Aninda Mitra, Head of Asia Macro & Investment Strategy bei BNY Mellon Investment Management, kommentiert Chinas überraschende Zinssenkung:

  • Die People’s Bank of China (PBOC) hat heute überraschend ihren 7-Tage-Repo-Satz um 10 Basispunkte auf 1,90 % gesenkt, nachdem sie in der vergangenen Woche bereits geldpolitische Lockerungsmaßnahmen angedeutet hatte. Die Zentralbank empfahl außerdem großen Kreditgebern, ihre 12-Monats- und längerfristigen Einlagenzinsen zu senken, um den Konsum anzukurbeln.
  • Die heutige überraschende Lockerung erfolgt inmitten eines stockenden Aufschwungs der Wirtschaft. Chinas Wirtschaft wuchs im ersten Quartal mit einer Jahresrate von 4,5 % und einer vierteljährlichen (saisonbereinigten) Rate von 2 %. Dies mag den Anschein erwecken, dass das offizielle Wachstumsziel von 5 % für 2023 (in Q2-Q4 wird nur noch 1 % pro Quartal benötigt) leicht zu erreichen ist. Doch die Wirtschaft ist ins Stocken geraten, und die seit Jahresbeginn verzeichneten Zuwächse bei den Investitionen und der Industrieproduktion liegen deutlich unter der angestrebten jährlichen Wachstumsrate von 5 %. Ein erneuter Abschwung im Immobiliensektor und ein stotterndes verarbeitendes Gewerbe haben, neben dem schwachen Vertrauen der Unternehmen, deutliche Spuren hinterlassen.
  • Noch besorgniserregender ist, dass die Preise in der gesamten Wirtschaft in die Deflation abgerutscht sind: Die Erzeugerpreise liegen bei fast -5 % im Jahresvergleich, und die Verbraucherpreise sind gegenüber dem Vorjahr praktisch unverändert. Dies stellt eine erhebliche Belastung für die Unternehmensgewinne und die Preissetzungsmacht dar und könnte zusammen mit der hohen Verschuldung der Unternehmen die Wirtschaft insgesamt in eine sich verschärfende Vertrauens-Desinflations-Liquiditäts-Falle führen.
  • Der Konsum und der Dienstleistungssektor bleiben Lichtblicke, aber der Aufschwung in diesen Bereichen der chinesischen Wirtschaft wird für sich genommen nicht ausreichen, um die Wirtschaft anzukurbeln.
  • Vor diesem Hintergrund sollte die heutige Zinssenkung als Teil eines größeren Pakets anstehender Konjunkturmaßnahmen zur Wiederbelebung des stockenden Aufschwungs betrachtet werden. Wir denken, dass zusätzliche Maßnahmen wahrscheinlich eine weitere Senkung der gesamten Zinsstruktur – einschließlich der mittelfristigen Kreditfazilität (MLF) und des Leitzinses (LPR) – umfassen werden. Sie werden wahrscheinlich auch größere fiskalische Unterstützungsmaßnahmen beinhalten.
  • Die Marktreaktion war eher gedämpft. Onshore-Aktien und der Hang Seng stiegen über den Tag um etwa 0,3 % und blieben hinter anderen regionalen Börsen zurück. Die Reaktion am Markt für chinesische Staatsanleihen (CGB) war ebenfalls nicht sehr ausgeprägt, da die Renditen über die gesamte Kurve hinweg (nur) um etwa 3-4 Basispunkte sanken. In der Zwischenzeit setzte der CNY seinen Ausverkauf fort und erreichte 7,18/US-Dollar, womit er im MTD um 1,5 % und im YTD um 3,6 % schwächer notierte (nach dem malaysischen Ringgit die zweitschlechteste Entwicklung in den asiatischen Schwellenländern).
  • Wir bleiben gegenüber chinesischen Aktien und festverzinslichen Wertpapieren neutral. Im vergangenen Monat haben wir unsere Übergewichtung chinesischer Aktien aufgrund der sich verschärfenden Deflation zurückgenommen. Chinesische Aktien könnten die Bewertungslücke zu anderen Börsen immer noch verkleinern, wenn ein breiteres Konjunkturpaket Gestalt annimmt. Solange die Konturen eines umfassenderen Konjunkturpakets und dessen Finanzierungspläne nicht klarer werden, neigen wir dazu, übermäßige kurzfristige Kursanstiege bei chinesischen Staatsanleihen (CGB) zu ignorieren und neutral zu bleiben. Wir bevorzugen DM-Staatsanleihen (vor allem US-Treasuries) aufgrund der viel höheren Renditen, des Inflationshöhepunkts und der relativ höheren Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den kommenden Monaten und Quartalen.
  • Wir bleiben vorerst skeptisch gegenüber dem CNY, der die Hauptlast der großen Zinsdifferenzen tragen könnte, falls die US-Inflation nach oben überrascht oder die Fed früher oder stärker anhebt, als derzeit in den Fed Funds Futures eingepreist ist. Solange in Peking kein umfassenderes Konjunkturpaket geschnürt wird, bleibt der CNY zudem anfällig und könnte bei einer Abschwächung der Konjunktur und des nominalen Wachstums nach unten (über 7,3/USD) hinausschießen.

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