind insofern eher gedämpft.
Dies umso mehr, als die Märkte auf die nach oben schnellenden Zahlen der Neuinfektionen, die oberhalb der Werte des Frühjahrs liegen, bislang nicht ansatzweise so heftig wie vor acht Monaten reagiert haben. Hier scheinen die Kapitalmarktteilnehmer zu glauben, innerhalb eines halben Jahres eine vermeintliche Pandemie-Expertise ausgebildet zu haben – Covid-19 ist zum alten Bekannten geworden und hat für viele seinen Schrecken verloren.
Das liegt auch an den staatlichen Hilfspaketen für die Wirtschaft und der Politik der Notenbanken: Beide haben es zwar nicht vermocht, der Menschheit einen Impfstoff zu bescheren – aber die Börsen haben sie mit ihren nochmals weiter geöffneten Geldhähnen immunisiert. Noch meint oder zumindest hofft der Markt, dass sich diese Form der Kapitalmarktimpfung auch dauerhaft bezahlt machen wird. Sollte es sich letztlich für einige Branchen und viele Betriebe jedoch nur um eine Insolvenzverschleppung gehandelt haben, wird die Schuldenlast in den Blick geraten.
Trotzdem darf, wer über das Jahresende hinausschaut und auch die anderen Anlageformen in den Blick nimmt, für Aktien zuversichtlich bleiben.
Garantierte Verluste
Denn die Pandemie hat die Digitalisierung erneut beschleunigt. Das befördert nicht nur Technologieanbieter und -entwickler, sondern kann auch in etablierten Branchen helfen, effizienter zu wirtschaften. Europa hat hier Nachholpotential: Während sich in den USA in den vergangenen zehn Jahren der Anteil technologiegetriebener Unternehmen in den bekannten Indizes bereits von 20 auf 40 Prozent erhöht hat, liegt er in Europa nahezu konstant zwischen 10 und 15 Prozent.
Entsprechende Portfolioanpassungen in aktiv gemanagten Mandaten können richtungsweisend sein. Unternehmensbeteiligungen bleiben mit Blick auf ihre möglichen Renditen deshalb weiterhin aussichtsreich, selbst wenn die Schwankungen wieder zunehmen sollten.
Das ist bei Staatsanleihen hoher Bonität nicht der Fall. Mit dem Attribut „Sicherheit“ wird, so sagen nicht nur Zyniker, eingedenk einer negativen Rendite von minus 0,60 Prozent für die 10-jährige Bund der garantierte Verlust beworben. Auch die am Markt vorhandene Liquidität dürfte deshalb eher den Aktien zugutekommen – und das spätestens im Frühsommer, wenn den diesjährigen Erfahrungen folgend die Zahl der Neuinfizierten wieder sinken könnte.
Verstärkt oder vorgezogen werden würde diese Bewegung durch die Markteinführung eines Impfstoffes in der Europäischen Union oder den USA. Insofern wird in den kommenden Monaten nicht nur das Infektionsgeschehen wellenförmig verlaufen, sondern in dessen Gefolge dann vermutlich – wenn auch mit Verzögerung – das Kursniveau der Börsen.
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