Jan Boudewijns und Paulo Salazar, Co-Heads of Emerging Market Equities bei Candriam

 

Der CEO von JPMorgan, Jamie Dimon, musste sich anlässlich seiner jüngsten Reise nach Hongkong für seinen „Witz“ lang und öffentlich entschuldigen. „Die Kommunistische Partei Chinas feiert in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. Auch JPMorgan besteht seit 100 Jahren“, sagte er in Bezug auf das Jubiläum der Bank in China. „Ich bin überzeugt, dass wir länger Bestand haben werden“, fügte er hinzu.

Jack Ma, der Gründer von Alibaba und einer der reichsten Menschen in Asien, hätte Herrn Dimon eine Warnung sein können: Die kommunistische Führung Chinas duldet es nicht, ins Lächerliche gezogen zu werden. Vor einem Jahr wurde der Börsengang von Alibabas Ant Finance, einer der größten der Geschichte, plötzlich in letzter Minute von den chinesischen Behörden abgesagt. Es gab natürlich offizielle Gründe – aber die Entscheidung fiel, nachdem Jack Ma in einer Rede die Partei kritisiert und ihr vorgeworfen hatte, zu konservativ zu sein und Innovationen zu verhindern.

Die Absage des Börsengangs war der Auftakt zu einer sehr wichtigen und scheinbar überraschenden politischen Wende in Peking. Zunehmend wenden die Behörden wettbewerbs- und kartellrechtliche Vorschriften an, um dem Internetsektor Einhalt zu gebieten. Dieser ist der aufgrund niedriger Einstiegsbarrieren stark expandiert und wird immer mächtiger. Unserer Meinung nach soll die Richtungsänderung Pekings die neue Klasse der Multi-Milliardäre und anderer potenzieller Gegner daran erinnern, wer in China wirklich das Sagen hat: die Kommunistische Partei und Xi. Jack Ma, der nach seinen kritischen Äußerungen sogar für einige Zeit verschwand, war wahrscheinlich das primäre Ziel. Andere Internetmoguln reagierten schnell und führten die Anweisungen ihrer Partei demonstrativ aus.

Die auf den Binnenmarkt abzielenden regulatorischen Maßnahmen betreffen unter anderem auch den privaten Bildungs- und den Online-Gaming-Sektor. Infolgedessen erzielten chinesische Aktien angesichts des bereits nachlassenden Wachstums dieses Jahr eins ihrer schlechtesten Ergebnisse. Die Bedenken der Anleger infolge der staatlichen Maßnahmen führten dazu, dass die in China notierten Unternehmen mehr als 1 Bio. USD an Marktwert einbüßten. Auch beeinträchtigten die Regierungsmaßnahmen die Renditen der einzelnen Sektoren und Aktien auf in unterschiedlichem Ausmaß.

Wohlstand auf Befehl…

Der „Regulierungstsunami“ ist durch zwei wesentliche Probleme Pekings begründet: der demografischen Zeitbombe und der Machtposition von Xi Jinping vor dem 20. Parteikongress, der 2022 stattfindet. Die Regierung ergriff Maßnahmen, um mögliche Gefahren für ihren „Gemeinsamen Wohlstand“ zu mindern und zu zeigen: Die Führung behält den Zügel fest in der Hand und wird die sozialen Werte dem Wirtschaftswachstum voranstellen und die „soziale Stabilität“ erhalten.

Die Volkszählung 2021 deutete auf eine merkliche Verschlechterung der demografischen Entwicklung, mit einer der niedrigsten Wachstumsraten der Bevölkerung seit den 1950er Jahren. Auf diese Feststellung folgte sehr schnell eine Reihe von Maßnahmen: die Ankündigung einer Drei-Kinder-Politik (trotz der derzeit nicht erfolgreichen Zwei-Kinder-Politik) sowie Anreize für Paare, zu heiraten und Kinder zu bekommen. (Grafik „Geburten- und Sterberaten China“  unten zum Download)

Die Regierung versprach auch, die Kosten für den Aufbau einer Familie zu senken. Das erklärt die Maßnahmen zur Beschränkung der teuren privatwirtschaftlichen Nachhilfe, um den ständigen Druck auf die Kinder zu mindern. Damit verbunden sind auch die Schritte zur Reduzierung der hohen Kosten für Wohnraum und Gesundheitsleistungen.

…während die Konjunktur abkühlt

In der Zwischenzeit kühlt die chinesische Konjunktur ab. Ausschlaggebend dafür sind die (Schulden-)Krise des für die Wirtschaft wesentlichen Immobiliensektors, die hohen Kommunalschulden und die Straffung der Kreditpolitik. Eine Belastung stellten zudem die jüngsten Überschwemmungen, eine kurze, aber schwerwiegende Unterversorgung mit Strom und die Null-Toleranz-Politik in Bezug auf COVID-19. Diese Politik hat bewirkt, dass es in Megastädten wie Shanghai keine Ansteckungen gegeben hat und sie wird zumindest bis nach den Olympischen Winterspielen in Peking fortgesetzt. Wenn nicht rasch Unterstützungsmaßnahmen ergriffen werden, ist davon auszugehen, dass das Wachstum unter die psychologisch wichtige Schwelle von 5% sinkt. Die geplanten Wirtschaftstreffen im Dezember werden genau beobachtet.

Darüber hinaus gibt es weitere neue Negativfaktoren, die Peking möglicherweise nicht so leicht eindämmen kann. Darunter fallen die zunehmenden Forderungen westlicher Politiker nach Maßnahmen im Zusammenhang mit den von China ausgehenden Sicherheitsrisiken: seine (potenziellen, aber nicht wahrscheinlichen, sofern nicht erzwungenen) militärischen Absichten gegenüber Taiwan, seine Kapazitäten zu Cyber-Attacken und Vorwürfe einer ernstzunehmenden Geheimdienstpräsenz im Westen. Hinzu kommt die finanzielle Belastung, die chinesische Initiative für die „Neue Seidenstraße” mehreren Entwicklungsländern aufbürdet.

Des Weiteren bestehen ernste Bedenken angesichts der Menschenrechtsverstöße, der Bekämpfung der politischen Äußerungen (insbesondere in Hongkong) und der Unterdrückung der Uiguren in der Provinz Xinjiang. Hochkarätige Persönlichkeiten sind „verschwunden“: Der Künstler Ai Wei Wei oder die Tennisspielerin Peng Shuai. Das hat ebenfalls nicht dazu beigetragen, den Ruf Chinas im Ausland zu verbessern.

Für immer an der Macht?

Der 20. Kongress der Kommunistischen Partei Chinas soll 2022 die neue Machtstruktur bestimmen. Als Staatspräsident ist es Xi Jinping gelungen, den Großteil der Opposition zum Schweigen zu bringen und seine Amtszeit sogar zu verlängern. Er zielt eindeutig auf eine unbefristete Amtszeit ab und will in derselben Liga spielen wie seine Vorgänger Mao Zedong und Deng Xiaoping.

2021 stellte Anleger in China vor große Herausforderungen: Eine ungewöhnlich hohe Ungewissheit in Bezug auf die politischen Veränderungen und die zunehmend zentralisierte Kontrolle der Parteien auf allen Ebenen öffentlicher und privater Aktivitäten. Obwohl das Marktumfeld im Allgemeinen enttäuschend war, wird die Kombination dieser Faktoren die Art und Weise in Frage stellen, wie in- und ausländische Anleger sich am chinesischen Markt engagieren.

Die Investoren haben die Wahl, ob sie in die chinesische Wirtschaft oder die chinesischen Märkte investieren wollen oder nicht. Aber sie haben zumindest die Möglichkeit, mithilfe ihrer Anlageentscheidungen den Druck auf die chinesische Regierung aufrechtzuerhalten, damit eine nachhaltige Wirtschaft und Gesellschaft entstehen kann. Institutionelle Anleger und internationale Unternehmen, die wie JP Morgan in China tätig sind, können nicht jedes Mal weglaufen, wenn etwas passiert, das ihnen nicht gefällt. Denn sie spielen eine wichtige Rolle. Ob sie die Kommunistische Partei Chinas für weitere 100 Jahre überleben, bleibt abzuwarten. Leider dürfte niemand von uns noch hier sein, um es herauszufinden.

 

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