Prozessfinanzierung und kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren auch in Europa auf dem Vormarsch.
Die Haftungsrisiken für Unternehmen und ihre Führungskräfte nehmen zu. Steigende Insolvenzrisiken, wachsende Bedrohungen der Cybersicherheit und eine anhaltend hohe Zahl von Sammelklagen, vor allem in den USA, gehören zu den Hauptgefahren, für die Unternehmensorgane haftbar gemacht werden können. Verstärkt werden diese erhöhten Risiken nun durch neue Entwicklungen, auch in Deutschland: Eine zunehmende Zahl der in Deutschland aktiven Prozessfinanzierungsgesellschaften, der zunehmenden Gefahr von Verbandsklagen und eine sich schnell entwickelnde Legal Tech Szene, die vor allem in den Kanzleien zu beobachten ist.
Bei Legal Tech werden einzelne Arbeitsprozesse, aber auch ganze Rechtsdienstleistungen, vermehrt automatisiert abgehandelt, um eine Effizienz- und Qualitätssteigerung zu erzielen. „Dies bietet Rechtsanwaltskanzleien neue Möglichkeiten, im Rahmen der Anspruchsverfolgung neue automatisierte Verfahren einzusetzen, die Fälle in großer Masse abwickeln können. Der Einsatz dieser Techniken macht auch die Finanzierung von kleinen Streitwerten wirtschaftlich attraktiv“, erklärt Stephan Geis, der bei der Allianz Global Corporate & Specialty für den Bereich Financial Lines in Zentral- und Osteuropa zuständig ist.
Mit dem Einsatz einer fortschreitenden Digitalisierung können sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen Prozesse führen, die sie wegen des Kostenrisikos und des Zeitaufwandes sonst nicht geführt hätten. So können in Zusammenarbeit mit Legal Tech-Anbietern auch kleinen Schäden wirtschaftlich ertragreich abgewickelt werden, wenn es im Gegenzug eine große Anzahl von Betroffen gibt. Als Beispiel nennt Stephan Geis einen Datenschutzvorfall mit einem (hypothetischen) Schadenersatzanspruch nach Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Höhe von jeweils 500 EUR. „Für den einzelnen Betroffenen würde sich eine Klage hier kaum rechnen. Sollten sich aber 1 Million Betroffene mit Hilfe moderner Technik zusammentun, die von der Datenaufnahme bis hin zum Antrag auf Schadenersatz alles übernimmt, ergibt das eine attraktive Klageforderung.“
Generell nimmt die Prozessfinanzierung auch in Europa zu und trägt zu einer steigenden Zahl kollektiver Rechtsdurchsetzungsverfahren bei. Prozessfinanzierung ist ein bislang vor allem im Ausland verbreitetes Phänomen, das durch vorteilhafte Prozessordnungen und großzügige Konzepte für Schadenersatz und Fahrlässigkeit befördert wurde. Hinter Prozessfinanzierern stehen in der Regel Anleger und Investoren.
Da in vielen Ländern die Hürden für Sammelklagen gesenkt wurden, nimmt die Geschäftsaktivität der Finanzierer gerade in solchen Ländern zu: Dazu gehören die Niederlande, England und Wales, Südafrika oder Saudi Arabien – alles Länder, in denen laut AGCS-Länderleitfaden zur Prozessfinanzierung das Risiko für Sammelklagen als „mittel“ eingestuft wird. Auch innerhalb der Europäischen Union sollen die Hürden für Sammelklagen zugunsten der Verbraucher gesenkt werden: Nach der bisher lediglich unverbindlichen Empfehlung der Europäischen Kommission zur Einführung einer EU-Verbandsklage wurde die Verbandsklagen-Richtlinie am 04.12.2020 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Bis zum 25.12.2022 müssen die Europäischen Mitgliedstaaten die Vorgaben der Verbandsklagen-Richtlinie als wesentlichen Eckpunkt des „New Deal for Consumers“ ins nationale Recht umsetzen. Spätestens mit Wirkung zum 25.06.2023 sollen die nationalen Regelungen zur EU-Verbandsklage in allen Europäischen Mitgliedstaaten – also auch in Deutschland – dann in Kraft treten.
„Dies wird die Möglichkeit schaffen, effektiv Sammelklagen auch in Deutschland zu erheben, die unmittelbar auf Schadensersatz gerichtet sind“, sagt Stephan Kammertöns, der bei der Allianz Global Corporate & Specialty für den Schaden-Bereich Financial Lines in Zentral- und Osteuropa zuständig ist.
Verantwortlich für den Inhalt:
Allianz Global Corporate & Specialty SE, Fritz-Schäffer-Str. 9, 81737 München, www.agcs.allianz.com