Was in der Sachversicherung vor einigen Jahren zunächst in bestimmten Branchen begann, ist mittlerweile in nahezu allen Sparten und Industriezweigen angekommen:
Die Versicherer überprüfen ihre Kapazitäten, nicht selten reduzieren sie diese und fordern höhere Prämien. Sie stehen unter starkem Handlungsdruck, weil die Ergebnisse in der Industrieversicherung über viele Jahre hinweg defizitär waren. Anders als in der letzten Phase eines harten Marktes vor 15 Jahren geht diesmal der Impuls für diese Entwicklung nicht von den Rückversicherern, sondern von den Erstversicherern selbst aus. Dabei gibt es keine spartenübergreifenden Grundsätze, wie saniert wird. Die Zeiten sind vorbei, in denen jedes noch so große deutsche Unternehmen jede Deckung ausschließlich mit lokalen Kapazitäten platzieren konnte – und dies auch noch zu global marktführenden Preisen. Die dazu notwendigen Gespräche zu führen, nimmt mittlerweile das ganze Jahr in Anspruch. Das Renewal nach den Sommerferien schlank über die Bühne zu bringen, ist somit Geschichte. Die technischen und vor allen Dingen personellen Kapazitäten, die es benötigt, um dieser neuen Marktsituation gerecht zu werden, sind in den seltensten Fällen vorhanden – am wenigsten auf Seiten der Versicherer. Die Versicherungsbranche muss weiterhin an der Schaffung einer gemeinsamen Plattform arbeiten, was kompliziert und teuer ist. Damit die Plattform gelingt, müssen viele Beteiligte sich dazu bekennen, sie dann auch zu nutzen. Noch viel mehr sollten zwischenzeitlich die bestehenden Möglichkeiten und Mittel genutzt werden.
Mittlerweile ist es einfacher, die Sparten aufzuzählen, die von Prämienerhöhungen und Kapazitätsreduzierungen nicht betroffen sind, als anders herum. Zudem verfolgt jeder Versicherer seine individuelle Strategie und für Kunden bedeutet das meist: Bleibt alles anders. Darüber hinaus steigt der Druck auf die Ressourcen: bei Kunden, Versicherern und Maklern. Die Versicherungsbranche sollte nicht nur auf die Plattform als Allheilmittel bauen, sondern alle Möglichkeiten überprüfen und Zusammenarbeit neu denken. Technologie ist nicht die Lösung für menschliches Versagen.
Risikomanager sollten eine langfristige und ganzheitliche Strategie verfolgen. Dazu gehört, aktuelle Informationen über Werte sowie Lokationen zur Verfügung zu haben und diese mit ihren Risikopartnern zu teilen. Statt Deckungskonzepte unbesehen über Jahre hinweg fortzuschreiben und lediglich den Preis im Auge zu behalten, sind sie in viel kürzeren Abständen immer wieder grundsätzlich zu hinterfragen. Internationale Märkte spielen eine zunehmende Rolle, genauso wie die Rückversicherungsmärkte.
Der heute veröffentlichte Marsh Versicherungsmarktreport 2020 liefert fundierten Einschätzungen zu den Entwicklungen des deutschen Industrieversicherungsmarktes untergliedert nach Sparten, Branchen und Spezialrisiken. Das Branchenkapitel wurde gegenüber dem Vorjahr erweitert und das bedeutende Thema Digitalisierung hat einen eigenen Platz erhalten. Der jährliche Report entsteht in enger Zusammenarbeit der Experten aus den jeweiligen Sparten, Geschäftsbereichen und den Branchenteams von Marsh.
Aus dem Report:
In der industriellen Sachversicherung ist weltweit auf breiter Front eine Verhärtung des Marktes mit durchschnittlichen Steigerungen im Bereich von 5 bis 10 Prozent zu beobachten. Der deutsche Markt konnte sich dieser Entwicklung nicht entziehen und setzte somit den Trend aus dem Vorjahr fort. Während anfangs die Forderungen der Versicherer moderat und meistens nachvollziehbar waren, wurde der Markt gegen Ende des vergangenen Jahres zusehends schwieriger. Forderungen nach Verdoppelung und Verdreifachung der Prämien gegenüber dem Ist-Stand waren Ende 2019 keine Seltenheit. Einschränkungen des Versicherungsschutzes oder die Erhöhung der Selbstbehalte haben diese Forderungen nur sehr begrenzt gemindert. Nicht optimal geschützte Betriebe sowie Unternehmen der Chemie-, Stahl-, Gießerei-, Recycling-, Fleisch- und Lebensmittelbranche waren von dieser Entwicklung besonders betroffen.
Die Haftpflichtsparte für industrielle Risiken war seit fast zehn Jahren von sinkenden Prämien geprägt. Prämiensätze wurden regelmäßig reduziert und Umsatzerhöhungen nur in begrenztem Maße bei der Festlegung der Prämie berücksichtigt, was den Trend zusätzlich verstärkte. Nun steigen nicht nur die Schadenzahlungen, sondern auch die Bestrebungen der Versicherer, die Prämien zu erhöhen. Der Haftpflichtmarkt zeigte sich im Renewal zum 01.01.2020 (noch) uneinheitlich: Exponierte Risiken, insbesondere Rückrufkostenrisiken der Kfz-Zulieferer-industrie, aber auch Risiken der Bauwirtschaft, Pharma-/Chemie-Risiken und Krankenhäuser standen im Fokus der Versicherer für Prämienerhöhungen. Schadenbelastete Risiken – hier wiederum insbesondere große Schäden bei Kfz-Rückrufkostenrisiken – erfuhren zum Teil deutliche Prämienerhöhungen. Grundsätzlich waren aber auch Prämienreduzierungen für schadenunbelastete Verträge möglich. Versicherer sehen in der Sparte Haftpflicht weiterhin profitable Wachstumsmöglichkeiten und wollen Haftpflichtrisiken zeichnen. Gut verlaufende Verträge sollen um jeden Preis im Bestand erhalten bleiben.
Die Prämien für Cyber-Versicherungen steigen – insbesondere bei Großrisiken, aber auch bei mittelständischen Unternehmen sind bereits Prämienerhöhungen zu verzeichnen. Die Erhöhung der Deckungssummenzuschläge bei der Kalkulation von Exzedenten, besonders bei hohen Gesamtdeckungssummen, ist ebenfalls keine Seltenheit mehr. Zudem sind Versicherer nicht mehr automatisch bereit, Kapazitäten von 25 Mio. Euro bereitzustellen. Generell kann man beobachten, dass zahlreiche Versicherer ihre offerierte Gesamtkapazität im Gegensatz zu früher reduzieren und in ihrer Zeichnungspolitik vorsichtiger werden. Trotz Ersteindeckung verlangen die Versicherer häufig bereits bei der ersten Erneuerung der Verträge eine Prämienerhöhung. Das Phänomen Silent Cyber, also die unbekannte Cyber-Exponierung aus den verschiedenen Sparten in den Versichererportfolios, ist weiterhin ein großes Thema im Zusammenhang mit Cyber-Versicherungen. Die Interessen der Versicherer bei diesem Thema stehen jedoch geradezu konträr im Hinblick auf das Absicherungsbedürfnis der versicherungsnehmenden Wirtschaft: Während hier das Interesse besteht, möglichst umfangreichen Versicherungsschutz für sämtliche durch Cyber-Vorfälle potenziell verursachten Personen-, Sach-, Vermögensschäden usw. vorhalten zu können, liegt der Fokus der Versicherungsindustrie eher darauf, derzeit vorhandene (versteckte) Absicherungen sichtbar zu machen oder sogar den vorhandenen Versicherungsschutz in anderen Sparten einzuschränken. Hier ist es Aufgabe der Versicherungswirtschaft, eine für die Kunden über alle Sparten hinweg befriedigende Absicherungslösung zu entwickeln.
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