Hitze, Dürre und Waldbrände nehmen in vielen Regionen der Welt zu, Wissenschaft geht von zunehmenden Wahrscheinlichkeiten durch den Klimawandel aus
Die Naturkatastrophen-Bilanz des ersten Halbjahres ist von Wetterkatastrophen geprägt. In den USA zerstörten extreme Tornados Milliardenwerte, Teile der Ostküste Australiens versanken in Fluten und im Süden Europas herrschten Hitze, Waldbrände und Dürre. Der vor wenigen Monaten veröffentlichte Bericht des Weltklimarats IPCC mahnt eine Anpassung der Schadenmodelle der Versicherer an, um das sich ändernde Risiko adäquat zu bewerten. Schadenprävention ist ein zentraler Baustein, um die ökonomischen Folgen des Klimawandels abzumildern. Umso dramatischer ist es, dass die Versicherungsdurchdringung in Entwicklungs- und Schwellenländern bei weit unter zehn Prozent stagniert und auch in den Industriestaaten noch Luft nach oben ist.
Gesamtschäden niedriger als 2021 – Hoher Anteil versicherter Schäden durch Katastrophen in USA
Im ersten Halbjahr 2022 haben Naturkatastrophen weltweit geringere Schäden angerichtet als im Vergleichszeitraum 2021. Überflutungen, Erdbeben und Stürme verursachten einen Gesamtschaden von etwa 65 Mrd. US$ nach 105 Mrd. US$ im sehr schadenträchtigen Vorjahr. Die versicherten Schäden lagen mit etwa 34 Mrd. US$ im Rahmen der vergangenen Jahre.
Fluten in Australien die teuerste Katastrophe in Hinblick auf versicherte Schäden
Im Spätsommer/Frühherbst kam es im Osten Australiens zu extremen Regenfällen und Überschwemmungen, die Schäden in Höhe von 6,6 Mrd. US$ verursachten. In Teilen von Queensland und New South Wales gab es Rekordniederschläge und Überschwemmungen. Die letzte Februarwoche war die niederschlagreichste Woche seit 1900. In einigen Gebieten wurden die höchsten Überschwemmungen seit 1893 verzeichnet. Die vorläufigen Kosten für die Versicherungswirtschaft werden derzeit auf 3,7 Mrd. US$ geschätzt.
Auch andere Länder in der Region Asien-Pazifik waren von schweren Katastrophen betroffen:
In Japan ereignete sich ein schweres Erdbeben der Magnitude 7.3 östlich der Hauptinsel Honshu. Das Epizentrum lag unweit der Stelle, wo vor elf Jahren das heftige Tohoku-Erdbeben den Tsunami auslöste, der die Atomkatastrophe von Fukushima zur Folge hatte. Auch wenn das Beben im März 2022 deutlich schwächer war, summierten sich die Gesamtschäden auf 8,8 Mrd. US$, wovon 2,8 Mrd. US$ versichert waren.
Insgesamt entfielen 22 Mrd. US$ der Gesamtschäden aus Naturkatastrophen im ersten Halbjahr auf die Region Asien-Pazifik – mehr als üblich. 8 Mrd. US$ waren versichert.
USA dominieren Schadenstatistik
Auf die USA entfielen im ersten Halbjahr mit rund 28 Mrd. US$ fast die Hälfte der Gesamtschäden und mit 19 Mrd. US$ knapp zwei Drittel der versicherten Schäden. Serien von Schwergewittern mit Tornados waren dafür die Hauptursache. Allein eine Gewitterfront Anfang April mit zahlreichen Tornados zerstörte Werte von mehr als 3 Mrd. US$, davon waren mehr als drei Viertel versichert – ein Beispiel für die Abmilderung ökonomischer Schocks bei hoher Versicherungsdichte. Insgesamt hinterließen Schwergewitter in der ersten Jahreshälfte in den USA Gesamtschäden von 22 Mrd. US$, davon entfielen auf die Versicherer 17 Mrd. US$.
Für die diesjährige Tropensturmsaison wird im Nordatlantik mit mehr Stürmen als üblich gerechnet. Grund ist die natürliche Klimaschwankung ENSO im Pazifik. Derzeit herrschen so genannte La Niña-Bedingungen, die im tropischen Nordatlantik die Bildung von Hurrikanen begünstigen. Führende Forschungsinstitute gehen davon aus, dass die aktuell schwachen La Niña-Bedingungen zur Hauptphase der Hurrikansaison im September noch ausgeprägter werden könnten. Munich Re rechnet mit 18 (±3) benannten tropischen Stürmen, 8 (±2) Hurrikanen und 4 (±2) schweren Hurrikanen. Prognosemodelle externer Institute lassen eine Sturmaktivität eher am oberen Ende der Spanne erwarten. Bis Ende Juni formierten sich im Nordatlantik drei tropische Wirbelstürme, von denen keiner Hurrikanstärke erreichte.
Die größte humanitäre Katastrophe des ersten Halbjahres war ein schweres Erdbeben in Afghanistan. Etwa 1.200 Menschen starben, als das Beben der Magnitude 5,9 den Osten des Landes erschütterte. Weltweit kamen in der ersten Jahreshälfte 2022 rund 4.300 Menschen durch Naturkatastrophen ums Leben – bedauerlicherweise mehr als in den Vorjahren.
Hitze, Waldbrand und Dürre in Teilen Europas – und auch Winterstürme
In Europa führten schon im Frühsommer Hitze und Trockenheit insbesondere in Italien, Spanien und Portugal zu Wassermangel und Waldbränden. Die Schäden durch Hitze und Dürre lassen sich oft nicht genau beziffern, da Effekte wie zum Beispiel Produktionsausfälle der Industrie durch fehlendes Kühlwasser oder in der Landwirtschaft durch die Trockenheit erst später feststehen.
Vermutlich auch bedingt durch den hohen Temperaturanstieg im Mai/Juni kam es an der Marmolata, dem höchsten Berg der italienischen Dolomiten, zu einem außergewöhnlich großen Gletscherabbruch.
Die aktuelle Hitzewelle (Juli 2022) ist auf eine spezielle Konstellation eines Hochdruckgebiets über Mitteleuropa und eines Tiefdruckgebiets vor Westeuropa zurückzuführen. Dadurch gelangt heiße Luft aus der Sahara und Nordafrika in höhere Breitengrade. Der menschengemachte Klimawandel hat bereits dazu geführt, dass die jährlichen Mitteltemperaturen in weiten Teilen Europas gegenüber dem Beginn der systematischen Aufzeichnungen am Ende des 19. Jahrhunderts um mehr als 1,5°C angestiegen sind – also mehr als der globale Mittelwert der Erwärmung von 1,2°C. Ernst Rauch, Chef-Klimatologe von Munich Re und Leiter der Climate Solutions-Einheit: „Aus ehemals warmen Tagen werden heiße Tage und aus ehemals heißen Tagen werden extreme Hitzetage. Eine direkte Folge sind Dürren und Waldbrände.“
Stürme fegten vor allem im Februar teilweise mit Orkangeschwindigkeiten über den Nordwesten Europas und das nördliche Mitteleuropa hinweg. Irland, England, Teile Belgiens, die Niederlande und der Norden Deutschlands sowie Gebiete um die Ostsee waren besonders betroffen. Die Folge: Ein Gesamtschaden von 5,2 Mrd. US$.
Ernst Rauch kommentiert die verschiedenen Unwetterkatastrophen im ersten Halbjahr 2022: „Es sind zwar alles einzelne Ereignisse mit unterschiedlichen Auslösern, aber in der Gesamtschau wird ziemlich deutlich: Die Macht des Klimawandels wird immer offensichtlicher! Die Folgen für die Menschen werden überall auf der Welt wahrnehmbar. Der Weltklimarat hat zuletzt noch deutlicher als bislang diagnostiziert, dass Wetterkatastrophen wie Hitzewellen, Starkniederschläge oder Dürren auf einer wärmeren Erde häufiger zu erwarten sind und an Intensität zunehmen. Hitzewellen beispielsweise werden tendenziell länger dauern und extremere Temperaturen haben. Das ist regional unterschiedlich – in Europa etwa wird der Süden besonders betroffen sein.“
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