Kommentar von Michael Winkler, Leiter Anlagestrategie bei der St.Galler Kantonalbank Deutschland AG
Erleben wir an den europäischen Aktienmärkten derzeit so etwas wie eine Renaissance der Old Economy? Zumindest temporär drängt sich der Eindruck auf. Der deutsche Leitindex DAX hat im Juli die seit März durch die Corona-Pandemie erlittenen Verluste fast komplett wieder aufgeholt und hält sich stabil kurz vor der wichtigen 13.000er-Marke. Ein Ausbruch nach oben ist durchaus möglich.
Ähnliches gilt für den EuroStoxx 50: Er „klebt“ ebenfalls seit Juli an der 200-Tages-Linie von 3.400 Punkten. Auch hier ist das Überschreiten dieser entscheidenden Linie alles andere als ausgeschlossen. In beiden Fällen – sowohl beim DAX als auch beim EuroStoxx 50 – würden in diesem Fall neue Kaufsignale ausgelöst.
Nur wenige Beobachter rechnen derzeit zwar mit einer solchen Entwicklung. Und aus fundamentaler Sicht ist das ja auch mehr als verständlich. Die Erträge vieler Unternehmen halten mit der Entwicklung ihrer Aktienkurse bei Weitem nicht mehr Schritt, die Bewertungen sind mittlerweile häufig sehr teuer. Es gibt aber nach wie vor kaum Alternativen zur Investition in Aktien. Nach der de facto-Abschaffung des Zinses in den USA gilt dies mehr denn je. Überschüssige Liquidität treibt die Märkte ebenso wie die Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen durch die Fiskal- und Geldpolitik.
Es gibt also eine Vielzahl von Marktteilnehmern, die nur mit mehr oder weniger großen Bauchschmerzen investieren. Bei diesen Bauchschmerzen spielen auch Spekulationen über mögliche Insolvenzen vieler Unternehmen in diesem und dem kommenden Jahr eine Rolle. Es kann aber gut sein, dass genau diese vorherrschende Skepsis die beste Versicherung gegen einen erneuten Crash an den Aktienmärkten wie im März ist. Wer permanent mit dem Schlimmsten rechnet, wird dann auch nicht mehr davon überrascht und verkauft demzufolge auch nicht mehr so schnell. Die Tatsache, dass auf die derzeit fast täglich neuen Höchstmeldungen von Corona-Infektionen in den USA keine relevanten Kursrückgänge zu verzeichnen sind, ist ein deutlicher Indikator für diese Annahme.
Sommerloch oder Start in eine neue Rallye – die Entscheidung ist noch nicht gefallen. Fest steht nur eines: Europa steht an den Aktienmärkten vor entscheidenden Wegmarken.
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