Marktkommentar von Deepshikha Singh, Deputy Head of La Française Sustainable Investment Research & Head of Stewardship, La Française AM
Die letzten Wochen wurden von mehreren Panikanfällen im Bankensektor überschattet, die zunächst in den USA auftraten und dann auf Europa übergriffen. Zunächst war es Silvergate, die am 8. März ihre freiwillige Liquidation ankündigte. Dies hatte einen Ansturm auf die SVB zur Folge, woraufhin die Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) am 10. März alle Einlagen der Bank übernahm. Anschließend griff die Bankenpanik auf die Signature über, die am 12. März von den Aufsichtsbehörden stillgelegt wurde. Am vergangenen Wochenende (18./19. März) kam es zu weiteren Auswirkungen, als die Credit Suisse im Rahmen einer von der Regierung vermittelten Transaktion an die UBS veräußert wurde und die Aktie der First Republic Bank aufgrund der Parallelen zur SVB schwere Verluste erlitt.
Nach dem Zusammenbruch der SVB und dem Beginn der Überlegungen über das Warum und Wie nutzten viele ESG-Kritiker (Environmental, Social and Governance) die Gelegenheit, den Zusammenbruch der Bank auf ihre ESG-Ausrichtung und „Wokenomics“ zurückzuführen. Dem Board der SVB wurde vorgeworfen, er habe sich auf seine Diversitäts- und Inklusionspolitik (DEI) konzentriert und nicht auf das Risikomanagement.
Hat die SVB zu viel Energie und Aufmerksamkeit auf ESG und DEI verwendet?
Die ursprüngliche Idee von ESG ist es, Gewinn und Zweck zu verbinden. Was den Zweck betrifft, so spielte die SVB eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung des weltweiten Start-up-Ökosystems und betreute vor allem Start-ups und Pre-IPO-Unternehmen als Kunden. Die Bank ermöglichte jungen Unternehmen, von denen die meisten an Lösungen für dringend benötigte soziale und ökologische Probleme arbeiteten, ungehindert zu agieren.
Hinsichtlich der ESG-Strategie legte die SVB zwar einen Schwerpunkt auf DEI, dieser ging jedoch über Geschlecht oder Rasse hinaus und wurde bei Mitarbeitern und Kunden umgesetzt. Laut Corporate-Responsibility-Bericht verfolgte das Board der SVB einen mehrdimensionalen Ansatz zur Diversität und berücksichtigte eine Vielzahl von Fähigkeiten und Eigenschaften:
- Branchenerfahrung, insbesondere im Banken- und Kundengeschäft
- Funktionales, technisches oder sonstiges Fachwissen
- Geschlecht, Alter oder ethnische Diversität
- Andere wichtige Attribute, wie Veteranenstatus und geografische Vielfalt
Banken, Technologieunternehmen und insbesondere die Start-up-Szene, für die die SVB tätig war, sind bekanntermaßen nicht sehr diversifiziert und haben eine lange Geschichte von „Redlining“ und systemischer Diskriminierung. Laut dem Proxy-Filing von 2022 waren in der obersten Führungsebene der SVB 38 % Frauen (weltweit) und 38 % Nicht-Weiße (USA) vertreten. Im Board of Directors waren fünf von elf Mitgliedern Frauen (45 %). Allerdings waren zehn dieser elf Direktoren weiß und sieben waren 60 Jahre und älter. Außerdem waren elf von zwölf Board-Mitgliedern, darunter der CEO, der CFO und der COO, männlich und alle zwölf waren weiß. Zwar hat sich die Bank vorgenommen, die Diversität zu verbessern, aber zum damaligen Zeitpunkt war sie sicherlich nicht so divers.
Hätten strengere Regularien geholfen?
Die Situation der SVB ist zwar komplizierter, aber einer der wichtigsten Faktoren scheint die Lockerung verschiedener Regularien zu sein, die nach der globalen Finanzkrise eingeführt wurden, um die Banken vor einem Zusammenbruch zu bewahren. Die Regularien seit der Finanzkrise haben die Banken gezwungen, mehr Kapital als zuvor zu halten und den Verschuldungsgrad deutlich zu senken. Gleichzeitig wurden sie verpflichtet, große Mengen an „High Quality Liquid Assets“ zu halten, um die strengen Liquiditätsanforderungen zu erfüllen.
Diese regulatorischen Anforderungen richten sich jedoch eher an globale und systemrelevante Banken als an regionale Akteure. 2018 lockerte der US-Kongress die nach der Finanzkrise eingeführten Dodd-Frank-Vorschriften, die eine Bank wie die SVB zu häufigeren Stresstests verpflichtet hätten. Dies könnte dazu führen, dass die Regulierung der Banken verschärft werden muss. Einige Senatoren in den USA fordern bereits ein Gesetz zur Aufhebung der Finanzderegulierung aus der Trump-Ära. Ähnliche Forderungen werden auch in Großbritannien laut, wo die City of London ihre Bankenrichtlinien überarbeiten will. Der Gesetzgeber könnte auch die Mindestkapitalanforderungen auf kleinere, regionale Banken und Schattenbanken ausweiten und durch eine Reform der Vergütungsregelungen für Banker von riskantem Handeln abhalten.
Aber selbst wenn sie erfolgt wären, hätten diese Stresstests nur exotische oder extreme Risiken erfasst. Was in diesem Fall hätte helfen können, wäre eine bessere systematische Überwachung. Die Bank hatte eindeutige Mängel bei der Risikokontrolle und wies in ihren SEC-Berichten Verluste aus, die jedoch nicht realisiert wurden. Die Fed von San Francisco, die die Muttergesellschaft beaufsichtigte, und die kalifornischen Aufsichtsbehörden, die die Bank selbst beaufsichtigten, hätten letztes Jahr eine Kapitalerhöhung von der SVB einfordern können, als sie weniger anfällig war. Sie hätten auch eine Erhöhung der Zinssätze für Sparkonten verlangen können. Das hätte zwar die Erträge geschmälert, aber die Liquidität und das Vertrauen hätten erhalten werden können.
Hätten Portfoliomanager und ESG-Analysten dies vorhersehen können?
Die SVB wurde für ihr nachhaltiges Handeln gewürdigt und erhielt Auszeichnungen und Anerkennung für Gleichberechtigung am Arbeitsplatz, Philanthropie und verantwortungsbewusstes Investment. Laut Morningstar-Daten waren von ca. 900 Fonds 3,3 % der Artikel 9-SFDR-Fonds und 2,6 % der Artikel 8-SFDR-Fonds in SVB investiert.
Als nachhaltige Investoren erwarten wir von den Unternehmen, in die wir investieren, in erster Linie, dass sie ihren wesentlichsten ESG-Risiken Priorität einräumen. Im Falle von Banken bezieht sich dies auf das Management des „G“ in ihrer Organisation durch ein effektives Risikomanagement und gute Governance-Praktiken. Dadurch könnten sie ihre Kernaufgabe der Bereitstellung von Finanzmitteln im jeweiligen Geschäftsumfeld erfüllen. Bei Ausbruch der Krise war La Française AM beispielsweise nicht in Crédit Suisse investiert, da die Bank eine schlechte Unternehmensführung und ein schlechtes Risikomanagement aufwies, was in unseren ESG-Bewertungen deutlich wurde. Die Bank berichtete nur begrenzt und selektiv über Klima-, Strategie- und allgemeine Governance-Themen. Die wiederholte Verwicklung in kleinere und grössere Kontroversen deutete auf ein schlechtes Risikomanagement und fragwürdiges Geschäftsgebaren hin (Geldwäscherei, Steuerbetrug und Bestechungsskandale). Der häufige Führungswechsel machte Veränderungen in der Unternehmensführung schwer durchsetzbar, was wiederum zu einer erheblichen Rufschädigung führte.
Wenn wir genau hinsehen, gab es einige Warnsignale bezüglich der Unternehmensführung der SVB, die Anleger und Aufsichtsbehörden gleichermaßen hätten alarmieren müssen. Die SVB hatte mehr als 30 Jahre lang dieselben Wirtschaftsprüfer, die es offensichtlich versäumten, während des Wandels eine neue Perspektive auf die Probleme einzunehmen. Die Zahl der Board-Mitglieder mit Erfahrung im Risikomanagement verringerte sich 2022 von elf auf acht. Außerdem ergriff das Management keine Maßnahmen, nachdem ein von der Blackrock-Beratungsfirma Anfang 2022 in Auftrag gegebener Bericht die Risikomanagement-Praktiken der SVB als unterdurchschnittlich bewertet hatte.
Die SVB hatte 2022 größtenteils keinen Chief Risk Officer. Sie hatte jedoch ein Risikomanagement-Team, ein Enterprise Risk Management Framework, einen Risikoausschuss unter dem Vorsitz des Board-Vorsitzenden, einen Kreditausschuss und einen Finanzausschuss. Laut Bloomberg trat der siebenköpfige Risikoausschuss 2022 18 Mal zusammen, mehr als doppelt so oft wie die sieben Sitzungen im Jahr 2021. Warum das Risikomanagementteam und die Board-Ausschüsse der Bank das wachsende Liquiditätsrisiko nicht vorhergesehen und abgesichert haben, lässt sich nicht sagen.
Seit der globalen Finanzkrise hat die SVB Berichten zufolge mehr als 2 Mio. US-Dollar für Lobbyarbeit auf Bundesebene zur Deregulierung des Bankensektors ausgegeben. 2015 sagte Greg Becker, Vorstandsvorsitzender der SVB, vor dem Kongress aus, dass die SVB „wie unsere mittelgroßen Konkurrenten keine systemischen Risiken birgt“ und daher nicht den damals geforderten strengeren Regularien, Stresstests und Kapitalanforderungen unterworfen werden sollte. Die SVB ist in den letzten Jahren exponentiell gewachsen und wurde 2022 mit einer Bilanzsumme von über 200 Mrd. US-Dollar zur 14. größten Bank in den USA. Die Lobbyarbeit für eine Deregulierung stand im Widerspruch zum Wachstum und den zunehmenden Risiken, denen die Bank ausgesetzt war.
Dennoch ist die Behauptung, dass die Krise aufgrund der Fokussierung der Bank auf DEI-Ziele entstanden ist oder dass jeder ESG-Analyst/Portfoliomanager sie hätte vorhersehen können, ziemlich weit hergeholt. Unserer Meinung nach hätte kein anderes Finanzinstitut einen solchen Bankenansturm, wie ihn die SVB erlebt hat, verkraften können. Der Kundenstamm war begrenzt, und das Risikomanagement der Bank war offensichtlich nicht auf das beispiellose Zinsrisiko vorbereitet. Regularien hätten helfen können, aber nur, wenn sie auf die breiteren Bereiche des Bankensystems angewandt und wirksam umgesetzt worden wären.
ESG ist keine Nische in der Vermögensverwaltung mehr, sondern ein integraler Bestandteil des Investierens. Die außerfinanzielle Analyse muss mit der traditionellen Finanzanalyse Hand in Hand gehen. Die SVB ist ein interessantes Fallbeispiel: Die Probleme in der Bilanz und die Entwicklung der Corporate-Governance-Praktiken waren schon lange vor dem Verlust des Marktvertrauens vorhanden. Sie hätten erkannt werden können, aber nur, wenn Analysten und Portfoliomanager sowohl finanzielle als auch nicht-finanzielle Faktoren gemeinsam betrachtet hätten, ohne einem der beiden Faktoren Vorrang vor dem anderen einzuräumen. Als auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Investoren müssen wir sicherstellen, dass die quantitative Analyse beider Aspekte durch qualitative Bewertungen und die Zusammenarbeit mit den Unternehmen gestärkt wird, um die damit verbundenen Risiken besser und früher zu erkennen und einzudämmen.
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