Kommentar zur EZB-Sitzung von Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income bei dem US-amerikanischen Vermögensverwalter Neuberger Berman

 

Trotz der erst kürzlich verschärften Indikatoren gab sich die EZB bei ihrer Sitzung am Donnerstag bei Binneninflation und Lohn-Preis-Spirale wenig besorgt. Das könnte eine Fehleinschätzung sein. Warum er die Zinspolitik der Währungshüter für zu einseitig hält und warum die neuerliche Anhebung des Leitzinses auf 3,75 Prozent die Gefahr einer Rezession im Euroraum deutlich erhöht, kommentiert Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income bei dem US-amerikanischen Vermögensverwalter Neuberger Berman.

Die EZB-Sitzung am Donnerstag hat gezeigt, dass die EZB anscheinend weniger besorgt über die Risiken der Binneninflation und steigender Löhne ist. Das überrascht insbesondere deshalb, weil die Währungshüter ihre Prognosen zu diesen entscheidenden Indikatoren erst im Juni nach oben korrigieren mussten. Die Anhebung des Leitzinses um 25 Basispunkte auf 3,75 Prozent war zwar erwartet worden. Im Vergleich zur potenziellen geringen Wachstumsrate im Euroraum von nur etwa einem Prozent, zeigt die EZB damit dennoch eine äußerst restriktive Haltung.

Nachfrage gebremst – Risikofaktoren bleiben

Hoffnung macht, dass die Währungshüter einräumten, mit ihrem Zinserhöhungszyklus das Ziel, die Nachfrage der privaten Haushalte zu dämpfen, erreicht habe. Damit schließt sich die EZB den Experten an, die bereits seit längerem einen Abwärtstrend der Inflationsrate als Folge der restriktiven Geldpolitik erwartet hatten. Die Währungshüter haben Energie und Lebensmittel als Hauptinflationsrisiken identifiziert und spielen die Gefahr einer Binneninflation und Lohn-Preis-Spirale herunter.

Der Grund für die Entscheidung der EZB ihre Leitzinsen nochmals zu erhöhen, dürfte auch darin liegen, dass die Prognosen die Teuerungsrate weiterhin und auch auf lange Sicht über dem Zielwert von zwei Prozent sehen. Allerdings verschärft der heute beschlossene Zinsschritt das Risiko einer scharfen Rezession im Euroraum deutlich. Der Rückgang der Verbraucherausgaben und der Wohnbautätigkeit dürfte zu einer deutlichen Abkühlung führen – zumal sich Zinserhöhungen erst mit einer Verzögerung von mehreren Quartalen auf die Wirtschaftstätigkeit auswirken.

Zinspeak erreicht – Outperfmance für Anleihen absehbar

Zu erwarten war auch bereits im Vorfeld, dass die EZB nun von ihrer sehr hawkishen Einschätzung abrücken wird, um angesichts der neuerlichen Verschlechterung der Konjunktur zu einer aufgeschlosseneren Haltung überzugehen. Der Zinspeak könnte damit nun erreicht sein. Für Anleihen dürfte dieses Signal kurz- und mittelfristige für eine kräftige Outperformance sorgen. Als Folge des Zweitrundeneffekt ist jedoch mit einer weiteren Verschärfung der Kreditbedingungen zu rechnen. Für die Qualität von Unternehmenskrediten ist diese Situation zumindest prekär. Auch dies dürfte die Konjunktur zusätzlich belasten.

Fast schon rätselhaft erscheint es, warum die EZB ihre Politik weiterhin ausschließlich auf eine Anpassung der Zinssätze reduziert. Wäre es doch konsequenterer, auch die in den vergangenen Jahren zugeführten Liquidität beim Kampf gegen die Inflation zu reduzieren. Überraschend wirkt in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung der Währungshüter, die Vergütung der Banken für ihre Mindestreserveanforderungen einzustellen, um die an die Banken gezahlten Beträge nach dem beispiellosen Anstieg der Zinssätze zu reduzieren.

 

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