Kommentar von Tim Winstone, Portfolio Manager, Janus Henderson Investors

Nachdem Europa als erstes die Zinsen gesenkt hat, könnten sich durch die unterschiedlichen Ansätze der Zentralbanken Chancen für aktive Manager ergeben.

Der endgültige Zinssatz, auf den man sich in Europa einigt, könnte niedriger sein als in den USA, was sich auf den Spielraum und die Instrumente der EZB sowie auf die Anleger auswirkt.

Das Motto „higher for longer“ bleibt bestehen; Lockerung in Europa sowie in anderen Industrieländern scheint schrittweise zu erfolgen.

Während die Europäische Zentralbank (EZB) bei der Anhebung der Zinssätze zweifellos etwas spät dran war, war sie bei der Senkung der Zinssätze darauf bedacht, nicht das Gleiche zu tun. Nicht nur bei ihrer ersten Zinssenkung, sondern auch bei der Ausrichtung auf den Beginn des Zinssenkungszyklus. Zum ersten Mal seit November 2011 und April 1999 ist Europa der US-Notenbank mit einer Zinssenkung zuvorgekommen. Dies hat bei den globalen Vermögensverwaltern einen Vergleich sowie eine Diskussion über die künftige Entwicklung ausgelöst.

Was sind die Auswirkungen auf Europa und andere Industrieländer?

Obwohl dies die erste Zinssenkung der EZB seit 2019 war, glauben wir, dass es sich um eine der am meisten erwarteten Zinssenkungen überhaupt handelt. Vieles ist bereits in den Märkten eingepreist. Eine Abkehr von der Synchronisierung der Zentralbanken ist unserer Ansicht nach kein Grund zur Sorge, sondern eher eine Folge der unterschiedlichen wirtschaftlichen Situationen.

Seit Jahresanfang zeichnet sich eine Divergenz in der Kommunikation der Zentralbanken ab.  Im Vergleich zu Europa war die nachfragebedingte Inflation in den USA hartnäckiger, Wachstum/Beschäftigung besser und der Verbraucher außergewöhnlich stark. In der Eurozone ist die Inflation weniger hartnäckig, was vor allem auf die Energiepreise zurückzuführen ist. Diese Divergenz ist eine Chance für uns als aktive Manager.

Aufgrund des holprigen Weges zur Zielinflation rechnen die Märkte weltweit mit einem flacheren Zinssenkungszyklus als noch Anfang 2024. Nur weil die EZB zuerst gesenkt hat, bedeutet dies nicht, dass sie die Zinssätze schneller senken wird als andere Zentralbanken. Sollten die Leitzinsen jedoch als zu langsam sinkend wahrgenommen werden, könnten die Anleiherenditen steigen.

Einige Prognosen deuten darauf hin, dass Europa bei einem niedrigeren neutralen Zinssatz oder r* – dem Zinssatz, bei dem die Geldpolitik das Wirtschaftswachstum weder stimuliert noch einschränkt – als die USA landen könnte. Dies könnte für europäische Unternehmen positiv sein, beeinflusst aber auch den geldpolitischen Spielraum der EZB. Ein niedrigerer langfristiger neutraler Zinssatz in der Eurozone im Vergleich zu anderen Industrieländern könnte:

bedeuten, dass die EZB weniger Spielraum hat, die Zinssätze während eines Konjunkturabschwungs zu senken, bevor sie die effektive Untergrenze erreicht. Dadurch könnte die EZB weniger in der Lage sein, die Wirtschaft während einer Rezession mit traditionellen geldpolitischen Instrumenten zu stimulieren.

bedeuten, dass die EZB mehr auf unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen wie quantitative Lockerung, negative Zinssätze, Forward Guidance usw. setzen könnte.

die Unternehmensschuldner ermutigen, zu investieren und zu expandieren. Niedrigere Zinssätze können die Finanzierungskosten senken, aber sie können die Anleger auf der Jagd nach höheren Renditen auch zu risikoreicheren Vermögenswerten treiben und möglicherweise Vermögenspreisblasen aufblähen.

Worauf sollten Anleger bei Europas Aussichten achten?

Nach unerwartet guten Lohnzuwächsen und Inflationszahlen verschafft sich die EZB einen gewissen Spielraum, indem sie sich „nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad festlegt“. Die Forward Guidance wurde nun zugunsten einer „Datenabhängigkeit“ und eines Ansatzes „von Sitzung zu Sitzung“ zurückgeschraubt. Die Aufwärtskorrekturen sowohl der Gesamt- als auch der Kerninflation anhand der März-Zahlen unterstreichen diesen vorsichtigeren Ansatz. Für Europa deutet jedoch wenig darauf hin, dass sich die Konjunktur ab jetzt plötzlich deutlich beleben wird.

Diese Vorsicht erstreckt sich auch auf die EZB, die ihr 2 %-Ziel ebenfalls nicht unterschreiten will. Auch wenn das Thema Disinflation zum Stillstand gekommen zu sein scheint, ist seine Wiederbelebung ein weiteres Risiko, vielleicht sogar ein größeres als für andere globale Märkte.

Was sind die Auswirkungen für Kreditanleger?

Meist schneidet Credit in einem nicht zu starken und nicht zu schwachen Wachstumsumfeld am besten ab. Die Überschussrenditen von Investment-Grade-Credit (IG) sind besser, wenn das reale BIP-Wachstum zwischen 1 % und 3 % liegt. Ein relativ moderater wirtschaftlicher Rahmen sowie eine anhaltend starke Kreditnachfrage mit noch lange nicht überinvestierten Anlegern lassen auf ein Umfeld schließen, in dem Carry – oder Rendite – wichtig ist. Die Duration – die Sensitivität einer Anleihe gegenüber einer Zinsänderung – wird in einem fallenden Zinsumfeld ebenfalls wichtig sein.

Der EZB-Rat bestätigte auch die Reduzierung der Wertpapierbestände des Eurosystems im Rahmen des pandemischen Notkaufprogramms (PEPP) um rund 7,5 Mrd. EUR pro Monat in der zweiten Jahreshälfte. Laut den Angebotsprognosen der Deutschen Bank, die die quantitative Straffung der EZB bis Jahresende berücksichtigen, müssten Anleger fast doppelt so viele vorrangige Schuldtitel von Nicht-Finanzunternehmen aufnehmen wie von Finanzunternehmen. Dies bedeutet eine Verbesserung des (relativen) technischen Hintergrunds für das Angebot an vorrangigen Finanztiteln.

Wie schneidet der europäische Kreditmarkt im Vergleich zu anderen Märkten ab?

Höhere Renditen – rund 4 % für Euro-IG-Credit – wirken wie ein Puffer gegen jegliche Marktvolatilität und sind ein attraktiver Einstieg in diese Anlageklasse. Dennoch gehen wir davon aus, dass die Volatilität gering bleiben wird und Spread-Sell-Offs relativ kurzlebig sein werden. Wir konzentrieren uns daher auf eine flexible Vorgehensweise und nutzen Schwächen, um zu attraktiven Kursen zu kaufen. Wie in unserer Publikation „Credit Risk Monitor“ für Q1 beschrieben, wird mit länger höheren Zinssätzen und einer allmählichen Annäherung an den neutralen Zinssatz die Dispersion zunehmen. Dies bedeutet, dass die Wertpapierauswahl zur Schaffung von zusätzlichen Erträgen wichtiger wird.

Die Spreads haben sich in Erwartung einer Lockerung verengt und die Renditen wurden neu bewertet, was weniger Spielraum für eine Outperformance bei einer weiteren Straffung lässt. Allerdings sind die Euro-Credit-Spreads wesentlich attraktiver als die US-Credit-Spreads.  So liegen beispielsweise EUR IG Nicht-Finanzwerte im 34. Perzentil gegenüber US IG Nicht-Finanzwerten im 1. Perzentil.

Welchen Unterschied könnte diese Entwicklung zu niedrigeren Zinsen für Unternehmen machen?

Niedrigere Zinsen könnten allen Unternehmen den Zugang zu Kapital eröffnen –guten wie schlechten –, aber sie könnten auch dazu führen, dass die Märkte anspruchsvoller werden und die Spreads eine größere Dispersion aufweisen, als dies im IG-Bereich der Fall war.

Man sollte jedoch davon ausgehen, dass die Zinssenkungen schrittweise erfolgen werden, da es keine Anhaltspunkte für eine Senkung auf der Juli-Sitzung gibt und eine Senkung nur auf jeder zweiten Sitzung erforderlich ist, um den neutralen Zinssatz bis Ende nächsten Jahres zu erreichen.

Höhere Zinssätze für längere Zeit haben zwei wesentliche Auswirkungen für Unternehmen. Erstens könnte dies Hinweise auf ungeeignete Kapitalstrukturen und deren mangelnde Tragfähigkeit geben. Wir sehen dies bereits bei Credit mit niedrigerem Rating, wo sich die wesentlich höheren Finanzierungskosten bemerkbar machen. Zweitens ermutigen höhere Zinsen für längere Zeit die Unternehmen, ihre Schulden abzubauen, d. h. wir könnten einen Schuldenabbau erleben, was sich positiv auf Credit auswirken dürfte. Dies deutet auch auf eine stärkere Dispersion in der Performance hin, die wir als aktive Manager nutzen können, um Marktverwerfungen und Ineffizienzen zu nutzen.

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