Kommentar Neuberger Berman

 

Zu Jahresbeginn fand bei Neuberger Berman die europäische Investment-Konferenz Solving for 2022 statt. In der jährlichen Konferenz geht es um die Frage, welche Assetklassen im kommenden Jahr besonders vielversprechend sein werden. In seinem Kommentar stellt Erik Knutzen, CIO Multi Asset Class bei Neuberger Berman, die Ergebnisse vor:

Investorenmeinung für 2022: Aktien hoch im Kurs

Im Rahmen unserer jährlichen Investment-Konferenz Solving stellen wir traditionell die Frage, welche Asset-Klassen im kommenden Jahr besonders vielversprechend sein werden. Das sind die Ergebnisse für dieses Jahr:

51 Prozent der Teilnehmer sehen Aktien als die führende Asset-Klasse. Darauf folgen Rohstoffe mit 43 Prozent der Stimmen – letztes Jahr waren es nur 19 Prozent. Auch für Geldmarktanlagen sind die Teilnehmer optimistischer: Ihr Anteil stieg von 3,5 Prozent auf 5 Prozent. Auf dem letzten Platz liegen Anleihen mit gerade einmal 1 Prozent. Im Jahr 2019 hielten noch 17,2 Prozent der Teilnehmer Anleihen für vielversprechend, seitdem ist der Anteil jedoch kontinuierlich gefallen.

Die Märkte 2022: Fünf große Wendepunkte

Geld- und Fiskalpolitik werden nicht weiter gelockert, sondern allmählich gestrafft – nachdem die Notenbanken mehr als zehn Jahre lang gegen Disinflation und schwaches Wachstum angekämpft haben. Den Finanzmärkten soll daher mehr Liquidität entzogen werden – und das so schnell wie noch nie zuvor.

Der Grund für diese Straffung ist die Inflation: Wir glauben zwar nicht, dass sie so hoch bleibt wie jetzt, rechnen aber doch mit einer strukturell höheren Teuerung als in den letzten 20 Jahren. Für unsere höheren Inflationserwartungen gibt es eine Reihe von Gründen. Einer davon ist aber besonders wichtig: die Energiewende.

Hinzu kommt, dass in China – dem Land, das 20 Jahre lang den größten Beitrag zum Weltwirtschaftswachstum geleistet hat – die Erwerbsbevölkerung altert und schrumpft. Jetzt setzt China auf „Wohlstand für alle“, bei langfristig weniger Wachstum.

Zinsrisiken fordern Flexibilität

Es überrascht daher nicht, dass Anleihen bei den Konferenzteilnehmern nicht in Mode sind.

Wegen der guten Fundamentaldaten der Unternehmen scheint es uns sinnvoll, Kreditrisiken anstelle von Zinsrisiken einzugehen. Investoren sollten nicht nur auf Coupons setzen, sondern flexibel in unterschiedliche Credits investieren und taktisch umschichten. Aber nur wenige sehen Anleihen dieses Jahr vorn. Die steigenden Zinsen sind das größte Risiko. Von der Notenbankliquidität, die jetzt zurückgefahren werden soll, haben Staatsanleihen am stärksten profitiert. Die Inflation schmälert jedoch die Realrenditen sämtlicher Festzinstitel.

Die Konferenzteilnehmer sehen mehrheitlich weiter Aktien vorn, auch wenn sie etwas an Glanz verloren haben. Nicht mehr 75 Prozent wie vor einem Jahr, sondern nur noch 51 Prozent trauen ihnen jetzt die höchsten Erträge zu.

Das ist verständlich. Die Fundamentaldaten bleiben zwar gut, doch nach drei Jahren mit einer hervorragenden Performance sind die Indizes jetzt hoch bewertet. Außerdem werden viele Benchmarks von Wachstumstiteln dominiert, die nicht nur teuer, sondern auch zinssensitiv sind. Wir gehen davon aus, dass Investoren mit Substanzwerten, Zyklikern, Small Caps und nicht amerikanischen Industrieländeraktien besser von der Reflation profitieren können. Zusätzlich sind sie günstiger bewertet und weniger zinssensitiv.

Nicht die Zeit für 60/40

Warum aber sehen jetzt so viel mehr Konferenzteilnehmer Rohstoffe vorn?

Das passt zu unserer Annahme, dass Diversifikation 2022 sehr wichtig sein wird. Die Wendepunkte in diesem Jahr dürften für Unsicherheit und Volatilität sorgen. Die klassische Aufteilung auf Anleihen oder Aktien könnte nicht mehr funktionieren, weil beide Assetklassen hoch bewertet und zinssensitiv sind. Es ist nicht die Zeit für ein 60/40-Portfolio.

Zur Diversifikation könnten sich jetzt vor allem inflationssensitive Assetklassen wie Rohstoffe und Immobilien eignen. Mit Rohstoffen können sich Investoren vor Inflation schützen und Risiken streuen, wenn Anleihen zu teuer, zu zinssensitiv und zu stark mit Aktien korreliert sind. Die Konferenzteilnehmer scheinen das genauso zu sehen.

Unkorrelierte, liquide alternative Strategien können sich ebenfalls anbieten, aber auch die Ausgabe von Verkaufsoptionen auf den Aktienindex (Equity Index Put Writing). Diese Strategie hat schon oft von Marktvolatilität profitiert und ermöglicht eine etwas stabilere Aktienanlage. Bei Private Equity und Private Debt wiederum entfallen die börsentypischen Schwankungen.

Risikomanagement 2022 besonders wichtig

Die Konferenzteilnehmer scheinen zu ähnlichen Schlüssen zu kommen wie wir. Konsens ist, dass risikobehaftete Titel – wie Aktien – wegen der guten Konjunktur am interessantesten sind. Die hohen Bewertungen, die Aussicht auf steigende Zinsen, nachlassende Liquidität und zunehmende Volatilität stimmen uns aber vorsichtiger als vor einem Jahr. Besonders wichtig ist das Risikomanagement. Wir legen Wert auf echte Diversifikation, ebenso wie auf Flexibilität und die Möglichkeit, eine höhere Volatilität zu nutzen. Außerdem ist uns bewusst, dass Inflation 2022 wohl das wichtigste Risiko sein wird.

Als die Konferenzteilnehmer vor einem Jahr Aktien mit so großem Abstand vorn sahen wie noch nie, lagen sie richtig. Warten wir ab, was die nächsten zwölf Monate bringen.

 

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