Kommentar von Jim Cielinski, Global Head of Fixed Income, Janus Henderson Investors
- Der starke Renditeanstieg der letzten Wochen ist eher auf steigende Realrenditen als auf veränderte Inflationserwartungen zurückzuführen
- Grund des Anstiegs scheint eine Neubewertung des Anleiheangebots sein, die zu einer höheren Laufzeitprämie beiträgt
- Der Reset der Renditen hat einige überzeugende Möglichkeiten bei den festverzinslichen Wertpapieren geschaffen.
Die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihe erreichte in der ersten Oktoberwoche 4,8 % und damit den höchsten Stand seit 2007. Der Druck auf die Anleihemärkte war ansteckend, da Aktien fielen und sich die Credit Spreads aufgrund steigender Zinsen ausweiteten. Für Anleger in festverzinslichen Wertpapieren wurde die Aussicht auf ein drittes Jahr mit negativen Renditen bei längerfristigen US-Staatsanleihen – was in der Geschichte noch nie vorgekommen ist – unangenehm real.
Was steckt in dem Wort „real“?
„Real“ ist hier das entscheidende Wort. In den vergangenen zwei Jahren war die Inflation über einen langen Zeitraum der treibende Faktor für die Anleihenmärkte. Allerdings hat die Kerninflation in den USA vor einem Jahr und in Europa Anfang dieses Jahres ihren Höhepunkt erreicht. Die Verbraucherpreisinflation ist gesunken, während die Kerninflation allmählich zurückgeht und sich dem Ziel der US-Notenbank (Fed) annähert. Die gemischten Daten aus der Veröffentlichung des US-Verbraucherpreisindex für September deuten jedoch darauf hin, dass der Rückgang uneinheitlich ausfallen könnte.
Was sind reale Renditen?
Man kann sich die realen Renditen als die annualisierte Rendite vorstellen, die ein Anleger in festverzinsliche Wertpapiere nach der Inflation erwarten kann. Sie sind deshalb so wichtig, weil sie oft Aufschluss über die Erwartungen an das künftige Wirtschaftswachstum und die Geldpolitik geben. Die realen Renditen waren negativ, als sich die Anleger Sorgen um die Wirtschaft machten und die Geldpolitik extrem locker war. Inzwischen sind sie wieder positiv, da sich die Wirtschaft erholt.
Die Renditen bei längeren Laufzeiten werden durch eine Kombination aus folgenden Faktoren bestimmt:
- Die zukünftige Entwicklung der Leitzinsen. Der Markt achtet sehr genau auf die Aussagen der Zentralbanken, um herauszufinden, wohin sich die Leitzinsen bewegen werden. Die jüngsten Markterwartungen in Bezug auf bevorstehende Zinssenkungen haben sich zu einem Mantra „höher für länger“ entwickelt. Eine ähnliche Neubewertung des Gleichgewichts- oder neutralen Leitzinses hat sich ebenfalls nach oben bewegt.
- Die Laufzeitprämie. Hierbei handelt es sich grundsätzlich um die zusätzliche Kompensation, die ein Anleihegläubiger für das Risiko der Kreditvergabe über längere Zeiträume zahlen möchte. Die Laufzeitprämie ist von der Inflation, der Unsicherheit und der Angebots-/Nachfragedynamik abhängig. Sie ist nicht direkt beobachtbar, aber Modelle, in denen sie geschätzt wird, wie das von Ökonomen der New Yorker Fed entwickelte ACM-Modell, deuten auf einen kürzlichen Anstieg der Laufzeitprämie hin.
Warum sind die Realrenditen gestiegen?
Es gibt mehrere Faktoren, die den Anstieg der Realrenditen begünstigt haben.
Erstens hat man sich erneut auf das Anleiheangebot konzentriert. Noch vor kurzem behaupteten die Befürworter der modernen Geldtheorie, die Regierungen könnten Geld drucken und ungehemmt ausgeben, da die Inflation leicht zu kontrollieren sei. Die jüngste Inflationsepisode dürfte diese Theorie widerlegt haben. Dennoch hat die Finanzpolitik entscheidend dazu beigetragen, dass sich die Welt schnell von der Pandemie erholen konnte. Allerdings stellt sich die berechtigte Frage, warum die Regierungen immer noch so hohe rote Zahlen schreiben. Die US-Regierung ist auf dem besten Weg, 2023 mehr Kredite aufzunehmen als 2022. Nach den jüngsten Prognosen wird das US-Defizit im Jahr 2023 5,8 % des BIP erreichen (7 %, wenn man die Verringerung der Ausgaben im Zusammenhang mit der Rücknahme des Erlasses von Studentendarlehen nicht berücksichtigt). Für eine Wirtschaft mit Vollbeschäftigung ist dies eine rücksichtslose Haushaltsausgabe und trägt zum Angebotsanstieg bei den Staatsanleihen bei.
Zweitens findet dieses hohe Angebot zu einer Zeit statt, in der die Zentralbanken von preisunempfindlichen Anleihekäufern (quantitative Lockerung) zu preisunempfindlichen Verkäufern (quantitative Straffung) geworden sind. Der Markt ist daher auf der Suche nach dem nächsten Grenzkäufer.
Drittens hat sich die Hoffnung auf sinkende Zinsen – die Erwartung, die zu einer steil inversen Renditekurve geführt hat – verflüchtigt. Dies liegt zum Teil daran, dass man davon ausgeht, dass ein weiterer Inflationsrückgang nur schwer zu bewerkstelligen ist, aber auch an der Befürchtung, dass es möglicherweise keinen gangbaren Weg zu haushaltspolitischen Sparmaßnahmen in der G20 gibt.
Und viertens befinden wir uns in einer unsicheren Phase. Uneinheitliche Wirtschaftsdaten (z. B. starke Beschäftigungsdaten im Gegensatz zu einem schwächeren Kreditwachstum und steigenden Zahlungsrückständen bei Kreditkarten) bedeuten, dass der Markt Schwierigkeiten hat, die allgemeine Wirtschaftsentwicklung und den voraussichtlichen geldpolitischen Kurs zu bestimmen. Selbst die Aufregung um die künstliche Intelligenz trübt das Bild. Denn die Wirtschaftsakteure versuchen herauszufinden, was dies für Produktivität und Arbeitsplätze bedeuten könnte. Die Volatilität der Zinssätze ist der Versuch eines Marktes, ein Gleichgewicht zu finden.
Die aktuellen Renditen sind eine Chance
Insgesamt ist der Renditeanstieg für die bisherigen Inhaber festverzinslicher Anleihen unerwünscht. Es darf jedoch nicht vergessen werden: Der Renditen-Reset hat die Attraktivität der Anlageklasse wiederhergestellt. Die Renditen befinden sich heute auf einem Niveau, das aus unserer Sicht attraktiv ist. So liegt der faire Wert 10-jähriger US-Staatsanleihen – basierend auf langfristigen historischenZeitreihen– bei 4,25 bis 4,5 % (Summe aus erwarteter Inflation, Laufzeitprämie und langfristigen Leitzinsen). Heute sind es 4,7 %. Die Volatilität ist nach wie vor hoch, und weitere Ausreißer sind sicherlich möglich, aber langfristig orientierte Anleger werden den Wert der heutigen Märkte wahrscheinlich zu schätzen wissen.
Im Vergleich zu Aktien sind Anleihen ebenfalls attraktiv. Heute kann ein Anleger mit BBB-bewerteten US-Investment-Grade-Unternehmensanleihen eine durchschnittliche Rendite von 6,6 % erzielen, verglichen mit einer Gewinnrendite von 5,1 % bei US-Aktien, die sich im S&P 500 widerspiegelt.
Anleiheinvestoren haben jetzt die (Qual der) Wahl. Anleihen mit kürzerer Laufzeit bieten attraktive Renditen, eine extrem hohe Wahrscheinlichkeit positiver Gesamtrenditen und eine begrenzte Volatilität, da sich die Zentralbanken nun dem Höhepunkt ihrer Politik nähern. Gleichzeitig bedeutet der Reset der Renditen, dass Anleihen mit längeren Laufzeiten geduldigen Anlegern die Möglichkeit bieten könnten, sowohl Erträge als auch Kapitalgewinne zu erzielen, sollten die Renditen zurückgehen.
Höhere reale Renditen führen auch zu ihrem eigenen Untergang. Reale Renditen von 2,5 % sind historisch restriktiv, und da die verzögerten Auswirkungen der Geldpolitik wohl noch zu spüren sind, dürften sie dazu beitragen, dass sich die Wirtschaft verlangsamt und die Zentralbankpolitik von einer weiteren Straffung absieht. Investment-Grade-Anleihen entwickeln sich in der Regel nach der letzten Zinserhöhung in einem bestimmten Zinszyklus gut (Renditen fallen, Kurse steigen).
Wir erleben derzeit einen Regimewechsel für die politischen Entscheidungsträger. Die Globale Finanzkrise leitete eine Ära des unablässig lockeren Geldes ein und drückte die Realrenditen langfristiger Anleihen. Außerdem wurde die Inflation angeheizt, wodurch die Grenzen einer umsichtigen Geldpolitik festgelegt wurden. Da die Anleger eine höhere Kompensation für diese Anpassung verlangen, ist Wert entstanden, und Anleihen sollten wieder ihre traditionelle Rolle als attraktive Möglichkeit der Portfoliodiversifizierung spielen.
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