Europäischer Banken Report
Nach einem der stärksten Einbrüche des Bruttoinlandsproduktes, den die Wirtschaft je erlebt hat, stehen bis zu ein Viertel (160 Milliarden Euro) der Erträge im europäischen Bankensektor auf dem Spiel, wenn es der Branche nicht gelingt, einen Beitrag zur Lösung einer Reihe neuer Herausforderungen zu leisten, vor die sich die Gesellschaft durch die Pandemie gestellt sieht. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Report „Ready To Lead: How Banks Can Drive the European Recovery“ der internationalen Strategieberatung Oliver Wyman.
Das Bankensystem ist mit hohen Eigenkapitalquoten gut aufgestellt, um die wirtschaftliche Erholung in Europa maßgeblich mit voranzutreiben. Diese komfortable Position ist vor allem auf niedrigere Rückstellungen als erwartet und Dividendensperren zurückzuführen. Die harte Kernkapitalquote (CET1) liegt im Branchendurchschnitt bei 15,4 Prozent und hat sich damit gegenüber den 14,4 Prozent aus dem Jahr 2019 weiter erhöht. Weniger als 1 Prozent des gesamten Eigenkapitals in der Branche entfällt auf Banken mit einer CET1-Quote von unter 12 Prozent.
Die Konsensschätzung zu den Kreditausfällen bei an die europäische Bankenaufsicht berichtenden Instituten für das Jahr 2020 lag bei ca. 200 Milliarden Euro. Letztendlich waren es 110 Milliarden Euro, immer noch mehr als das Doppelte an Ausfällen im Vergleich zu 2019. Seither haben 30 Prozent der Banken, die Quartalsberichte veröffentlichen, Rückstellungen aufgelöst, im Durchschnitt 12 Prozent pro Geldhaus, Tendenz steigend.
Doch mit der durch die enorme Liquidität am Markt verursachten Blasenbildung an den Kapitalmärkten, niedrigen Zinsen, einem spekulativen Goldrausch bei digitalen Vermögenswerten und dem Schreckgespenst steigender Inflationsraten stehen der Branche noch härtere Zeiten bevor. In Ländern, die sich wegen der Pandemie zu besonders strengen Lockdown-Maßnahmen gezwungen sahen und deren Volkswirtschaften besonders stark in Mitleidenschaft gezogen wurden, sackten die Erträge um bis zu 11 Prozent ab. Bei den risikogewichteten Aktiva betrug der Rückgang knapp 5 Prozent.
In dem Report werden fünf Herausforderungen skizziert, die die Banken in Europa meistern müssen, damit die Wirtschaft zurück auf den Wachstumspfad findet:
- Beendung von Notfallkreditprogrammen
- Umstellung auf die Maßnahmen der Europäischen Union zur Erholung der Kapitalmärkte im Rahmen der Kapitalmarktunion und den Corona-Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“
- Finanzierung des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft
- Bereitstellung von Zahlungsverkehr, Kreditvergabe und andere Bankprodukte in einer digitalen Wirtschaft
- Aufbau der Finanzinfrastruktur der Zukunft, einschließlich digitalem Zentralbankgeld.
„Die europäischen Banken haben jetzt die einmalige Chance, die Wirtschaft dabei zu unterstützen, sich von den Folgen der Coronakrise zu erholen und einige der größten Herausforderungen zu bewältigen, vor denen wir in Europa stehen. Mit Abklingen der Pandemieeffekte geht es dabei um nicht weniger als ein Viertel der Erträge des Bankensektors. Das Bankensystem muss mit der Politik in Dialog treten, seine zentrale Rolle in der Wirtschaft neu verankern und das Vertrauen seiner Kunden stärken. Banken haben die historische Chance, Teil der Lösung und nicht Teil des Problems zu sein“, sagt Thomas Schnarr, Partner und Leiter Financial Services bei Oliver Wyman in Deutschland.
Für deutsche Institute fällt diese Zeit zusammen mit dem Ende einer Reihe von historischen Gewissheiten: die Ära Angela Merkel geht zu Ende und der zukünftige politische Rahmen und seine Bedeutung für die Banken ist ungewiss. Die Sicherungssysteme deutscher Banken werden nicht nur von der Aufsicht kritisch beäugt, sondern auch durch Vorfälle wie Greensill auf die Probe gestellt. Und aufgrund der Zinssituation ändert sich das Anlageverhalten der Deutschen rasant.
„Das neue Umfeld und die mögliche europäische wirtschaftliche Erholung bieten gerade auch für die vielen kleineren und mittelgroßen deutsche Banken eine ausgezeichnete Gelegenheit, die eigene Position in der sich beschleunigenden Konsolidierung zu finden von den Veränderungen zu profitieren“, so Schnarr.
Über den Report
Der European Banking Report von Oliver Wyman basiert auf unternehmenseigenen Modellen zur Schätzung der künftigen Finanzdaten. In die Berechnungen gehen Ausfallquoten bei Privatkunden und Unternehmen, Rückstellungen, risikogewichtete Aktiva, Gewinne und andere zentrale Kennzahlen für den Bankensektor ein. Es werden Aggregatgrößen auf europäischer Ebene sowie granularere Daten zu Ertrags- und Bilanzeffekten für 17 europäische Länder (Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz und Spanien) angegeben.
Über Oliver Wyman
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