Am 24. Januar fand in im Hauptsitz der Financial Times in London eine Veranstaltung aus Anlass von 10 Jahre Retail Distribution Review (RDR) statt.
Das Regulierungspaket der RDR untersagte unter anderem seit Ende 2012 Provisionen für Anlageprodukte aller Art in Großbritannien. Ziel der RDR war es, einen widerstandsfähigen, effektiven und attraktiven Markt für Kleinanleger zu schaffen, dem die Verbraucher vertrauen.
Die Veranstaltung in London war mit einem hochkarätigen Panel von Vertreterinnen und Vertretern der Finanzaufsicht, von Verbänden und Beratungsunternehmen besetzt, u. a.
- Therese Chambers, Director of Consumer Investments, Financial Conduct Authority (FCA)
- Tracy Vegro, Chief Executive, Chartered Institute for Securities & Investment (CISI)
- Sarah Lord, Past President, The Personal Finance Society (PFS)
- Simon Harrington, Head of Public Affairs, Personal Investment Management & Financial Advice Association (PIMFA)
- Chris Hudson, Managing Director of Retail & Intermediary Standard Life, Part of Phoenix Group
Für den Bundesverband Finanzdienstleistung AfW war dessen Geschäftsführender Vorstand, Rechtsanwalt Norman Wirth, vor Ort, um sich aus erster Hand über die Erfahrungen in Großbritannien zu informieren. Dies insbesondere aus dem Blickwinkel der aktuell wieder aufflammenden Diskussion in Brüssel über ein Provisionsverbot innerhalb der Europäischen Union beim Vertrieb von Finanzprodukten.
„Die Erfahrungen aus Großbritannien sind als ambivalent zu beschreiben.“ meint Wirth nach der Veranstaltung. „Durch die RDR gibt es mehr Qualität und mehr Vertrauen in die Berater, aber auch eine großes Beratungslücke gerade bei den Bevölkerungsgruppen, die es am nötigsten hätten.“
Der Beratungsmarkt in Großbritannien wird nach wie vor von der ganzheitlichen Beratung dominiert (bei der ein Berater die gesamte finanzielle Situation und die Ziele eines Verbrauchers berücksichtigt und Empfehlungen ausspricht, um diese zu erreichen). Hierauf entfallen über 90 % der Einnahmen der Beratungsunternehmen. Zielkunden sind nach wie vor überwiegend wohlhabende Verbraucher. Der durchschnittliche, beratene Kunde verfügt über ein Vermögen von über 150.000 Pfund (ca. 170.000 €). Robo-Advice-Dienste, die automatisierte digitale oder Online-Beratung anbieten, werden häufiger genutzt, machen aber nach wie vor nur einen kleinen Teil – im unteren einstelligen Prozentbereich – des Gesamtmarktes aus.
Die Regulierung brachte – so die übereinstimmende Erkenntnis der Protagonisten der Veranstaltung – für den britischen Markt zwar auch positive Ergebnisse: Die Zahl der Beratungsunternehmen ist nicht signifikant eingebrochen. Die Qualität ist insgesamt erhöht worden und das Vertrauen der Bevölkerung in die unabhängige Beratung ist gestiegen.
Frau Chambers von der Finanzaufsicht FCA stellte jedoch fest, dass viele Verbraucher ihr Geld in bar halten, anstatt es zu investieren, und so die Möglichkeit verpassen, ihr Geld längerfristig besser für sich arbeiten zu lassen. Eine Verbraucherstudie der FCA aus 2019 (Ergebnisse finden sich u. a. in diesem Bericht der FCA) ergab, dass 54 % der britischen Erwachsenen mit einem investierbaren Vermögen von 10.000 £oder mehr, d. h. fast 10 Millionen Menschen, in den letzten Jahren keine formelle Unterstützung bei ihren Investitionsentscheidungen erhalten haben.
Weitere Zahlen aus der Studie, die belegen, dass insbesondere vermögende Menschen in den Genuss einer professionellen Finanzberatung kommen lauten:
- 17 % der Erwachsenen im Vereinigten Königreich mit einem Anlagevermögen von über 10.000 £ hatten in den letzten 12 Monaten eine regulierte Finanzberatung in Anspruch genommen haben.
- 25% der Verbraucher mit einem Vermögen zwischen 100.000 £ und 250.000 £ und 38 % der Verbraucher mit einem investierbaren Vermögen von mehr als 250.000 £ haben in derselben Zeit eine Finanzberatung erhalten.
- 40 % der Beratungsunternehmen haben einen Schwellenwert an verfügbarem Vermögen für Neukunden. Mehr als die Hälfte davon bei 50.000 Pfund, die anderen noch deutlich darüber.
„Wir können nur hoffen, dass in Brüssel die Entwicklungen in Großbritannien sehr genau analysiert werden. Jeder Markt ist anders und hat sich auch historisch unterschiedlich entwickelt. Die deutsche Regierung hat sehr bewusst und aus guten Gründen darauf verzichtet, einen Provisionsdeckel oder sogar ein Provisionsverbot in ihre Agenda aufzunehmen. Die entstehende Beratungslücke bei weiten Teilen der Bevölkerung wäre immens und kann nicht gewünscht sein. Im Gegenteil. Auf die Agenda gehören unbedingt Schritte zu mehr Anreizen, sich zu Risikovorsorge und Altersabsicherung unabhängig beraten zu lassen und nicht ein Abschneiden der Mittelschicht und der unterer Einkommensgruppen von der dringend notwendigen individuellen Beratung.“, so das Fazit von Wirth.
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