Das Corona-Virus wird weiterhin Schlüsselrolle einnehmen: Eine Normalisierung in der Weltwirtschaft wäre angesichts der Auswirkungen auf die Verbraucher- und Unternehmenseinkommen die stärkste Triebkraft für die Märkte
Die politischen Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten sind für Investoren wichtig. Aber das Schreiduell zwischen Trump und Biden von vergangener Woche war nicht sehr erhellend.
Die Erwartungen an die TV-Debatte waren hoch und viele hatten auf mehr Klarheit über die unterschiedlichen Positionen von Präsident Donald Trump und dem früheren Vizepräsidenten Joe Biden gehofft. In einer der wohl wichtigsten Wahlen in der neueren US-Geschichte ist eine solche Vergleichsmöglichkeit dringend nötig.
Stattdessen glich das Duell einem peinlichen Schulhofstreit – es fehlte nur, dass man sich prügelte oder an den Haaren zog. Zum Glück galten die Corona-Abstandsregeln… Die unvermeidliche Frage nach Sieger und Verlierer sorgte anschließend für viel Diskussionsstoff. Für mich steht der Verlierer fest: das amerikanische Volk. Mich schaudert bei dem Gedanken, dass unsere Kinder dieses Debakel gesehen haben. Ich war so frustriert, dass ich angefangen habe zu zappen. Zum Schluss bin ich beim Baseballspiel der New York Yankees gelandet. Dabei kann man immerhin den Ton abstellen und bekommt trotzdem alles mit.
Manche mögen die Debatte für gutes Polittheater gehalten haben, aber aus unserer Sicht war sie für Investoren außerordentlich ernüchternd. Es wurde mehr als deutlich, wie tief die Politik in der größten Volkswirtschaft der Welt gesunken ist. Themen wie Wirtschaft, Steuern und Regulierung kamen ohnehin kaum vor – und das, obwohl die beiden Parteien hier so weit auseinanderliegen wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Wir müssen uns also selbst eine Meinung bilden.
Fiskalpolitik, Steuern und Regulierung
Zu Beginn des Wahlkampfs, im August, schrieben wir, dass „die Show beginnt“ und Marktvolatilität wohl unvermeidbar sei. Aufgrund der Wahlen warnten wir dann vor einem Monat vor einem unruhigen Herbst.
Im September wurde es dann tatsächlich volatil; der S&P 500 gab um fast 10 Prozent nach. Für die Zeit unmittelbar nach der Wahl am 3. November zeigen die Futures auf den CBOE VIX Index jetzt noch höhere Volatilitätserwartungen an – wohl wegen der turbulenten Debatte letzten Dienstag. Die Nachricht vom Donnerstag über Trumps positiven Coronatest machte die Sache nicht besser. Bei Redaktionsschluss war unklar, was das für Washington bedeutet.
Natürlich sind politische Prognosen immer schwierig, doch alles in allem könnte ein “Blue Sweep”, also ein Wahlsieg der Demokraten sowohl im Weißen Haus als auch im Kongress und im Senat, wahrscheinlicher geworden sein – mit weitreichenden Folgen für Investoren.
Freie Hand
Wenn die Demokraten freie Hand haben, ist mit gewaltigen Konjunkturprogrammen zu rechnen, vielleicht mit bis zu 5 Billionen US-Dollar Volumen. Kurzfristig dürfte es darum gehen, in der anhaltenden Coronakrise Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. Wahrscheinlich wird aber auch langfristig das Wachstum gefördert – mit Schuldenerlassen für die Bundesstaaten sowie Investitionen in Infrastruktur, erneuerbare Energien und 5G.
Strategische Ausgabenprogramme könnten der Wirtschaft durchaus nützen und die Erholung fördern. Für die Märkte wäre das gut. Doch auch hier muss irgendjemand die Zeche zahlen.
Darüber hinaus plant Biden beachtliche Steuererhöhungen. Wenn sie 2021 umgesetzt werden, könnte dies die positiven Wirkungen der höheren Staatsausgaben zunichtemachen. Analysten schätzen, dass höhere Steuern die Gewinne je Aktie der S&P-500-Unternehmen durchaus um 9-10 Prozent dämpfen könnten. Einkommens- und Kapitalertragssteuern könnten Wirtschaft und Märkten ebenfalls schaden. Wir hoffen, dass die bei einer Biden-Administration wohl unvermeidlichen Steuererhöhungen zumindest gestreckt werden, damit sich die Wirtschaft erholen kann.
Auch mögliche Regulierungsverschärfungen behalten wir im Blick. Sie könnten das Geschäftsklima belasten, bei großen wie kleinen Unternehmen gleichermaßen. Sie würden dann weniger investieren. Selbst wenn die Demokraten den Senat nicht gewinnen, könnte Biden – wie zuvor schon Trump – viele neue Vorschriften mittels Dekreten einführen.
Eine grundsätzlich andere Politik als in den letzten vier Jahren kann man sich zurzeit nicht gut vorstellen, vor allem in den Bereichen Steuern und Regulierung. An den Märkten hält man aber sowohl den Status quo als auch eine Machtteilung für besser als einen klaren Sieg der Demokraten.
Höhere Steuern und strengere Vorschriften wären der Anlegerstimmung wohl abträglich; die Kurs-Gewinn-Verhältnisse gingen zurück. Zeitlich gestreckt wären solche Maßnahmen für Aktien aber wohl weniger folgenschwer, als manche befürchten.
Corona bleibt das überragende Thema
Weil der Shutdown so massiv war, dürften bessere Nachrichten zur Pandemie, was die Auswirkungen auf die Märkte angeht, die Wahlen wohl in den Schatten stellen. Eine Normalisierung der Weltwirtschaft wäre für die Märkte mehr als gut, würde sie doch für deutlich mehr Konsum und höhere Unternehmensgewinne sorgen.
Dennoch glauben wir, dass sowohl das Virus als auch die Wahlen enorme langfristige Folgen haben. Wie viele andere Investoren, die sich vor einem volatilen November schützen wollen, begrenzen auch wir die Risiken – zumal politische Entwicklungen von Natur aus schwer prognostizierbar sind.
Wenn wir, unsere Kunden und andere Investoren einen Wunsch an die beiden Kandidaten richten könnten, dann diesen: Einer von beiden, Trump oder Biden, wird in den nächsten vier Jahren ein Land mit 22 Billionen US-Dollar Wirtschaftsleistung anführen. Es wäre wirklich nett, wenn sie sich vernünftig darüber austauschten, was sie vorhaben – und warum.
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