Die diesjährige Ausgabe des wohl größten sportlichen Ereignisses weltweit ist umstrittener denn je.
Und doch: Auch dieses Mal werden wieder Millionen von Menschen vor Ort und auf der ganzen Welt die Mannschaft ihrer Herzen verfolgen. Der Fussball ist und bleibt nun mal der Sport des Volkes. Das erkennt man auch immer wieder daran, dass nicht unbedingt die reichsten Länder der Welt den Titel holen – ganz im Gegenteil, wenn man bedenkt, dass noch immer Brasilien die Rangliste der meisten Sterne auf dem Trikot anführt. Damit lohnt sich ein Blick auf die Schwellenländer, die sowohl fußballerisch, als auch wirtschaftlich in naher Zukunft für große Erfolge und Überraschungen gut sein können. Catriona Macnair, Investment Director Global Emerging Markets Equities bei abrdn, geht in einem aktuellen Kommentar auf die wichtigsten Akteure auf und neben dem Spielfeld ein und erzählt einige interessante wirtschaftliche Geschichten verschiedener Titelanwärter und Underdogs:
„Während die besten Fußballer der Welt die globale Bühne betreten, werden sich die Fans auch mit den Geschichten der Schwellenländerteams befassen. Einige der stärksten dieser Teams kommen aus Ländern, die interessante wirtschaftliche Geschichten zu erzählen haben.
Die brasilianische Mannschaft ist zweifellos einer der großen Favoriten, der mit Neymar und Fabinho sowie zwei Torhütern aus der britischen Premier League aufwarten kann. Auch wirtschaftlich befindet sich Brasilien in einer starken Position. Die Zentralbank hat die Zinssätze entschieden angehoben, was die Inflation unter Kontrolle gebracht zu haben scheint.
In einer sehr knappen Wahl unterlag der amtierende Präsident Bolsonaro dem linksgerichteten ehemaligen Präsidenten Inácio „Lula” de Silva quasi im Elfmeterschießen mit einem Vorsprung von nur zwei Millionen Stimmen. Die Wiederwahl des Populisten Lula, der zuvor der Korruption beschuldigt und sogar inhaftiert worden war, schien zunächst weit hergeholt, doch die spannenden Wahlen im letzten Monat sorgten für ein aufregendes Spektakel. Die Ernennung von Ministern für die rohstoffreiche Wirtschaft muss noch bestätigt werden, da der Markt auf eine Stärkung der finanzpolitischen Maßnahmen wartet.
Brasiliens Erzrivale Argentinien ist ein weiteres starkes Schwellenländerteam, das es zu verfolgen gilt. Das Land hat die Trophäe bereits zweimal gewonnen, allerdings nicht mehr seit Maradonnas umstrittenem Tor durch die Hand Gottes im Jahr 1986. Zum Team 2022 gehört auch Fußballlegende Lionel Messi, der zum fünften und letzten Mal an dem globalen Turnier teilnimmt.
Die wirtschaftliche Geschichte Argentiniens ist eine Geschichte des Aufstiegs, des Niedergangs und des Wiederaufstiegs über viele Jahrzehnte hinweg. Das Land ist erst seit 2018 wieder in der Emerging Markets-Benchmark vertreten, nachdem es während der katastrophalen Jahre unter Premierministerin Cristina Kirchner auf den Status eines Frontier Markets zurückgestuft wurde. Seit der Ernennung von Präsident Macri im Jahr 2019, der Aufhebung der Kapitalverkehrskontrollen und einem 50 Mrd. USD schweren Rettungspaket des IWF scheint die Stabilität zurückgekehrt zu sein, und die argentinische Wirtschaft verfügt nach wie vor über ein enormes Potenzial für langfristiges Wachstum.
Mexiko ist ein weiterer wichtiger Teilnehmer, und das nicht nur, weil es die „la ola”, die mexikanische Welle, in die Welt trägt. Mexikos bestes Ergebnis war das Erreichen des Viertelfinales in den Jahren 1970 und 1986, als Mexiko-Stadt der Gastgeber war. Die Quoten für den Turniersieg liegen zwar bei 100:1, aber das Land befindet sich in einem sehr positiven Wandel.
Im Gegensatz zu seinen lateinamerikanischen Konkurrenten ist Mexikos Wirtschaft weniger von Rohstoffexporten abhängig. Gegenwärtig ist der mexikanische Peso stark, die Finanzen sind gesund, und die Zentralbank des Landes hat im Einklang mit der US-Notenbank die Zinsen erhöht. Schätzungsweise 6 % des BIP entfallen auf Überweisungen, also Geld, das Mexikaner im Ausland, in der Regel in den USA, an ihre Familien schicken. Diese Überweisungen haben mit dem sprunghaften Anstieg der Inflation in den USA zugenommen, der durch den angespannten US-Arbeitsmarkt begünstigt wurde. Die Zahl der Touristen, die nach Mexiko kommen, hat sich ebenfalls stark erholt und liegt um beeindruckende 25 % über dem Vor-Covid-Niveau.
Langfristig interessant für Mexiko ist der „Nearshoring”-Trend nach der Pandemie, der darauf abzielt, Probleme in der Lieferkette und bei den Transportkosten zu lösen, indem die Produktion näher am Heimatort erfolgt. Mexiko dürfte angesichts seiner industriellen Kapazitäten, des attraktiven Lohnniveaus und der Nähe zum US-Markt davon profitieren. In bestimmten Gegenden Nordmexikos sind die Industriemieten um 20 % gestiegen und die Leerstandsquoten sind relativ niedrig. Die mexikanische Regierung ist zunehmend bestrebt, Nearshoring zu fördern, wobei registrierten Exporteuren wahrscheinlich eine „weichere Grenze” zu den USA gewährt wird.
Fernab von Lateinamerika liegt das wirtschaftliche Kraftzentrum Südkorea. Die südkoreanischen „Tigers”, deren Kapitän der Tottenham-Hotspurs-Spieler Son Heung-Min ist, sind die erfolgreichste Fußballnationalmannschaft Asiens. Südkorea ist eine der größten Volkswirtschaften Asiens und ein weltweites Zentrum für die Herstellung von Batterien, Autos, Computern und Halbleitern. Angesichts der Tatsache, dass China auf dem jüngsten Parteitag von einer stärkeren Konzentration auf das eigene Land und von wirtschaftlicher Widerstandsfähigkeit sprach, und angesichts der zunehmenden geopolitischen Spannungen mit den USA könnten südkoreanische Exporteure zu den Hauptprofiteuren gehören.
Interessant ist auch das ernsthafte Interesse des Nahen Ostens am Fußball und an der Öffnung der Volkswirtschaften für Investitionen aus dem Ausland. Saudi-Arabien durchläuft unter seinem Kronprinzen Mohammed Bin Salman eine Phase der transformativen Modernisierung. Die Entspannung und Reformierung des Landes zielt darauf ab, die saudische Wirtschaft durch einen kühnen Plan, der als „Vision 2030“ bezeichnet wird, von ihrer historischen Abhängigkeit von den riesigen Reserven an fossilen Brennstoffen wegzubringen. Der Plan hat die Investitionen beschleunigt, ein größeres ausländisches Interesse an der Wirtschaft geweckt und die Beteiligung von Frauen an der Erwerbsbevölkerung gefördert.
Mit 32 Mannschaften, die vier Wochen lang gegeneinander antreten werden, dürfte das größte Fußballereignis der Welt den erwarteten 3,6 Milliarden Zuschauern weltweit Unterhaltung bieten. Die besten EM-Mannschaften könnten, ebenso wie die stärksten EM-Volkswirtschaften, sehr positive Ergebnisse erzielen. Wie wir jedoch im Jahr 2022 gesehen haben, können die Erwartungen des Marktes – oder auch des Turniers – ganz anders ausfallen als manche denken.”
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