Ökonomen weltweit fürchten, dass 2023 auf die Inflation eine globale Rezession folgen könnte.
Welche Regionen besonders betroffen sein könnten, erläutert Jeremy Lawson, Chief Economist bei abrdn, in einem aktuellen Marktkommentar:
„Die Weltwirtschaft befindet sich am Rande einer Rezession. Die Kombination aus einer aggressiven Straffung der Geldpolitik, angeführt von der US-Notenbank, dem enormen Energiepreis- und Handelsschock in Europa sowie der Belastung durch die anhaltenden Nullzinsmaßnahmen und die Schwäche des Immobiliensektors in China wird die Weltwirtschaft wahrscheinlich an den Rand des Abgrunds bringen.
Auch wenn viele Ökonomen zu der gleichen Einschätzung kommen wie wir, unterschätzt der Konsens das potenzielle Ausmaß des Abschwungs sowie den Zinssenkungszyklus, der unserer Meinung nach folgen wird.
Tatsächlich scheint die Rezession in einigen Volkswirtschaften bereits begonnen zu haben. Die Frühindikatoren in der Eurozone sind stark rückläufig und wir erwarten, dass das BIP-Wachstum ab dem vierten Quartal 2022 negativ wird. Zugegebenermaßen sind Energierationierungen in diesem Winter angesichts der aufgestockten Gasspeicher nun weniger wahrscheinlich. Europa konnte sich dank der milden Witterung und der geringeren Nachfrage aus Asien große Mengen Flüssiggas sichern. Beide Faktoren werden jedoch nicht von Dauer sein. Darüber hinaus sehen wir kein unmittelbares Ende des Krieges zwischen Russland und der Ukraine, was bedeutet, dass kein Gas in die Pipelines fließen wird. In jedem Fall wird die Rezession in Europa durch die Vermeidung von Gasrationierungen in diesem Winter nur abgeschwächt, aber nicht verhindert.
In Großbritannien ist das BIP im dritten Quartal geschrumpft. Die schwachen Frühindikatoren und steigende Zinssätze bedeuten, dass eine grundlegendere Rezession im Gange ist oder bald eintreten wird.
In den USA verlangsamt sich das Wachstum zwar, bleibt aber positiv, wobei die Verbraucherausgaben besonders widerstandsfähig sind. Die rückläufigen Indikatoren für den Wohnungsbau sind jedoch ein deutlicheres Signal. Trotz der Anzeichen, dass die Inflation ihren Höhepunkt erreicht hat, impliziert unsere Analyse, dass die Eindämmung der Kerninflation einen erheblichen Anstieg der Arbeitslosigkeit erfordert. Wir denken, dass die Fed die notwendigen Schritte in die Wege leiten wird.
In China tragen trotz des Enthusiasmus über eine doppelte Wende hin zu einer Lockerung der Nullzinspolitik und der Politik im Immobiliensektor die steigenden Corona-Fälle zu einer kurzfristigen Verschlechterung des Wachstums bei. Wir rechnen erst in der zweiten Jahreshälfte 2023 mit umfassenderen Lockerungen. Ebenso ist eine kräftige Erholung im Wohnungsbau unwahrscheinlich, da die Finanzierungsbedingungen für Bauträger angespannt sind, die Auftragslage eher mau ist und ein Angebotsüberhang besteht.
Die makroökonomischen Aussichten für die Schwellenländer im weiteren Sinne sind sehr unterschiedlich. Asien ist am besten aufgestellt, während Teile Lateinamerikas kurz vor einer Lockerung der Geldpolitik stehen. In den mittel- und osteuropäischen Ländern ist die Inflation nach wie vor zu hoch, während sich viele Frontier-Schwellenländer mitten in der Krise befinden.
Der weltweite Druck auf die Gesamtinflation hat seinen Höhepunkt überschritten. Die Kerninflation wird sich jedoch als schwieriger erweisen, da die Arbeitsmärkte zu angespannt sind und die Unternehmen eine zu große Preissetzungsmacht haben. Deshalb rechnen wir in naher Zukunft mit weiteren Zinserhöhungen, einschließlich weiterer 1,0 Prozent durch die US-Fed und die Europäische Zentralbank sowie 1,5 Prozent durch die Bank of England bis zum Ende des ersten Quartals 2023. Diese könnten sogar noch höher ausfallen.
Aber die Nachfrageminderung während der Rezessionen dürfte letztlich einen erheblichen Abwärtsdruck auf die Kerninflation ausüben. Daher gehen wir davon aus, dass die Zentralbanken bis Ende 2023 erneut die Zinsen senken werden. Wir glauben, dass die Zinssätze in den USA bis Ende 2024 zur effektiven Untergrenze zurückkehren werden und dass dies auch für die Zinssätze in Großbritannien und im Euroraum gilt.
Die Risiken tendieren zu einem schwächeren Wachstum, aber zu einer höheren Inflation als vom Konsens erwartet. Wir gehen von einer „sticky inflation“ aus, bei der eine Straffung eine Rezession auslöst, die zugrunde liegende Inflation sich jedoch als hartnäckiger erweist. Doch selbst dann fällt der Leitzins im Durchschnitt aller Szenarien deutlich unter 2 Prozent. Aus diesem Grund sind wir auf dem Weg ins nächste Jahr optimistisch, was die Duration angeht, aber auch in Bezug auf Ersatzwährungen wie den Yen und den Schweizer Franken.
Die Aussichten für Risikoanlagen auf Basis der Überschussrendite sind schlechter. Nach den jüngsten Erholungen wird eine weiche Landung zunehmend in Aktien und Kreditspreads eingepreist. Unserer Meinung nach wird sich eine dauerhafte Rallye erst durchsetzen, wenn es zu Rezessionen kommt.”
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