Eindrucksvolle Crashs zeigen auf: Elektroautos verursachen mehr Kollisionen als herkömmliche Verbrenner, insbesondere die leistungsstarken Fahrzeuge durch ruckartige Beschleunigung.

 

Warnung vor fehlendem Schutz der Batterie: Unterboden stellt sich als die Achillesferse von E-Autos heraus.

Unfallforscher prognostizieren: Zwei Tonnen durchschnittliches Gewicht werden in wenigen Jahren Standard sein.

Das E-Auto ist nicht mehr das Fahrzeug der Zukunft, sondern hat längst einen festen Platz am Markt errungen.  Rund 196.000 Elektroautos wurden allein in diesem Jahr in Deutschland zugelassen (Quelle: Statista). Grund genug für die AXA Unfallforscher in der Schweiz, E-Autos bei den diesjährigen Crashtests in den Mittelpunkt zu stellen. In zwei eindrucksvollen Live-Crashs wurden am 25.08.2022 Stärken, Schwächen und neue Risiken durch mehr E-Autos auf den Straßen aufgedeckt.

„Der Siegeszug der Elektromobilität ist nicht mehr aufzuhalten. Das ist nicht nur gut für die Umwelt, sondern bringt sogar Fahrspaß mit sich. Wir Versicherer und unsere Kundinnen und Kunden müssen damit aber auch neue Risiken beherrschen: E-Autos erzeugen zwar hierzulande nicht mehr Unfälle, können oftmals aber zu teureren Einzelschäden führen“, erläutert Nils Reich, Vorstand Sachversicherung, die Entwicklungen bei AXA in Deutschland.

Je mehr Power, desto höher das Unfallrisiko

Während sich ehemalige Fahrschüler:innen noch sehr gut an die Bremswegberechnungen im Fragebogen der theoretischen Führerscheinprüfung erinnern werden, zeigt sich beim E-Auto eine komplett gegensätzliche Gefahrenquelle. Die größten Unfallrisiken bei E-Autos entstehen nämlich nicht beim Verringern der Geschwindigkeit, sondern beim Beschleunigen.

„Die meisten Elektroautos, insbesondere die leistungsstarken, haben ein sehr hohes Drehmoment, welches sich beim Antippen des Strompedals unmittelbar bemerkbar macht. Es kann daher zu einer ungewollten, ruckartigen Beschleunigung kommen, welche der Fahrer oder die Fahrerin nicht mehr kontrollieren kann“, erklärt Michael Pfäffli, Leiter der Unfallforschung AXA Schweiz.

Dieser sogenannte Overtapping-Effekt dürfte auch die Ursache für die erhöhte Schadenfrequenz bei leistungsstarken Elektroautos sein. Denn ein Blick in die Unfallstatistik der AXA Schweiz zeigt, dass Fahrer:innen von Elektroautos 50 Prozent mehr Kollisionen mit Schäden am eigenen Fahrzeug verursachen als jene von herkömmlichen Verbrennern.

Damit beschäftigt sich der erste Crash, bei dem ein Teslafahrer vermeintlich nur kurz auf das Strompedal drückt und durch die starke Beschleunigung die Kontrolle über das Fahrzeug verliert. Er fährt mit überhöhter Geschwindigkeit auf einen Kreisel zu, kann nicht mehr bremsen und überfährt diesen mittig. Das Auto überschlägt sich und es kommt aufgrund des unebenen Untergrundes zu einer starken Beschädigung des Unterbodens. Beim Überschlag bleibt die Fahrgastzelle intakt, die Insassen haben dank wirkungsvollen Sicherheitssystemen wie Gurtstraffer oder Airbags im Normallfall mit keinen oder leichten Verletzungen zu rechnen.

Der Unterboden als Achillesferse

Der Crash offenbart ein weiteres kritisches Element von Elektroautos: den Unterboden. Untersuchungen der AXA Unfallforscher haben gezeigt, dass Unterbodenbeschädigungen beim Überfahren von Straßeninseln, Steinen oder eben Kreiseln auftreten können. Die Antriebsbatterie ist zwar durch zusätzliche Versteifungen der Karosserie vorne, hinten und seitlich sehr gut geschützt, weist aber eine Schwachstelle auf.

„Der Unterboden scheint die Achillesferse von Elektroautos zu sein, weil die Batterie dort nicht zusätzlich geschützt ist. Dessen sollten sich Autofahrer und Autofahrerinnen bewusst sein“, gibt Michael Pfäffli weiter zu bedenken.

Die Hersteller sind aufgerufen, die Gefahr von unten nicht zu unterschätzen und einen adäquaten Schutz sicherzustellen, beispielsweise indem der Unterboden mit einer Titanplatte oder ähnlichen Materialien mit hoher Widerstandsfähigkeit versehen wird. Die AXA Unfallforscher empfehlen zudem, dass beim European New Car Assessment Programme (Euro NCAP) ein zusätzliches Crashtest-Szenario zur Überprüfung der Stabilität von unten eingeführt wird.

Wird die Batterie wie im oben beschriebenen Unfall tatsächlich beschädigt, könnte ein Brand die Folge sein.

„Wenn Schäden an der Batterie entstehen, kann es schnell zu immensen Bränden kommen. Wenn nur die Gefahr besteht, dass sich der Akku entzünden könnte, wird das Fahrzeug über Tage hinweg im Löschcontainer verwahrt. Dass wir alle noch einen Weg zu gehen haben, sieht man beispielsweise daran, dass es noch gar nicht viele Löschcontainer gibt und diese Autos teilweise auf abgesperrten Parkplätzen aufbewahrt werden müssen“, so Nils Reich weiter.

Allerdings: Das Brandrisiko bei Autos, unabhängig davon, ob sie benzin- oder strombetrieben sind, ist sehr gering und wird in der öffentlichen Wahrnehmung oft überschätzt. Nur 5 von 10.000 Autos fallen statistisch gesehen einem Brand zum Opfer, ein Marderschaden kommt 38-mal häufiger vor als ein Autobrand.

Antriebsbatterien lassen Fahrzeuge schwerer werden

Elektroautos haben nicht nur ein anderes Beschleunigungsverhalten, auch ihre Konstruktion und das Gewicht unterscheiden sich von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Autos werden generell immer schwerer. Verglichen mit Autos mit Jahrgang 2000 (1340 Kilogramm) sind neuere Autos rund 25 Prozent schwerer. Die Elektromobilität verleiht diesem Trend zusätzlich Schub. Die  AXA Unfallforscher gehen davon aus, dass das durchschnittliche Gewicht eines Neufahrzeuges aufgrund des Batteriebetriebes in wenigen Jahren bei zwei Tonnen liegen wird.

Mit dem Gewicht beziehungsweise dem Gewichtsunterschied zwischen Fahrzeugen befasst sich der zweite Crash. Ein Golf VII mit Verbrennungsmotor und ein typengleiches Modell mit Elektroantrieb prallen mit einer Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometern frontal aufeinander. Der Elektro-Golf hat genau dieselben Abmessungen, ist mit zusätzlichen 400 Kilogramm allerdings um einiges schwerer, was auf die Batterie sowie die höhere Steifigkeit des Elektroautos zurückzuführen ist. Der 1250 Kilogramm schwere Verbrenner-Golf ist bei diesem Crash einer deutlich höheren Belastung ausgesetzt und erleidet folglich einen sichtbar größeren Blechschaden als sein elektrisches Pendant. Bei einem Crash ist der Gewichtsunterschied zwischen den involvierten Fahrzeugen entscheidend. Das leichtere Fahrzeug ist dabei im Nachteil, weil die Energiebelastung größer ist als beim schweren Fahrzeug. Anders sieht es bei Personenschäden aus: Die wirkungsvollen Sicherheitssysteme von modernen Fahrzeugen können die Effekte der Massendifferenz in den meisten Fällen kompensieren. Im gezeigten Crash bleiben die beiden Fahrgastzellen deshalb intakt. Die Insassen beider Fahrzeuge sind somit gut geschützt und müssen normalerweise mit keinen Verletzungen rechnen. Problematisch für die Insassen wird es jedoch bei älteren Modellen, unabhängig vom Gewicht. Bei diesen fehlen die Sicherheitssysteme gänzlich.

3 Tipps aus der AXA Unfallforschung

Fahrer:innen von Elektroautos sollten sich der unbeabsichtigt schnellen Beschleunigung (dem sogenannten Overtapping-Effekt) bewusst sein. Der Umgang mit dieser unmittelbaren Kraft muss gelernt werden. Wenn möglich sollten Fahrer:innen insbesondere in der ersten Zeit nach dem Kauf hinterm Steuer die Stärke der Beschleunigung manuell herunterstufen, um einen grösseren Widerstand beim Antippen des Strompedals zu erreichen.

Fahrer:innen von E-Autos sollten ein besonderes Auge auf den Unterboden werfen. Straßeninseln, Steine oder Kreisel sollten zum Beispiel besonders vorsichtig befahren werden, um eine Beschädigung des Unterbodens zu verhindern.

Fahrer:innen eines schweren Fahrzeugs verfügen tendenziell über eine höhere Eigensicherheit. Gerade deshalb sollten sie sich der Verantwortung gegenüber anderen Verkehrsteilnehmenden bewusst sein: Leichtere Fahrzeuge sind im Falle eines Crashs benachteiligt.

 

 

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