Wie vor Kurzem beschrieben, glauben wir, dass die von den Zentralbanken und gewissermaßen auch von den Regierungen ausgehende Stimulierung dazu beigetragen hat, den derzeitigen starken Wirtschaftsabschwung teilweise auszugleichen und die Finanzmärkte zu stabilisieren.

 

Das Niveau der Makrodaten und die Anlegerstimmung sind zwar nach wie vor negativ, verschlechtern sich aber nicht mehr weiter. Gleichzeitig haben sich für verschiedene Anlagen bewertungsbezogene Möglichkeiten eröffnet. Angesichts der beispiellosen Art dieses Schocks ist jedoch Vorsicht geboten. Die Ungewissheit ist nach wie vor groß, da die sich wieder öffnenden Volkswirtschaften mit einer zweiten COVID-19-Welle rechnen müssen. Wir glauben, dass es noch nicht an der Zeit ist, große Risiken einzugehen. Stattdessen konzentrieren wir uns auf Selektivität und Differenzierung, insbesondere bei wachstumsorientierten Anlagen. Wir bevorzugen Aktien mit „Qualitätswachstum”, da diese Unternehmen unseres Erachtens gut geeignet sind, den gegenwärtigen Sturm zu überstehen.

WHAT’S NEXT?

Niveaus und Veränderungen

Im Klartext: Die Weltwirtschaft erlebt einen beispiellosen Schock, dessen Lösung ungewiss bleibt. Mit weiteren 3 Millionen neuen Arbeitslosen in den Vereinigten Staaten und fast 23 Millionen Menschen, die immer noch arbeitslos sind, ist es schwierig, von einem Ende der Coronavirus-Krise zu sprechen. Die Dynamik ist jedoch ebenso wichtig wie das Niveau der Finanzmärkte, und hier zeichnet sich ein positiveres Bild ab:

– In den Vereinigten Staaten verbesserte sich der Empire Manufacturing Survey on General Business Conditions gegenüber dem Vormonat deutlich (-48,5 vs. -78,2) und übertraf die Erwartungen (-60), während sich auch der University of Michigan Sentiment Survey von seinem vorherigen Niveau verbesserte (73,7 vs. 71,8);

– In China sind viele Fabriken wieder in Betrieb, und der städtische Verkehr in den Großstädten scheint sich erholt zu haben. Tatsächlich verbessern sich jetzt 55 % der zugrunde liegenden Daten unseres chinesischen Wachstums-Nowcaster, was eine bemerkenswerte Veränderung gegenüber dem letzten Monat darstellt;

– Insgesamt ist der Citi Economic Surprise Index zwar nach wie vor negativ, hat sich aber von seinen Tiefstständen von Ende April verbessert. Unser eigener Überraschungsindex, der die G10-Volkswirtschaften abdeckt, ist nach wie vor niedrig, aber 48% der Daten verbessern sich jetzt.

– Unser Global Growth-Newscaster, der täglich die Berichterstattung über das Wirtschaftswachstum bewertet, verzeichnete ebenfalls eine bedeutende Veränderung: Er zeigt jetzt eine deutliche Verbesserung, mit 57% besseren Daten als vor einem Monat.

Wo Risiken einzugehen sind: Aktien mit „Qualitätswachstum”

Unserer Ansicht nach ist es nicht die Zeit für ein signifikantes Re-Risking von Portfolios. Die Marktvolatilität ist nach wie vor hoch, und es bestehen zu viele Ungewissheiten über das Tempo, das Ausmaß und den Umfang der wirtschaftlichen Erholung. Angesichts der Stabilisierung der Finanzmärkte glauben wir jedoch, dass jetzt ein günstiger Zeitpunkt ist, um selektiv Risiken einzugehen. Anders ausgedrückt, es ist die Zeit für Alpha, nicht für Beta.

Eine unserer wichtigsten kurzfristigen Ansichten ist die Präferenz für Aktien mit „Qualitätswachstum”. Für uns sind Qualitätsaktien diejenigen, die sowohl starke Gewinn- und Verlustrechnungen als auch Bilanzen aufweisen. Zu den Faktoren, die wir berücksichtigen, gehören daher u.a. das Gewinn- und Umsatzwachstum der Unternehmen, ihre Gewinnmargen und ihr freier Cash-Flow sowie ihr Verschuldungsgrad und ihre Eigenkapitalrendite (ROE). Angesichts der massiven Ungewissheit um die Krise sind wir der Meinung, dass diese Qualitätsunternehmen sowohl auf der Ertrags- als auch auf der Finanzierungsseite über ein ausreichend starkes Polster verfügen sollten, um den gegenwärtigen Sturm zu überstehen und andererseits bereit zu sein, stark von der Erholung zu profitieren.

Die Zahlen sprechen für sich

Für die USA bedeutet dies eine Präferenz für den Nasdaq-100 Index gegenüber dem S&P 500. Die Nasdaq Unternehmen weisen nicht nur ein überdurchschnittliches Umsatzwachstum auf, sondern erzielten in den letzten fünf Jahren durchschnittlich fast 1,5x höhere Gewinnspannen als die Unternehmen des S&P 500. Sie hielten ihre überlegenen Margen auch während der Tiefen der globalen Finanzkrise (GFC) aufrecht, wodurch ihr Gewinnwachstum deutlich über dem des S&P 500 lag (12% gegenüber 7% im Durchschnitt der letzten fünf Jahre und -5% gegenüber -24% im Durchschnitt von Oktober 2008 bis Dezember 2009). Der freie Cashflow pro Aktie ist auch für den Nasdaq viel stärker, obwohl er seinen Preis hat: Die Renditen des freien Cashflows sind für beide Indizes ähnlich. Die Bilanzen weisen jedoch eine gewaltige Kluft auf: Das aggregierte Nettoverschuldungsgrad des Nasdaq beträgt fast ein Zehntel des S&P 500 (0,17 gegenüber 1,59). All dies entspricht einer durchschnittlichen Eigenkapitalrendite von fast 21% für den Nasdaq gegenüber 14% für den S&P 500 in den letzten fünf Jahren (und schätzungsweise 27% gegenüber 18% in den nächsten zwölf Monaten).

Um klarzustellen, dass wir nicht nur Technologieaktien bevorzugen: In Europa bevorzugen wir den Swiss Market Index (SMI) gegenüber dem Euro Stoxx 50. Während das Umsatzwachstum der Euro Stoxx 50-Firmen in den letzten fünf Jahren höher war, sind die Margen der SMI Firmen insgesamt viel besser (9,5% gegenüber 6,5% im Durchschnitt der letzten fünf Jahre), auch während der GFC- und der Eurozone-Staatsschuldenkrise. Selbst als die SNB Ende 2014 den Schweizer Franken aufwerten ließ, blieben die Margen über denen des Euro Stoxx 50, wenngleich sie von ihren erhöhten Niveaus zurückgingen. Dies ermöglichte es den Firmen im SMI, das Gewinnwachstum im Einklang mit den Euro Stoxx 50 Firmen zu halten (und im letzten Jahr zu übertreffen). Der freie Cash-Flow pro Aktie ist für den SMI weitaus höher, aber ebenso wie die Nasdaq ist er mit Kosten verbunden, da die Renditen des freien Cash-Flows ähnlich hoch sind. Was den Verschuldungsgrad betrifft, so liegt das Verhältnis Nettoverschuldung zu EBITDA für den SMI bei einem Drittel des Euro Stoxx 50 (2,0 gegenüber 5,4). Die Eigenkapitalrendite in den letzten fünf Jahren betrug durchschnittlich 11% für den SMI im Vergleich zu 9% für den Euro Stoxx 50, während Schätzungen für die nächsten zwölf Monate eine Eigenkapitalrendite von 13% für den SMI und 9% für den Euro Stoxx 50 voraussagen.

Die Risiken dieser Engagements sind aus unserer Sicht überschaubar

Unsere Präferenz für diese Exposures ist nicht ohne Risiko (sonst würden alle dasselbe tun). Erstens ist die Bewertung eindeutig ein Risiko: Das 12-Monats Forward Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für den Nasdaq liegt bei 25,0 gegenüber 20,4 für den S&P 500. Auch wenn man berücksichtigt, dass der Nasdaq in der Regel höher bewertet ist als der S&P 500, ändert sich das Bild nicht: Im Vergleich zur eigenen Historie liegt das aktuelle KGV des Nasdaq bei seinem 95. Perzentil gegenüber dem 90. Perzentil des S&P 500. Das KGV des SMI liegt derzeit bei 16,4 und damit über den 14,6 für den Euro Stoxx 50, obwohl das Bild im Vergleich zu deren Historie besser ist (der SMI liegt bei seinem 87. Perzentil, während der Euro Stoxx 50 bei seinem 96. Perzentil liegt). Darüber hinaus besteht die Gefahr einer überfüllten Positionierung, da sowohl der Nasdaq als auch der SMI gegenüber dem S&P 500 und dem Euro Stoxx 50 auf vielen Horizonten eine Outperformance erzielt haben: 5y, 3y, 1y, YTD, 2020 vor der Coronavirus-Krise (Jan 2020 – 19. Feb 2020), Coronavirus-Krise (20. Feb 2020 – 23. März 2020) und nach der Coronavirus-Krise (24. März 2020 – 15. Mai 2020).

Außerdem gibt es spezifische Risiken, denen wir ausgesetzt sind und die wir daher sorgfältig überwachen:

– Die Regulierung der US-Tech-Industrie würde den Nasdaq angesichts ihrer Zusammensetzung und Gewichtung viel härter treffen als den S&P 500. Ein demokratischer Präsident und/oder eine demokratische Kontrolle des Senats würden die Wahrscheinlichkeit dieses Risikos ernsthaft erhöhen, aber da die Wahl noch einige Zeit vor uns liegt und Washington sich auf die aktuelle Krise konzentriert, ist dies unserer Ansicht nach derzeit kein unmittelbares Risiko;

– Wie jeder Index globaler Unternehmen ist der SMI Währungsbewegungen ausgesetzt, und der Schweizer Franken bleibt ein beliebter sicherer Hafen. Eine Wiederaufnahme des Risk-Off-Modus der Anleger würde den Franken wahrscheinlich weiter aufwerten lassen, was einen Gegenwind für die Rentabilität der Schweizer Unternehmen bedeuten würde;

– Sowohl der Nasdaq als auch der SMI sind einem Konzentrationsrisiko ausgesetzt: Nur vier Unternehmen machen 50% der Marktkapitalisierung des Nasdaq aus (Microsoft, Apple, Amazon und Google), während beim SMI allein Nestle und Roche etwas mehr als die Hälfte des Index ausmachen. Etwas besser sieht es beim S&P 500 und Euro Stoxx 50 aus, auch wenn sie ebenfalls auf einige wenige große Namen konzentriert sind. Diese Namen sind jedoch von Bedeutung: Für den Nasdaq sind es allesamt qualitativ hochwertige Unternehmen, die gut positioniert sind, um die Krise zu überstehen (z.B. alle mit robusten Cloud-Diensten). Für den SMI sind die Dominanz von Nestle bei Basiskonsumgütern und das Pharmageschäft von Roche (gefolgt vom nächstgrößten Unternehmen, Novartis) genau die Positionen, die man halten sollte. Im Vergleich zu den Engagements in Finanzwerten, Öl und industrieller Fertigung, die man mit dem S&P 500 oder Euro Stoxx 50 eingeht, sind die unternehmensspezifischen Risiken des Nasdaq oder SMI durchaus attraktiver.

Schließlich ist auf die säkularen Trends hinzuweisen, von denen diese Unternehmen nach wie vor unverhältnismäßig stark profitieren, darunter die Digitalisierung vieler Sektoren, die Entstehung einer „Winner takes all“-Dynamik in der Industrie und der steigende Bedarf an medizinischer Versorgung einer großen, alternden Bevölkerung. Diese Trends sorgen für weiteren Rückenwind, der die Unternehmen des Nasdaq und des SMI gegenüber anderen stärken dürfte.

Insgesamt neutral, aber auf der Suche nach Opportunitäten

Unsere generelle Haltung ist neutral: Die makroökonomische Situation ist weltweit schlecht, und während wir ein sich langsam verbesserndes Bild sehen, ist es noch zu früh, um sich in hohem Maße risikoreichen Anlagen auszusetzen. Die Stimmung der Anleger ist nach wie vor negativ, und wenn sich die Bedingungen weiter verbessern, könnte ein Stimmungsumschwung risikoreiche Anlagen weiter in die Höhe treiben. In der Zwischenzeit sind die Bewertungen der einzelnen Anlagen nach wie vor uneinheitlich, was in einigen Fällen (Aktien) auf ein Aufwärtspotenzial und in anderen (Realvermögen) auf ein Abwärtspotenzial hindeutet. In diesem Zusammenhang sind wir der Meinung, dass Selektivität und Differenzierung bei der Asset Allokation eine entscheidende Rolle spielen.

 

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