Eine Studie von JLL und dem Deutschen Erbbaurechtsverband e.V. zu Konditionen und Akzeptanz von Erbbaurechten im Wohnungsmarkt

 

100 Jahre jung und relevant wie seit langem nicht mehr: „In Zeiten von Wohnungsknappheit und der Frage nach bezahlbarem Wohnraum sowie stetig steigender Kosten im Wohnungsbau greifen immer mehr Städte und Gemeinden wieder vermehrt auf das Erbbaurecht als wohnungspolitisches Instrument zurück“, so Honoré Achille Simo, Senior Director Valuation & Transaction Advisory JLL Germany. Simo weiter: „Wenngleich das Interesse an einer Investition in Erbbaurechte nicht immer vorbehaltlos ist, können Erbbaurechte als Ausweich-Strategie zu den sauerstoffarmen Renditen am Immobilienmarkt gesehen werden.“

Mangel an Transparenz

Trotz des Jubiläums im letzten Jahr und den damit verbundenen Veranstaltungen und Diskussionen mangelt es dem Markt für Erbbaurecht in Deutschland in vielerlei Hinsicht allerdings an Transparenz: „Welche Laufzeiten sind marktgängig? Welche Zinsen sind marktgerecht und nach welchen Kriterien sollten diese festgesetzt werden? Hat die allgemeine Marktentwicklung in den letzten Jahren zur Verschiebung der Konditionen in Erbbaurechtsverträgen geführt? Und wie stehen Investoren zum Erbbaurecht als Instrument der Wohnungsmarktpolitik in Deutschland?“ – thematisiert Matthias Barthauer, Senior Director Research JLL Germany die wesentlichen Fragen einer Erhebung, die Jones Lang LaSalle in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Erbbaurechtsverband e.V. im Dezember 2019 unter Erbbaurechtsgebern durchgeführt hat. Insgesamt haben auf die quantitative Online-Befragung 111 Vertreter überwiegend staatlicher, kommunaler oder kirchlicher Institutionen geantwortet. Darüber hinaus wurden qualitative Interviews mit sechs bedeutenden privatwirtschaftlichen Wohnungsinvestoren geführt.

Der deutsche Erbbaurechte-Markt

In Deutschland sind Schätzungen zufolge etwa 5 Prozent der zum Wohnen genutzten Flächen unter Erbbaurechts-Gesichtspunkten vergeben. „Heute verfügen zahlreiche deutsche Städte über Erbbaurechts-Grundstücke und sehen im Erbbaurecht ein geeignetes Mittel, die Wohnraumversorgung durch langfristige Nutzungsbindung zu stärken, Bodenspekulationen einzudämmen und nachhaltig und langfristig Einfluss auf die Stadtentwicklung zu nehmen“, betont Honoré Achille Simo. Allerdings, so Simo, zeige die Befragung, dass die Ausgestaltungsmöglichkeiten von Erbbaurechtsverträgen in der Praxis sehr vielfältig sind. „Die in der Befragung genannten unterschiedlichen Konditionen und großen Spannen bei Laufzeiten, Erbbauzins oder der Entschädigungshöhe bei Heim- bzw. Rückfall deuten auf eine mangelnde Standardisierung von Erbbaurechtsverträgen in der Wohnungswirtschaft hin”. Und aus Investorensicht sei die Attraktivität eines Erbbaurechtsvertrags vor allem an bestimmte Kriterien gebunden. So etwa an einen Erbbauzins, der dem aktuellen Finanzierungsumfeld angepasst ist, an eine Koppelung der Erbbauzinsen an die Mietentwicklung oder an eine Entschädigung zum vollen Wert der Immobilie.

Die Ergebnisse der Umfrage im Überblick

60 Prozent der Befragungsteilnehmer repräsentieren Erbbaurechtsgeber, die einen Gesamtbestand von Immobilien in einem Wert von bis zu 100 Mio. Euro halten. Immerhin 13 Prozent der Teilnehmer haben für Institutionen mit einem Immobiliengesamtwert von mehr als       1 Mrd. Euro geantwortet. Von allen Teilnehmern hat ein gutes Drittel der Unternehmen dabei einen sehr deutlichen Schwerpunkt im Wohnungsbereich. Bezogen auf die eigenen Wohnimmobilien-Grundstücke geben 33 Prozent der Befragten darüber hinaus an, dass mindestens drei Viertel dieser Grundstücke im Erbbaurecht vergeben sind, bei weiteren 15 Prozent liegt der Anteil der im Erbbaurecht vergebenen Grundstücke zwischen 50 und 75 Prozent.

Laufzeiten hängen von Neuvergabe oder Verlängerung ab

Ob es sich um eine Erbbaurechts-Neuvergabe oder um Verlängerung eines bestehenden Erbbaurechtvertrags handelt, ist entscheidend für die vertraglich vereinbarten Laufzeiten. Die Unterschiede sind deutlich: 36 Prozent der Antwortgeber signalisierten, bei der Neuvergabe eine Laufzeit von 99 Jahren oder länger zu vereinbaren, bei Verlängerungen trifft dies auf nur 14 Prozent zu. Eine Laufzeit von unter 60 Jahren wird bei Neuvergabe nur selten vereinbart (8 %), während dies bei Verlängerungen in fast der Hälfte der Fälle eher die Regel als die Ausnahme ist.

Zeitpunkt einer möglichen Verlängerung

Viele Erbbaurechtsgeber sprechen üblicherweise zu einem sehr frühen Zeitpunkt mit den Erbbaurechtsnehmern über eine mögliche Verlängerung. 38 Prozent gaben an, dies fünf oder mehr Jahre vor Ablauf des Vertrages zu tun, 18 Prozent verhandeln drei bis fünf Jahre vorher. Nur 20 Prozent beginnen erst dann mit Gesprächen über eine Verlängerung, wenn der Ablauf des Erbbaurechts in weniger als zwei Jahren bevorsteht.

Große Bandbreite bei Erbbauzinsen

‘Bei der Frage nach den aktuell durchschnittlich vereinbarten Erbbauzinsen ist die Bandbreite der Antworten unter den Teilnehmern groß. Ca. 40 Prozent vereinbaren einen Erbbauzins zwischen 5 und 6 Prozent, weitere ca. 30 Prozent liegen in der Spanne zwischen 3 und 4 Prozent. Viele Erbbaurechtsgeber haben aufgrund des Niedrigzinsniveaus die Erbbaurechtszinsen bereits nach unten angepasst. Dabei sind die Unterschiede zwischen Neuabschlüssen oder Verlängerungen gering. Durchschnittlich liegt der aktuell vereinbarte Erbbauzins in allen Fällen bei ca. 3,7 Prozent.

Bodenrichtwert größter Einflussfaktor

Vom Bodenrichtwert (Euro/m²) hängt die Höhe des Erbbauzinses am stärksten ab. Mehr als 80 Prozent der Befragten gaben an, dass dieser Parameter der größte Einflussfaktor ist. Auf Platz 2 rangiert der Grundstückswert (insgesamt Euro), aber auch die Art des Erbbaurechtsnehmers. Ob es sich dabei um ein privatwirtschaftliches Unternehmen oder um eine gemeinnützige Stiftung handelt, spielt bei vielen Erbbaurechtsgebern bei der Festsetzung der Höhe eine signifikante Rolle.

Höhe der Entschädigung bei Ablauf

Während die Höhe der Entschädigung bei gewerblich genutzten Bauwerken frei verhandelbar ist, beträgt sie bei Wohngebäuden laut §27 Abs. 2 Erbbaurechtsgesetz „für minderbemittelte Bevölkerungskreise“ mindestens 2/3 des Wertes.

Unter den Befragungsteilnehmern wird in fast der Hälfte der Fälle (46 %) üblicherweise im Umfang von 66 bis 75 Prozent entschädigt, immerhin ein knappes Fünftel der befragten Erbbaurechtsgeber entschädigen beim Ablauf des Erbbaurechts in der Regel im vollen Umfang des Wertes.

Verfügungsbeschränkungen

Die Befragung zeigt, es gibt kaum einen Erbbaurechtsvertrag, in dem nicht eine Zustimmung des Erbbaurechtsgebers bei Verkauf des Erbbaurechts vereinbart ist. Ebenfalls sehr oft/oft (89 %) wird die Zustimmung bei Belastung (Finanzierung) als Verfügungsbeschränkung in den Vertrag aufgenommen und immerhin 80 Prozent lassen sich sehr oft/oft Vorkaufsrechte einräumen. Nur 3 Prozent der Befragten gaben an, im überwiegenden Fall keine Verfügungsbeschränkung zu vereinbaren.

Anpassungen bei Wohn-Erbbaurechten

Einige Befragungsteilnehmer berichten, dass es vor dem Hintergrund der aktuellen Marktsituation bei ihnen derzeit nur wenig oder keine Neuabschlüsse von Erbbaurechtsverträgen gibt. Über 70 Prozent der befragten Erbbaurechtsgeber haben bereits Anpassungen bei der Höhe des Erbbauzinses vorgenommen, bei weiteren ist eine Anpassung in Vorbereitung. Die Bedeutung städtebaulicher Parameter hat sich für einige kommunale Erbbaurechtsgeber wesentlich erhöht. Diese Bedeutung dürfte angesichts der sich weiter verknappenden Flächen in Zukunft noch zunehmen.

Die Perspektive der Investoren

Um die Perspektive der Investoren zu verstehen, wurden sechs bedeutende Akteure am Wohnungsmarkt, die das Spektrum des Investmentmarktes abdecken, zu ihrem Umgang und ihren Erfahrungen mit Wohnerbbaurechten sowie zu möglichen Chancen und Risiken befragt. Bei den Interview-Partnern handelt es sich um privatwirtschaftliche, auf Wohnimmobilien spezialisierte Unternehmen, die teilweise bundesweit tätig sind und ihren Sitz in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Hamburg haben. Bei bestehenden Erbbaurechts-Objekten treten die befragten Unternehmen in der Regel als Erbbaurechtsnehmer auf. Die bestandshaltenden Unternehmen verfügen über einen Bestand von 2.500 und 130.000 Wohneinheiten. Der Anteil an Erbbaurechts-Objekten an diesem Gesamtbestand liegt zwischen 6,4 und 7,5 Prozent. Zwei der Unternehmen verfügen über keinen bis einen sehr geringen Bestand an Immobilien im Erbbaurecht.

Ergebnisse der qualitativen Interview-Befragung

Zwar sehen die Investoren durchaus das Erbbaurecht als sinnvolles Mittel der kommunalen Stadtentwicklung, die öffentliche Hoheit über eine Flächenentwicklung zu behalten. Zurückhaltung überwiegt aber, wenn es um grundsätzliche und bedeutende Vorteile einer Investition in ein Erbbaurecht gegenüber dem Erwerb einer Immobilie in Volleigentum geht.

Mehrfach genannte geringere Konkurrenz als Vorteil bei Bieterprozessen um Erbbaurechte oder um Wohnportfolios, in denen der Erbbaurechtsanteil nicht vernachlässigbar ist, konfligiert mit mehrfach genanntem Nachteil der deutlich eingeschränkten Handelbarkeit von Erbbaurechten.

Eine geringere Anfangsinvestition (Grundstück muss nicht erworben werden) kann attraktiv sein. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation an den Finanzierungsmärkten und der immensen Verfügbarkeit von Kapital wurde diesem Vorteil von den befragten Investoren allerdings keine hohe Bedeutung beigemessen.

Auch die steuerliche Absetzbarkeit der Zinsen spielt für die befragten Investoren zwar eine positiv besetzte, wenn auch untergeordnete Rolle.

Als nachteilig für den Erbbaurechtsnehmer kann sich die konkrete inhaltliche Ausgestaltung eines Erbbaurechts-Vertrages erweisen. Davon unabhängig sind grundsätzliche Nachteile wie etwa bei den Themen:

„Finanzierung“. Die Konditionen sind für den Kreditnehmer häufig wenig attraktiv. Kurze Restlaufzeiten führen beispielsweise zu deutlichen Bewertungsabschlägen. Darüber hinaus ist der Aspekt der Finanzierung nicht nur zur Zeit des Kaufes relevant: Spätere Investitionen in ein Gebäude, die Restlaufzeit des Erbbaurechts also kürzer geworden ist, lassen sich nur eingeschränkt fremdfinanzieren. Manche Investoren geben an, Erbbaurechte ausschließlich mit Eigenkapital zu erwerben.

„Zinsanpassungen“. Es ist gängige Praxis, die Entwicklung des Erbbauzinses an die allgemeine Preisentwicklung zu koppeln. Demgegenüber steht häufig eine schwächere oder gar stabile Mietpreisentwicklung. Dieses Auseinanderdriften wird als problematisch beurteilt.

Obwohl viele Kommunen aus politischen Gründen vermehrt die Grundstücksvergabe im Erbbaurecht voraussetzen, wird nach Ansicht der meisten befragten Investoren angesichts der historisch und psychologisch bedingten Zurückhaltung gegenüber dem Erbbaurecht in Deutschland ein langer Kulturwandel stattfinden müssen, bevor das Thema Erbbaurecht dauerhaft im Markt etabliert ist. Verglichen mit der Akzeptanz von Erbbaurechten in anderen Ländern wie zum Beispiel in Großbritannien bestätigen die Gespräche, dass Deutschland diesbezüglich großen Nachholbedarf hat. Dabei wurde allerdings auch die Sorge geäußert, dass nach einem möglichen wirtschaftlichen Abschwung das Interesse am Thema Erbbaurecht hierzulande wieder sinken könnte.

 

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