Sorgen um die Lieferkette in Großbritannien überbewertet, viele Unternehmen suchen bereits nach lokalen Alternativen; Preise für importabhängige Branchen wie Automobilbranche und Pharmaindustrie dürften allerdings steigen
Großbritanniens Exporteure könnten durch den Brexit im Jahr 2021 Umsatzeinbußen zwischen 12 und 25 Milliarden Pfund erleiden (13,5 bis 27,3 Milliarden Euro). Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie des weltweit führenden Kreditversicherers Euler Hermes. Gründe sind laut Studie die schwache Nachfrage, zunehmende Bürokratie und die Abwertung des britischen Pfunds (-3% Prognose für 2021). Die Sektoren Mineral- und Metallprodukte, Maschinen und Elektrogeräte, Transportausrüstung, Chemikalien und Textilien dürften am stärksten betroffen sein.
“Wie erwartet, haben die EU und Großbritannien in letzter Minute einen Kompromiss zum Brexit erzielt”, sagt Ana Boata, Leiterin Makroökonomie bei der Euler Hermes Gruppe. “Der Deal ist jedoch bei weitem nicht vollständig und bringt für die Briten aufgrund der fehlenden Vorbereitungszeit eine Übergangsfrist mit sich. Für britische Exporteure hat die anhaltende Ungewissheit seit Anfang des Jahres zu einigen Störungen an den Grenzen geführt, weshalb viele kleinere Unternehmen den Handel vorerst aussetzen. Etwa jeder fünfte Lastkraftwagen wird an den Kanalübergängen abgewiesen, teilweise wegen des Brexit-Papierkrams.”
Eher trübe Aussichten: Rezession in Großbritannien in Q1, Gesamtjahr BIP Wachstum bei 2,5%
Die Aussichten in Großbritannien sind aktuell eher trüb: Im 1. Quartal dürfte das BIP durch Covid um -5,5% im Vergleich zum vorherigen Quartal einbrechen und das Vereinte Königreich in eine erneute Rezession stürzen. Insgesamt dürfte das Wachstum für das Gesamtjahr 2021 durch Pandemie und Übergangsfrist sehr verhalten bleiben mit einem Plus von 2,5% beim BIP, bevor es 2022 um voraussichtlich 7% zulegen dürfte. Das bedeutet aber auch, dass die britische Wirtschaft frühestens 2023 wieder das Vorkrisenniveau erreichen wird.
Für die EU-Exporte nach Großbritannien hatte Euler Hermes ursprünglich Einbußen im Wert von bis zu 18 Mrd. EUR prognostiziert im ersten Jahr nach dem Brexit.
Übergangsfrist schafft Planungssicherheit und halbiert Exportverluste in EU-Staaten
“Die sechsmonatige Übergangsfrist und damit die Planbarkeit sind die halbe Miete für die hiesigen Unternehmen”, sagt Ron van het Hof, CEO von Euler Hermes in Deutschland, Österreich und der Schweiz. “Dadurch könnten sich die Exportverluste in der EU auf weniger als 10 Mrd. EUR nahezu halbieren – auch wenn Deutschland mit Exportverlusten von rund 2 Mrd. EUR weiterhin am stärksten betroffen ist.”
In den Niederlanden dürften sich die Exportverluste nach Großbritannien auf 1,2 Mrd. EUR belaufen, in Frankreich auf 0,9 Mrd. EUR, in Belgien auf 0,7 Mrd. EUR und in Italien auf 0,6 Mrd. EUR.
“Das Abkommen ist zwar vorteilhafter als andere Freihandelsabkommen, da es Zollfreiheit für Waren bietet”, sagt Boata. “Allerdings könnten die nichttarifären Handelshemmnisse [1] aufgrund des Ausstiegs aus der Zollunion deutlich zunehmen. Industrien wie Finanzdienstleistungen warten außerdem noch auf einen ‘Äquivalenzstatus’ von der EU, was länger als die geplanten sechs Monate dauern könnte.”
Risiko für Lieferketten überbewertet – aber steigende Preise in importabhängigen Branchen
Britischen Exporteuren stehen also große Herausforderungen bevor. Die Sorge, dass Lieferketten unterbrochen werden könnten, ist allerdings voraussichtlich weniger begründet als bisher angenommen – vor allem aufgrund der Pandemie. Eine kürzlich von Euler Hermes durchgeführte Umfrage zu Lieferketten ergab, dass britische Unternehmen bereits versuchen, ihre Lieferkette näher an das Heimatland zu verlagern. Mehr als ein Drittel (35%) sucht nach inländischen Lieferanten – eine deutlich höhere Quote als in EU-Ländern wie Frankreich, Deutschland und Italien.
Unternehmen in importabhängigen Branchen wie der Automobil- und Pharmaindustrie müssen jedoch damit rechnen, dass die Kosten für Komponenten um bis zu 5% steigen werden, sobald die neue Übergangsfrist im Sommer endet.
[1] Nichttarifäre Handelshemmnisse sind indirekte protektionistische Maßnahmen der Außenhandelsbeschränkung, die nicht Zölle, Abschöpfungen oder Exportsubventionen sind. Sie erschweren den Marktzugang ausländischer Anbieter, Darunter fallen z.B. technische Vorschriften oder Normen, Bürokratieanforderungen wie etwa Anmeldeformalitäten für Importe oder aber technische Qualitätsanforderungen an Produkte, Import- und Exportverbote, mengenmäßige Beschränkungen, Importquoten etc.
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