ESG-Taxonomie leitet Kapital in Neubau um und schafft Opportunitäten im Bestand

 

Im den ersten drei Quartalen des Jahres 2021 wechselten in Deutschland Wohnimmobilien für etwa 20,6 Mrd. Euro den Eigentümer (Transaktionen ab 50 Wohnungen). Noch nie zuvor stand zu diesem Zeitpunkt eines Jahres ein so hohes Volumen in den Büchern. Angesichts sich anbahnender großer Transaktionen und der Mehrheitsbeteiligung von Vonovia an der Deutschen Wohnen erscheint sicher, dass auch das Gesamtjahr 2021 einen neuen Rekordwert am deutschen Wohninvestmentmarkt markieren und den bisherigen Höchstwert aus dem Jahr 2015 (23,3 Mrd. Euro) in den Schatten stellen wird. Zum ersten Mal überhaupt dürfte das Volumen die Marke von 30 Mrd. Euro übersteigen. „Die Nutzungsart Wohnen war im bisherigen Jahresverlauf die mit Abstand umsatzstärkste Nutzungsart am deutschen Immobilienmarkt. In Wohnimmobilien floss fast genauso viel Kapital wie in Büro- und Einzelhandelsimmobilien zusammen“ berichtet Karsten Nemecek, Managing Director Corporate Finance – Valuation bei Savills Germany und begründet: „Nach wie vor ist es die Suche nach größtmöglicher Sicherheit, die viele Investoren umtreibt. Am Immobilienmarkt wird diese Sicherheit von vielen Investoren am ehesten den Wohnimmobilien zugeschrieben”.

Durchschnittspreis pro Einheit steigt merklich, da ein hoher Volumenanteil auf die A-Städte entfällt

Seit Anfang des Jahres wurden bundesweit etwa 107.500 Wohnungen gehandelt. Daraus ergibt sich ein durchschnittlicher Preis pro gehandelte Wohneinheit von circa 191.400 Euro. Auch dieser Wert stellt einen neuen Rekord dar und liegt rund 44 % über dem Vorjahreswert sowie etwa 54 % über dem Fünfjahresmittel. Der Anstieg erklärt sich neben einer allgemeinen Preissteigerung von Wohnimmobilien und einem weiterhin hohen Anteil von Projektentwicklungskäufen vor allem durch einen überproportional hohen Volumenanteil der A-Städte. Im bisherigen Jahresverlauf entfiel rund ein Fünftel des Transaktionsvolumens auf den Erwerb von Projektentwicklungen (Fünf-Jahres-Durchschnitt: 25 %). Der Anteil der A-Städte am gesamten Wohntransaktionsvolumen lag im bisherigen Jahresverlauf bei rund 67 %. Im vergangenen Jahr lag dieser Anteil bei nur 39 % und im Fünf-Jahres-Durchschnitt bei 48 %.

Insbesondere bei Bestandsimmobilien lag der Volumenanteil der A-Städte mit 74 % deutlich über dem Fünfjahresmittel von 45 %.

Bei den Projektentwicklungen entfielen hingegen nur ca. 39 % des Volumens auf Projekte in den sieben A-Städten. Dieser Anteil lag unter dem Mittel der letzten fünf Jahre von 56 %. „Neubauwohnungen sind bei Investoren auch in Städten der zweiten oder dritten Reihe gefragt“, berichtet Matti Schenk, Associate Research Germany bei Savills und kommentiert: „Die Fundamentaldaten vieler Standorte untermauern diese Sichtweise. Angesichts wachsender Suburbanisierung ziehen vor allem gut angebunden Umlandstandorte ein großes Interesse auf sich“.

Berlin, Berlin, Berlin

Der überproportionale Anteil der A-Städte ist im Wesentlichen auf eine Stadt zurückzuführen: Berlin. In der Hauptstadt wechselten im bisherigen Jahresverlauf Wohnimmobilien für etwa 8,6 Mrd. Euro den Eigentümer. Das waren 48 % des Gesamtvolumens. Dafür waren vor allem der Verkauf des Akelius-Portfolios an Heimstaden sowie der Verkauf von etwas mehr als 15.000 Wohn- und Gewerbeeinheiten von Vonovia und Deutsche Wohnen an Wohnungsunternehmen des Landes Berlin ausschlaggebend.

Dementsprechend beträgt der Volumenanteil Berlins bei Portfoliotransaktionen sogar rund 60 %. Aber auch bei Einzeltransaktionen war Berlin mit einem Volumenanteil von etwas mehr als 23 % der mit weitem Abstand umsatzstärkste Investmentstandort in Deutschland. „Wohninvestoren weht in Berlin ein zum Teil heftiger Wind entgegen. Neben der Ausschöpfung bestehender Regularien wird die Einführung zusätzlicher Instrumente forciert, wie etwa beim gescheiterten Mietendeckel der Fall. Die Zustimmung per Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer privater Wohnungsunternehmen hat erneut verdeutlicht, dass es in der Stadt einen breiten gesellschaftlichen Widerstand gegen Wohninvestoren gibt. Das abermals hohe Volumen mag vor diesem Hintergrund überraschen“, konstatiert Schenk und ergänzt: „Zweifellos stellt die diskutierte Vergesellschaftung einen Unsicherheitsfaktor dar und dürfte insbesondere einige risikoaverse Investoren verschrecken. Für Investoren, die sich davon nicht abschrecken lassen, ist Berlin jedoch weiterhin attraktiv. So ist die Liquidität des Berliner Wohnimmobilienmarkts ein großer Vorteil und macht die Stadt zu einer Art Gateway City für Investoren. Die in den letzten fünf Jahren gehandelten Mietwohnungen entsprechen rund 9 % des gesamten Berliner Mietwohnungsbestands, was ein hoher Wert ist“. „Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Ankäufe der

Öffentlichen Hand rund ein Viertel des Transaktionsvolumens in den letzten fünf Jahren ausmachten. Im laufenden Jahr sind es sogar 35 %“, so Schenk weiter.

Öffentliche Hand auf Rang drei der aktivsten Käufer – Bedeutung internationaler Investoren wächst

Vor allem aufgrund der Ankaufstätigkeiten des Landes Berlin und seiner Wohnungsbaugesellschaften ist die Öffentliche Hand im laufenden Jahr auf Rang drei der aktivsten Käufer gerückt. Sie zeichnete bundesweit für 19 % des Volumens verantwortlich. Auf den Rängen eins und zwei standen abermals Immobilien AGs und Offene Spezialfonds mit Anteilen von 34 % bzw. 25 %. Der Anteil internationaler Investoren lag im bisherigen Jahresverlauf bei rund 49 % und damit deutlich über dem Fünf-Jahres-Mittel von 21 %. Bedingt durch Ankäufe von Heimstaden waren schwedische Investoren mit einem Anteil von 29 % am Gesamtvolumen die aktivste ausländische Käufernation. Es folgen Investoren aus Frankreich, der Schweiz sowie aus Kanada. „Während Wohnimmobilien als institutionelles Investmentprodukt hierzulande schon seit langem etabliert sind, ist Wohnen bei vielen internationalen Investoren erst seit einigen Jahren nach oben auf die Agenda gerückt. Die COVID-19-Pandemie wirkte hierbei als Beschleuniger. Die Tatsache, dass der deutsche Mietwohnungsmarktes nahezu unberührt von der Pandemie geblieben ist und seine Liquidität führen dazu, dass viele internationale Investoren Einstiegsmöglichkeiten in den hiesigen Markt prüfen“, sagt Nemecek.

Ausblick: Regulierung bestimmt weiterhin die Diskussion am Wohnungsmarkt

Insgesamt ist die Nachfrage nach Wohnimmobilien ungebrochen. Zu den einheimischen Wohnungsunternehmen und inländischen Investmentmanagern sowie Pensionskassen und Versicherungen gesellen sich nun auch verstärkt internationale Kapitalsammelstellen. Dies dürfte den Wettbewerb um Produkte weiter intensivieren. Der globale Run auf Wohnimmobilien dürfte zumindest in Deutschland aber zunehmend von einigen externen Faktoren beeinflusst oder überlagert werden. „Die aktuell noch laufenden Sondierungsgespräche nach der Bundestagswahl haben zwar einen offenen Ausgang, ein Blick in die Wahlprogramme lässt jedoch zusätzliche Regulierungen als sehr wahrscheinlich erscheinen. Dies könnte die Mietsteigerungsmöglichkeiten insbesondere bei Bestandsimmobilien weiter einschränken“, gibt Nemecek zu bedenken und fügt hinzu: „Eine Folge dürfte sein, dass die Investorennachfrage stärker auf Projektentwicklungen gelenkt wird“. Neben Regulierungen des Mietmarktes dürfte auch das Thema Nachhaltige Investments und ESG die Diskussionen am Wohninvestmentmarkt prägen. „Vor dem Hintergrund der ESG-Regulierung zeichnet sich nach aktuellem Stand ab, dass sich die Kriterien mit Neubauten in der Regel leichter erfüllen lassen. Auch dies könnte das Kapital vieler institutioneller Investoren stärker in Neubauten umlenken“, sagt Nemecek und merkt an: „Insbesondere unsanierte Bestandsimmobilien könnten für einen Teil der Käufer als Option ausscheiden und damit Opportunitäten für Bestandshalter mit Sanierungskompetenzen oder opportunistische Investoren schaffen. Hierfür sind jedoch die rechtlichen Rahmenbedingungen im Hinblick auf die Umlagefähigkeit bei Sanierungen entscheidend“.

 

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