Der Krieg in der Ukraine hat Europa nicht in die Energiekrise gestürzt.
In den etablierten Industrieländern sinkt die Inflationsrate langsam, aber stetig. Die befürchtete Winterrezession in Deutschland ist ausgefallen, die Wachstumslokomotive China zieht wieder. Treten wir in eine Phase der Ruhe ein? „Keineswegs“, sagt Carsten Gerlinger, Managing Director und Head of Asset Management bei Moventum AM. „Eine Rezession bleibt wahrscheinlich und die politischen Risiken sind groß.“
Gemessen an den düsteren Prognosen vor einigen Monaten ist die Konjunktur ziemlich gut gelaufen. Im ersten Quartal 2023 konnte die deutsche Wirtschaft knapp eine Rezession vermeiden, in der Eurozone gab es ein kleines Wachstum. Und während die Kerninflation immer noch relativ hoch ist, sank die Inflationsrate von über zehn Prozent im vergangenen Herbst auf zuletzt nur noch knapp acht Prozent.
Alles wieder gut? Nicht ganz. „Es bleiben starke Risikofaktoren“, mahnt Gerlinger. So macht sich die Wirkung der gestiegenen Leitzinsen erst nach und nach konjunkturell bemerkbar. Auf jeden Fall belasten sie das Wachstum, die Frage ist nur, wie stark und wie lange? „Zudem laufen die pandemiebedingten Nachholeffekte beim Konsum irgendwann aus“, so Gerlinger. Die bisher konjunkturstabilisierenden Extra-Ersparnisse aus der Corona-Zeit sind inzwischen aufgebraucht.
Die Wachstumsprognosen für die etablierten Industrieländer sind daher mäßig, der Internationale Währungsfonds rechnet dieses Jahr mit einer Halbierung auf 1,3 Prozent. Sicher, das Wachstum in Indien bleibt kräftig, in China zieht es sogar deutlich an. „Das wird das globale Wachstum zwar stützen, jedoch eine Rezession nicht verhindern können“, prognostiziert Gerlinger.
Für Spannung sorgt nicht nur die Konjunkturseite, sondern auch die Politik. So könnte in den USA der Streit zwischen Regierung und Opposition um die Anhebung der Schuldenobergrenze zum Sommerthema 2023 werden. Ein Unsicherheitsfaktor bleibt der Krieg in der Ukraine – die Unterstützung des Westens schwächt seinen fiskalpolitischen Spielraum. Das übergreifende geopolitische Thema bleibt darüber hinaus die „Great Power Rivalry“ zwischen den USA und China: Kommt es zu vermehrten Spannungen um Taiwan? Verbieten die USA irgendwann den Handel mit chinesischen Aktien – so wie sie es mit russischen Aktien gemacht haben? Macht eine vielfach empfohlene Übergewichtung chinesischer Aktien vor diesem Hintergrund Sinn?
Auch können die Turbulenzen im Finanzbereich jederzeit wieder aufflackern – bislang weiß niemand genau, wie viele Großrisiken in den US-Bankbilanzen schlummern. Bereits der Untergang der Silicon Valley Bank im März hatte die Anleger kalt erwischt.
Angesichts dieser Herausforderungen zeigen sich die Aktienmärkte bislang relativ robust. Die gemischten Signale von der Konjunkturseite blieben ohne negative Effekte. Die März-Turbulenzen im Bankensektor wurden problemlos verarbeitet. „Auch die Berichtssaison der Unternehmen stellt keine Belastung dar“, so Gerlinger. In den vergangenen Wochen waren die Erwartungen bereits deutlich heruntergeschraubt worden. Und schließlich könnten die hohen Shortpositionen dem Markt nicht nur Rückhalt geben, sondern bei einem weiteren Kursanstieg zusätzlich befeuern – nämlich dann, wenn die Shortpositionen plötzlich eingedeckt werden müssen und das zu Käufen führt.
Auch an den Rentenmärkten nimmt die Spannung nicht ab. Nach den kleinen Zinsschritten im Mai bleibt offen, wie die Zentralbanken die Lage an der Inflationsfront bewerten werden. „Wir sehen einen weiteren leichten Anstieg der Renditen am ganz kurzen Ende“, so Gerlinger. „Am langen Ende dagegen kommt nicht mehr viel.“ Denn langsam, aber sicher drängt sich das Thema Rezession in den Vordergrund und wird sich Ende 2023/Anfang 2024 voll entfalten – mit entsprechendem Druck auf die Renditen.
Starke Unsicherheit herrscht also an der Inflationsfront und damit bei der Entwicklung der Leitzinsen. Das verstärkt Risiken wie auch Chancen für den konjunkturellen Ausblick und in der Folge für die Unternehmensgewinne. Dazu kommt eine Vielzahl von politischen Spannungen. „Sicher ist deswegen vor allem eins“, sagt Gerlinger: „Langweile wird nicht aufkommen.“
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