Ausblick 2022: Auf disruptive Technologien setzen

Kommentar von Vincent Hamelink, Chief Investment Officer (CIO), und Nicolas Forest, Global Head of Fixed Income

 

Ein Jahr nach der Entdeckung von Anti-Covid-Impfstoffen haben die Finanzmärkte die Pandemie bereits hinter sich gelassen. Die Wirtschaft jedoch nicht, wie zahlreiche Störungen der Lieferketten auf den Arbeits- und Rohstoffmärkten belegen. Dennoch dürfte sich die starke wirtschaftliche Entwicklung fortsetzen. Wir gehen davon aus, dass alle Industriestaaten bis Ende nächsten Jahres wieder vorpandemische Produktionsniveaus erreichen werden und die starke Wirtschaftsleistung bis ins Jahr 2022 anhält,, mit einem Wachstum von rund 4 Prozent sowohl in den USA als auch im Euroraum. Einige Schwellen- und Entwicklungsländer leiden dagegen weiterhin unter Produktionsverlusten. Darüber hinaus dürften die Arbeitsmärkte den Produktionszahlen hinterherhinken, da die Beschäftigung weltweit voraussichtlich nur zwei Drittel seines Niveaus vor der Pandemie erreichen wird.

Die starke Nachfrage, die durch die aufgestauten Ersparnisse und die Erholung nach der Pandemie angezogen hat, steht Engpässen in der Versorgungskette gegenüber. Das führt zu einem Preisanstieg. Die Inflation dürfte zumindest in den Wintermonaten sehr hoch bleiben und auch länger anhalten, als der Begriff „vorübergehend“ möglicherweise suggeriert. Doch auch sie wird vorbeigehen. Wir rechnen damit, dass die Inflationserwartungen im Jahr 2022 ihren Höchststand erreichen. Dabei dürften die Inflationsängste in der ersten Jahreshälfte 2022 jedoch schwanken und die Geduld der Zentralbanken auf die Probe stellen.

USA: zwei Zinserhöhungen in der zweiten Jahreshälfte 2022

Die US-Notenbank Fed hat zwei Hauptziele: die Inflation bei einem Durchschnittswert von 2 Prozent zu halten und gleichzeitig Vollbeschäftigung anzustreben. Das bedeutet sie kann ein Überschießen der Inflation hinnehmen, solange es auf dem Arbeitsmarkt keine Vollbeschäftigung gibt – und davon sind die USA im Moment weit entfernt. Fed-Chef Jerome Powell rechnet zudem nicht mit einer anhaltend hohen Inflation, sondern geht davon aus, dass diese sich bis Ende 2022 auf einem Niveau von 2,2, Prozent einpendelt. Deswegen plant die Fed, ihre Wertpapierkäufe zu reduzieren und sie bis Mitte 2022 einzustellen, um dann mit der Anhebung der Leitzinsen zu beginnen.

Nach dem stärkeren Anstieg der Verbraucherpreise in den vergangenen Monaten erwarten Anleger jetzt jedoch, dass die Fed die Zinsen früher und aggressiver erhöht, als sie angekündigt hat. Wir gehen davon aus, dass die Fed ihre Drosselung bis Juni 2022 beenden und in der zweiten Jahreshälfte zwei Zinsschritte beschließen wird. Vor diesem Hintergrund dürften die Renditen 10-jähriger US-Treasuries zwischen 1,5 Prozent und 2,5 Prozent steigen, was eine kurze Duration rechtfertigt. Der Übergang der Fed zu einen Zinserhöhungszyklus ist eine sehr schwierige Zeit, die in der Vergangenheit mit einer Abflachung der Renditekurve verbunden war. Deshalb gewichten wir US-Unternehmensanleihen unter und engagieren uns angesichts der flacheren Renditekurve und des überdurchschnittlichen Wirtschaftswachstums in Aktien.

Euroraum: Zinsschritte nicht vor Mitte 2023

Der Euroraum ist von der Vollbeschäftigung sehr weit entfernt und die Europäische Zentralbank (EZB) rechnet mit einer zusätzlichen kurzfristigen Inflation im Jahr 2022, bevor die Teuerung 2023 wieder unter das 2-Prozent-Ziel sinkt. Deswegen dürfte die Europäische Zentralbank (EZB) ihre lockere Geldpolitik beibehalten – eine Anhebung des kurzfristigen Zinssatzes vor Mitte 2023 ist höchst unwahrscheinlich. Zwar endet im März das Programm für die Pandemie-Notkäufe (PEPP), doch andere flexiblere Wertpapierkaufprogramme dürften an ihre Stelle treten, um den Übergang zu erleichtern. Auch hier stellt sich angesichts der Teuerungsraten von 4 Prozent im Verbraucherpreisindex die Frage nach möglichen unerwarteten Zinserhöhungen im Jahr 2022. Diese Aussicht hat Christine Lagarde in der jüngsten Mitteilung über den geldpolitischen Beschluss der EZB jedoch zurückgewiesen.

Angesichts dessen, dass die EZB weiter Wertpapiere kaufen wird, während die Fed ihre Käufe reduziert, halten wir europäische Anleihen für attraktiver als ihre Pendants aus den USA. Jedoch dürften die Anleiherenditen auch im Euroraum steigen – für die 10-jährige deutsche Anleihe haben wir ein Renditeziel von 0,2 Prozent gesetzt. Vorsicht ist dagegen bei Spreads europäischer Peripherieländer geboten: Hier sind viel gute Nachrichten bereits eingepreist.

Schwellenländer: Schlechte Nachrichten machen chinesische Wertpapiere attraktiv

Die Straffung der Geldpolitik in den USA bedeutet meist Gegenwind für die Schwellenländer – und die Finanzmärkte haben bereits begonnen, diese Entwicklung einzupreisen, während die meisten Zentralbanken Lateinamerikas und Osteuropas bereits ihre Geldpolitiken bereits straffen. Nachdem China 2020 als einziges G20-Land ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) verzeichnet hatte, ist sein Investmentumfeld im Jahr 2021 besonders schwierig geworden. Die Wachstumsdynamik hat nachgelassen, bedingt durch die Null-Covid-Strategie, Maßnahmen zur Eindämmung der Kohlenstoffemissionen und Maßnahmen zur Abkühlung des Immobilienmarktes. Zwar dürfte Peking die geld- und steuerpolitischen Lockerungsmaßnahmen verstärken, doch es gibt dennoch ein eindeutiges Risiko für einen Abwärtstrend.

Diese schlechten Nachrichten haben die Finanzmärkte bereits eingepreist – und die Bewertungen in China sehen zunehmend attraktiv aus. Zudem zeichnet sich ab, dass Xi Jinping auf dem 20. Parteitag, der für Mitte Oktober 2022 geplant ist, eine dritte 5-jährige Amtszeit erhalten wird. Für Investoren dürfte das beruhigend wirken, denn das bedeutet Kontinuität und Planungssicherheit.

Risiken für 2022: Die Gratwanderung der Zentralbanken

Zwei Risiken nehmen im Jahr 2022 zu: ein vorzeitiger Beginn der Zinserhöhungen seitens der Fed und ein viel weniger günstiger Straffungszyklus. Einerseits laufen die Zentralbanken der Industrieländer Gefahr, der wirtschaftlichen Entwicklung hinterherzuhinken. Sollten die Inflationserwartungen nicht mehr fundiert sein, müssen sie möglicherweise aggressiv durchgreifen. Unternehmen und Verbrauchern bereitet die Inflation bereits große Sorgen. Auch der Lohndruck muss aufmerksam beobachtet werden, denn hier könnte ein Teufelskreis entstehen, der aus der kurzfristigen Inflation einen Dauerzustand machen könnte. Andererseits könnte eine aggressive Reaktion auf die möglicherweise vorübergehende Inflation die Konjunkturerholung gefährden. Vor dem Hintergrund der weltweit hohen Verschuldung von Staaten und Privatpersonen könnte sie eine abrupte Verlangsamung des Wirtschaftswachstums auslösen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Geduld der Zentralbanken auszahlt – und zu einem robusten Wachstum und finanzieller Stabilität führen wird.

Ein sehr hohes Risiko sehen wir zudem darin, dass die beispiellosen globalen fiskalischen und geldpolitischen Anreize, die den derzeit laufenden Wirtschaftsboom ausgelöst haben, nicht mehr haltbar sein könnten. Alles zusammen könnte sich dann zu einem Hochinflationsboom und einem Einbruchzyklus entwickeln – und zu einer Double-Dip-Rezession führen. Dies ist allerdings nicht unser Hauptszenario. Wir rechnen im Jahr 2022 nicht mit einer Umkehrung der Kurve, denn wir sehen für eine Abflachung ausreichend Spielraum.

Investieren in Disruption und nachhaltigen Wandel

Zukunftsthemen bleiben auch weiterhin im Fokus. Wir investieren in Unternehmen, die von langfristigen Trends profitieren und diese vorantreiben. Dazu zählen Gesundheitsdienstleister, Unternehmen, die ihren Übergang zur Dekarbonisierung beschleunigen, Abfall minimieren und die Mobilitätsrevolution vorantreiben sowie auf disruptive Technologien setzen.

Im Allgemeinen steht Nachhaltigkeit im Mittelpunkt – schon immer, aber ganz besonders in der Zeit, in der wir nach der Pandemie in die neue Normalität eintreten. Als verantwortungsbewusste Anleger sehen wir uns in der Pflicht, den Übergang zu einer gerechten und integrativen Energiewende zu erleichtern, zu beschleunigen und zur Bekämpfung des Klimawandels beizutragen. Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Faktor für die Anlageperformance – und aktives Management wird bei der Auswahl von Unternehmen, deren Geschäftsmodelle einen positiven Beitrag zur Welt von morgen leisten, entscheidend sein.

 

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