Kaufentscheidung für stationären Handel beginnt bereits im Internet

 

Langfristig wird nur der stationäre Händler erfolgreich sein, der auch online gut wahrnehmbar ist. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie “Digitalisierung im deutschen Einzelhandel”, die das Immobilien-Beratungsunternehmen JLL zusammen mit der Digital-Beratung eStrategy Consulting erstellt hat. Denn bei immer mehr Sortimenten informieren sich Kunden im Vorfeld über das Internet, auch wenn sie letztlich nicht über den Onlinehandel, sondern stationär kaufen wollen. In der “Customer Journey”, den einzelnen Stufen der Kaufentscheidung, liege der Fokus mittlerweile zunächst auf dem Produkt und erst im zweiten Schritt gehe es um den jeweiligen Händler. Auch im Geschäft selbst hätten sich die Kundenerwartungen spürbar verändert, analysiert die Studie und überrascht mit einer Erkenntnis: Kaufhäuser sind mit Blick auf die Digitalisierung bereits gut aufgestellt.

Verändertes Kaufverhalten fordert auch vom stationären Handel digitale Elemente

Dirk Wichner, Head of Retail Leasing JLL Germany: “Die Pandemie und die damit verbundenen Lockdowns haben die Digitalisierung im Handel zusätzlich beschleunigt. Damit verbunden ist aber nicht nur ein Anstieg des Umsatzanteils des E-Commerce, sondern vielmehr ein generell verändertes Kaufverhalten der Konsumenten, das den stationären Handel genauso betrifft. Langfristig erfolgreich wird also nur sein, wer Digitalisierung als Teil der Kaufentscheidung einplant und für eine entsprechende Sichtbarkeit weit über das eigene Ladenlokal hinaus erzeugt.”

JLL und eStrategy Consulting haben für die Erhebung 755 Geschäfte in zwölf Einkaufsstraßen der Big 7 untersucht und dabei alle Phasen der für den stationären Point of Sale (POS) relevanten Kunden berücksichtigt. Insgesamt wurden 45 Kriterien definiert, um vier Bereiche zu bewerten und einen digitalen Reifegrad zu ermitteln: die Online-Sichtbarkeit des Geschäfts und seiner Sortimente, Omnichannel-Funktionen wie zum Beispiel Click & Collect, die digital unterstützte Kundenerfahrung am POS sowie die digital getriebene Kundenbindung am POS. “Dafür haben die Geschäfte digital, aber auch analog besucht, um die real vorhandenen Features zu testen und dieselben Erfahrungen wie die Konsumenten im Geschäft zu erleben”, erläutert Thomas Natkowski, Geschäftsführer bei eStrategy Consulting, die Methodik der Untersuchung.

Kaufhäuser stehen mit Onlinesichtbarkeit und Omnichannel-Funktionen an der Spitze

Die Analyse einzelner Branchen zeigt, dass vor allem die Kaufhäuser (5,4 von 10 möglichen Punkten) und der Elektronikhandel (4,6) ihre Hausaufgaben bereits vergleichsweise gut gemacht haben, während das Segment Kleidung & Accessoires (3,7) und der Lebensmittelhandel (3,6) noch über einen relativ geringen digitalen Reifegrad verfügt. “Im Vergleich zu anderen Branchen schneiden Kaufhäuser bei der Onlinesichtbarkeit (7,6), aber auch bei den Omnichannel-Funktionen (6,0) sowie der Kundenbindung (5,6) gut ab.

Das spiegelt sich auch in den Handelsketten, die im jeweiligen Segment als Positivbeispiel gelten können. So erzielen ein Berliner Saturn, der SportScheck auf Kölns Schildergasse sowie Juwelier Christ in Hamburg den Bestwert bei der Online-Sichtbarkeit. Was die Verfügbarkeit von Omnichannel-Funktionen wie Ship-to-Store oder Click & Collect betrifft, waren Peek & Cloppenburg Filialen in vier Metropolen sowie Depot in drei Großstädten auf den Spitzenplätzen. Die digitale Kundenerfahrung am Kaufort stach beim Elektronikhändler Conrad in Berlin heraus, doch auch Marken wie Lego, C&A oder Decathlon konnten hier punkten. Der letzte Schritt, die digitale Kundenbindung wird in der Studie bei Conrad, Uniqlo, Hugendubel und WMF mit dem höchsten Reifegrad bewertet.

Berlin profitiert von Pilot- und Concept-Stores, die mit digitalen Elementen experimentieren

Betrachtet man die Geschäfte der Städte in den Dimensionen gesondert, wird sichtbar, dass Hamburg und Köln bei Online-Sichtbarkeit, Omnichannel und Kundenbindung ihre Stärken haben. Hinsichtlich der digitalen Kundenerfahrung am POS liegen jedoch Berlin und München vorn. Das mag daran liegen, dass Berlin eine größere Anzahl von Pilot- und Concept-Stores vorweisen kann, welche mit neuen digitalen Elementen am Point of Sale experimentieren.

Doch letztlich ist Digitalisierung weder Selbstzweck noch Erfolgsgarant, wie die Sparten Kaufhaus und Elektronik belegen. Denn trotz der hohen digitalen Reife mussten beide Segmente schon seit einiger Zeit große Umsatzeinbußen und Filialschließungen hinnehmen. “Das bedeutet im Umkehrschluss, dass eine starke digitale Ausrichtung allein nicht ausreicht, um als Händler beziehungsweise Marke erfolgreich zu sein”, analysiert Helge Scheunemann, Head of Research JLL Germany. Erfolgreiche Digitalisierung der Customer Journey sei immer auch ein individuelles Thema, das auf den einzelnen Händler oder die einzelne Marke angepasst werden müsse, weshalb es auch keine Blaupausen gäbe, ergänzt Thomas Natkowski.

Zusammenfassend kommt die Studie zu dem Schluss, dass erste Schritte zur nachhaltigen Digitalisierung des Handels zwar getan sind, zugleich aber noch viel Entwicklungspotenzial gegeben ist. Viele Händler haben in den vergangenen Jahren ihre Sichtbarkeit im Netz ausgebaut – oft wird diese Vorlage aber dann in den Folgeschritten nicht mehr aufgegriffen. In den Geschäften selbst sind die Fortschritte der Digitalisierung zugunsten des Kauferlebnisses und der Kundenbindung indes noch kaum angekommen”, zieht Scheunemann Bilanz.

Fakt ist aber zugleich, dass die Kunden bestimmte digitale Elemente mittlerweile zunehmend vom Händler ihrer Wahl erwarten. Insbesondere die Pandemie hat diese Entwicklung beschleunigt: “Nach wie vor wollen Kunden stationär einkaufen. Allerdings sind sie dabei vorsichtiger im Hinblick auf Hygiene und Sicherheit geworden. So haben wir nach dem ersten Lockdown sehen können, dass viel mehr Menschen kontaktloses Bezahlen bevorzugen, um so Abstand halten zu können”, beschreibt Natkowski die veränderte Erwartungshaltung.

 

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