Marktkommentar von Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel

 

Die Diskussion rund um die Einhaltung von ESG-Kriterien (Environmental, Social, Government) entwickelt sich immer mehr und zuletzt mit zunehmendem Tempo von einem Trend zu einem für Unternehmen unumgänglichen Pfeiler der Geschäftsstrategie. Ende April wurde von der Europäischen Kommission ein konkretes Maßnahmenpaket veröffentlicht, durch welches mehr Geld in nachhaltige Tätigkeiten gelenkt werden soll. Dafür sollen die EU-Taxonomie-Verordnung zu nachhaltigkeitsbezogenen Offenlegungspflichten und die Benchmark-Verordnung die Transparenz der Nachhaltigkeits-Strategien von Unternehmen erhöhen und Anlegern das Erkennen nachhaltiger Anlagemöglichkeiten erleichtern. Noch entscheidender als gesetzliche und politische Regelungen ist aber der zunehmende gesellschaftliche Wandel. Der Wille, sich zum Schutz des Klimas und der Umwelt zu engagieren, die Verbesserung von Arbeitsbedingungen zu fördern und ethisches Handeln von Unternehmen zu erwarten, dürften weltweit mittlerweile mehrheitsfähig sein. Auch unter Anlegern nimmt die Berücksichtigung von ESG-Faktoren einen unaufhaltsam steigenden Stellenwert ein. Die Integration von ESG-Aspekten im Investmentprozess ist mittlerweile nicht nur für große institutionelle Investoren – wie BlackRock oder den norwegischen Staatsfonds – unumgänglich. Auch Privatanleger wünschen sich Gewissheit, dass durch ihre Kapitalanlage keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt ausgehen. Es geht um mehr als nur noch die Fokussierung auf Rendite und Risiko und Anleger haben mit einem der wichtigsten Produktionsfaktoren, dem Kapital, einen entscheidenden Hebel in der Hand. Unternehmen, die nicht nachweislich ESG-konform handeln, werden künftig höhere Refinanzierungskosten zahlen müssen. Ein konkretes Beispiel für die Wirkung in der Praxis ist der verpatzte Börsengang des Essenslieferdienstes Deliveroo Ende März, nachdem Berichte über ausbeuterische Arbeitsverhältnisse der Kuriere bekannt wurden. Das in der letzten Woche viel beachtete Urteil des Den Haager Bezirksgerichts gegen den Ölkonzern Shell, nachdem dieser seine CO2-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent senken muss, bringt eine weitere, neue Dimension mit sich, denn sie verdeutlicht eine Veränderung der normativen Struktur von Gerichtsurteilen. Noch vor Jahren wären ähnliche Verfahren trotz gleicher Gesetzeslage womöglich anders entschieden worden. Shell wird wohl in Berufung gehen, dürfte aber von der Öffentlichkeit dafür keine breite Unterstützung erfahren.

 

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