Aktuelle Markteinschätzung von Nermin Aliti, Leiter Fonds Advisory der LAUREUS AG PRIVAT FINANZ

 

Viele Privatanleger, die in den vergangenen zehn bis 15 Jahren mit dem Investieren begonnen haben, haben der Assetklasse Anleihen immer weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Die bisher nicht enden wollende Niedrigzinsphase und auch die klare Haltung der Notenbanken, die Märkte mit allen Mitteln zu stützen, haben die Renditen auf ein historisch niedriges Niveau gedrückt und lange gehalten. Vor allem sehr sichere Anleihen wie etwa zehnjährige Bundesanleihen rentierten über Jahre sogar im negativen Bereich – Anleger mussten dem Staat also dafür Geld bezahlen, dass sie ihm welches geliehen haben. Zuletzt zogen die Renditen aber wieder spürbar an. Kommt jetzt das Comeback einer in Vergessenheit geratenen Anlageklasse?

Attraktive Einstiegschancen nutzen

Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass Anleihen für  institutionelle Anleger auch während der vergangenen Jahre nie außen vor waren – zu groß sind die Möglichkeiten: Unterschiedliche Modalitäten von Anleihen, verschiedene Währungen und nicht zuletzt auch attraktive Kupons bei Unternehmensanleihen ließen Anlage-Profis lange attraktive Nischen finden. Inzwischen steigen auch die Renditen der zehnjährigen Bundesanleihen wieder, jüngst sogar sehr deutlich. Für die vernachlässigte Anlageklasse der Anleihen ist die gestiegene Aufmerksamkeit positiv.

Wie so oft am Kapitalmarkt folgt auf kräftige Kursbewegungen häufig eine Gegenbewegung – Kurse verlaufen häufig in Wellen. Auch der Renditeaufschlag bei Anleihen wird sich sicherlich nicht endlos so fortsetzen. Phasen der Entspannung können aber interessant sein. Wie bei jeder Zeitenwende am Kapitalmarkt wird in den nächsten Monaten auch bei Staats- und Unternehmensanleihen Geduld gefragt sein.

Inflation und Geldpolitik geben die Richtung vor

Das sich verändernde Zinsniveau hat durchaus das Potenzial, den Markt durcheinanderwirbeln. Dann etwa, wenn Investoren ihre Portefeuilles umschichten und sich vermehrt Anleihen mit attraktiven laufenden Renditen zu Gunsten von anderen Assetklassen einkaufen.  Doch auch wenn die Renditen heute und auch in Zukunft deutlich höher liegen, als das Anleger über Jahre gewohnt sind, sollten Investoren zwei Faktoren in jedem Fall nicht außer Acht lassen: Die Inflation weist in vielen Regionen der Welt ein verhältnismäßig hohes Niveau auf. Dies schmälert die Rendite der festverzinslichen Wertpapiere.

Zudem haben Notenbanken der über mehr als ein Jahrzehnt gängigen Praxis, die Wirtschaft um jeden Preis am Laufen zu halten, ein wenig den Rücken gekehrt. Spielte die Inflation zwischen 2010 und 2020 keine große Rolle für die Währungshüter, hat diese nun Priorität. Steigende Zinsen sind kein rotes Tuch mehr. Die US-amerikanische Notenbank Fed hat den Leitzins dieses Jahr bereits zweimal angehoben – und zwar auf eine Spanne von aktuell 0,75 bis 1,0 Prozent. Und die Europäische Zentralbank könnte bereits im Juli die Zinswende einläuten und erstmals seit über zehn Jahren den Leitzins wieder erhöhen. Vor diesem Hintergrund erscheint es zumindest nicht unwahrscheinlich, dass die Renditen von Bundesanleihen und weiteren Staatspapieren noch Luft nach oben haben könnten.

Kein Grund, in Torschlusspanik zu verfallen

Die laufenden Renditen am Anleihenmarkt sind zwar gestiegen, aber es bestehen nach wie vor gewisse Risiken. Der seit einigen Monaten eingeleitete Prozess könnte womöglich noch länger andauern und nicht ohne Irritationen vonstattengehen.  Das ist aber kein Grund, der Assetklasse Anleihen den Rücken zu kehren. Vielmehr sollten Anleger mit Bedacht und vor allem im Spiegel des bereits bestehenden Portfolios maßvoll und geduldig agieren. Die Märkte waren nie eine Einbahnstraße. Langfristig denkende Anleger sollten den Verkehrsfluss und Hindernisse im Blick haben und nicht in Torschlusspanik verfallen, folglich kommen sie entspannter ans Ziel.

 

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