Über vierzig Allzeithochs beim US-amerikanische Aktienindex S&P500 seit Jahresbeginn, über fünfundzwanzig beim deutschen DAX – die Börseneuphorie lässt oft vergessen, dass nach wie vor viele börsennotierte Unternehmen von der Rallye nicht profitieren.
Die Konzentration der Kursgewinne erfolgt mehrheitlich in den großen, bekannten Unternehmenswerten und in wenigen Branchen. „Ein ‚broadening out‘, also eine Ausweitung der Rallye in alle Marktsegmente und Regionen, vor allem in die günstiger bewerteten kleineren Unternehmen ist zwar immer wieder sichtbar, als Trend aber noch nicht bestätigt“, warnt Thomas Böckelmann, Leiter Portfoliomanagement bei Dolphinvest Capital, in seinem aktuellen Monatsbericht.
Als Ursache für die Kursanstiege der großen Aktienindizes wird meist auf die im September erfolgte erste Zinssenkung der US-Notenbank FED verwiesen. Laut Böckelmann werde dabei ignoriert, dass die Rallye an den Aktienbörsen – ausgehend von den USA – bereits vor zwölf Monaten einsetzte und neben dem Hype um künstliche Intelligenz vor allem von wachsenden Zinssenkungshoffnungen getrieben war. Faktisch sind Aktien seit Monaten bereits in Erwartung sinkender Zinsen gestiegen – haben also die Zinswende bereits vorweggenommen. „Die dank der tatsächlichen Zinssenkung beobachtete weitere Beschleunigung der Kursanstiege hat etwas Besorgniserregendes, da sich die Aktienmärkte vermehrt von der wirtschaftlichen Realität abzukoppeln drohen“, befürchtet der Investmentexperte.
Konsequenterweise dürfe man angesichts erreichter Bewertungsniveaus an den meisten Aktienbörsen besorgt sein, die erreichten Multiples (Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis zukünftig erwarteter Unternehmensgewinne) preisten die beste aller Welten ein – ein inflationsfreies, moderates Wachstum bei sinkenden Zinsen und steigender Produktivität. „Das für sich genommen ist schon recht sportlich und erinnert an Marktbewertungen kurz vor der großen Depression, vor dem Platzen der Dot.com-Blase oder vor dem Ausbruch der Globalen Finanzkrise“, analysiert der Portfoliomanager. Sorglos sei es darüber hinaus, da geopolitische Risiken aufgrund ihrer faktischen Unberechenbarkeit an den Aktienmärkten tendenziell ignoriert würden und weil andere Märkte, z. B. die Energie- und Rohstoffmärkte, zu einer völlig anderen Deutung weltwirtschaftlicher Entwicklungen kämen.
Wie stabil ist die US-Wirtschaft?
Die Präsidenten Trump und Biden scheinen während und nach der Pandemie alles richtig gemacht zu haben, indem sie zu Lasten der Staatsfinanzen historisch einmalige Geldsummen verteilt haben und gleichzeitig den Selbstheilungskräften der Wirtschaft freien Raum ließen. Das Geschäftsmodell „USA“ brumme und ob im November Kamala Harris oder Donald Trump gewählt wird, sei für den Aktienmarkt zweitrangig.
Analog bisheriger Präsidentschaftswahlen sollte laut Böckelmann die Volatilität an den Märkten vor dem Wahltermin bis zur Bestätigung des Wahlergebnis deutlich anziehen. Beiden Kandidaten gemein sei, dass sie auf einen historisch einmalig gestreckten Staatshaushalt träfen, der kaum finanzielle Spielräume ließe. „Wieder sinkende Zinsen sind für den größten Schuldner der Welt daher sinnvoll bis zwingend, um die zahllos gehegten Wünsche erfüllen zu können. Die US-Notenbank spielt hier aktuell mit und riskiert dabei vielleicht Kopf und Kragen – zumal ein Kandidat Trump ohnehin offen mit dem Ende ihrer Unabhängigkeit droht“, urteilt der Experte.
Und Böckelmann weiter: „Faktisch zeigt die US-Wirtschaft bei aller Stabilität im internationalen Vergleich erste Anzeichen einer Abschwächung, die die US-Notenbank durchaus genötigt haben könnte, den schnelleren Sicherungsschritt von -0,5% bei den Zinsen vorzunehmen. Optimisten und Pessimisten streiten heftig über die Deutungshoheit dieses Schrittes und wie es weitergehen kann – aktuell spricht vieles für weitere monatliche Zinssenkungen in 0,25%-Schritten.“
Was macht die Eurozone?
Die Eurozone erlebte im September bereits ihre zweite Zinssenkung. Angesichts der 27 EU-Staaten, davon 20 Euro-Staaten, allesamt mit unterschiedlichen wirtschafts- und finanzpolitischen Ansätzen, sei eine Zinspolitik für alle zu finden laut Böckelmann eine Herkulesaufgabe: „Aber der Zinssenkungstrend scheint angesichts moderaterer Inflation und vor allem der wirtschaftlichen Abschwächungsgefahren weiter gesetzt. Vor allem Deutschland ist nach Jahrzehnten wieder der kranke Mann Europas und bräuchte schnell niedrigere Zinsen.“ Allerdings dürfte dabei der Zins alleine nicht ausreichen.
In den Augen Böckelmanns sei der 400 Seiten umfassende Bericht Mario Draghis zum Zustand von Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand in Europa mit seinen teilweise detaillierten politischen Handlungsempfehlungen für die neue EU-Kommission, aber auch die Länderregierungen, ein Lichtblick gewesen. Im Wesentlichen ging es um Reformen und Bürokratieabbau. „Allein die Reaktion der EU-Kommission und einiger Länderregierungen auf den Bericht lässt befürchten, dass diese wertvollen, aber schmerzvollen, Ansätze in einer Schublade in Brüssel verstauben werden“, so der Experte. Vieles deute darauf, dass selektiv Empfehlungen aufgenommen würden, um höhere Verschuldung und weitere staatliche Eingriffe und vor allem Investitionssteuerung zu rechtfertigen.
„Es muss Europa wohl noch einiges schlechter gehen, bevor sich eine grundsätzlich andere Haltung entwickeln kann. Bis dahin droht, von einigen Ländern abgesehen, eine weitere Abschwächung der Wirtschaft, eine hartnäckigere Inflation (wegen hohen Mindestlöhnen und fehlgeleiteter Energiepolitik) und damit prinzipiell weitere Verluste an Wettbewerbsfähigkeit und langfristig Wohlstands- wie Wohlfahrtsverlusten“, befürchtet Böckelmann.
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