Eine Einschätzung von Michael J. Bazdarich, Product Specialist bei der Legg-Mason-Boutique Western Asset Management.
Der BIP-Rückgang in den USA fiel im ersten Quartal etwas weniger drastisch aus, als viele erwartet hatten. Überraschend ist dabei, dass vor allem die Ausgaben für Dienstleistungen extrem stark fielen. Für das zweite Quartal wird dieser Effekt noch einmal stärker wirken, dann könnten die Zahlen wesentlich schlimmer aussehen. Die Börse wird dies einpreisen.
Dass das Bruttoinlandsprodukt der USA stark sinken würde, war klar. Die gerade gemeldete Zahl von minus 4,8 Prozent lag aber ziemlich genau in der Mitte zwischen den besten (minus einem Prozent) und den schlechtesten (minus 11,2 Prozent) Schätzungen.
Der Rückgang des BIP resultiert fast ausschließlich aus einer Komponente: den Verbraucherausgaben für Dienstleistungen. Zwar gab es auch starke Rückgänge bei der Produktion von Kraftfahrzeugen, was die Mitte März erfolgte Schließung von Autofabriken und Zulieferern widerspiegelt. Diese wurden jedoch durch Zuwächse im Baugewerbe und einem starken Rückgang der Importe ausgeglichen, was zur Steigerung des BIP beiträgt.
Dass der Rückgang des Dienstleistungsverbrauchs so gewaltig ausfiel und im Wesentlichen dem gesamten Rückgang des BIP entsprach, ist ein Beweis dafür, wie anders die derzeitige Lage gegenüber früheren Krisen ist. Die Nutzung von Dienstleistungen ist typischerweise die stabilste Komponente des BIP. Selbst während der globalen Finanzkrise 2007 bis 2009 gab es in den Quartalen mit den stärksten Rückgängen des BIP nur leichte Rückgänge bei den Dienstleistungen. Im Gegensatz dazu fiel im ersten Quartal 2020 der Rückgang des realen Dienstleistungsverbrauchs um ein Vielfaches höher aus als der des BIP.
Alle sprechen von einem Einbruch der Nachfrage. Dabei handelt es sich eigentlich nicht um einen Einbruch, sondern um eine gezielte Unterdrückung der Nachfrage durch die Maßnahmen gegen die Pandemie. Es ist fraglich, wie wirksam fiskal- und geldpolitische Stimulierungsmaßnahmen sein werden – oder wie notwendig sie sind –, wenn die Nachfrage nur unterdrückt wurde. In aller Bescheidenheit neigen wir deshalb zu der Annahme, dass der Nach-Pandemie-Aufschwung schnell und sehr weitgehend sein kann, gerade weil der Rückgang so künstlich auferlegt wurde. Doch damit dies eintreten kann, muss die Angebotsseite der Wirtschaft intakt sein und sich erholen können, wenn und sobald der Shutdown aufgehoben wird. Die Regierung hat versucht, diesen Übergang zu bewältigen, aber je länger der Shutdown andauert, desto größer könnten die potenziellen Probleme sein.
Allerdings, so schockierend der Rückgang der Dienstleistungsausgaben im ersten Quartal auch war, spiegeln diese gerade einmal etwa einen halben Monat Lockdown wider. Selbst wenn die Wirtschaft also zum 15. Mai auf breiter Front geöffnet würde, wäre der schließungsbedingte Rückgang der Nutzung von Dienstleistungen im zweiten Quartal dreimal so groß wie im ersten Quartal. Darüber hinaus werden wir in den Sektoren, die im ersten Quartal noch zum Wachstum beitrugen, wie etwa Verbraucherausgaben für Lebensmittel (etwa durch Hamsterkäufe), Wohnungsbau und Außenhandel, wahrscheinlich noch weitere Rückgänge im zweiten Quartal erleben.
Für das zweite Quartal steht also ein wesentlich stärkerer Rückgang des BIP bevor, wenn Ende Juli die Zahlen kommen. Andererseits waren die jetzigen Zahlen nicht überraschend, wenn man bedenkt, was wir bereits über das Gemetzel im Zusammenhang mit der Schließung wussten. Dementsprechend erholen sich die Aktienmärkte heute angesichts der BIP-Nachrichten. So schlimm der BIP-Einbruch im zweiten Quartal auch ausfallen wird: Spätestens zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Zahlen ist dies bereits in den Marktpreisen eingepreist. Und vielleicht ist es das sogar schon jetzt.
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