Marktkommentar von Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel
Die offizielle Bestätigung des Ergebnisses der US-Präsidentschaftswahl von beiden Kammern des Kongresses unter der Leitung des amtierenden Vizepräsidenten ist in normalen Zeiten reine Formsache. Die gewaltsamen gestrigen Proteste in Washington zeigen jedoch, dass aktuell nicht von normalen Zeiten die Rede sein kann. So bringen die letzten Tage der Amtszeit Donald Trumps noch einen wahren Showdown einer außergewöhnlichen Präsidentschaft mit sich. Wenngleich die politischen Weichenstellungen mit einem neuen Präsidenten unverrückbar feststehen, bleibt es spannend, wie eine zerrissene US-Bevölkerung sowie eine zerrissene republikanische Partei die Nach-Trump-Ära gestalten wird bzw. welche Rolle Trump künftig noch spielen wird. Die Sperrung einiger Social-Media-Kanäle Trumps dürfte wohl als einer der Höhepunkte in einem dramatischen letzten Akt in die Geschichte eingehen.
An den Kapitalmärkten spielten die Ereignisse in Washington hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Einerseits hat man sich wohl in den letzten Jahren an extreme politische und teils auch gesellschaftliche Entwicklungen in den USA gewöhnt. Andererseits lag der Fokus viel stärker auf der Stichwahl im Bundesstaat Georgia um zwei noch ausstehende Senatsposten. Das Ergebnis – die beiden demokratischen Kandidaten haben sich jeweils durchgesetzt – ist das letzte Kapitel der US-Präsidentschaftswahl 2020 und wegweisend für die Präsidentschaft Bidens in den kommenden zwei Jahren. So erweitert der resultierende Stimmengleichstand von 50:50 im Senat die Möglichkeiten der Umsetzung von Bidens politischen Plänen, denn im Falle einer Patt-Situation hätte die künftige Vize-Präsidentin Kamala Harris die entscheidende Stimme. Trotzdem werden die Demokraten angesichts dieser hauchdünnen Mehrheit im Senat und der im Repräsentantenhaus deutlich geschrumpften Mehrheit keinen von einigen befürchteten extremen Linksruck der US-amerikanischen Politik durchsetzen können. Für die Börsen ist damit der beste aller Fälle eingetreten, denn es kann zeitnah mit einem größeren zusätzlichen Fiskalpaket zur Stimulierung der Wirtschaft gerechnet werden. Entsprechend positiv fiel gestern die Reaktion an den US-Aktienbörsen aus. Einzig die Technologieindex NASDAQ hatte geringe Kursverluste zu verzeichnen, weil im Zuge der demokratischen Mehrheit in beiden Parlamentskammern eine striktere Regulierung der digitalen „Big-Tech-Unternehmen“ drohen könnte – allerdings würde die zunehmende Marktmacht der Netzwerkplattformen wohl ohnehin auf der Agenda der US-Regierung stehen, unabhängig von deren politischer Couleur. Auch heute stehen die Ampeln für weitere Kursgewinne auf grün. Grundsätzlich bleiben die Aussichten für die Aktienmärkte, auch mit Blick auf die ab dem Frühjahr wahrscheinliche globale Konjunkturerholung, gut – wenngleich kein vergleichbares Kurspotenzial besteht. Dafür wurden bis Ende 2020 bereits zu viele positive Erwartungen eingepreist. Zudem werden unter der neuen Regierung höhere Unternehmenssteuern in den USA wahrscheinlicher. Die größeren Fiskalpakete werden absehbar zu noch stärker steigenden Staatsschulden in den USA führen, wodurch die Rendite für US-Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit erstmals seit März 2020 wieder die Marke von einem Prozent p.a. überstieg. Auf den US-Dollar wirken in diesem Kontext zwei verschiedene Kräfte. Einerseits wirken noch höhere Fiskalpakete in einer ohnehin noch sehr dynamischen US-Wirtschaft preisniveautreibend, wodurch die Realverzinsung sinkt, schwächend auf die Währung. Andererseits unterstützt die wieder steigende nominale Zinsdifferenz im Vergleich zum Euroraum die Attraktivität des US-Dollar. Damit dürfte den Aufwertungstendenzen des Euro bei knapp 1,24 EUR/USD vorerst die Luft ausgehen.
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