Von Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL
Seit der konzertierten Intervention vieler Notenbanken zur Stabilisierung des Bankensystems im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 konnten sich Anleger darauf verlassen, dass auch die Europäische Zentralbank EZB bei größeren Turbulenzen an den Kapitalmärkten eine Beruhigungsspritze verabreichte, um die Anleger zu beruhigen und die Kurse wieder zu stabilisieren. Besonders beeindruckend, weil dringend notwendig, gelang dies im Jahr 2012 dem damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi mit seiner mittlerweile historischen „Whatever-it-takes“-Rede. Er kündigte an, durch im Zweifel grenzenlose Anleihekäufe den Zinsanstieg bei Staatsanleihen einiger Mitglieder der Eurozone zu beenden. Die folgende Phase überwiegend steigender Kurse europäischer Aktienindizes ist auch der seitdem vorherrschenden ultra-expansiven Geldpolitik mit Null- und Negativzinsen zu verdanken. Das vorerst letzte Kapitel dieser beispiellosen Abfolge von EZB-Unterstützungsaktionen erfolgte jedoch im Zuge der Corona-Krise 2020 mit der Auflage des Wertpapierkaufprogramms PEPP.
Wer aber heute angesichts der absehbaren Rezession in Deutschland und der Eurozone wieder hoffnungsvoll in Richtung der EZB schaut, wird sich wundern. Nun gilt die oberste Aufmerksamkeit der Bekämpfung der aus dem Ruder gelaufenen Inflation, heißt es aus den Reihen der Notenbanker, nicht nur in Europa. Daran ändere auch eine, aufgrund der weniger expansiv oder gar restriktiv ausgerichteten Geldpolitik verstärkte Rezessionsgefahr nichts, wie sowohl die Bank of England, die US-Notenbank Fed und die EZB jüngst durchblicken ließen. Damit wird eine Leitzinsanhebung um 0,75 Prozentpunkte in der Eurozone in dieser Woche sehr wahrscheinlich, zumal der schwache Eurokurs im Vergleich zum US-Dollar den inflationären Druck derzeit deutlich verstärkt. Und auch im weiteren Jahresverlauf sind weiter steigende Zinsen zu erwarten, nachdem zum Beispiel Bundesbank-Präsident Joachim Nagel kürzlich von einem notwendigen „Front-Loading“ – also einer vorsorglich und kurzzeitig deutlich restriktiveren Gangart – sprach, um die Verankerung der langfristigen Inflationserwartungen auf den gewünschten Niveaus von etwa zwei Prozent nicht zu gefährden.
Gleichzeitig sichern die Euro-Notenbanker aber die Transmission der Geldpolitik in allen Mitgliedstaaten der Eurozone durch das neu geschaffene „Transmission Protection Program“ (TIP) ab. Komplett will man also zumindest die Renditen von Staatsanleihen doch nicht den ungezügelten Marktkräften überlassen. Dass sich Aktienanleger künftig nicht mehr auf den Notenbank-Put verlassen können, ist jedoch eine richtige Maßnahme und der erste Schritt, um durch Nullzinsen induzierte Fehlallokationen und die mangelnde Risikoübernahmefähigkeit einiger Anleger zu korrigieren.
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